Grundbegriffe des Empirismus
Dem Wissenschaftler geht es darum, Beziehungen zwischen Ursache
und Wirkung aufzudecken, die zum Verständnis der von ihm
beobachteten Phänomene beitragen. Dabei lassen sich zwei "Typen"
von Wissenschaftlern bzw. zwei Vorgangsweisen unterscheiden:
- Der Empiriker argumentiert,
daß man nur genügend Einzelbeobachtungen zusammentragen
muß, um das komplexe Beziehungsgefüge zwischen diesen
isolierten Informationen erkennen zu können. Der Empiriker
lehnt die Vorwegnahme dieser Beziehungen ab und steht so im
Gegensatz zum
- Theoretiker, der von einem
Bezugssystem ausgeht und sich in seinen Forschungen von den daraus
abgeleiteten Implikationen führen läßt (Argument
der Ökonomie!)
In der Diskrepanz zwischen beiden Einstellungen drückt sich
nicht bloß eine unterschiedliche Bewertung der Theorie aus,
sondern eine grundsätzliche Differenz in der Frage der
methodischen Behandlung von Beobachtungsdaten:
- Der Empiriker verfährt
induktiv, d.h., er bewegt sich von den
Fakten zur Formulierung von Gesetzesaussagen, die die Fakten
beschreiben.
- Der Theoretiker verfährt
deduktiv, d.h., er geht von einem
allgemeinen Grundsatz oder einer "dumpfen Ahnung" aus und sucht
nach Evidenz, die den Grundsatz bekräftigen soll.
In der wissenschaftlichen Praxis, also in den meisten Fällen
sind Theorien aber das Ergebnis des Zusammenwirkens beider
Methoden.
Die Funktion der Theorie ist es, die verfügbaren
Tatsachenbefunde zu einem irgendwie strukturierten Ganzen zu
verknüpfen. Dazu braucht sie (hypothetische) Konstrukte,
(explikative und deskriptive) Hypothesen, (unabhängige,
abhängige und intervenierende) Variablen und Gesetze.
- Hypothetische
Konstrukte: Prozesse, wie sie im Organismus, im Atom oder in
der Galaxie stattfinden, sind der direkten Beobachtung nicht
zugänglich. Was wir beobachten können, sind die
Wirkungen dieser Prozesse. Die Kenntnis der Wirkungen als auch der
Anstöße, durch welche sie ausgelöst werden, sowie
das Bezugssystem einschlägiger Gesetze und Erkenntnisse
ermöglichen Rückschlüsse auf das, was nicht
sichtbar ist. Diese Konstrukte sind mit den übrigen Teilen
der Theorie durch
- Hypothesen verbunden. Eine
Hypothese ist ein - entweder aus theoretischen oder aus
Faktenaussagen abgeleiteter - Schluß, der die Beziehungen
zwischen beobachtbaren oder nicht beobachtbaren Größen,
Prozessen oder Interaktionen betrifft. Eine Hypothese ist entweder
- explikativ (erklärend), d.h., sie trifft
Voraussagen der Art, daß ein spezifisches Phänomen
zusammen mit anderen Phänomenen als Begleiterscheinung
auftreten wird, daß ein Kausalzusammenhang
zwischen ihnen besteht, oder sie ist
- deskriptiv (beschreibend), d.h., sie sagt etwas
über Phänomene aus, die sich mit einem spezifischen
Phänomen auf gleichem Abstraktionsniveau befinden.
