Werner Stangl: Universitäre Lehre und Internet

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e-mail (subject: internetlehre)


Zukünftige Entwicklungen

"We must bring the power of the Information Age into all our schools. Last year, I challenged America to connect every classroom and library to the Internet by the year 2000, so that, for the first time in our history, children in the most isolated rural towns, the most comfortable suburbs, the poorest inner city schools, will have the same access to the same universe of knowledge ...
Our effort to connect every classroom is just the beginning. Now, we should connect every hospital to the Internet, so that doctors can instantly share data about their patients with the best specialists in the field.
We must build the second generation of the Internet so that our leading universities and national laboratories can communicate in speeds 1,000 times faster than today...
As the Internet becomes out new town square, a computer in every home -- a teacher of all subjects, a connection to all cultures-- this will no longer be a dream, but a necessity. And over the next decade, that must be our goal."
(Präsident Clinton in einer Rede am 4. Februar 1997) zur Herausforderung des Informationszeitalters; nach Diem 1997)

Allgemeine Perspektiven

Die rasche Einbindung der internet-Technologie auch in die universitäre Lehre ist wichtig, da Information zu einem Produktionsmittel der sogenannten Informationsgesellschaft geworden ist. Die Verarbeitung und die Aufbereitung von Informationen ist dabei eine der Schlüsseltätigkeiten der näheren Zukunft, wobei hier der universitären Lehre gerade im (Lehrer)Bildungsbereich die Aufgabe zukommt, die Basisqualifikationen zu vermitteln und von den Lernenden zu fordern.

Karin Covi (1995) zeichnet in Bezug den heutigen Schulalltag ein mögliches Szenario, das heute wohl analog für einen Teil der Universitäten gelten kann: "Schule kann sich totstellen und die geänderten Bedingungen ignorieren, oder sie kann sich endlich der Tatsache stellen, daß die Vermittlung von Faktenwissen durch andere Medien besser erfüllt werden kann als durch LehrerInnen. Mir schwebt ständig das Bild eines Geographielehrers vor, der vor der Tafel steht und mit dem Zeigestab auf die Landkarte zeigt, um (mehr oder minder) veraltete Informationen über irgendeinen Kontinent aufzusagen, während die Schüler schon längst mittels Internet die neuesten Daten, in Bild und Ton ansprechend aufbereitet, abgerufen haben".

Bedeutsame Verschiebungen des Rollenverhältnisses "Studierende-Lehrende" dadurch, daß Lehrende zunehmend Lernprozesse moderieren und nicht wie bisher überwiegend faktisches Wissen vermitteln, stehen bei der Beurteilung von zukünftigen Entwicklungen im Mittelpunkt. Ursula Maier-Rabler (1996) spricht von einem Paradigmenwechsel in der Kommunikationswissenschaft. Das traditionelle Sender-Empfänger - Modell hat m.E. auch auf den Universitäten ausgedient.

Den Universitäten kommt m.E. eine Vorreiterrolle bei der Erprobung und Gestaltung von neuen Wegen in der Bildungspolitik zu. Dabei muß das Wissen über die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien nicht als computer- oder informatikorientiertes Know-how, sondern als Anwendungswissen für sämtliche Lebensbereiche vermittelt werden. Der souveräne Umgang mit den neuen Kommunikationstechnologien entsteht aus deren Anwendung für eigene bzw. individuelle Fragestellungen. Auch von den Universitäten müssen informationskulturelle Barrieren abgebaut werden, indem das dort "versammelte" Wissen zur Verfügung gestellt wird.

"In Europa ist Wissensvermittlung noch immer stark von oben nach unter orientiert. Es wird einem gesagt, was wichtig ist und was nicht. Amerikanischen Studenten mag man vielleicht ein geringeres Allgemein- und Faktenwissen unterstellen. Sie sind jedoch Meister in der Informationsbeschaffung. Für die Beschaffung von Informationen für eine Hausarbeit über eine seltene Pflanzenkrankheit wird der Leiter des städtischen Gartenamtes befragt, der Geschäftsführer einer lokalen Gärtnerei, die gärtnerisch ambitionierte Tante eines Freundes im entfernten Kalifornien und natürlich die gesamte einschlägige Literatur sämtlicher Bibliotheken in Nordamerika. Und das alles an einem Nachmittag mittels eines PC mit Internetanschluß bequem von Zuhause aus" (Maier-Rabler 1996).

