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Zum Begriff Innensicht

Die Begriffe Innen- und Außensicht bezeichnet in der Literatur die Perspektiven beim Erzählen, die einem Erzähler oder einer Erzählerin zur Verfügung stehen können oder nicht. Die Erzählperspektive betrifft also in erster Linie die Frage, ob der Erzähler die Gedanken, Wünsche, Sehnsüchte, Ziele, Grundeinstellungen, Träume usw. der anderen Figuren, also die verschiedenen Elemente und Momente ihres "Inneren", ihrer "Psyche" kennt – genauer: ob er diese Kenntnis erkennbar bei der Erzählung verwendet – oder ob er keine solche Kenntnis hat bzw. sie nicht verwendet. Allerdings sind sowohl der Erzähltext als auch der Erzähler Konstrukte des Autors. Voraussetzung ist immer die Annahme, dass man überhaupt in anderer Leute Kopf hineinschauenkann. An der Textoberfläche zu unterscheiden ist aber sehr wohl, ob der Erzähler die Gedanken Dritter wiedergibt oder ob er dies unterläßt. Innen- und Außensicht verhalten sich nicht ganz symmetrisch zueinander, denn Außensicht muß wohl jedem Erzähler zugeschrieben werden, während Innensicht ein zusätzliches Vermögen bestimmter Erzähler darstellt.

Die Unterscheidung von Außen- und Innensicht kann aber natürlich nur dann von Belang sein, wenn überhaupt von Figuren erzählt wird, die nicht mit dem (Ich-)Erzähler identisch sind. Denn dieser hat natürlich für gewöhnlich Zugriff auf sein eigenes 'Inneres' (ob er diesen in der Erzählung verwendet, ist dann eine andere Frage).

Innen- und Außensicht sind deutlich von den Begriffen Innen- und Außenperspektive beim Erzählerstandort oder -standpunk ("point of view") zu unterscheiden. Die Erzählperspektive betrifft das Ziel des Blickes (das Fremdpsychische), der Erzählstandpunkt oder -blickpunkt hingegen den Ausgangspunkt des Blickes. Daraus lassen sich wiederum verschiedene Zusammenhänge dieser beiden Kategorien erhellen, etwa diese: Ein Erzähler, der bezüglich aller Figuren Innensicht hat, verfügt offensichtlich über einen sehr "hohen", externen "point of view". Umgekehrt ist von einem Erzähler mit internem "point of view" kaum detaillierte Innensicht zu erwarten.

Die Auktoriale Erzählperspektive meint die Distanz zum Geschehen und zu den Romanfiguren, ist aber nicht gleichbedeutend mit mögicher Antipathie- und Sympathiebekundung. Ein auktorialer Erzähler bzw. der Autor oder die Autorin kann in seiner/ihrer Allmächtigkeit (Omnipotenz) natürlich entscheiden, ob er bei seiner Informationsvergabe an den Leser, eine Figur aus der Innen- oder Außensicht darbietet. Dabei bleibt beim auktorialen Erzählen die Außenperspektive gewahrt. Außenperspektive und auktoriales Erzählen gibt es sowohl in Er-Form als auch in Ich-Form. Beispiel: "Der Leser soll hier von mir erfahren, wie es meiner bemitleidenswerten Freundin Antonia ergangen ist, als sie sich in den jungen Martin Bach verliebt hat, der auch in späten Jahren nicht bereute, was er ihr angetan hatte."

Die Auktoriale Ich-Erzählperspektive ist eine Variation der Ich-Erzählperspektive und kennzeichnet die zeitliche, im Extremfall bewusstseinsmäßige Distanz zum Geschehen und mögliche Distanzierung des Ichs von sich selbst (ein sich erinnerndes Ich erzählt, was das gleiche Ich zu einer anderen Zeit erlebt hat. Es besteht ein Unterschied zwischen dem sich erinnernden, erzählenden Ich und dem erinnerten, erlebenden Ich. Der Ich-Erzähler (auktorial, wie personal) bleibt grundsätzlich auf seine eigene Innensicht beschränkt. Dennoch kann der Ich-Erzähler als erinnerndes Ich sich kritisch distanzierend zu dem erinnerten Ich verhalten, seine Auffassungen etc. von "früher" beurteilen. Im Extremfall allerdings können die beiden Ichs auch so miteinander verschmelzen, dass sich auktoriales Erzählen personalem Erzählen weitgehend annähert.

Der innere Monolog bezeichnet die erzählerische Gedanken- oder Redewiedergabe in der 1. (ersatzweise: gleichbedeutend 2.) Person Präsens Indikativ, in Innensicht ohne kommentierende Einmischung. Er ist eine Wiedergabe von Gedanken der Figur, eine Art stilles Selbstgespräch und der Erzähler tritt hinter die Figur zurück. Da das Bewußtsein einer fiktiven Figur wiederum nur Konstrukt ist, muß auch dies an der Textoberfläche erkennbar sein: Es kommt nur zum Ausdruck, was die Figur wissen, wahrnehmen, fühlen und denken kann – und zwar so, wie sie es wohl wissen, wahrnehmen, fühlen und denken dürfte. Diese Art und Weise der Bewusstseinsgehalte richtet sich somit auf die Art und Weise der Bezugnahme auf die Welt um die Figur herum, die absolut auf deren Standpunkt konzentriert ist. Daher werden diese Bewusstseinsgehalte auch im Präsens wiedergegeben. Die intendierte Wirkung ist das unmittelbares Mitfühlen mit der Figur, er fördert Identifikation mit der Figur. Beispiel: "Othello schlich zu Desdemonas Bett. Ob sie wohl schon zur Nacht gebetet hat? Schließlich willst du sie ja nicht bei beladener Seele ... aber töten muß ich sie!" "Hoffentlich treffe ich sie. Bloß nicht wieder zu spät kommen!"

Quellen:
http://www.teachsam.de/ (08-08-08)
http://www.karinlindner.de/Deutsch/Epik/
Grunds%E4tzliches%20zum%20Umgang%20mit%20epischen%20Texten_mit_Mind_Map.doc
http://www.fernuni-hagen.de/EUROL/termini/welcome.html?page=/EUROL/termini/9220.htm (08-08-09)
http://www.fernuni-hagen.de/EUROL/termini/welcome.html?page=/EUROL/termini/9220.htm (08-08-09)

(W.S.)

 


Innensichten cover

In "InnenSichten"

erschienen 2008

ISBN 978-3-85285-162-4

Die Busfahrerin

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