Hypothetische Konstrukte haben einen eingeengteren
Geltungsbereich als Hypothesen. Ihre Verwendung in Theorie und
Forschung verhilft dem Konstrukt nach und nach zu einer genaueren
Definition, seine Konnotationen und seine Abhängigkeit von
anderen Faktoren treten deutlicher hervor. Diese Faktoren
bezeichnet man auch als
- Variablen. Variablen sind
veränderliche Größen, die zur Beschreibung oder
Erklärung von Phänomenen herangezogen werden
können. Man unterscheidet weiter:
- unabhängige Variablen: kausative Faktoren, die
in einem Experiment manipuliert werden, um ihre Auswirkung
auf
- abhängige Variablen zu beobachten, d.h., der
Forscher stellt die Veränderungen in der Wirkung fest, um
zu Schlüssen über den von ihm postulierten
Prozeß zu gelangen. Sind die Elemente der Beziehung mit
hinreichender Genauigkeit bestimmt, so kann er spezifische,
exakte Voraussagen über Ereignisse und Verhaltensweisen
machen. Er arbeitet jetzt mit
- intervenierenden Variablen: dabei handelt es sich um
Prozesse, die sich relativ genau bestimmen lassen, obwohl sie
selbst nicht beobachtet werden können. Es sind dies
diejenigen Vorgänge, die man zur Erklärung eines
Zusammenhanges zwischen den Veränderungen der beobachteten
abhängigen Variablen und den Veränderungen der
relevanten beobachtbaren unabhängigen Variablen annehmen
muß.
Diese intervenierenden Variablen sind eine Form von
wissenschaftlichen
- Gesetzen: Gesetze sind
Ausdrücke für invariante Beziehungen jeglicher Art. Sie
können sich auf den Zusammenhang zwischen zwei Ereignisse
beziehen, oder aber sie sind so allgemein, daß sie sich auf
Gruppen oder Klassen von Ereignissen erstrecken. (Sie haben einen
engen oder weiten Geltungsbereich). Gesetze sind weiter gespannt
als Konstrukte oder intervenierende Variablen, denn diese
beschränken sich jeweils auf Vorgänge einer bestimmten
Kategorie. Die Brauchbarkeit wissenschaftlicher Theorien
hängt von der Klarheit und Exaktheit ihrer Sprache ab.
Die Sprache spielt eine wichtige Rolle, sobald sich eine
Theorie anschickt, einen Begriff zu umreißen oder zu
definieren. Alle Definitionen gehen von Elementarbegriffen aus, die
keiner Definition bedürfen. Diese können wiederum abstrakt
oder konkret sein. Der Empiriker definiert abstrakte Begriffe mittels
konkreter Begriffe. Der Theoretiker macht die abstrakten zu seinen
Elemantarbegriffen und definiert die konkreten Begriffe mittels der
abstrakten Klassen, deren Elemente sie sind.
Die Praxis, abstrakte Begriffe durch Rückgriff auf konkretere
Vorgänge zu definieren, hat vieles mit dem Verfahren der
operationalen
Definition gemeinsam. Der Operationalismus ist ein
Hilfsmittel zur Definition und Eingrenzung der wissenschaftlich
zulässigen Begriffe und Problemstellungen. Er garantiert dem
Wissenschaftler nicht, daß seine Ergebnisse fehlerfrei oder
daß seine Theorie valide sein werden. Ihre Bedeutung
erhält die Operationalisierung aber in der Formulierung von
Begriffen und die Ermöglichung von Kommunikation und
Vergleichbarkeit zwischen wissenschaftlichen Systemen. Problematisch
ist sie vor allem aber dann, wenn es zu einer Schwemme von solchen
Definitionen für einen einzigen Terminus kommt, was in der
Psychologie, der Erziehungswissenschaft und anderen Sozial- und/oder
Humanwissenschaften nichts Seltenes ist.
Während die bisher besprochene deskriptive Funktion der
Theorie definitorische und Sprachprobleme aufwirft, führt ihre
explikative Funktion zu Problemen logischer Natur. Die erste
Schwierigkeit liegt in der Versuchung zum
teleologischen Denken:
grob gesprochen versteht man darunter, daß man einem
zukünftigen Ereignis die Rolle der Ursache für irgendein
aktuelles Verhalten zuschreibt, also die Ursache der Wirkung
nachfolgen läßt . Wahrend diese logische "Fußangel"
in den meisten Fällen leicht durchschaubar ist, sind
anthropomorphe oder animistische Interpretationen weit
verbreitet. Hier werden Analogien dazu mißbraucht,
Zusammenhänge darzustellen, als ob sie sich tatsächlich so
darstellen bzw. umschreiben lassen. Daher muß eine Analogie als
solche immer kenntlich gemacht werden, denn ohne sie ist die
Konstruktion einer Theorie natürlich unmöglich, die
Erstellung eines Modells der Wirklichkeit gar nicht
durchzuführen.
