Universitäten
heute:
Macht und
Machbarkeit
Vom virtuellen Lehren, Lernen
und Forschen.
1.
Perspektiven einer kritischen Informations- und Medienpolitik
Jeder der sich mit den Neuen Medien und dem Internet befaßt, ist gut beraten, seine ganze Skepsis zu mobilisieren. Kritik und skeptische Prüfung sollten in dieser wichtigen Frage die Aufmerksamkeit leiten, weil nur so das Bewußtsein für die Folgen und Probleme geschärft wird. Eine solche kritische Position zur Entwicklung der Informationsgesellschaft und zur informationstechnologischen Entwicklung der Universitäten richtet sich im Kern gegen eine vollständige Marktbestimmtheit der Informationsgesellschaft, gegen die Entstehung neuer Machteliten durch Informationsmonopole und Zugangsbeschränkungen, sei es durch mangelnde Bildung, hohe technische Voraussetzungen oder hohe Zugangskosten.
Diese kritische Position wendet sich letztlich gegen die Entstehung eines neuen informationstechnologischen Proletariats.
Diese Schreckensvision mag überzogen klingen; mit der Konvergenz der Neuen Medien, also damit, daß sich Computer, Fernsehen, Telefon und Video immer mehr aufeinander zu bewegen, vielleicht eine Maschine werden, und mit dem Prozeß der Globalisierung der Informationsgesellschaft, wird natürlich das Problem der informatorischen Machtkonzentrationen und der informationellen Selbstbestimmung tatsächlich immer heikler. Mit den schon heute gegebenen enormen Steuerungspotentialen der Medienkonzerne - aber auch jenen des Staates - geht nämlich eine zunehmende Ungleichheit der Beeinflussungsmöglichkeiten auf Seiten Teilnehmer einher.
Die Kernfrage einer kritischen Position zur Entwicklung der Informationsgesellschaft lautet daher, wie eine demokratische Informationsgesellschaft möglich ist, bei der jene Machtkonzentrationen die Entfaltung des einzelnen, seine Bildung, sein Engagement und die Solidarität mit dem Schwachen nicht behindern, sondern fördern können. Hier schließt sich die Forderung nach einer informationellen Grundversorgung für alle an. Eine solche Grundversorgung als Basis einer demokratischen Informationsgesellschaft kann aber nur dann realisiert werden, wenn alle Gesellschaftsmitglieder über ein bestimmtes Maß an Medienkompetenz, an informationstechnischer Bildung verfügen, das ihnen selbständiges und selbstbestimmtes Handeln erlaubt.
Hier ist also schon die Pädagogik gefragt. Nur wenn diese humane Infrastruktur gegeben ist, läßt sich die demokratische, selbstbestimmte Teilhabe an den weltweiten Informationsnetzen ebenso realisieren, wie Telelearning und Telearbeit.
Wir erkennen heute klare Parallelen zwischen der industriellen Revolution und der informationstechnologischen Revolution. In beiden Fällen hat es zunächst einen massiven Leidensdruck für die Masse der Bevölkerung gegeben, bevor das Rationalitätspotential und die Vorteile der Entwicklung tatsächlich zum Durchbruch kamen.
Damals wie heute besteht die Aufgabe darin, technische Innovationen in soziale Innovationen für die Menschen umzuwandeln. Die moderne Informationsgesellschaft muß daher aktiv gestaltet werden, wenn sie nicht zur Verelendung führen soll. Zielgerichtete Eingriff sind notwendig, weil als regulative Kraft die Gesetze des Informationsmarktes nicht ausreichen würden, um demokratische und humanitäre Ziele zu realisieren. Durch eine informationstechnologische Grundversorgung muß Chancengleichheit für alle gewährleistet werden.
Die Grundlinien einer Umwandlung der informationstechnologischen Innovation in soziale Innovation sind heute kaum absehbar. Der Grundstein dafür ist nur in einer pädagogischen Bildungsoffensive zu legen, in der die Schulen und die Hochschulen die zentrale Position einnehmen, weil sie durch die Vermittlung von operativer und kritischer Medienkompetenz überhaupt erst die Basis für Chancengleichheit und für den vernünftigen Gebrauch der Freiheit beim Umgang mit Information schaffen.
