Das Aktivierungsniveau
Alltagsbeobachtungen zeigen, daß die Leistungsfähigkeit
unseres Gehirns, insbesondere für das
Speichern neuer Inhalte, großen Schwankungen unterworfen ist.
Auch wenn wir hellwach und konzentriert arbeiten, treten immer wieder
Phasen verminderter Merkfähigkeit auf, die wiederum von Perioden
erhöhter Leistungsbereitschaft abgelöst werden. Beginn und
Ende dieser Zyklen bleiben uns aber leider verborgen. Wir können
sie nicht wahrnehmen, da wir kein Sinnesorgan für sie besitzen
und daher das Einsetzen des lernbereiten Zustandes nicht erkennen
können.
Mit
feineren Meßgeräten lassen sich damit verbundene
Veränderungen in unserem Körper durchaus feststellen. Denn
im lernbereiten Zustand ändert sich sogar - wenngleich nur um
winzig kleine Beträge - z.B. die Körpertemperatur, der
Energieumsatz, die elektrische Aktivität unseres Gehirns und die
Spannung der Skelettmuskulatur. Sie alle verändern sich mit
unserer jeweiligen Wachheit und der damit verbundenen
Leistungsfähigkeit, also mit unserem Aktivierungsniveau.
Die einfachste Möglichkeit, unsere Aktivierung zu
beeinflussen, ist die bewußte Veränderung der
Muskelspannung. Diese simple Methode, die wohl nicht zufällig
seit Jahrtausenden von verschiedensten Völkern als Meditations-
und Entspannungshilfe angewendet wird, ist ein besonders wirksames
Verfahren zur
Aktivierungssteuerung. Die
folgende einfache Übung kann uns dabei helfen, die am
Beginn von Lernphasen oft auftretenden Phasen mangelnder
Konzentration besser zu überwinden.
- Wir nehmen hiezu auf einem Sessel Platz,
lehnen uns nicht an, sondern sitzen mit leicht nach vorne
hängendem Kopf und legen die Arme entspannt auf die
Oberschenkel. Nun beginnen wir mit der ersten Anspannung. Wir
runzeln die Stirn und spitzen die Lippen, als wollten wir ein
drohendes Gesicht machen. Dabei spannen wir die gesamte
Gesichtsmuskulatur stark, aber nicht verkrampft an. In diesem
Zustand bleiben wir etwa drei Sekunden lang und lassen sodann die
Gesichtsmuskulatur und - mit ihr den ganzen Körper - wieder
weich und locker werden. Dabei versuchen wir, das Gefühl der
Entspannung bewußt auszukosten und verweilen etwa 10
Sekunden in diesem Zustand. Dann wird die gesamte Übung noch
einmal wiederholt.
- Die nächste Körperregion, die wir
vornehmen, sind Schultern, Arme und Beine. Ohne sichtbare Bewegung
spannen wir alle Muskeln dieses Bereiches an und spüren
dabei, wie unsere Arme und Hände gleichsam bis in die
Fingerspitzen hinein steif werden. In dieser Anspannung bleiben
wir wiederum drei Sekunden lang, um uns dann in den
Entspannungszustand zurückschwingen zu lassen. Auch diese
Übung wird nach 10 Sekunden wiederholt.
- Im nächsten Schritt nehmen wir uns die
Brust- und Bauchmuskulatur vor. Mit einer kräftigen
Anspannung lassen wir für drei Sekunden die gesamte
Rumpfmuskulatur erstarren, um anschließend wieder in den
entspannten Ruhezustand zurückzukehren.
- Nach der Wiederholung dieser Übung wenden
wir uns schließlich den Beinen und Füßen zu und
versuchen, die Anspannung - wieder ohne sichtbare Bewegung -
fühlbar bis in die Zehenspitzen ausstrahlen zu lassen. Auch
diese Übung wird einmal wiederholt.
- Am Ende dieses Isometrie-Rituals, das wir
gewissermaßen vom Scheitel bis zur Sohle ablaufen lassen,
können wir eine Übung durchführen, die besonders
wirksam ist und später auch stellvertretend für den
gesamten Ablauf eingesetzt werden kann: Wir pressen die Zunge drei
Sekunden lang stark nach oben gegen den Gaumen und bleiben in
diesem Zustand fühlbar erhöhter Anspannung. Dann lassen
wir die Zunge betont entspannt wieder sinken und werden dabei
spüren, wie sich die damit verbundene Entspannung merklich
über den ganzen Körper hinweg ausbreitet.
Mit diesem Wechselspiel von Aktivierung und Desaktivierung haben
wir uns in einen Zustand vertiefter Entspannung geschaukelt, in dem
wir etwa 2 Minuten lang verweilen und dabei alle Gedanken ausschalten
- das Gehirn "ausleeren". Dieses "Hirn-ausleeren" garantiert,
daß wir uns nach der anschließenden Rückkehr in den
konzentrierten Wachzustand längere Zeit hindurch in
erhöhter Aufnahmebereitschaft befinden werden.
Daher ist es überaus nützlich, jede Intensiv-Lernphase
auf diese Weise zu beginnen. Allerdings sollten wir das gesamte
Vorbereitungsritual höchstens zweimal an einem Tag einsetzen und
für denjenigen Teil des Lernstoffes reservieren, mit dem wir die
größten Schwierigkeiten haben. Ihn werden wir
grundsätzlich sofort nach dem "Auftauchen" aus dem
Entspannungszustand bearbeiten.
Weitere Übungen zur Erhöhung und Erhaltung der
Konzentration sind z.B. die Windmühle
oder die Zeitlupe!
Exkurs: Im Klassenverband sind wesentlich
komplexere
Übungen möglich, wobei systematisch Lern- und
Entspannungsphasen miteinander kombiniert werden. Manchmal wird
solche Übungen auch Musik
eingesetzt.
Diese Ausführungen basieren teilweise auf der Broschüre
"Wir lernen Lernen" von Giselher Guttmann.
©opyright
Werner
Stangl, Linz 1997.
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