Damit einhergeht auch "die Verlagerung der Verantwortung für den Lernerfolg zu den Lernenden selbst. Dies ist angesichts der wachsenden Bedeutung des lebenslangen Lernens heute essentiell.Für die DozentInnen andererseits bedeutet dies, dass sie vermehrt in der Lage sind, den Studierenden bei der Verarbeitung und Vertiefung des Stoffs beizustehen. Hier braucht es ja ganz besonders die Erfahrung, das Wissen und die Übersicht der Lehrperson, ebenso wie ihr Sensorium für mögliche Schwierigkeiten und ihren Enthusiasmus für das Fachgebiet" (Hänni 1996a).

Oberflächlich betrachtet, scheint die Nutzung der neuen Möglichkeiten für die Lehre und das Lernen sich relativ unsystematisch ausgebreitet zu haben. Um Lehre und Lernen zu unterstützen und qualitativ zu verbessern, muß über das Vorhandensein von PC's und Netzwerken hinaus viel Arbeit in die Entwicklung von Anwendungsmöglichkeiten investiert werden. Viele Entwicklungen erfolgen wahrscheinlich isoliert. Erfahrungsaustausch unter und zwischen Entwicklern und Nutzern, Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden über Voraussetzungen, Anforderungen und Erfolg findet oft nur sporadisch und eher zufällig statt.

Wie Krempl (1997) in einer Zusammenschau derzeitiger Entwicklungen aufzeigt, dominieren zwei Richtungen beim Einsatz des internets in der universitären Ausbildung:

Das hier vorgestellte Modell der internetgestützten Lehre tendiert - wie die Entwicklung in Europa generell - eher zum dual mode, da die soziale Komponente im Zusammenhang mit Bildung nicht nur virtuell thematisiert werden sollte. Der Einsatz und das Angebot vorhandener sozialer Ressourcen im universitären Lehrbetrieb halte ich auch angesichts der Konkurrenz zum immer stärker ins net drängenden kommerziellen Ausbildungsbereich für notwendig. Auch "Telekommunikations- und Medienunternehmen wollen sich eine Scheibe vom in Bewegung geratenen Bildungsmarkt abschneiden. So hat die Deutsche Telekom bereits vorsorglich rund 700 Stunden Lernsoftware - vor allem für den technischen Bereich - produziert. Diese sollen nun - ergänzt durch Anbieter von multimedialen Sprach- oder Wirtschaftslehrgängen - im Rahmen des Projekts "Global Learning" über T-Online eingesetzt werden. Auch Bertelsmann, der Klett sowie der Ehapa-Verlag oder auch Disney planen in großem Rahmen den Einstieg in die Produktion von Edutainment-Software, so daß Universitäten in Clausthal, Passau oder Frankfurt/Oder nun plötzlich Industriegiganten aus Hollywood, Redmond oder Gütersloh gegenüberstehen" (Krempl 1997).

Im Rahmen des Tele-Teaching Projektes der Universitäten Mannheim und Heidelberg geht es um die Bereitstellung und Übertragung multimedialer Lehreinheiten von der Universität bis zum PC des Studenten zu Hause. Um eine Nutzung der Materialien von zu Hause aus zu ermöglichen, wird zunächst eine Netzwerkanbindung des Studenten durch ISDN oder Modem vorausgesetzt.Synchrone und asynchrone Phasen des Projekteswechseln einander ab:

In der asynchronen Phase geht es um die Bereitstellung von Lehrmaterialien auf dem Server der Universität, die vom Studenten via ISDN oder Modem abgerufen werden können. Um auch Studenten ohne Netzanschluß an dem Projekt teilhaben zu lassen, besteht die Überlegung, die Materialien auf einer CD-ROM zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise können auch umfangreichere Videosequenzen zugänglich gemacht werden, deren Übertragung per Modem nicht handhabbar ist.Als Lehrmaterialien stehen im Vordergrund:

Neben Lehrmaterialien sollen dem Studenten Erfolgskontrollen sowie schnelle Suchmöglichkeiten des erlernten Stoffes angeboten werden. Dazu werden Materialien in folgenden Bereichen erstellt:

