Überblick und Ausblick
Mit Hilfe von Recherchen mit den Suchmaschinen Google und Yahoo nach Online-Literatur und einem Recherche auf den Websites außeruniversitärer Einrichtungen der Bildungsforschung (vgl. Achatz & Hoh, 2002) wurde versucht, ein Überblick über die deutschsprachige Online-Zeitschriften und Verzeichnisse von Online-Dokumenten der Bildungsforschung zu gewinnen, die kostenlos im Web angeboten werden.
Durch die Methode der Recherche, insbesondere der Recherche mit Hilfe von Suchmaschinen (vgl. Oehler, 1998) ist damit zu rechnen, dass die Darstellung unvollständig ist. Hinzu kommt, dass es beispielsweise in der Psychologie eine Selbstverständlichkeit ist auf Englisch zu publizieren. Weil in dieser Arbeit bevorzugt deutschsprachige Online-Zeitschriften aufgenommen wurden, verschiebt sich das Bild hier zu ungunsten der Bezugsdiszipline der Bildungsforschung, die im geringeren Umfang deutschsprachig publizieren. Unter diesen Vorbehalten möchte ich einen Überblick über das Angebot und seine Besonderheiten geben.
Inhaltlich überwiegen Angebote zur Erwachsenenbildung, Hochschule und - vermutlich wegen der Affinität der Autoren zum Internet - Veröffentlichungen zum Lernen mit Neuen Medien und Internet.
Es ist noch lange keine Selbstverständlichkeit, dass öffentlich subventionierte Forschungseinrichtungen ihre Ergebnisse kostenlos auf ihren Websites zur Verfügung stellen. Häufig werden dabei nicht die Zeitschriften, sondern allein oder die Informationsdienste im Magazin-Stil online angeboten. Eine Vorreiterrolle scheinen hierbei große staatliche Einrichtungen zu spielen, die ihre Print-Veröffentlichungen sonst kostenlos abgegeben, z.B. Bundeszentrale für Politische Bildung mit ihren die Informationen zur politischen Bildung. Hier ist das zur Verfügung stellen als Online-Version eine Arbeitserleichterung.
Bezüglich der Herausgeberschaft reiner Online-Zeitschriften mit wissenschaftlichem Review-Verfahren ist festzustellen, dass diese oft aus Initiative Einzelner entstanden sind; es hat den Anschein, dass sie häufig nur formal Instituten zugeordnet sind, d.h. dort lokalisiert sind, wo die Initiatioren und Herausgeber beschäftigt sind. Die Erziehungswissenschaftliche Revue ist als einzige reine Online-Zeitschrift eines Verlages eine Ausnahme.
Für viele der digitalen oder redigitalisierten Bibliotheken und Verzeichnissen zeigt sich zudem, dass ihre Trägerschaft nur auf Zeit gesichert bzw. finanziert ist: Teils werden sie als "Projekt" gefördert, teils beruhen sie auf dem Engagement von Einzelpersonen.
Das Internet als Medium zur Veröffentlichung bietet neben der Veröffentlichung eines Textes weiteres: Nur wenige Angebote nutzen dies jedoch. Vorreiter sind dabei u.a. die Online-Zeitschrift FQS Forum Qualitative Sozialforschung. Hier werden beispielsweise interne und externe Hyperlinks verwendet und ein Diskussionsforum zu den Artikeln angeboten. Bei den überwiegendem Teil der Online-Zeitschriften die nur Parallelausgaben von Printausgaben sind, ist die Möglichkeit einer Volltextsuche selten gegeben, so z.B. bei der "Erziehungswissenschaft" der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft.
Die Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht (Deutsch als Fremdsprache) bietet als einzige eine Variante von Beiträgen an, die sie "Vorveröffentlichung" nennt, die ausdrücklich keinem Reviewing unterliegen. Diese Form der Veröffentlichung wollen und sollen die Autoren dazu nutzen, qualifizierte Rückmeldungen von Lesern der Zeitschrift zu erhalten, um diese ggf. bei Überarbeitungen des Artikels zu berücksichtigen.
Insgesamt erscheint das Angebot an Online-Dokumenten so unüberschaubar, dass die vergleichsweisen wenigen Versuche einer thematischen Systematisierung zunächst verwundern. Angesichts der häufigen Änderungen der URL der Dokumente ist das Angebot nicht nur schwer recherchierbar, sondern gleichzeitig einer großen Dynamik unterworfen.