Die Freizügigkeit der Information ist nur dann letztlich sinnvoll, wenn derjenige, der die Information nutzt, auch selbständig davon Gebrauch machen kann. Und dazu ist eine informationstechnologische Grundbildung notwendig, die nicht nur den operativen Aspekt, sondern auch die Vernunft berücksichtigt. Insofern hängen auch in diesem Bereich Freiheit und Bildung eng zusammen, weil Freiheit ohne Bildung nicht sinnvoll genutzt werden kann. Informations- und Medienpolitik ist insofern heute im Kern auch Bildungspolitik - und zwar vorrangig an Schulen und Hochschulen. Nur auf diesem Wege könnten wir heute vermeiden, daß morgen ein Informationsproletariat entsteht, zu dessen Ausbeutung Tür und Tor geöffnet sind.
Die Kernpositionen einer kritischen Perspektive auf die Informationsgesellschaft lassen sich also sehr knapp zusammenfassen: Jedem soll Zugang zur Information gegeben werden, indem die technischen Möglichkeiten grundsätzlich für alle preisgünstig zugänglich sind, und darüber hinaus jedem pädagogische Angebote für die Entwicklung von Medienkompetenz gemacht werden.
Gibt es eine moralische Pflicht der Gesellschaft, Informationsfluß zu kontrollieren?
Die Lenkung und Kontrolle der Informationen, die multimedial, über Video und Internet vermittelt werden, kann als moralisches Problem interpretiert werden. Einigkeit besteht darin, den Zugang zu kriminellen, pornographischen und gewaltverherrlichenden Inhalten zu sperren. Hier hält sich der Streit um eine Netzmoral in Grenzen.
Die nächste, heikle Kontrollproblematik liegt darin, wie durch steuernde Eingriffe Informationsmonopole verhindert werden können. Die Vorstellung, die jener Kontrollidee zugrunde liegt, besteht darin, daß bei der Monopolisierung des Informationsmanagements der Nutzer dieser Beeinflussung ausgeliefert ist, ohne seinerseits weitere Einfluß- und Wahlmöglichkeiten zu besitzen - außer den Stecker herauszuziehen. Eine kritische Position wäre hier bestrebt, die Konkurrenz zwischen Informationsanbietern zu erhalten und dafür Infrastrukturmaßnahmen zu treffen.
Diese Position ist umstritten, weil sie die Marktgesetzte teilweise außer Kraft setzt und dem "reibungslosen Kapitalismus" Gates'scher Prägung Sand ins Getriebe streut.
Die weitere offensive Linie einer kritischen Position könnte aber dahin gehen, daß sich aus den Nutzern und den öffentlichen Einrichtungen eine Kultur des Informationsmanagements und Informationsgebrauchs entwickelt, also eine nutzerorientierte Medien- und Internet-Kultur.
Solche Initiativen könnten im und durch öffentliche Bereiche, wie beispielsweise Schulen und Hochschulen, intensiv unterstützt werden.
Der Kommerzialisierung des Internet, die zu einer Verödung der Netzlandschaft führt, muß eine kulturorientierte Nutzung an die Seite gestellt werden. Dazu muß man aber an die Autonomie und die kulturelle Vielfalt glauben, sie zu einem Teil der modernen Bildung und Vernunft machen und über technologische und bildungsbezogene Infrastrukturarbeit die entsprechenden Voraussetzungen schaffen.
Das Elend der Universitäten: desolate Strukturen im Wissenschaftsbetrieb
Die tristen Erfahrungen des Wissenschaftleralltags an der verelendeten Massenuniversität - seien es nun jene des Mittelbaus oder der ProfessorInnen - entgehen niemandem. Allerdings ist nicht nur die ökonomische, sondern auch die soziale Rückständigkeit des Wissenschaftsbereichs offensichtlich.
Bis heute ist der Wissenschaftsbetrieb eher patriarchalisch, zunftförmig oder - wenn man schärfer formulieren will: nach mafiösen Strukturen organisiert. Es herrschten eigentlich primitive vormoderne Produktionsverhältnisse. Die wissenschaftlichen Diskurse funktionieren vorrangig nach den Prinzipien der Reputation, der Protektion und der Reproduktion von Gesinnungsgemeinschaften - damit sind auch schon die zentralen Aktionsfelder der universitären Patriarchen genannt.
Dominant ist in diesem Kontext also die überragende Gestalt des genialen Einzelwissenschaftlers, der mit ganz wenigen andern genialischen Figuren über ein Zitierkartell unumschränkt herrscht. Gelegentlich konzentriert sich die Kraft dieser Herrschaft übrigens in den Redaktionen von Fachzeitschriften.
