Diskussion der Ergebnisse
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Begriff Respekt
im Allgemeinen und insbesondere bezogen auf Lehrkräfte
offensichtlich bei heutigen Schülern keineswegs veraltet
und/oder ohne Vorstellungsinhalte belegt ist, sondern im Gegenteil
eine Vielzahl von Zuschreibungen und Assoziationen zu erlebten
Situationen in der Schule wachruft. Dies zeigen die anhand von
offenen Fragen gewonnenen Ergebnisse der dargelegten Pilotstudie.
Die vorliegenden Ergebnisse weisen darüber hinaus auf eine
Vielzahl von Verhaltensweisen hin, die eine Lehrperson aus Sicht der
Schüler zeigen sollte, damit Schüler ihr gegenüber
Respekt empfinden.
Aus den Antworten der Schüler lassen sich inhaltlich drei voneinander abgrenzbare Grunddimensionen des Lehrerverhaltens interpretieren (s. Abb. 1).
Eine erste Dimension "Fachorientierung" bildet dabei die fachliche und didaktische Qualität des Lehrverhaltens, die sich insbesondere darauf richtet, inwieweit die Lehrkraft den Stoff beherrscht, diesen präsentiert und vermittelt.
Die zweite Dimension "Personorientierung" beinhaltet zumeist eher soziale, auf die Persönlichkeit der Schüler ausgerichtete und Verständnis für die Belange der Schüler signalisierende Verhaltensweisen. Neben diesen positiven Aspekten ist aber auch das "Niedermachen" und Bloßstellen" der Schüler durch eine Lehrkraft zu dieser Dimension zu zählen.
Als dritte zentrale Dimension "Lenkung" sind Verhaltensweisen zusammengefasst, die den Charakter von Lenkung und Bestimmung zum Ausdruck bringen. Aufgrund der dargestellten Befragungsergebnisse ist zu vermuten, dass diese drei Dimensionen des Lehrerverhaltens die Basis für das Ausmaß an Respekt von Schülerseite gegenüber der Lehrperson bilden.
Rückblickend finden sich die hier herausgearbeiteten Dimensionen des Lehrerverhaltens in unterschiedlichen Kontexten der Lehrerforschung wieder, jedoch ohne Bezugnahme auf den Respekt zwischen Lehrern und Schülern.
In sozialphilosophischer Hinsicht sind die Dimensionen Fachorientierung und Personorientierung schon in der 'Typenlehre des Lehrers' von Caselmann (1949) enthalten. Er unterscheidet auf der einen Seite generell zwischen dem logotrophen Lehrertyp, der überwiegend philosophisch und fachwissenschaftlich orientiert ist. Andererseits stellt er den paidotrophen Lehrertyp, der sich eher personorientiert gibt, heraus. Die Dimension der Lenkung nennt Caselmann nicht explizit, sie liegt je nach Lehrertypus eher implizit mit unterschiedlicher Ausprägung vor. Beim logothrophen Lehrertypus ist die Lenkung stärker ausgeprägt als beim Typus des paidotrophen Lehrers.
Tausch und Tausch (1970; 1998), die zahlreiche Studien zum Lehrerverhalten seit den 1950/60er Jahren durchgeführt haben, charakterisieren Lehrerverhalten in deutlich anderen Termini. Sie stellen drei Hauptdimensionen des Lehrer- bzw. Erzieherverhaltens heraus. Zu diesen Hauptdimensionen zählen die sozio-emotionale Zuwendung (Echtheit, Wärme, Rücksichtnahme), fördernde nicht dirigierende Einzeltätigkeiten und die Dirigierung-Lenkung. Tausch und Tausch (1998) betonen in ihren Darstellungen insbesondere die förderlichen Aspekte der sozio-emotionalen Zuwendung durch die Lehrkraft und die positive Wirkung der nicht dirigierenden Einzeltätigkeiten für den Erziehungsprozeß. Dirigierung-Lenkung stellen sie hingegen als wenig förderliches Lehrer- und Erzieherverhalten heraus.
Stellt man nun die Dimensionen von Tausch und Tausch den in der zuvor dargestellten Studie gefunden Dimensionen zum Respekt der Schüler vor der Lehrkraft gegenüber, so sind folgende Parallelen und Diskrepanzen feststellbar. Die Dimension sozio-emotionale Zuwendung entspricht in etwa der Dimension Personorientierung. Die Dimension fördernde nicht dirgierende Tätigkeiten kommt der Dimension Fachorientierung sehr nahe, wobei allerdings Tausch und Tausch insbesondere die Förderung der Selbsttätigkeit der Schüler betonen. Schließlich bleibt die Dimension der Lenkung, die, wie an den dargestellten Ergebnissen zu sehen ist, von den Schülern als durchaus relevant für den Respekt gegenüber der Lehrkraft angesehen wird. Lenkung spielt damit im Konzept des Respektaufbaus eine zentrale Rolle, wenngleich sie auch in den Ergebnissen von Tausch und Tausch eher als negativ angesehen wird. Vielmehr können die vorliegenden Ergebnisse so interpretiert werden, dass sogar ein gewisses Maß an Lenkung unbedingt erforderlich scheint, damit Schüler vor einem Lehrer Respekt entwickeln können.