Unter einem Modell versteht man ein
sorgsam konstruiertes System von Vorschlägen, Konstrukten,
Analogien, Hyothesen, die gleichzeitig ein Ordnungsschema für
diese anbieten. Modelle tragen ebenso wie Konstrukte den Charakter
des Vorschlags und der Vermutung. Der Schöpfer eines Modells
benutzt es bei seiner gesamten Forschung und modifiziert es solange,
bis aus der ursprünglichen Metapher ein System von
Gesetzesaussagen geworden ist. Der Nutzen solcher Modelle liegt
darin, daß wir menschliches Verhalten so erklären
können, als ob mechanische Prinzipien dabei mitspielten.
Wesentlich bleibt aber, daß es sich eben nur um ein "als
ob" handelt und nicht um die Realität selber.
Die Konventionen
der Theoriekonstruktion sollen dem Wissenschaftler zu einem
Bezugssystem von Gesetzen verhelfen, dessen er sich zur Entdeckung
und Formulierung seiner Informationen bedienen kann. Wir
unterscheiden Fundamentalgesetze, die Wahrheiten in
invarianter und universaler Form aussagen. Sie gelten für alle
Dinge innerhalb einer bestimmten Kategorie, sie sind in diesem Sinne
unspezifisch. In den Sozial- und/oder Humanwissenschaften finden wir
solche nicht, vielmehr sind die Aussagen statistische Gesetze,
die aussagen, was unter welchen Umständen wahrscheinlich ist,
was aber nicht unbedingt sein muß. Ihr Gegenstand ist eine
Sache der mathematischen Wahrscheinlichkeit, nicht aber der absoluten
Gewißheit. Alle Gesetze müssen Wahrheiten aussagen,
gleichgültig, ob sie durch Beobachtung oder durch
Schlußfolgerung gefunden wurden.
Ein letzter aber wesentlicher Punkt sind die praktischen
Erfordernisse, die eine Theorie erfüllen muß:
- Umfang der Theorie: eine Theorie muß ein weites
Erscheinungsfeld umfassen und die einschlägigen (vorliegenden
und zukünftigen) Daten ohne inneren Widerspruch verarbeiten
können.
- Ökonomie der Theorie: diejenige Aussage ist die
zweckmäßigste, die der wenigsten angenommenen
Voraussetzungen bedarf, um sich in exakte Voraussagen
transformieren zu lassen. Sie darf nicht umfangreicher sein als
die Phänomene, die sie zu erklären versucht.
- Überprüfbarkeit der Theorie: sie muß
anderen Wissenschaftlern die Möglichkeit geben, ihre
Erkenntnisse nachzuvollziehen bzw. überprüfen zu
können.
- Voraussagefahigkeit der Theorie: sie muß
originell sein, also muß sie uns etwas sagen können,
was wir ohne sie nicht ohnehin schon wissen; sie darf nicht bei
einer Beschreibung stehen bleiben.
- Flexibilität der Theorie: sie kommt niemals zum
Abschluß und muß neue Evidenzen verarbeiten
können. Sie muß neue Informationen aufnehmen
können, darf aber nicht gleichzeitig Verwendung für alle
möglichen und unmöglichen Daten haben.
Anmerkung: Diese kurze Darstellung entspricht einem auch heute
noch dominierenden empiristisch-nomologisch-naturwissenschaftlichen
Wissenschaftsverständnis, das aber in den letzten Jahren von
einigen Wissenschaftlern (insbesondere Wissenchaftstheoretikern) aus
verschiedenen Gründen in Frage gestellt wird. Insbesondere das
Problem der Wahrheit, der Induktion und Deduktion, der Kausalität,
der wissenschaftlichen Sprache und Gesetze wurden kritisch
durchleuchtet. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Thematik
findet sich im Arbeitsblatt "Grundfragen
wissenschaftlicher Erkenntnis".
©opyright Werner Stangl,
Linz 1997.
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