In der synchrone Phase, die zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll, werden die folgenden beiden Szenarien erprobt:

1. Übertragung der Vorlesung bis zum Studenten nach Hause
In diesem Szenario soll dem Studenten der Empfang von Video, Audio und Whiteboard zu Hause am PC ermöglicht werden.
Da die Übertragung von Audio- und insbesondere Videodaten sehr hohe Anforderungen an die Netzwerkanbindung stellt, wird eine ISDN-Verbindung vorausgesetzt. Um die Anforderungen weiter zu reduzieren, werden für die verschiedenen Datenströme Prioritäten vergeben. Hierbei ist die qualtitativ hochwertige Übertragung der Audio- und Whiteboardinformationen als wichtiger anzusehen als eine Videoübertragung mit hoher Bildrate.
2. Verteilte Übungen von zu Hause aus
In diesem Szenario werden virtuelle Lerngruppen gebildet, die den klassischen Übungsgruppen und Tutorien nachempfunden sind. Technische Problemstellung in diesem Szenario ist die geordnete Kommunikation der Teilnehmer.
 
In der oben angeführten Terminologie von Krempl (1997) wäre dieses Projekt ebenfalls dem dual mode zuzurechnen.

Überregionale Initiativen

Nicht lokal bzw. an eine einzige Institution gebundene Initiativen entwickeln sich erst langsam. Ein Beispiel dafür ist das BILDUNGSNETZ. Hier wird versucht,

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- Die Bildung selbst in die Hand nehmen
- Lernende vernetzen
- Gesellschaft selber machen
- Die Foerderung von selbstorganisiertem Lernen und Forschen
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   Durch die Initiierung von Arbeitsgruppen wenden wir uns
Themen zu, die uns interessieren und über die wir z.B. in
normalen Uni-Veranstaltungen nichts hoeren wollen/koennen:
ProfessorInnen haben blinde Flecken, z.B. in Bezug auf
alternative Wirtschaftstheorien oder chaostheoretische
Ansaetze; das MAI wird noch nicht mal erwaehnt. Themen und
Ansaetze, die unbequeme Perspektiven aufwerfen, werden uns
Studierenden in der Regel nicht nahegebracht. 
 
  Um den Arbeitsgruppen die Moeglichkeit zu geben, auch
ueberregional zu arbeiten, bietet das BILDUNGSNETZ mailing
lists an.  In ihnen koennten auch ueberregional (online)
stattfindende Studiengruppen entstehen. Unser Anliegen ist
es, diese Studiengruppen scheinrelevant zu machen, so dass
sie zu einem integralen Bestandteil unseres Studiums werden.
Erste Veranstaltungen dieser Art beginnen an einigen
Universitaeten bereits im kommenden Semester.
 
  Das BILDUNGSNETZ vereint nicht nur Studierende: alle, die
an einer Mitarbeit interessiert sind, koennen am
Bildungsnetzwerk teilnehmen. Informationen ueber das 
BILDUNGSNETZ findest Du unter:  
      http://infopool.uni-duisburg.de/1.html

Gefahren und Hindernisse

für einen Einzug des internet in die Universitäten sind in der Praxis ungenügende Ausstattung, fehlende Kompetenz beim Lehrpersonal sowie Kollisionen mit eingefahrenen Lehrsituationen.

Belegt wird dies durch eine Studie der Hochschul-Informations-System GmbH (1996), die in der BRD eine bundesweite Erhebung und Analyse der Voraussetzungen, des Verbreitungsgrades und der Anwendungsformen medienunterstützter Lehre an Hochschulen durchgeführt hat. Es zeigten sich neben strukturellen Defiziten, daß nur eine Minderheit der Lehrenden sich bislang für einen Einsatz elektronischer Medien in der Lehre engagierte und daß komplexere und anspruchsvolle Medienanwendungen eher selten zu finden sind. An Hindernissen werden neben mangelnden EDV-Kenntnissen der meisten Lehrenden der sehr hohe persönliche Aufwand für die Entwicklung und für die Durchführung medienunterstützter Lehre, mangelnde institutionelle Unterstützung von Einzelinitiativen ;-) und fehlende zielgerichtete Förderung entsprechender Projekte genannt.

