Internet ins Klassenzimmer!

10 bildungspolitische Thesen eines pädagogischen Laien


Von Wolfgang Frei

1. Internet in der Schule ist eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit

Vielen Berufen droht die Ausrottung durch die neuen Informationstechnologien, durch Computer, Roboter und Telekommunikation. Betroffen sind nicht mehr nur die ungelernten Arbeitskräfte, sondern auch Berufsleute mit mehrjähriger Ausbildung: Sekretärinnen, Bibliothekare und Bankkassierer, auch das Mittlere Management gehšren dazu. Die gute Ausbildung allein reicht nicht mehr, die richtige ist gefragt. Dies verpflichtet die moderne Schule, für das Leben der Zukunft zu lehren und nicht Fähigkeiten für Berufe zu vermitteln, die es bald nicht mehr geben wird. Das Ueberleben in der Wissensgesellschaft mit dem wichtigsten Produktionsfaktor Information und die Internationalisierung der Wirtschaft erfordern den Einsatz von Internet, weil es das grösste und internationalste Informationsmedium ist. Neben Berufen, die unmittelbar wegen Internet entstehen - Online-Redaktoren zum Beispiel oder Netzwerkingenieure -, werden mehr Arbeitsplätze indirekt von Internet abhängig sein: Für das Jahr 2000 sind in Europa schon 10 Millionen Telarbeitsplätze prognostiziert und in den USA sollen dann 2/3 aller Arbeitsplätze Computerkenntnisse erfordern. Die Fähigkeit lebenslang zu lernen - auch autodidaktisch - und der Umgang mit gršsseren Informationsmengen ist bei der kurzen Halbwertszeit von Berufen eine Schlüsselqualifikation. Internet in den Schulen und in der Erwachsenenbildung als Informations- und Kommunikationsmedium und als Gegenstand der Medienpädagogik ist dafür ein hervorragendes Lehrmittel.

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2. Internet kann mehr als die herkšmmlichen Lehrmittel

Zunächst dient das Netz als riesiges Archiv vor allem der Unterstützung der Ausbildung. Informationen aus allen Bereichen kšnnen überall, unabhängig von Oeffnungszeiten, gleichzeitig und überwiegend kostenlos von unzähligen Interessenten benutzt werden. Im Unterricht wird das Netz damit zum Nachschlagewerk, wie es sich keine Schule in gedruckter Form leisten könnte - falls es überhaupt existierte. Der Internet-Zugang unterstützt projektorientiertes Lernen, zum Teil in weltweiter Kooperation von Schulen. Beispielhaft sind Arbeiten im Umweltbereich: Schulklassen aus aller Welt erfassen Daten über das Wetter, von Gewässern oder über die Migration von Všgeln und veršffentlichen dazu gemeinsam Berichte im Netz. Ueberhaupt zeigen die Erfahrungen in den USA, dass die Publikation von Arbeiten im Netz für die Schüler eine wichtige neue Dimension ist und eine verbesserte Qualität der Texte bewirkt. Ihre Arbeit ist nicht nur an den Lehrer gerichtet und fällt nach der Benotung nicht mehr in den Papierkorb. Mit der šffentlichen Präsentation setzten sie sich der Kritik aus der realen Welt aus. Daneben gibt es eigentliche Lernprogramme, welche die Multimedia-Eigenschaften des WorldWideWeb ausnützen. Die Kombination von Text, Bild und Ton hat bekanntlich einen besseren Lerneffekt als Text allein. Das dreidimensionale Modell der DNS, das bewegt werden kann, vermittelt mehr als das Bild im Lehrbuch. Interaktivität ermöglicht die Selbsterkundung, die autonome Bestimmung von Lernwegen und damit das individualisierte Lernen. Viele solche Lernprogramme sehen die Recherche in realen Quellen mit aktuellen Daten vor. Vor allem aus den USA stammen hervorragende Lernprogramme im Internet. Warum werden sie nicht für die Schweiz adaptiert? Ein anderes Internet-Element: E-mail benutzen die Schüler zur Kommunikation mit weit entfernten fremdsprachigen Kollegen, so wie früher etwa Brieffreundschaften gepflegt wurden - jetzt allerdings mit Reaktionen innert Minuten statt Wochen. Uebrigens gilt unter Lehrern der Gedankenaustausch mit Berufskollegen via E-mail als wichtiges Mittel gegen das in diesem Berufsstand verbeitete Isolations-Problem.

