Lind, Georg (2015).
Moral ist lehrbar (Erziehung, Gesellschaft, Schule).
Wie man moralisch-demokratische Fähigkeiten fördern und damit Gewalt, Betrug und Macht mindern kann. Berlin: Logos.
ISBN 978-3832541231
201 Seiten.
In seinem neuen Werk stellt Georg Lind Theorie und Praxis der moralischen Bildung einander ergänzend gegenüber, wobei neben moralpsychologischen und bildungstheoretischen Grundlagen zahlreiche neue Methoden der Dilemmadiskussion präsentiert werden, die geeignet sind, die moralische Urteils- und Diskursfähigkeit von Menschen zu fördern. Moshe Blatt hatte um 1970 gemeinsam mit Lawrence Kohlberg zur Förderung der allgemeinen moralischen Entwicklung die Methode der Dilemmadiskussion entwickelt, deren Wirksamkeit in zahllosen Interventionsstudien bestätigt werden konnte (Lind 2002).
Im ersten theoretischen Teil des Buches diskutiert der Autor den Zusammenhang von Moral, Demokratie und Bildung und zeichnet ein Bild, wie zukünftige Moral- und Demokratieerziehung aussehen kann. Im Zwei-Aspekte-Modell des moralischen Verhaltens, in dem moralische Ideale und moralische Kompetenzen einander ergänzende notwendige Bestandteile des moralischen Verhaltens darstellen, stellt Lind die These auf, dass moralische Ideale den moralischen Fähigkeiten vorausgehen, aber letztere für das moralische Verhalten selber die entscheidende Rolle spielen. Lind nimmt des weiteren an, dass moralische Kompetenzen im wesentlichen von der (Schul-)Bildung abhängen, also Bildung moralisches Handeln befördert. Der Autor geht daher davon aus, dass Moral als Lerngegenstand auf allen Bildungsstufen des schulischen Lernens präsent sein sollte. Breiten Raum nimmt in diesem Abschnitt der neu entwickelte "Moralisches Urteil"-Test (MUT) ein, mit dem versucht wird, die Bewertung von Motiven bzw. Handlungsalternativen anhand konkreter Fallbeispiele und damit verbundener Antworten zu standardisieren.
Im zweiten praxisorientierten Teil stellt Lind im Detail die Konstanzer Methode der Dilemmadiskussion vor, welche von ihm auf der Grundlage zahlreicher Studien und Erprobungsprojekte entstanden und weiterentwickelt worden ist, sodaß sie in der alltäglichen Schulpraxis vielseitig anwendbar, noch effektiver, objektiv evaluierbar und auch gut lehrbar ist. Die vorgestellten Methoden und die zahlreichen Fallbeispiele scheinen für die Bildungsaufgabe "Moralerziehung" hilfreich.
Der dritte gesellschaftspolitische Teil behandelt den Ansatz der "Demokratischen Schulgemeinschaft", der eine Weiterentwicklung des teilweise kritisch diskutierten Ansatzes der Just Community Kohlbergs (1986) darstellt. Der Kern dieses Konzeptes ist die Idee, dass moralische Entwicklung durch moralisches Handeln und Entscheiden gelernt wird, Demokratie nur aus der Praxis der Demokratie entsteht. Kohlberg und seine Mitarbeiter versprachen sich davon Verbesserungsmöglichkeiten der moralischen Handlungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen, wenn Normen und Regeln im gemeinschaftlichen Diskurs als Maßstab des Handelns erarbeitet werden, sodass z.B. Schüler und Lehrer gleichermaßen die Verantwortung bei der Suche gerechter Lösungen in Konfliktfällen tragen. Auch hier hält sich Lind nicht bei theoretischen Erörterungen auf, sondern geht anhand konkreter schulischer Erprobungsprojekte den Problemen bei der Verwirklichung demokratischer Schulgemeinschaften nach, wobei er die richtige Evaluation und reflektierte Praxis solcher Maßnahmen als wesentliches Merkmal für deren Erfolg ansieht. Praktische Handlungsanweisungen, die Beantwortung häufig gestellter Fragen zu Theorie und Praxis der Methoden runden diesen Abschnitt ab.
In einem umfangreichen Anhang werden Mess- und Beobachtungsformulare sowie neue Beispiele für Unterrichtsdilemmas für die praktische Anwendung bereitgestellt. Die Methode eignet sich für Kinder ab 10 Jahren, Jugendliche und Erwachsene und ermöglicht trotz häufig vorhandenen Wissensgefälles einen freien moralischen Diskurs zwischen Lehrenden und Lernenden. Moralisches und fachliches sowie emotionales und kognitives Lernen werden dabei für den fächerübergreifenden, ethik-integrativen Unterricht verbunden.
Das vorliegende Buch stellt in konsequenter Weiterentwicklung früherer Arbeiten noch deutlicher auf den Praxiseinsatz ab und ist daher weniger Lehr- als Praxisbuch für den Einsatz in der Schule, aber auch in der Lehreraus- und -weiterbildung. Der Autor geht davon aus, dass Moral als Lerngegenstand auf allen Bildungsstufen des schulischen Lernens präsent sein muss. Die Rezension bezieht sich auf die zweite Auflage! (W.S.)
Ergänzende Literatur
Kohlberg, Lawrence (1986). Der "Just Community"-Ansatz der
Moralerziehung in Theorie und Praxis. In F. Oser, R. Fatke & O.
Höffe (Hrsg.), Transformation und Entwicklung (S. 21-55).
Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Kohlberg, Lawrence (1995). Die Psychologie der Moralentwicklung.
Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Lind, Georg & Raschert, J. (Hrsg.) (1987). Moralische
Urteilsfähigkeit. Weinheim: Beltz.
Lind, Georg (2002). Ist Moral lehrbar? Ergebnisse der modernen
moralpsychologischen Forschung. Berlin: Logos-Verlag.
Lind, Georg (2002). The meaning and measurement of moral judgment
competence revisited - A dual-aspect model. In D. Fasko & W.
Willis (Eds.), Contemporary Philosophical and Psychological
Perspectives on Moral Development and Education. Cresskill. NJ:
Hampton Press.
[werner.stangl]s arbeitsblätter: Die moralische
Entwicklung.
WWW: http://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/MORALISCHEENTWICKLUNG/
(03-03-30)