"Eingepaßt in überkommene Lehrformen und didaktische Konzepte kann das Internet als Stellvertreter für analoges Video, Dia, Lehrbuch oder OH-Folie letztlich nur eine bescheidene Bereicherung sein. (...) Ein gelungener pädagogischer und didaktischer Einsatz des Internet sollte sich davor hüten, vorschnell an gängige Unterrichts- und Lehrkonzepte anzuknüpfen und damit die typischen Internet-Qualitäten (Echtheits-Charakter, Handlungsspielräume, Außenkontakte) zu zerstören. (...) Die wichtigsten und tiefgreifendsten Lernerfahrungen bieten jene Formen der Internet-Nutzung, die gar nicht explizit unter dem Label "Lernen" realisiert werden. Zum einen sind es die sozialen Erfahrungen in den Kommunikationsräumen des Internet, die unsere Vorstellungen von Wirklichkeit, Identität, Beziehung, Nähe, Kommunikation und Gemeinschaft verändern - und zwar in Praxis und Diskurs. Zum anderen ist es ein neuer aktiver, kritischer und produktiver Umgang mit Informationen, der auch das Hinterfragen des Konzeptes "Information" beinhaltet. Daß man aus dem Internet viele fachbezogene Informationen abrufen kann, ist praktisch. Die genuine Veränderung besteht jedoch darin, daß im Internet Prozesse der Informationsproduktion transparenter, personalisierter und interaktiver sind" (Doering 1996).

"Die Erweiterung der Online-Kommunikationsmöglichkeiten findet ihre Grenze dort, wo das Lernen im Kontext von technischen Systemen zu unpersönlich wird. Besser als das Lehrgespräch läßt sich die Recherche von Studenten und Wissenschaftlern durch neue Kommunikationstechniken verbessern. Neben dem wünschenswerten Ausbau von Online-Dialogmöglichkeiten gibt es ungewöhnlich leistungsfähige neue Speichermedien wie die CD-ROM, deren Möglichkeiten durch die Hochschulen gerade erst entdeckt werden. Das 'virtual college' bietet Studenten die Möglichkeit, in Audiovisions-Pools nach Belieben in neuen interaktiven und multimedialen Lehrangeboten zu stöbern" (Lange 1996). Es wird daher notwendig sein, den Einsatz des internet in der Lehre im Zusammenhang mit anderen neuen Medien zu bewerten. Erst seit kurzem gehört etwa im Fachgebiet des Autors die Literaturrecherche mittles CD-ROM zum Standard, allerdings werden online-Datenbanken noch immer eher selten genützt, wobei der Kostenfaktor eine nicht unbeträchtliche Rolle spielen dürfte.

Das Internet muß von den Lehrenden und Lernenden in seiner Gesamtheit als völlig neues, interaktives und mit herkömmlichen Informationsstrukturen kaum vergleichbares Medium verstanden werden. Nur so ist es möglich, neue Kommunikations- und Informationsformen zu entwickeln und nicht bloß alte Muster in einem neuen Gewand zu perpetuieren. Auf diesem Hintergrund müssen auch traditionelle Unterrichtsformen an den Universitäten in Frage gestellt werden. Die linearen "schulmäßigen" Studienpläne und die bestehenden Fächergliederungen sind sicherlich kein besonders geeignetes Grundmuster für neue Lehrformen an der Universität, denn vermutlich ist das internet wohl jenes Medium, in dem menschliches Wissen in all seinen Ausprägungen (vom Kochrezept bis zur "Weltformel") zusammenfließt. Dieses Zusammenfließen findest sowohl auf der syntaktischen als auch der semantischen Ebene statt, wobei eine pragmatische Ebene vermutlich noch zu definieren ist