Im Angesicht solch überragender Gestalten wird der Nachwuchs freilich zur Nachahmung degradiert. Schon aufgrund der zunftförmigen Produktionsverhältnisse müssen die überragenden Gestalten zur Teamarbeit absolut unfähig sein und letztlich patriarchalische Folgebereitschaft geradezu verlangen.
Aber nicht nur die Hochschule selbst, sondern auch die reputationsschwangeren Publikationsmedien der Wissenschaften, die schon angesprochenen Fachzeitschriften, funktionierten nach dem mafiös-patriarchalischen Prinzip. Die Steuerung des Zugangs zu Publikationsmöglichkeiten in renommierten Fachorganen erfolgt durch die Patriarchen. Nur sie verfügen über den zentralen Mechanismus der Erzeugung von wissenschaftlichem Reputations-Kapital - und zwar durch Einflußnahme auf die mediale Präsentation von Forschungsergebnissen.
Es liegt auf der Hand, daß das Ignorieren von Personen, Informationen, Beiträgen und Forschungsergebnissen das primäre Selektionskriterium der wissenschaftlichen Arbeit dieses Typus ist. Man kann ja schließlich ohnehin nicht alles lesen und es würde zuviel Zeit brauchen, auch zur oberflächlich zu begründen, was der Patriarch nutzen und was er zu ignorieren gedenkt. Es wird ja soviel geschrieben.
Hier komme ich nun auf das Thema der Neuen Medien. Von ihnen und insbesondere vom Internet droht eine Zerstörung der patriarchalischen Grundstrukturen und der zunftförmigen Produktionsverhältnisse. Transparenz, Teamarbeit, Selbstorganisation und ein freier Fluß der Informationen müssen jene veralteten Strukturen massiv angreifen. Plötzlich sehen sich die Patriarchen den Wissenschaftsbetriebs einem massiven Industrialisierungs- und Modernisierungsschub im Wissenschaftsbereich ausgesetzt, der Publiaktions- und Reputationsstrukturen verändern wird. Herrschaftsinstrumente werden aus den Händen geschlagen.
Wissenschaft und Internet
Diese beschriebe Praxis könnte nun in Anbetracht des Internet umstrukturiert werden: Das systematische und gezielte Filtern der relevanten wissenschaftlichen Informationen auf der einen und das thematisch strukturierte Präsentieren von Fachinformationen auf der anderen Seite könnte ins Zentrum der Aufmerksamkeit geraten. Die Selektionskritierien wären dann nicht mehr durch die Paten der jeweiligen scientific families bestimmt, sondern durch die thematische Struktur und den fachlichen Informationsgehalt. Web-Präsenz und Web-Präsentation könnten also neue Formen der Teamarbeit fördern, der Kooperation und der Transparenz entstehen lassen und den Nachwuchs gleichberechtigt in die Arbeit einbinden.
Allerdings fehlen noch Konzepte, die in virtueller Form die wissenschaftliche Arbeit, also Forschung und Lehre, sinnvoll unterstützen. Auch die Entwicklung fachorientierter Suchmechanismen und Präsentationsformen ist noch nicht in vollen Gange.
Wenn man im Zuge dieser Entwicklung erreicht, daß der Mechanismus der Reputationssteigerung, der eng die mit der Publikation in angesehenen Printmedien gekoppelt ist (also den führenden Fachzeitschriften mit entsprechenden mafiös organisierten Redaktionskollegien), auf Publikationsmedien im Internet verlagert werden könnte, dann würde die wissenschaftliche Arbeit vielleicht eine neue Qualität erreichen können, die ihr ernsthaft einen Weg in die Moderne weist. Neue Formen der Struktur und Verfügbarkeit von wissenschaftlichen Texten, neue Formen der Selektivität und des Suchens und neue Formen der Vernetzung und Präsentation von Texten sind denkbar.
Die Hypermedien bieten den Wissenschaftlern neue Möglichkeiten der Autorenschaft, die bis heute kaum erkannt sind. Die Herstellung vernetzter wissenschaftlicher Informationsobjekte für Zwecke der Lehre und der Präsentation macht die Entwicklung eines neuen Autorentypus erforderlich. Die lineare Darstellung wissenschaftlicher Information in Form von Texten - nur gelegentlich durch Fußnoten unterbrochen - steht in radikalem Gegensatz zu den Möglichkeiten des Hypertextes und der Hypermedien, die ein vernetztes Denken und Präsentieren erforderlich machen. Allerdings wissen wir nicht genau, welche Form der von den Wissenschaftlern hergestellten Information zuträglich ist. Man muß es ausprobieren. Vielleicht können wir die Maschine sogar dazu bringen, wissenschaftliche Texte zu schreiben?