3. Internet ist nicht nur Mittel sondern auch Gegenstand der Ausbildung

Lernen mit Internet als Medium umzugehen, muss Teil der Medienpädagogik werden. Das geschieht am besten mit «Learning by doing» nicht nur durch die Nutzung sondern auch mit der Gestaltung des Mediums durch die Schüler. Die Schule muss die Fähigkeiten lehren, um in der Wissensgesellschaft zurecht zu kommen, Selektionen zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem in der Datenflut zu treffen und Wissen kritisch zu bewerten. Nicht Wissensgenerierung ist gefragt, sondern Wissensmanagement. Der Umgang mit Wissen ist die kommunikative Kompetenz für die Informationsgesellschaft.

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4. Internet in der Schule verändert die Rolle des Lehrers grundlegend

Sicher halten nicht alle Lehrer die Forderung nach Computerintegration in den Unterricht nur für eine Modeerscheinung. Dass aber viele neue Medien an den Schulen verstauben, ist eine Konsequenz von Desinteresse und Unwissen der zuständigen Lehrer. Das Problem ist zu ernst, als dass man immer nur die einzelnen Lehrer hervorheben kann, die sich mit viel Enthusiasmus und gegen Widerstände von Lehrerkollegen und Schulbehšrde für den Einsatz von Computern und jetzt auch von Internet einsetzen. Die Kreidezeit ist zu Ende. Der Konflikt zwischen der Buch- und der Nintendo-Generation, zwischen Computeranalphabeten und Cyberkids, die zuhause mit dem eigenen Pentium-PC via ISDN surfen, wird mit Internet akzentuiert. Denn jetzt geht es nicht mehr darum, dass Schüler die Computerspiele besser beherrschen, selbst programmieren und hacken. Es entsteht vielmehr mit dem Informations- und Lernangebot im Internet eine direkte Konkurrenz zum Lehrer, eine Alternative zu den traditionellen schulischen Lernformen. Der Lehrer muss damit umgehen lernen, dass Schüler in einzelnen Bereichen mehr wissen. Damit verändert sich auch seine Rolle: Er wird vom Wissensvermittler zum Wissensmoderator, zeigt Methoden der Selektion in der Informationsflut, lehrt wie man lernt. Hier stellt sich die Frage der Lehrerfortbildung. Da es sich nicht um die Ausbildung von einigen Informatik-Lehrern handelt, sondern um die grossflächige Einführung eines neuen Mediums in allen Fächern, müssen Lšsungen ausserhalb der traditionellen Wege gefunden werden. Finnland praktiziert einen kreativen Ansatz: 5000 Studenten sollen die Internet-Grundausbildung der Lehrer besorgen. Und in den USA sieht das Projekt «Twenty-First Century Teachers» vor, dass 100.000 Lehrer mit Internet-Kenntnissen jeweils fünf Kollegen mit dem Internet vertraut machen. Fehlende Weiterbildungsangebote für Lehrer dürfen aber keine Entschuldigung für die Internet-Abstinenz der Schule sein. Die meisten Benutzer haben sich ihre Internet-Grundkenntnisse autodidaktisch angeeignet und diese Eigenleistung müsste man auch von den Lehrern erwarten kšnnen.

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5. Internet erfordert neue Unterrichtskonzepte