"Kernpunkt der Veränderungen durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ist die Tatsache, daß der Baustein für Kommunikation bzw. zur Erzeugung von Kommunikationsinhalten, nämlich die Information, in den universellen digitalen Code von Null und Eins transformiert werden kann bzw. grundsätzlich nur mehr in diesem binärem Code existiert. Die Universalität dieses Codes kommt dadurch zum Ausdruck, daß jegliche Form von Information, ob es sich nun um Wörter, Bilder, Texte, Töne, Bewegtbilder etc. handelt in diesem Code ausgedrückt werden kann und somit auch Transformationen jeglicher Art - von Tönen in Texte, von Bildern in Worte etc. - durchgeführt werden können. Die Universalität dieses Codes steht aber auch für den universellen Einsatz dieser Neuen Technologien. Im Gegensatz zu früheren revolutionären technologischen Erfindungen, ist die digitale Revolution nicht nur auf einen bestimmten gesellschaftlichen Bereich reduziert. Während die Dampfmaschine vorwiegend eine Produktions- und Transporttechnologie dargestellt hat oder Gutenbergs Erfindung eindeutig als Kommunikationstechnologie zu bezeichnen ist, sind die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien einerseits sowohl Produktions-, Distributions- und Konsumtionstechnologien im Sinne der klassischen industriellen Sichtweise, und andererseits aber auch Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungstechnologien im Sinne eines gesellschaftlichen bzw. kulturellen Kontextes. Anders ausgedrückt bedeutet das, daß die Zuordnung von bestimmten Informationen zu bestimmten Produzenten, zu bestimmten Absichten und Zwecken und zu bestimmten Konsummustern analytisch nicht mehr möglich ist. Die eindeutige Zuordnung bzw. Einteilung der Informationsströme innerhalb von elektronischen Netzen in Wirtschaftsinformationen, wissenschaftliche Informationen, private Informationen oder Unterhaltungsinformationen ist daher unmöglich. Barlow verweist auf die Tatsache, daß Informationen in elektronischen Netzwerken nicht mehr physikalisch manifest sind. Ein Druckwerk, ein Ton- bzw. Videoband existieren physikalisch, elektronische Informationen existieren nur zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Form. Je nach Art der Benutzung verändern sie allerdings ihre Form, werden in einen anderen Kontext gestellt und verändern sich damit auch selbst. Für die Fragestellung in gegenständlichem Projekt ist diese Universalität und die „Virtualität" von Information von grundlegender Bedeutung. Sie macht deutlich. daß ein inhaltlich regulierender Politikansatz zwangsläufig scheitern muß (Maier-Rabler 1996).

Ein weiteres Hindernis für den Einsatz neuer Medien an den Universitäten und im Alltag ist eine allgemeine medienbezogene Skepsis. Das hat Tradition: Schon

"Sokrates/Platon steht der mnemotechnischen Funktion der Schrift skeptisch gegenüber, denn Wahrheit als innermenschliche Eigenschaft kann für ihn nicht nach Außen transferiert werden. Denn diese Erfindung wird die Lernenden in ihrer Seele vergeßlich machen, weil sie dann das Gedächtnis nicht mehr üben; denn im Vertrauen auf die Schrift suchen sie sich durch fremde Zeichen außerhalb, und nicht durch eigene Kraft in ihrem Inneren zu erinnern. ... Deinen Schülern verleihst du aber nur den Schein der Weisheit, nicht die Wahrheit selbst. Die Autorität des Wissens wird nach Außen verlegt und festgeschrieben, einige Jahrhunderte später zudem zwischen Buchdeckel geklemmt. Für Empiristen wie John Locke, der die offene und dynamische Generierung von Wissen durch Erfahrung propagiert, ein Unding, verhindere die Autoität die freie Zirkulation des Wissens.Mit Nelson Goodman ließe sich die moderne Wissensakquisition als medienmodellierte Lesbarkeit der Welt beschreiben. Die Überantwortung innermenschlicher Wahrheitskriterien auf die (scheinbare) Objektivität medientransportierter Informationen, dient als Beispiel neuzeitlicher Externalisierung der Wahrheitsüberprüfung. Solange Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehen ein glaub- bis fragwüdiges Objektivitätsmonopol konkurrenzlos beanspruchen, mag diese autorisierte Externalisierung funktionieren. Im Falle des Internet als (noch) individualisiertes Medium wird ein solcher Automatismus bzw. Autorität problematisch." Dies ist eine durchaus sympathische Folge, die jedoch hohe Anforderungen an die "innermenschliche" Überprüfung von Wahrheitsgehalten stellt." Damit wird auch die einseitig gerichtete Beziehung zwischen Autor und Leser dynamisiertund die Autorenschaft im Sinne der "Autorität" muß neu hinterfragt werden. Denn die bereits weiter oben beschriebene Co-Autorschaft des Rezipienten bietet im Vergleich zur Buchkultur einen andersartigen Umgang mit Texten. Der Umgang mit dem Internet ganz allgemein "erfordert das Commitment aller Beteiligten, sich auf die Gestaltungsmöglichkeiten selbstorganisierter Systeme einzulassen." Insofern, so könnte man spekulieren, wäre Locke vom Internet als Hypermedium und von den Möglichkeiten einer hypermedialen Norm der Sprache begeistert." (Gramelsberger 1997)