Das kostenlose Online-Publizieren ist, mit Ausnahme einiger Institute und Online-Zeitschriften im Bereich der Bildungsforschung keine Selbstverständlichkeit. Open Access ist nach Mruck, Gradmann & Mey (2004) "(noch) weit davon entfernt, Alltag wissenschaftlichen Publizierens zu sein: Es handelt sich überwiegend um spezialisierte Diskurse in einigen besonders engagierten Disziplinen und um (wissenschafts-) politische Absichtserklärungen (wie die Berlin Declaration), die in der Praxis erst verankert werden müssen, damit wissenschaftliches Wissen tatsächlich das Allgemeingut sein kann, als das es finanziert wird" (Absatz 23).
Noch sind Online-Veröffentlichen jedoch keine Selbstverständlichkeit für Bildungsforscher: Bei der Befragung von Miller-Kipp & Neuenhausen (2003) nahmen 77 Erziehungswissenschaftler teil, die einen Fragebogen im WWW ausfüllten. Die Befragung ergab, dass Erziehungswissenschaflter maximal einmal im Jahr online publizieren, in den herkömmlichen Printmedien von einmal monatlich bis einmal jährlich. Miller-Kipp & Neuenhausen (2003) kommen zu dem Schluss: "Eine Veränderung des Publikationsverhaltens ist nicht in Sicht. Alle diesbezüglichen Aussagen werden von den Befragten mehr oder weniger verneint" (S. 7).
Eine der Barrieren für das Online-Publishing mit Open Access ist nach Björk (2004) das akademische Reward-System. Ein Blick über die Grenzen der Diszipline zeigt jedoch, wie sich das selbstverständliche Bevorzugen von Büchern und Printmagazine etablierter Verlage zu Gunsten von Online-Zeitschriften verschieben könnte:
In naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen, insbesondere der Informatik, hat das Internet als Veröffentlichungsmedium schon eine weit bedeutendere Rolle: So geben Informatiker bei Bewerbungen den Rang an, den sie in der Suchmaschine Citeseer belegen. Diese Suchmaschine analysiert die Literaturverzeichnisse wissenschaftlicher Online-Veröffentlichungen aus dem Bereich der Computerwissenschaft; je häufiger eigene Arbeiten zitiert werden, desto höher der Zitationsrang. In der aktuellen Arbeit von Bagrow, Rozenfeld, Bollt & ben-Avraham (2004) setzen die Naturwissenschaftler den "Ruhm" zufällig ausgewählter Kollegen mit der Anzahl der Treffer in der Suchmaschine Google gleich und ihre "Leistung" mit der Anzahl von Publikationen in einem elektronischen Archiv - und fanden einen linearen Zusammenhang.
Dass die reinen Online-Zeitschriften in traditionellen Datenbanken nur selten erschlossen und indiziert sind (vgl. Keller, 2003, Absatz 42) führt dazu, dass man sie gar nicht findet. "Solange E-only-Journals nicht vollständig ausgewertet werden, bleiben sie für viele potenzielle Leser unsichtbar und damit irrelevant" (Keller, 2003, Absatz 42).
Die Statistik der Online-Dissertationen der Deutschen Bibliothek ermöglicht einen direkten Vergleich unterschiedlicher Diszipline. Deutlich wird, dass die Bildungsforschung im Mittelfeld liegt: Während beispielsweise im Jahr nur 2 Prozent aller Dissertationen im Fachbereich Recht und 5 Prozent im Fachbereich Geschichte als Online-Dissertationen erschienen, waren es im Fachbereich "Erziehung, Bildung, Unterricht" immerhin 16 Prozent. Im Vergleich dazu liegt der Anteil an Online-Dissertationen in der Medizin bei 33 Prozent, in der Biologie bei 53 Prozent, in der Chemie und Veterinärmedizin bei jeweils 65 Prozent (Die Deutsche Bibliothek, 2004). Die Statistik zeigt jedoch auch deutlich den Trend zur Online-Dissertation: "Im Erscheinungsjahr 2000 wurden im Durchschnitt ca. 12% aller Dissertationen zusätzlich online an Die Deutsche Bibliothek geliefert. Diese Zahlen wurden im Jahr 2001 mit durchschnittlich 16,9% Online-Dissertationen deutlich übertroffen. Im Jahr 2002 steigerte sich dieser Anteil weiter bis auf 21% und im Jahr 2003 (Stand: 29.02.2004) sogar auf über 25%." (siehe Die Deutsche Bibliothek, 2004).
