Daniel Quathamer

Der Abstandseffekt beim Schreiben

Sowohl aus der Schreibforschung als auch von professionellen Schriftstellern stammt die 'Schreibstrategie', den Text von Zweitlesern korrigieren zu lassen. Nur dadurch scheint es möglich, wirklich leserorientiert zu schreiben. Man kann sagen, daß man als Autor nicht genügend Abstand oder "Distanz" zu seinem Text besitzt, und deshalb auf die Hilfe anderer angewiesen ist.

Die Schreibforscherin Elsa J. Bartlett (1982) stellte fest, daß Schüler beim Revidieren fremder Texte mehr Fehler finden als beim Revidieren eigener Texte. Ambiguität in der Ausdrucksweise (z.B. "es gibt Orangen und Bananen. Sie enthalten Vitamin C" [worauf bezieht sich das "sie": Orangen oder Bananen?]) wird häufig erst bei fremden Texten entdeckt.

Allerdings wurde ihre Methode kritisiert. Nach Butterfield, Hacker & Plumb (1994) ist die These, daß man in fremden Texten mehr Fehler findet als in eigenen Texten, nicht belegt. Man kann das beobachtete Phänomen wahrscheinlich eher auf einen Abstandseffekt als auf einen Effekt des Faktors "Eignener Text / Fremder Text" zurückführen.

Der sog. Abstandseffekt wurde auch in der Gedächtnispsychologie aufgedeckt. Seit Ebbinghaus gilt für die Verbesserung des Behaltens das Gesetz der "verteilten übung": Es ist besser, mehrmals in längeren Abschnitten zu lernen, als einmal am "Stück". Dieser Effekt zeigte sich jedoch nicht immer. Nachfolgende Forschungen haben ergeben, daß nicht die Zeit zwischen den Lernphasen entscheidend ist, sondern die Variierung des Kontexts zwischen den Lernphasen. Im Klartext: Man kann ruhig in kurzen Abständen Lernen - man sollte nur in den Pausen etwas völlig anderes tun/denken. Der Abstandseffekt ist somit nicht so sehr auf den zeitlichen Abstand zurückzühren, sondern auf den psychologischen Abstand (vgl. auch Lewin, 1917).


Was hat dieser Abstandseffekt nun mit dem Schreiben zu tun?

Offensichtlich sollte man, wenn keine Zweitleser "greifbar" sind, seinen Text selbst lesbarer machen, indem man zwischen Verfassen des Textes und dem Revidieren des Textes etwas völlig anderes macht/denkt. Dadurch gewinnt man psychologische Distanz, und kann seinen eigenen Text besser aus der Perspektive eines Anderen lesen und entsprechend verbessern.

Fazit: Abstand ist notwendig, um seinen Text lesbar zu machen. Wie gewinnt man Abstand?


Quelle: http://www.uni-duisburg.de/FB2/PSYE/quathamer/schreiben/abstand.htm (99-12-05)