Chancen, Probleme und Grenzen der Wissenschaft im Internet
Aber das sind Träume, in denen die schmerzlichen Lektionen und Wunden verloren sind, die das Projekt der Künstlichen Intelligenz in den 70er und 80er Jahren hinterlassen hat. Der menschliche Geist und die menschliche Expertise ist kaum rekonstruierbar und sie ist schon gar nicht in einer Maschine abzubilden - sei die Maschine nun elektronisch, parallel oder neuronal strukturiert. Wie soll beispielsweise eine Maschine sinnvolle Texte - keine Datenreports - hervorbringen können, wenn sie noch nicht einmal Alltagssprache verstehen kann? Eine noch so raffinierte Zusammenstellung von Zitationen macht noch lange keinen Gedankengang.
Dennoch ist nicht abzuleugnen, daß das Internet und seine mediale Struktur etwas Neues in die Wissenschaft bringt. Wir wissen nur noch nicht genau, worin das Neue besteht. Ist es E-Mail, sind es wissenschaftliche Homepages, virtuelle Unis im Internet oder ist es der Hypertext? Sicher nicht! Den möglichen technologischen Innovationen muß offensichtlich eine soziale Innovation folgen, die die soziale und formale Struktur der wissenschaftlichen Arbeit betrifft - von der aber noch nicht absehbar ist, ob sie sich tatsächlich jemals realisieren lassen wird: Hervorragende Wissenschaftler sind - so haben wir festgestellt - tendenziell zur Teambildung unfähig - auch deshalb, weil Teamarbeit weder die Karriere fördere noch die Reputation erhöht; sonst wären sie nie soweit gekommen. Zugleich stellt Kooperation und Teamarbeit aber den zentralen Faktor für eine Verbesserung der Effektivität, der Transparenz und der Rationalität der wissenschaftlichen Arbeit im Medienzeitalter dar.
Wir sehen also folgendes: Technologische Innovationen treffen auf sozial rückständige, geradezu mittelalterliche, zunftartige Strukturen. Zugleich sind heute schon Teamarbeit mit PC und Internet möglich, vernetzte Hypertextstrukturen fordern Kooperation geradezu heraus und die Entwicklung im Bereich der Workflow-Konzepte und der Groupware bieten neue Kooperationsformen virtueller Art an.
Technische Innovationen und Veränderungen im Arbeits- sowie im Sozialverhalten reichen aber nicht aus, um die Rolle der Universitäten zukunftsträchtig zu gestalten. Die Herstellung von Medienakzeptanz und die Ausbildung von Medienkompetenz bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist unbedingt notwendig. Aber hier wird das Elend und die Hoffnungslosigkeit einer medientechnologischen Revolution an den Hochschulen besonders deutlich, weil die Akzeptanz der Neuen Medien bei den ProfessorInnen dem guten Willen anheim gestellt und die Medienkompetenz den subalternen Domestiken überlassen wird.
Wenn sich aber der Chef oder die Chefin nicht zu einer heroischen multimedialen Einzelleistung aufschwingen sollte, gar zu einem virtuellen Seminar, dann kann man sicher damit rechnen, daß diese Innovation dann mit der betreffenden Person wieder verschwindet, weil die heroische Einzeltat nicht in Kooperation und Teamarbeit fundiert war.
Die Besonderheit der Wissenschaft und die Allgemeinheit der Medien
Vielleicht ist das alles ein wenig scharf formuliert. Vielleicht erkennen sie an manchen Punkten ein gutes Stück bissigen, systemtheoretischen Zynismus. Vielleicht muß man die vormormoderen, anscheinend oder scheinbar regressiven Struturen des Betriebs anders interpretieren. Möglicherweise ist ja die positive, notwendige und akzeptable Seite der mafiösen Strukturen im Wissenschaftssystem die wissenschaftliche Schulenbildung - sei es nun Göttinger, Erlanger oder Frankfurter Provinienz.
Schulenbildung im Wissenschaftsbereich erfüllt den sinnvollen Zweck, eine Argumentationslinie in einer Disziplin so vollständig wie möglich zur Explikation zu bringen und zu diesem Zweck möglichst viele Personen auf ein bestimmtes Problem zu konzentrieren - sicher ist das auch eine Art kooperativer Teambildung.