Aufgrund dieser Feststellungen sind im Folgenden die drei den Respekt konstituierenden Dimensionen des Lehrerverhaltens in einem Modell zur Bestimmung des Respekts gegenüber einer Lehrkraft zusammengefasst (s. Abb. 2).
In diesem vorgeschlagenen Modell kann theoretisch jede Lehrkraft auf den drei Hauptdimensionen eingestuft werden und es kann so das Maß an Respekt der Schüler gegenüber der Lehrkraft ermittelt werden.
Im Modell beinhaltet die Fachorientierung der Lehrkraft die
Beherrschung und Vermittlung des zu behandelnden Stoffs, wobei eine
auf das Verständnis und die Ansprüche bzw. die
Leistungsfähigkeit der Schüler ausgerichtete Didaktik
besonders wichtig ist. Die zweite Dimension stellt die
Personorientierung dar. Mit Personorientierung sind die von der
Lehrkraft ausgehenden Verhaltensweisen zur Schaffung gegenseitigen
Vertrauens zwischen ihr und den Schülern, das Respektieren der
Ideen und Vorschläge der Schüler, die Rücksichtnahme
auf Gefühle und Wünsche der Schüler, die
Berücksichtigung von menschlichen Problemen sowie die
Förderung der Schüler, die Gewährung von Mitwirkung an
Entscheidungen und insgesamt die Ermunterung zu einer
Zwei-Wege-Kommunikation zwischen Lehrkraft und Schülern,
gemeint. Personorientierung bedeutet aber nicht, dass sich Lehrer und
Schüler gegenseitig oberflächlich "auf die Schulter
klopfen", sich Duzen etc.. Allerdings muss angemerkt werden, dass
auch der Respekt aus Gründen der Unterwerfung gegenüber der
Lehrkraft hier mit einfließt.
Die dritte Dimension stellt die Lenkung dar. Sie beinhaltet die
Planung und Organisation der Klassenaktivitäten, das Festlegen
der Arbeitsziele in der Klasse, die Verteilung der Aufgaben und
Funktionen, die Festlegung der Arbeitstechniken, das Anstreben
angemessener oder hoher Leistungen und auch deren konsequente
Kontrolle, z.B. durch Hausaufgaben und Klassenarbeiten bzw. Tests.
Wichtig ist hierbei erkennbares konsequentes Handeln, so dass den
Schülern die Erwartungen des Lehrers deutlich vor Augen
geführt werden.
Ein Lehrer kann sich nun jeweils mehr oder weniger fachorientiert,
gleichzeitig mehr oder weniger personorientiert, und gleichzeitig
mehr oder weniger stark lenkend verhalten. Vermutlich stellt ein
ausgewogenes Verhältnis von Fachorientierung, Personorientierung
und Lenkung, jeweils in hoher Ausprägung langfristig das
effektivste und erfolgversprechendste Lehrerverhalten dar und
bedeutet in seiner Folge, dass die Lehrerin bzw. der Lehrer von den
Schülern respektiert und geachtet wird.
Nicht zuletzt dürfte das Vorhandensein von Respekt eine
grundlegende Basis für effektiven und lehreffizienten Unterricht
darstellen und damit letztlich auch für die individuelle
Arbeitszufriedenheit (Ulich,
1996) von Lehrkräften ausschlaggebend sein.
Schließlich steht immer die Forderung im Raum "besser und
bessere Lehrer auszubilden", wie es Weinert
(1996, S. 148) formulierte, und es ist deshalb für die
Lehreraus- und -weiterbildung empfehlenswert, sowohl die
Fachorientierung und Schülerorientierung sowie Formen und
Auswirkungen von lenkenden pädagogischen Maßnahmen
gleichermaßen umfangreich in die Ausbildung mit einzubeziehen
und insbesondere auch mit einzuüben.
Um den Begriff 'Respekt' aus seinem Schattendasein zu befreien und für die pädagogische Diskussion vertiefend nutzbar zu machen, müssten weiterführende qualitative und quantitative Studien an Schulen zeigen, welche Rolle und welche Ausprägungen dem Konstrukt Respekt z.B. an unterschiedlichen Schulformen zugeschrieben wird. Diese Studien sollten dann sowohl den Respekt von Schülern gegenüber Lehrern als auch den Respekt von Lehrern gegenüber Schülern zum Thema haben.