Folgendes Diagramm der Deutschen Bibliothek (2004) zeigt den deutlichen Zuwachs an Online-Hochschulschriften seit 1998. Das in den letzten Jahren eine Abschwächung der Einreichugnen erfolgte, lässt sich eventuell damit erklären, dass die Dissertationen und Habilitationen häufig nicht sofort eingereicht werden (also beispielsweise für 2003 wahrscheinlich noch gar nicht alle Arbeiten vorliegen) (vgl. Die Deutsche Bibliothek, 2004).
Die schon vereinzelt genutzen Möglichkeiten des Online-Publizierens - u.a. Volltextsuche, Einbindung von Hyperlinks, Filmen, Diskussionen, Tests, Umfragen - werden Inhalte und Möglichkeiten des Publizierens mit Sicherheit verändern. Keller (2003) erwartet durch die bisherige Vormachtstellung der Verlage bei den Online-Zeitschriften im naturwissenschaftlich-technischen Bereich durch die geringe Bereitschaft in weniger bekannten Zeitschriften zu veröffentlichen kaum Neugründungen von Online-Zeitschriften, jedoch die Entwicklung alternativer Publikationsformen (Keller, 2003, Absatz 30).
Denkbare alternative Publikationsformen - dass entspringt jedoch der Phantasie der Autorin dieses Textes - sind beispielsweise Verfahren, durch die mehrere Nutzer gemeinsam Dokumente erstellen und verändern (beispielsweise durch ein Wiki, vgl. http://wiki.pruefung.net). Denkbar sind auch interaktive, webbasierte Peer-Reviewing Verfahren wie dies beispielsweise die Online-Buchhandlung Amazon mit den Leserrezensionen oder das Online-Auktionshaus Ebay mit seinen Verkäufer/Käuferbewertungen anbietet. Fachliche, wissenschaftsorientiere Diskussionen im Internet die moderiert werden, könnten weitere alternative Publikationsformen darstellen. Interessant ist beispielsweise, wie das Fachdiskussionsboard (IT) Slashdot seine Diskussionen mit Hilfe von Bewertungen durch Leser und Moderatoren pflegt: Autoren, die gute Bewertungen erhalten, erlangen Moderatorrechte usf..
Die bisherige Zunahme des Online-Publizieren und sein gegebenenfalls weiterer Bedeutungszuwachs hat Auswirkungen über die Publikationsform an sich hinaus:
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- Beispielsweise klagen (Hochschul-)Lehrer nun über Plagiate, die durch das einfache Kopieren und Verändern der Texte ermöglicht werden Wirth, 2002 beklagt auch das "Ende des wissenschaftlichen Manuskripts" sowie "LastMinuteRecherche und mangelnde Quellenkritik" und beobachtet "Anzeichen von Qualitätsverlust" (ähnlich: Weber-Wulff, 2002, gibt Tipps zur Plagiat-Entdeckung).
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- Bleuel (1998) erwartet als Auswirkungen des Online-Publizierens für Wissenschaftsverlage u.a.: "Wissenschaftsverlage müssen Autor und Leser einen Zusatznutzen bieten, um nicht aus dem Publikationsverfahren gänzlich zu verschwinden" (S. 91).
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- Für die Bibliotheken stellt sich die Frage der Erfassung und Speicherung der Daten (z.B. Hauffe, 1997)
Die digitale Bibliothek "bidok" (BehindertenIntegration - Dokumentation) des Instituts für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck ist jedenfalls davon überzeugt, "Pionierarbeit für die digitale Unterstützung von Forschung und Lehre, wie sie in Zukunft unentbehrlich sein wird" zu leisten.
Es ist nicht auszuschließen, dass auch in der Bildungsforschung die Regel gelten wird, dass Online-Veröffentlichungen im allgemeinen und kostenlos veröffentlichte im besonderen häufiger zitiert werden, als herkömmlich gedruckte - und dass würde sich auch auf das Publikationsverhalten auswirken. Wenn dies zutreffen würde, hat sich bis zum Jahr 2020, dem Zeitpunkt, an dem meine Kinder mit ihrem Studium anfangen könnten, wieder einiges getan in den Bibliotheken und Computerräumen der Universitäten.
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