Die vom Medium internet verlangte Aktivität des Rezipienten prädestiniert es zwar unter didaktischer und lernpsychologischer Perspektive zur idealen Möglichkeit, die "Welt zu lesen", jedoch verlangt es nach grundlegenden Fähigkeiten zur kritischen Auseinandersetzung mit den aufgenommenen Informationen. Mehr denn je ist unser Bildungssystem gefordert, von der Wissensvermittlung zur Vermittlung einer allgemeinen Kompetenz zum Umgang mit Informationen fortzuschreiten. Derzeit versucht unser Schulsystem - auch die Universitäten sind hier nicht auszuschließen - sich noch in der Konkurrenz zu den medialen Kanälen, gleichwohl es seit der allgemeinen Verbreitung des Fernsehens diesen Kampf längst verloren hat. Es ist unserem Bildungssystem bis heute nicht gelungen, dieses und andere Medien konsequent in die Arbeit des Unterrichtens und Lehrens einzubeziehen.

Wolfgang Frei (1997) skizziert für die Schulen in der Schweiz in seinen "10 bildungspolitische Thesen eines pädagogischen Laien" die möglichen und - aus heutiger Sicht - äußerst realistischen Gefahren für ein Bildungssystem, das sich allzu zögerlich mit diesen neuen Medien auseinandersetzt. Er schreibt:

"Der Konflikt zwischen der Buch- und der Nintendo-Generation, zwischen Computeranalphabeten und Cyberkids, die zuhause mit dem eigenen Pentium-PC via ISDN surfen, wird mit Internet akzentuiert. Denn jetzt geht es nicht mehr darum, dass Schüler die Computerspiele besser beherrschen, selbst programmieren und hacken. Es entsteht vielmehr mit dem Informations- und Lernangebot im Internet eine direkte Konkurrenz zum Lehrer, eine Alternative zu den traditionellen schulischen Lernformen. Der Lehrer muss damit umgehen lernen, dass Schüler in einzelnen Bereichen mehr wissen. Damit verändert sich auch seine Rolle: Er wird vom Wissensvermittler zum Wissensmoderator, zeigt Methoden der Selektion in der Informationsflut, lehrt wie man lernt. Hier stellt sich die Frage der Lehrerfortbildung."

Ähnliches gilt wohl auch für die Universitäten, die sich im Bewußtsein ihrer geistigen Vorreiterrolle wohl noch weniger leisten können, auf die auf sie zukommende Generation von medienerfahrenen Studenten mit Ignoranz zu reagieren.

In diesem Zusammenhang soll auch auf die nicht nur vom wissensaustauschbedrohenden Zensurversuche hingewiesen werden, die meist in Unkenntnis der Verhältnisse von politischer Seite her versucht werden. Obad (1996) zeigt in einer zusammenfassenden Arbeit, daß es weltweit immer mehr Versuche gibt, das Internet zu regulieren, auch wenn alle Versuche bisher mit äußerst untauglichen Mitteln durchgeführt wurden und deshalb gescheitert sind.

