3. E-Mail in der Praxis
Die Frage, die sich bei der Bewertung der schon nahezu etablierten Kommunikationsform E-Mail stellt, ist folgende: Hilft uns das neue Medium wirklich bei der Lösung von bestehenden Problemen, oder bezieht es sich nur auf eine Art Spielplatz, den es sich selbst geschaffen hat? Die folgenden Beispiele sollen der Veranschaulichung sowohl der Kritik als auch der Faszination der Kommunikationsform E-Mail dienen.
3.1 Beispiele der Nutzung des Mediums
3.1.1 Journalismus
Die für den Journalismus essentiellen Kriterien Aktualität und Mobilität finden durch E-Mail eine brauchbare Unterstützung. Eine Mitarbeiterin des Tagesspiegels nahm zusammen mit meinem Bruder an einer Reise durch Israel teil. Auf ihrem mitgeführten Laptop konnte sie schon direkt auf der Fahrt ihre Artikel erstellen und mit Hilfe eines Modems und einer einfachen Telefonverbindung nach Berlin übermitteln. Es liegt auf der Hand, welche Möglichkeiten der direkten Bearbeitung eines Themas bei gleichzeitiger Unabhängigkeit des Ortes sich eröffnen.
3.1.2 Institutionsinterne Kommunikation
Im Fachbereich Informatik der FU wäre ein Ausklammern der elektronischen Post unvorstellbar; jegliche Ankündigung von besonderen Vorträgen, Kursen und Workshops läuft über das E-Mail-Netz. Auch Umstellungen von Software, Installation von Updates oder der Ausfall von Rechnern werden über diesen Weg publik gemacht. Jedes Mitglied des Fachbereichs besitzt einen Account und somit auch eine E-Mail-Adresse am Institut. So kann sichergestellt werden, daß wichtige Nachrichten auch wirklich jeden erreichen - und in diesem Fall ohne Mehraufwand des Senders, da ein Mail-Alias, ein stellvertretender Name für alle Mitglieder des Fachbereichs, definiert wurde.
3.1.3 Internationale Forschungskommunikation
Die Zugriffsmöglichkeiten auf der ganzen Welt beschleunigen natürlich auch den Gang der wissenschaftlichen Kommunikation, zu dessen Zweck das Netz ursprünglich ja erdacht war. Einige Publikationen erscheinen auch im Internet, kein wissenschaftliches Magazin kommt mehr ohne E-Mail-Adresse aus. Ohne Umwege durch Verlagshäuser und Hierarchien erreicht man so direkt die Zuständigen, durch das Vorliegen in ASCII-Format können z.B. Leserbriefe direkt übernommen werden. Der wissenschaftliche Springer-Verlag plant unter dem Namen "Link" die Internet-Veröffentlichung seiner Zeitschriften - hier kommt ihm eine Vorreiterrolle zu, da dieser Schritt bezüglich Datensicherheit und Copyright nicht risikofrei ist. Weiterhin erscheinen viele wissenschaftliche Publikationen nur auf elektronischem Wege und erhalten ihre Artikel per E-Mail. Außerdem findet man sogenannte "Pre-Print-Server", die eine unkommentierte Liste von verschiedensten wissenschaftlichen Arbeiten im Netz enthalten, auf der man seine Aufsätze ankündigen und verbreiten kann(z.B. bei der American Mathematical Society).
3.1.4 Politik
"Sara Kiesler[...] schrieb, daß "die computervermittelte Kommunikation hierarchische Barrieren und Grenzen zwischen Abteilungen durchbrechen und gewohnte Vorgehensweisen und organisatorische Normen überwinden kann." Howard Rheingold S.77
Durch den teils elitären Ausschnitt, den das Internet aus der Gesellschaft bietet, ermöglicht es Kontakte zwischen Gleichgesinnten und auch zu "Prominenten", die sonst vielleicht nie zustandegekommen wären.
Als Direktverbindung zu den Parteien und Abgeordneten könnte E-Mail auch einen wichtigen Beitrag zur Repolitisierung der Gesellschaft erbringen - durch die Möglichkeit, sich von zu Hause über die Tätigkeiten des Politikers informieren zu können.
Bisher sind allerdings nur wenige Politiker wirklich über elektronische Post erreichbar, bisherige Versuche erbrachten nur wenig Feedback. Der amerikanische Kongreß ist schon lange per E-Mail erreichbar, hierzulande scheinen nicht einmal die einzelnen Parteien fähig zu sein, einen funktionierenden elektronischen Briefkasten zu unterhalten.
3.1.5 Wissenschaftliche Recherche
Die Recherche über Datenbanken hat dem Internet im wissenschaftlichen Bereich eine besondere Bedeutung zukommen lassen. Die Universitätsbibliothek Bielefeld bietet in einem Projekt namens JASON an, für einen Betrag von 6 DM sich einen Artikel nach einer Datenbankrecherche per E-Mail zusenden zu lassen. Diese Möglichkeit bietet sich vor allem für schwer erreichbare Texte bzw. bei der Literaturarbeit vom Arbeitsplatz aus an.
3.2 Phänomene der Subkultur Elektronische Post
Die Beschäftigung mit den "neuen" Medien besitzt den Reiz des Unbegrenzten und des Unerforschten. Diese Neugier schlägt sich auch auf die Nutzung der Kommunikationsform E-Mail nieder. Die Generation der C64- und Atari-Kids, die mit Computerspielen aufgewachsen ist, begreift einen Teil der Möglichkeiten der elektronischen Post auch als solche.
So gibt es allein aus der Faszination des Mediums heraus spielerische Experiment mit einem rein textlichen "Virus", der als Simulation des Aids-Virus weitergereicht werden soll, um herauszufinden, wie lange die Ausbreitung auf das gesamte Internet dauert - als Sinnbild für die ganze Welt.
Oder wer käme schon auf die Idee, alle "Silkes" oder "Göbels" auf der Welt anzurufen oder -schreiben? Diese schon fast naive Form der Kontaktaufnahme ist nur durch den eingeschränkten Blickwinkel des Netzes möglich, der per Knopfdruck an Hunderte von unbekannten Personen zu schreiben befähigt.
Das Prinzip der Kettenbriefe hat seine Entsprechung in der elektronischen Briefwelt gefunden, ob nun mit Glückstexten, dem Internet-Märchen des Keksrezepts, einem Totem oder um Weihnachten herum mit (virtuellen ASCII-)Schneebällen.
Produktiv und nicht gleichwertig ersetzbar ist das Konzept und die Szene der Mailinglists. Zu nahezu jedem Thema kann man eine Liste finden, die an alle Interessierten die eingesandten Nachrichten weiterleitet. Neben der Erleichterung der Koordination in Arbeitsgruppen finden sich auch Kommunikationsforen zum Skandinavien-Urlaub, zu verschiedenen Bands oder sogar Konzerten. Als virtuelle Diskussionsrunden leisten die Mailinglists neben den "Chat-Foren" und den "Newsgroups" den größten Kommunikationsbeitrag im Internet.