Wegen Internet müssen starre Konzepte verändert werden, darunter die traditionelle Differenzierung des Unterrichts in Fächer und in Zeiteinheiten. Die Information im Internet ist - wie in der Welt draussen - nicht in einzelne Disziplinen aufgeteilt. Internet eignet sich darum hervorragend als Werkzeug für den Projektunterricht. Neue Lernprogramme nutzen diese Eigenschaft: Die Schüler lernen, indem sie eine Aufgabe mit Hilfe von Nachforschungen in vorgegebenen Internet-Quellen lšsen. Eine Erkundung des modernen China zum Beispiel beruht auf journalistischen Produkten, virtuellen Museumsbesuchen, literarischen Quellen, Landkarten oder musikalischen Darbietungen. Die Schüler lernen, im Team mit Wissen umzugehen, Informationen auszuwählen und zu bewerten. Solche Projekte lassen sich nicht im starren 45-Minuten-Rhythmus und nicht in strenger Aufteilung in Schulfächer abwickeln. Lernen mit Internet bedarf zeitlicher und inhaltlicher Freiräume. Neben den kooperativen Lernprozessen in der Gruppe sind auch individuelle mšglich - auch bei Durchschnittsschülern, nicht nur bei Hoch- und Minderbegabten. Nach allen bisherigen Erfahrungen steht dem Lehrer mit dem Einsatz von Computern im Unterricht auch mehr Zeit für die individuelle Schüler-Betreuung zur Verfügung. Eine Frage von einiger politischer Brisanz akzentuiert sich im Zusammenhang mit Internet und bedarf eines mutigen und schnellen Entscheids: Welches soll die erste Fremdsprache in der Schule sein? Ohne Englischkenntnisse ist der Umgang mit Internet kaum mšglich. Internet kann sinnvoll von der Mittelstufe der Volksschule an eingesetzt werden. Das setzt den Englischunterricht ab der vierten Schulklasse voraus und damit wohl den Ersatz von Früh-Franzšsisch-Projekten in der deutschen Schweiz durch Früh-Englisch. Die Schüler müssen dafür kaum besonders motiviert werden.

6. Die Schweizer Schulen müssen einen Rückstand aufholen

Im Kanton Thurgau wurden Ausgaben für Internet in Schulen von der Regierung abgelehnt, weil man jährliche Folgekosten von 100.000 Franken erwartet. In Ebikon wurde bereits zum fünften Mal der Antrag für einen Computer in einem Primarschulhaus negativ beantwortet. In Meggen verfügt zwar jedes Lehrerzimmer über einen modernen PC, ein Internet-Anschluss kommt aber nicht in Frage. Beispiele, die sich vermehren liessen. Das Bild, das sich in der Schweiz bietet, ist desolat. Vergleiche mit dem Ausland: In den USA will Bill Clinton erreichen, dass bis ins Jahr 2000 jedes Klassenzimmer ans Internet angeschlossen ist. Dieser Plan kšnnte gelingen, denn er erhält Support durch die private Initiative «Netday»: Tausende ehrenamtliche Helfer verkabelten bereits 65% aller Schulen mit Unterstützung von Sponsoren aus der Telekom- und Computerbranche. In Deutschland will die Initiative «Schulen ans Netz», die getragen wird vom Bildungsministerium, der Deutschen Telekom und weiteren privaten Sponsoren, 10.000 Schulen bis ins Jahr 2000 vernetzen. In Frankreich hat Jacques Chirac verkündet, dass jede Schule bis 2000 am Netz sein soll, in England gab Tony Blair im Wahlkampf das gleiche Versprechen ab, in Italien will der Erziehungsminister 15.000 Schulen vernetzen und 100.000 Lehrer ausbilden. Schweizer Bundesräte haben sich zum Thema Internet an Schulen noch nicht geäussert.

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7. Wir evaluieren, die andern agieren

Internet ist ein Medium, das sich schnell entwickelt und ständig verändert. Internet-Angebote sind nicht in Stein gemeisselt oder auf Platten gepresst, sie kšnnen laufend verändert und korrigiert werden. Dies führt zu grundsätzlich neuen Denk- und Handlungsweisen und zu einem Entwicklungstempo, das die Schule bisher nicht kannte. Im Internet rechnet man mit Hundejahren: Ein astronomisches Jahr sind sieben Internet-Jahre. Es bleibt keine Zeit für lange Evaluationen von Hardware, für jahrelange Versuchsbetriebe, für die Produktion von Sekundärliteratur, die beim Erscheinen schon veraltet ist. Es braucht den Mut zum «Learning by doing» und zum «Trial and Error». Den Schülern wird dabei nichts passieren.