"Regierungen sind bestrebt, den bislang unbehelligten Austausch 'in den Griff' zu kriegen, zu kontrollieren und zu sanktionieren. Die Motivation der einzelnen Staaten mag sich unterschiedlich darstellen, läßt sich aber auf eine Grundmotivation zurückführen: Die Angst, der Staat könne an Hoheit verlieren und sei durch das Internet 'gefährdet'. Je nach Staatsform und Kulturkreis sieht Staatsgefährdung unterschiedlich aus: freie Meinungsäußerung ganz allgemein, linke oder rechte Propaganda oder Pornographie. Dabei werden Grundrechte nicht nur von totalitären Staaten verletzt, auch demokratische Regierungen erlassen Regulierungsgesetze, die dann der Prüfung von Verfassungsrichtern nicht standhalten, wie das Beispiel CDA in den Vereinigten Staaten zeigte. ... Es hat sich aber auch gezeigt, daß alle Regulieurngs- und Zensurversuche bislang gescheitert sind. Die militärische Herkunft des Internet macht es gegen Eingriffe relativ immun. Es handelt sich um ein globales Phänomen, bei dem der Begriff der nationalen Grenze keine Rolle mehr spielt. Insoferne greift auch nationale Gesetzgebung ins Leere. Wie gezeigt wurde, waren die Zensurversuche vielmehr kontraproduktiv, da sie den Inhalten, deren Verbreitung verhindert werden sollte, ungeahnte Publizität verschafften. Das Internet erfordert eine neue Denkweise. Der Nationalstaat hat im 'Cyberspace' ausgedient. Ein internationales Phänomen läßt sich national nicht begreifen oder gar beeinflussen. Die unterschiedlichen Staatsformen und Kulturen machen es sehr unwahrscheinlich, daß es zu einem konzertierten Vorgehen aller Staaten kommen wird, was politische Äußerungen im Internet angeht. Fraglich ist auch, ob demokratische Staaten gut daran tun, unerwünschte Meinungen zu verbieten, anstatt sie breit zu diskutieren und Aufklärung zu betreiben." Obad (1996)

"Virtuelle Klassenzimmer"?

Eine schon heute häufig zitierte und auch praktizierte - da spektakuläre - Möglichkeit ist die Übertragung einer Vorlesung über das internet. Ein Beispiel war etwa das am Wiener Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft eingerichtete "Virtuelle Klassenzimmer", in dem eine erste gemeinsame und zeitgleiche Lehrveranstaltung auf zwei Kontinenten via Internet verwirklicht wurde. Studenten an der University of Southern California und am Wiener Institut hatten die Möglichkeit, via "Datenhighway" aktiv an einer Vorlesung teilzunehmen. Sie sollten den Eindruck bekommen, als säßen sie im gleichen Hörsaal. Fragen und Probleme wurden direkt und sofort über Tausende Kilometer hinweg gemeinsam diskutiert und erörtert (Bobrowsky 1996).
Allerdings ist eine solche Übertragung einer Vorlesung keine genuin internet-spezifische Veranstaltung, da sie auch mit anderen Medien (z.B. TV, Tele- oder Satellitenkonferenz) - derzeit sicherlich in besserer Qualität - realisierbar. Die in der Regel zu schmale Bandbreite der infobahn trägt das ihrige dazu bei, daß solche "Experimente" eher unter dem theoretischen Aspekt zukünftiger Möglichkeiten betrachtet werden müssen - ganz abgesehen davon, daß m.E. Vorlesungen im Universitätsbereich eher eine aussterbende Spezies darstellen.

"Am oberen Ende der Web-Anwendungen im Unterricht finden wir das von WWW- und multimedia-erfahrenen Lehrpersonen zunehmend praktizierte Modell des "virtuellen Klassenzimmers" (Virtual Classroom Model). Hierbei werden Kurse und vollständige Ausbildungsprogramme ganz oder teilweise über das WWW abgewickelt. Komponenten dieses Modells sind etwa: multimediale Onlinekurse und Ausbildungsmaterialien, interaktive Multimedia-Textbücher, experimentelles Lernen über realitätsnahe Computersimulationen (Virtual Reality) und Zugang zu elektronischen Bibliotheken, Datenbanken und andern Dokumenten-Servern. Hinzu kommen die zum Teil bereits erwähnten Möglichkeiten der Edition, des Unterhalts und der Verteilung von Kursmaterialien, sowie der Kommunikation zwischen Lehrperson und Studierenden, inklusive der asynchronen und synchronen Gruppendiskussionen über E-Mail und Groupeware und schliesslich sogar das Durchführen von Prüfungen und Unterrichtsbeurteilungen über das Web" (Hänni 1996b)

Auch die strukturelle Eigenart des Mediums internet mit seiner Hypertextfähigkeit prädestiniert es für zahlreiche Systeme wie

in denen die Vernetzung bzw. die Möglichkeit dazu gegenüber traditionellen Medien Vorteile bringt.

