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Erschienen in:
Junge Kirche. Fachzeitschrift für Kinder- und Jugendpastoral unter dem Titel "Jugendlich und arbeitslos ...", Jg. 37., Heft 3, S. 9-11.Zu den Entwicklungsaufgaben im Jugendalter zählt die Vorbereitung auf bzw. der Beginn einer beruflichen Laufbahn. Ziel ist die ökonomische und soziale Absicherung, die auch ein Mindestmaß an persönlicher Entfaltung und gesellschaftlicher Anerkennung garantiert.
In Europa sind derzeit etwa 15 Prozent der Jugendlichen ohne Arbeit, wobei Österreich die höchste Jugendarbeitslosigkeit seit Ende des 2. Weltkrieges aufweist (36628 Jugendliche unter 25 Jahren, davon 21116 männliche und 15512 weibliche). Der Trend zu höherqualifizierten Erstberufen verschärft die Arbeitsmarktsituation für wenig qualifizierte Jugendliche. Das mit Abstand höchste Risiko, arbeitslos zu werden, haben PflichtschulabsolventInnen (Arbeitslosenquote 14,6% ).
Schon SchülerInnen fühlen sich heute vom Problem der Arbeitslosigkeit bedroht, sodass Jungsein heute nicht mehr die unbeschwerte Zeit des Lernens, spielerischen Ausprobierens und der allmählichen Vorbereitung auf einen Beruf ist. Bei der ersten Bewerbung erleben viele, dass ein schlechtes Abschlusszeugnis nur geringe Verwertungschancen am Arbeitsmarkt findet. Ursprüngliche Vorstellungen, dass ein Beruf Spaß machen und den eigenen Fähigkeiten entsprechen sollte, werden bald verworfen, denn es geht nur mehr darum, überhaupt in Erwerbsarbeit aufgenommen zu werden. Dabei ist die berufliche Erstplatzierung für das gesamte Berufslebens (Einkommen, Aufstiegschancen) entscheidend, da die Mechanismen des Arbeitsmarktes eine nachträgliche Korrektur selten zulassen.
Durch das knappe Angebot an Ausbildungs- und Arbeitsstellen kommt es zu einem verstärkten Konkurrenzkampf, ohne dass die persönliche Qualifikation ein Garant für den Einstieg oder Verbleib im gewählten Beruf wäre. Die Folge ist zum einen die Abhängigkeit von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe in einer konsumorientierten Gesellschaft, in der der Erwerb und Besitz verschiedener "In-Güter" kultiviert und damit als gesellschaftliches "Muss" verinnerlicht wird, zum anderen ist die Etikettierung "arbeitslos" gleichzusetzen mit persönlicher Entwertung, denn ein Beruf dient zur wechselseitigen Identifikationsschablone, mit deren Hilfe Menschen in Bezug auf ihre soziale Stellung eingeschätzt werden. Im subjektiven Erleben des einzelnen Jugendlichen wird ein Paradox des Jungseins deutlich, wenn von Marketingstrategen Jugendlichkeit als Götzenbild aller Konsumorientierungen angeboten wird, also Jugendliche als Konsumenten hochwillkommen sind, diese aber von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen bleiben.
Psychologische Probleme der Arbeitslosigkeit
Der Abbau traditioneller Bindungen (Glaubensgemeinschaften, Familie) und der Übergang von einer Pflichtethik zu einer Entfaltungsethik machen die Selbstverwirklichung zum Leitbild, sodass Misserfolge als Zeichen individueller Untüchtigkeit gelten und nicht als Folge von Umständen. Diese Individualisierung ist häufig mit Isolierung verbunden, wobei neue Formen der Vergemeinschaftung (Cliquen, WGs, Sekten u. Ä..) wenig Unterstützung bieten. Für die aktuelle Jugendszene sind Hedonismus und Gegenwartsorientierung kennzeichnend, wobei es in der Jugendphase darum geht, "Spaß" zu haben, das Leben zu genießen, und eher wenig an eine schwer vorhersehbare Zukunft zu denken. Dies führt u.U. auch zu überhöhten Ansprüchen an Beruf und Arbeitsplatz. Wenn ein Beruf den persönlichen Ansprüchen nach Selbstverwirklichung nicht entspricht, kommt es zu frühzeitigen Auflösungen von Arbeitsbeziehungen.