8. Der Schul-Fšderalismus schafft Ungleichheiten

Wenn Internet für die Schule die Bedeutung hat, die ihm die ausländischen Bildungsminister zuordnen, darf die Einführung nicht von der Aufgeschlossenheit einzelner Schulbehšrden abhängen, dürfen die Budgets für die notwendige Ausrüstung nicht auf der gleichen Ebene bewilligt oder abgelehnt werden, wie das Geld für die neue Kaffemaschine im Lehrerzimmer. Die Ungleichheit zwischen Schulen mit und ohne Internet ist problematisch und geradezu gefährlich zwischen Schülern in der gleichen Klasse, die keinen Zugang zum Netz haben und solchen, die zuhause darüber verfügen. Einzelne Erziehungsdirektionen haben sich positiv zu Internet geäussert, andere glauben, man kšnne noch ein paar Jahre warten. Solange der Internet-Entscheid aber nur über Empfehlungen und nicht mit Verpflichtungen gelenkt wird, werden Verantwortung und Probleme an die Front, zu den Gemeinden, den Lehrern und Eltern abgeschoben. Zwar hat die Schweiz die Schweizerische Fachstelle für Informationstechnologien im Bildungswesen (SFIB), die von EDK und BIGA getragen wird und die sich gerade auch in diesem Bereich durch Kompetenz auszeichnet. Es ist nur zu hoffen, dass die zum Teil doch recht inkompetenten Erziehungsdirektionen sich dort beraten lassen.


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9. Neue Finanzierungsmethoden für ein neues Medium

Offensichtlich fehlt der šffentlichen Hand das Geld für Hardware, Lehrerausbildung und Betriebskosten (s. oben, Thurgau). Das ist auch in den Ländern so, die Internet-Initiativen gestartet haben, darum werden private Sponsoren in die Finanzierung eingebunden. Erste Schritte sind auch in der Schweiz getan: Die SFIB steht zur Zeit in Verhandlung über einen Rahmenvertrag mit der Privatwirtschaft über die verbilligte Vernetzung von Schulen. (Um mehrere Computer eines Klassenzimmers per ISDN ans Netz zu bringen, fallen Kosten von etwa 1500 Franken an.) Sponsoring wird aber auch nštig sein für Computerhardware, Installation und Betriebskosten. Dies kšnnen zum Teil Naturalleistungen sein in Form von Geräten oder Rabatte für den Internet-Zugang, der Erlass von Telefongebühren und kostenlose Arbeitsleistungen. Um die Probleme des zu grossen Einflusses der Sponsoren auf die Ausbildung zu verhindern, ist es sinnvoll, solche Aktionen in Zusammenarbeit mit der SFIB zu planen. Das Interesse von Sponsoren - auch ausserhalb des Computerbereichs - ist zu erwarten; sie investieren damit in ihre eigene Zukunft. Allerdings darf der Staat vor allem bei der Finanzierung von Lehrerausbildung und Lernprogramm-Entwicklung nicht von seiner finanziellen Verantwortung entbunden werden.

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10. Es ist Zeit für eine Schweizer Aktion «Schulen ans Netz»

Auch die Schweiz braucht eine Initiative «Schulen ans Netz» und einen «Netday» um die Schulen an das Informationszeitalter heranzuführen. Dabei sollen nicht nur die Schulen vernetzt werden, es geht auch um neue pädagogische Konzepte, um die Integration von Internet in die Lehrpläne, um die Motivation der Lehrerschaft und die Mobilisierung der Oeffentlichkeit. Ueber Aktionen wie «Netday» oder «Schulen ans Netz» gibt es ausführliche Dokumentationen. Man findet sie im Internet.

Es handelt sich bei diesem Text um ein Referat vor der Schweizerischen Stiftung für audiovisuelle Bildungsangebote (SSAB). Der Autor ist Leiter des Fernsehmagazins «Format NZZ», das sich kürzlich in einer Sendung mit dem Titel «Lernen mit Internet» dem Thema gewidmet hat. Die Videokassette ist zu Fr. 45.- erhältlich bei Format NZZ, Postfach, 8021 Zürich. Weitere Informationen zum Thema und ein Diskussionsforum finden sich auf www.nzz.ch/format.

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