Ein synchrones Protokoll
Der folgende Text ist der Versuch einer Rekonstruktion zur Erklärung jener Ereignisse in der Arena Sferisterio in Macerata (Italien), die am Sonntag, dem 30. Juli 1995 um 23 Uhr 58 Minuten 47 Sekunden begannen und bis zum Montag, dem 31. Juli 1995 0 Uhr 11 Minuten 11 Sekunden dauerten. Es war die nach Samson et Dalila und Il barbiere di Siviglia vom erwarteten Regen glücklicherweise doch verschont gebliebene dritte Premiere der Stagione Lirica 95. Man gab Giacomo Puccinis Tosca unter der Regie von Gilbert Deflo im Bühnenbild und in den Kostümen von William Orlandi.
Unser Bericht setzt mitten im dritten Akt ein; der bisherige Ablauf der Geschehnisse entspricht weitgehend den Erwartungen aller Beteiligten. Die Szene spielt auf der Plattform der Engelsburg. Der Tenor der Aufführung (Fabio Armiliato) hat sein "E lucevan le stelle..." glücklich und bis auf ein zittriges "e" hinter sich gebracht. Die Protagonistin der , Raina Kabaiwanska, informiert soeben Mario über die Ermordung Scarpias, dessen Brief, den Tosca seiner sterbenden Hand entrungen hat, ihnen die Flucht ermöglichen soll. Hinter der Bühne hat das Peloton Aufstellung genommen, der fünfte Soldat des fünfzehnköpfigen Erschießungskommandos, Carlo , hat seine elfte Zigarette seit Beginn der Oper an der Hausmauer, an die er gelehnt stand, ausgedämpft und seiner Frau einen Kuß gegeben, ist durch den dunklen Gang hinter der Arena zur Hinterbühne gelaufen.
Der Dirigent (Donato Renzetti), der für unsere Rekonstruktion aber nicht wesentlich ist, wirft einen strafenden Blick auf den ersten Flötisten des Orchestra Internazionale d'Italia, der zum dritten Mal das pianissimo verhaut hat und gibt den tiefen Streichern den Einsatz; er blickt zur Bühne, und hört deutlich die Souffleuse aus der Kulisse rufen: "Senti, l'ora è vicina..." und gibt Tosca beschwörend und beinahe hüpfend das Zeichen!
*) Dieser interaktive Text wurde beim 1. ZEIT-internet-Literaturwettbewerb 1996 nicht mit dem ersten Preis ausgezeichnet; diesen erhielt Martina Kieninger, der der Text "Literatur im net oder: Wider den Wertefaschismus der Halbgebildeten" gewidmet ist. Aus dokumentarischen Gründen wird der Text in Originalform der Nachwelt überliefert: Sic transit gloria mundi!
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