Eine kurzfristige Arbeitslosigkeit ist für die Mehrzahl Jugendlicher heute eine normale und deshalb wenig abschreckende Erfahrung, jedoch eine langfristige Arbeitslosigkeit vermittelt neben der Chancenlosigkeit am Arbeitsmarkt auch eine im Leben, die zur Suche nach anderen Überlebensformen führt. Arbeitslosigkeit ist daher als eine Ursache für die Erhöhung der Delinquenzgefährdung bei Jugendlichen zu sehen, wobei berücksichtigt werden muss, dass der erklärende Schluss keine Prognose bedeutet.
Die negativen Folgewirkungen längerer Arbeitslosigkeit sind in einer Vielzahl von Untersuchungen nachgewiesen (siehe Tabelle). Mit zunehmender Dauer kommt es nicht nur zu finanziellen Belastungen und Einschränkungen, sondern zu teilweise massiven Beeinträchtigungen des psychischen und körperlichen Wohlbefindens. Die Erfahrung keine Arbeit zu haben bzw. "nicht gebraucht zu werden" führt zu weit reichenden Entwicklungsbeeinträchtigungen, sodass die Handlungsbereitschaft sinkt, das Selbstvertrauen und die eigene Wertschätzung abnehmen, das Zeitgefühl sowie soziale Kontakte verloren gehen, und aggressive und apathische Verhaltensweisen zunehmen. Jugendliche ohne qualifizierte Bildungsabschlüsse reduzieren ihre persönlichen Ansprüche und Lebensziele, es kommt häufig zur psychischen Destabilisierung bis zur Depressivität. Arbeitslose mit entsprechenden psychischen und physischen Problemen haben natürlich noch weniger Chancen, eine Arbeit zu finden. Untersuchungen bei wenig Qualifizierten in schwierigen Beschäftigungsverhältnissen zeigten, dass etwa bei einem Viertel sinnhaft-subjektbezogene Erwartungen an die Arbeit (Selbstverwirklichung, Sozialkontakt, soziale Anerkennung) in den Hintergrund treten und eine defensive Anspruchshaltung dominiert, die durch eine Betonung materieller Interessen und die Abwehr von Arbeitsbelastungen charakterisiert ist. Für viele Jugendliche geht durch eine frühe Arbeitslosigkeit damit auch jeglicher Bezug zur Ausübung eines Berufes verloren - sofern er überhaupt entwickelt werden konnte - und reduziert sich auf den Faktor der finanziellen Absicherung.
Im Hinblick auf Langzeitarbeitslosigkeit gibt es unterschiedliche Anpassungsstrategien: Die resignative Anpassung ist gekennzeichnet durch eine zunächst leichte Verbesserung des psychischen Wohlbefindens, das aber deutlich unter demjenigen von Menschen in Beschäftigung bleibt. Bei einer konstruktiven Anpassung kompensieren Arbeitslose den Verlust der latenten individual- und sozialpsychologischen Funktionen von Arbeit mit anderen sozialen Aktivitäten (Hobbies, Schwarzarbeit, soziale Kontakte). Einige Faktoren verschärfen auch die bestehenden Anpassungsprobleme: persönliche, familiäre oder gesundheitliche Krisen, die während der Berufstätigkeit vom Einzelnen zumindest einigermaßen bewältigt werden können, führen in der Situation der Arbeitslosigkeit zu einer Überforderung bzw. zu einer Erhöhung der individuellen Verletzlichkeit. Dieser Verstärkungseffekt ist mitverantwortlich für die beobachtbare psychosoziale Problemdichte von vielen Langzeitarbeitslosen.
