Daniel Quathamer

"Wenigstens das Abstract sollte verständlich sein"

"Wenigstens das Abstract sollte verständlich sein" sagte der Psycholinguist Hans Strohner 1994 auf einem Kongreß zum Thema "Textverstehen - Textverständlichkeit". Er spielt dabei auf die Bedeutung und Wichtigkeit des Abstracts als Teil eines Forschungsberichts an.

Oft werden nur die Abstracts eines Aufsatzes gelesen. Die Wichtigkeit eines verständlichen Abstracts ist vor allem seit der Bereitstellung der Psychological Abstracts und des Psychological Index auf CD-Rom (vgl. Strohner, 1994) gegeben. Durch die Aufnahme in eine CD-Rom Datenbank ergibt sich die neue Anforderungen an das Abstract, daß es

Wenn Autoren/innen dies nicht beachten, laufen sie Gefahr, bei in den CD-Rom-Datenbanken 'unterzugehen'.

Zusammenfassend kann man sagen: Das Abstract gewinnt immer mehr an Bedeutung. Gleichzeitig ist das Abstract eine extrem komplizierte Schreibaufgabe:

Das Abstract als Problem

Nicht umsonst ist das Abstract eine große Herausforderung für den Autor / die Autorin: Es muß

  1. kurz die wichtigen Teile des Studie sehr gedrungen zusammenfassen, und gleichzeitig
  2. als Text für sich lesbar sein (Stichwort Telegrammstil)

Der Autor "weiß" beim Schreiben zuviel von seinem Experiment, und läuft deshalb immer Gefahr, zuviel vorrauszusetzen und nicht explizit zu erwähnen. Außerdem muß der Autor zu seiner Studie entscheiden, was wirklich wichtig ist; subjektiv erscheinen einem nach dem Verfasssen des Berichts wahrscheinlich alle Unterpunkte als gleich wichtig. Jeder Text läuft deshalb Gefahr, zu sehr aus der Perspektive des Autors geschrieben zu sein.

Linda Flower (1981, 193) beschreibt die sog. "Writer-based prose" wie folgt:

Dies kann man sich leicht vergegenwärtigen, wenn man sich Wegbeschreibungen von anderen geben läßt. Die Wegbeschreibung ist fast immer am Bezugspunkt des Sprechers orientiert, und nicht am Zuhörer (Linde & Labov, 1975).

Es geht darum, sich in den Leser hineinzuversetzen, um leserorientiert schreiben zu können Flower (1981, 201ff) beschreibt "Reader-based prose" wie folgt:

Beiden Ansprüchen kann man als Autor nur dadurch gerecht werden, daß man diese schwierige Schreibaufgabe in mehrere Unteraufgaben zerlegt. Verschiedene Vogehensweisen werden vorgeschlagen:

Lösungen

1. Hans Strohner: Systematische Revision

Hans Strohner schlägt folgendes Vorgehen vor:

  1. Zunächst verfaßt man das Abstract.
  2. Dann wird es von interessierten Lesern oder Lerserinnen bewertet.
  3. Der Autor fertigt nach der Kritik eine Revision an.
  4. Revision und Original werden wieder von Zweitlesern vergleichend bewertet.

Dieses Vorgehen hat sich zumindest als partiell effektiv erwiesen. Die Idee, eine fremde, aber interessierte Person korrekturlesen zu lassen, ist für das gesamte Verfassen eines Berichts und vor allem für die Erstellung des Abstracts wichtig. Wenn keine Zweitleser "greifbar" sind, sollte man zumindest nach dem Verfasssen des Text einige Tage liegen lassen, um ihn dann noch einmal zu lesen. Oft führt dies zu erstaunlichen Verständnisschwierigkeiten beim Autor selbst. Der sogenannte Abstandseffekt beim Schreiben sollte ebenfalls beachtet werden.

2. "Eins nach dem Andern"

Wie bei Hans Strohners Strategie handelt es sich hierbei im Grunde um die Strategie, eine komplexe Aufgabe in zu bewältigende Teilziele aufzuteilen. Das Endprodukt, das lesbare Abstract, entsteht also in distinkten Arbeitsdurchgängen:

  1. Bericht komplett erstellen

    Wenn der Bericht so geschrieben ist, daß die einzelnen Unterabschnitte jeweils zusammengefaßt werden (die Einleitung durch die Fragestellung, der Ergebnisteil durch eine Zusammenfassung der Ergebnisse), fällt einem diese Aufgabe erheblich leichter

  2. Einen oder zwei Tage warten (Abstandseffekt beim Schreiben)
  3. Folgende Fragen kurz (in ein bis zwei Sätzen) beantworten:

    Hierbei empfiehlt es sich, den Bericht nicht zur Hilfe zu nehmen und stattdessen "frei" zu schreiben. Wenn man den Bericht nicht sieht, kann man eher die Hauptpunkte und Kerngedanken bar jeder Formulierung aufschreiben. Dieser scheinbar banale Aspekt wurde von Schreibforschern betont und mit dem Stichwort "The power of the unseen Text" bezeichnet (Matsuhashi & Gordon, 1985).

    Beim Schreiben sollte man sich zwar knapp halten, aber nicht genau auf Wortzahl o.ä. achten. Dies wird erst im nächsten Abschnitt getan:

  4. Kürzen

    Nun wird Redundanz aus dem Text entfernt. Oben wurde die Frage danach gestellt, wie man bewerten soll, was wichtig ist. Für den Leser sind bei empirischen Arbeiten wichtig:

    Je nach theoretischer Verankerung sollten Theorieelemente ebenfalls hinzugefügt werden. Dies erleichtert dem Leser, nach bestimmten Themen oder Theorien zu recherchieren, und die Untersuchung einzuordnen.

    Natürlich kann ein Abstract nicht alle Fragen gleichzeitig befriedigend beantworten. Bei empirischen Arbeiten sollte daher die Betonung auf die Fragestellung, die Methode und die Ergebnisse gelegt werden,

  5. Text wieder weglegen (Abstandseffekt beim Schreiben)
  6. Abstract revidieren; diesmal sollte man darauf achten, daß der Text als ganzer geschlossen wirkt. Durch Satzübergänge oder andere sprachliche Mittel, die Kohäsion erzeugen, kann man den berühmten "Telegrammstil" vermeiden. Man sollte sich vorstellen, daß ein Leser hier keine Redundanz oder stilistische Brillianz verlangt, sondern vor allem Kürze und Klarheit. Der Autor zeigt damit außerdem "intellektuelle Bescheidenheit".

Zu allen Stufen der Revision sollte man versuchen auch Zweitleser einzubeziehen (s.o.). Falls dies nicht möglich ist, sollte man zumindest Zeit vertreichen lassen und zwischendurch etwas völlig anderes machen (...).


Quelle: http://www.uni-duisburg.de/FB2/PSYE/quathamer/schreiben/abstract.htm (99-12-05)