Wie alle Technologien birgt auch das internet für die Beteiligten Nachteile. Asselmeyer & Degenhardt (1997) weisen darauf hin, daß eine einfache Virtualisierung der Ausbildung, wie sie manchen Bildungspolitikern aus Rationalisierungserwägungen (?) im Kopf herumspuken mögen, sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluß sind: " Dieses virtuelle Arrangement ist für die meisten Studierenden zunächst eine herbe Zumutung und führt nicht selten zu erheblichen Irritationen und Frustrationen. Die Veränderung des Studiums auf diese Weise macht deutlich, daß sich das gesamte Bildungswesen verändern muß, die Restrukturierung der Ausbildung also nicht erst auf universitärer oder berufsbildender Ebene, sondern bereits im schulischen Bereich einsetzen muß. Eine sicher nicht wenig anspruchsvolle (Zukunfts)Aufgabe!".

Unter diesem Gesichtspunkt scheint das hier vertretene dual mode-Modell als ein sozial, emotional und kognitiv verantungsvolles schrittweises Ausloten der Möglichkeiten.

Seit der ersten Publikation dieser Arbeit im net waren zahlreiche Veränderungen zu beobachten, a.a. auch mehr oder minder heftige Widerstände an den Universitäten. Bernhard Koring (1998) schreibt dazu: "Generell ist eine Polarisierung im Lehrkörper festzustellen: Einige wenige engagieren sich in Sachen Neue Medien und Internet; die Vielzahl der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer lehnt jedoch den Einsatz der Neuen Medien in der Lehre - teilweise aus persönlichen Gründen - massiv ab. Die Durchsetzung von bestimmten Standards, um die formale und inhaltliche Kompatibilität von Lernangeboten zwischen den einzelnen Fachgebieten und Universitäten, sowie die rechtlichen Fragen bei der Produktion virtueller Lehrangebote, sind noch kaum in den Horizont des jeweiligen Problembewußtseins vor Ort gelangt. Auch Großprojekte, wie beispielsweise das Virtual-College, an dem sich einige Universitäten in Berlin und Brandenburg beteiligen, wie auch der Tele-Teaching-Versuch zwischen den Universitäten Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg und Konstanz, wo interaktive Online-Echtzeit-Übungen im Internet auf ATM-Basis realisiert werden sollen, zerfallen immer mehr in lose verbundene Einzelprojekte, die dann nur noch auf persönlichen Initiativen basieren - wenn überhaupt das Geld reicht."

Und übermorgen?

Unter dieser Überschrift skizziert Bobrowsky (1996) ein Bild zukünftiger universitärer Lehrtätigkeit, wobei letzlich fraglich ist, warum es dann überhaupt noch ein "Arbeitszimmer", "Vorlesungen", "Semester" usw. gibt.

"Der Universitäts-Professor betritt sein Arbeitszimmer, um sich auf eine Vorlesung am Nachmittag des selben Tages vorzubereiten. Eine seiner ersten Handlungen ist es, seinen Knowledge-Navigator aufzuklappen - einen kleinen, handlichen Personal Computer im Format eines Notizbuchs. Dieser informiert ihn zunächst - mit menschlicher Stimme - über die nochfolgenden Termine des Tages. Dann sichtet der Professor auf einem flachen Flüssigquarzkristall-Bildschirm, der in die Tischplatte eingelassen ist, Vorlesungsunterlagen der vergangenen Semester und läßt sich die neueste Literatur zum Thema der Vorlesung am Nachmittag vorlegen. Unterstützt wird er dabei von einem elektronischen Assistenten, einem mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Programm, das in Form eines sprechenden menschlichen Kopfs in einem Fenster an der Oberfläche des Knowledge-Navigators und des Bildschirmes in der Tischplatte auftaucht und auf gesprochene Befehle reagieren kann."

Inhalt

Einleitung

Hauptbereiche des internet

Möglichkeiten des internet

Zukünftige Entwicklungen

Kommentierte Literatur

Reaktionen, Anmerkungen,


©opyright p@psych Linz 1998.
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