Obwohl ein direkter Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Kriminalität kaum nachzuweisen ist, verleiten Einzelfälle auch Experten manchmal zu einer fragwürdigen Generalisierung. Jedoch sind unausgefüllte Ziele, Langeweile, Spannungsarmut und sinkender Abwechslungs- und Alternativreichtum ein Nährboden für abweichendes Verhalten. Die psychosozialen Belastungen führen über Selbstzweifel und Schuldgefühle zu innerer Aggressivität, sodass sich Formen der Realitätsflucht durch Alkohol und andere Drogen bis hin zur offenen Aggressivität entwickeln können. Die im Jugendalter latent vorhandenen Konfliktpotenziale verstärken sich dann im Einzelfall in kleinen "Geschäften" am Rande der Legalität. Man vermutet, dass der Anstieg von Jugendarbeitslosigkeit mit der Zahl der Selbstmorde korreliert, auch wenn heute Aggressionen eher nach aussen gerichtet werden.
Durch einen erzwungenen Rückzug in die Familie wird der ohnehin konfliktträchtige Ablösungsprozess verzögert, und stellt die Jugendlichen erneut unter bestehende elterliche Werte und Normen. In dieser Verzögerung bzw. Verspätung des sozialen Reifungsprozesses kann die größte Gefahr der Dauererwerbslosigkeit von Jugendlichen gesehen werden. Soziale Entwicklungsdefizite und der Verlust von Berufs- und Zukunftsperspektiven machen die davon Betroffenen beinahe zwangsläufig zu Problemgruppen von heute und Randgruppen von morgen. Solche Entwicklungsregressionen befördern einer Art von "Zwangsinfantilität".
Weibliche Jugendliche haben eher Schwierigkeiten in der Berufsausbildung, da sie sich neben dem Erlernen ihres Berufes nach traditionellen Vorstellungen auch mit den Aufgaben und Pflichten einer Frau in der modernen Gesellschaft vertraut machen sollen. Gründe für die geringe Eigeninitiative zu einer Berufsausbildung sind daher einerseits in der geschlechtsspezifischen Erziehung in der Familie zu finden, andererseits an der an Ehe, Haushalt und Familie orientierten Lebensplanung, die teilweise schon von Kindheit an vermittelt wird.
Viele Frauen bevorzugen eine Kurzausbildung, jedoch bleiben technische Berufsmöglichkeiten auch heute noch häufig unbeachtet. Während in den letzten Jahren 30 neue Lehrberufe geschaffen wurden, übernehmen Mädchen noch immer traditionelle "Lehrberufe", von denen zwei Drittel in nur fünf Lehrberufen ausgebildet werden.
Selbst bei guter Konjunktur war es selten möglich, jährlich mehr als durchschnittlich 40% der Lehrstellenbewerberinnen unterzubringen, aber der beobachtbare Wertewandel wird vorwiegend von den weiblichen Heranwachsenden getragen, denn Mädchen sind heute ehrgeiziger und auch selbstbewusster. "Karriere machen", "sich selbstständig machen" und "Verantwortung übernehmen" ist für sie ebenso wichtig wie für Burschen. Daraus resultieren besondere Ansprüche an den Arbeitsmarkt, die dieser in einer prekären wirtschaftlichen Situation nur unzureichend erfüllen kann. Auf Grund dieses im Hinblick auf die Berufstätigkeit veränderten und eher egalitären Rollenbildes wirkt sich die Arbeitslosigkeit bei weiblichen Jugendlichen psychologisch kaum anders aus als bei männlichen Betroffenen.
Eine ausführlichere Darstellung zum Thema Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen" mit zahlreichen Quellenangaben findet sich im Internet unter der Adressehttps://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/ArbeitslosgkeitJugend.shtml
Literatur:
Hanisch, K.A. (1999). Job loss and Unemployment Research from 1994 to 1998: A Review and Recommendations for Research and Intervention. Journal of Vocational Behaviour, 55, 188-220.
Bergmann Chr. & Eder, F. (1999). Problemgruppen beim Übergang von der Schule in den Beruf. Rohbericht zu einem Forschungsprojekt. Johannes Kepler Universität Linz.
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