Die Kritik am patriarchalischen Stil des Wissenschaftsbetriebes läßt sich vielleicht auch ein wenig relativieren: Die Art der Probleme, die im wissenschaftlichen Bereich behandelt werden, ist oft dermaßen unanschaulich und abstrakt, daß es besonderer Maßnahmen bedarf, um die Aufmerksamkeit und Orientierung eines Menschen dauerhaft auf ein solches Problem zu lenken. Viele Gegenstände der Wissenschaften kann man weder sehen, hören oder auch nur mit Alltagsmitteln verstehen. Hier ist die traditionelle und gewiß auch autoritäre Möglichkeit dadurch gegeben, daß Wissenschaftler Vorbildfunktion übernehmen und die Studierenden über die persönliche Identifikation mit einem Vorbild motivieren, diese extreme Orientierung der Aufmerksamkeit auf ein abstraktes Problem zu verwirklichen.
Die Degradierung des Nachwuchses zum Kopisten des ÇMeisters' dürfte man vielleicht ebenso relativieren. Es ist ja die Aufgabe eines jeden Hochschullehrers, die Studierenden spätestens in der Endphase des Studiums mit den Gepflogenheiten und Vollzügen der wissenschaftlichen Forschung vertraut zu machen. Das hat zunächst mit Vormachen und Nachmachen zu tun. Dem dienen die Kolloquien, die Forschungsprojekte unter Beteiligung des Nachwuchses und die wissenschaftlichen Abschlußarbeiten. Hier wandelt sich das asymmetrische Lehrverhältnis zwischen den Beteiligten in ein Verhältnis symmetrischer kollegialer Kommunikation, in der nur das bessere Argument zählt. Vielleicht darf man ja nicht von den allenthalben bekannten Verfallsformen der universitären Kultur auf den Zerfall der zugrundeliegenden Prinzipien des wissenschaftlichen Lebens schließen.
Dennoch: Medienkompetenz, Kooperation, Teamfähigkeit und Innovationsbereitschaft sind Punkte, die man als unbedingte Reformforderungen für die Universitäten festhalten muß. Nur so läßt sich der öffentliche Auftrag der Universitäten in der demokratischen Informationsgesellschaft realisieren: die Erzeugung und Distribution, die Pflege und Tradierung von jenen Informationsressourcen, die in unserer Gesellschaft überhaupt erst Rationalität, vernünftige Weiterentwicklung, Selbstreflexion, und letztlich den vernünftigen, sachkundigen Gebrauch der Freiheit durch Bildung im umfassenden Sinne möglich macht.
Dies ist letztlich nur durch den kompetenten Umgang mit den Erkenntnissen der Wissenschaft, durch die Transparenz der Informationspräsentation und durch eine rationelle, schnelle Kommunikation zu leisten.
Kritische Bestandsaufnahme: Die Medienkrise der Universitäten am Ausgang der 90er Jahre
Zunächst also aufkeimende Hoffnungen für künftige Entwicklungen. Solche Hoffnungen, so könnte man meinen, lassen sich vielleicht auch aus einer Bestandsaufnahme der neueren multimedialen Lehr und Forschungs-Projekte in der veränderten Universitätslandschaft ziehen. Ein Vertreter der Hannoveraner Firma "HIS" (Hochschulinformationssysteme) berichtete unlängst auf einer Tagung von einer repräsentativen Umfrage zur Nutzung von neuen Medientechnologien für die Lehre an Universitäten und Fachhochschulen. Bei der Untersuchung wurde nach thematisch zusammenhängenden, fachbezogenen Lehreinheiten vorgegangen.
Es zeigte sich jedoch im Vorfeld, daß die Koordination auch in solch anscheinend homogenen thematischen Bereichen letzlich nicht gegeben ist. Einzelkämpfer oder wenn man so will: kreative Kusthandwerker dominieren, ohne daß solche Initiativen auf das Fachgebiet oder das jeweilige Institut ausstrahlen. Die Vereinzelung und Freiwilligkeit der Projekte, die ungenügende Integration und Koordination sowie die Zufallsabhängigkeit kennzeichnen die Szenerie. Leitungs- und Richtlinienkompetenzen der Dekane und Rektoren sind nicht zu erkennen.
Was zeigt nur die Bestandsaufnahme? Das Fazit der Untersuchung, bei der etwa 800 Projekte berücksichtigt und analysiert wurden, ist im Kern niederschmetternd. Mit dem Internet und den Neuen Medien werden fachliche Inhalte gespeichert und präsentiert, es werden virtuelle Folien abgelegt, sozusagen als Overhead-Ersatz, es kommen eine Vielzahl von Lernprogrammen zum Einsatz, die jedoch thematisch stark beschränkt sind und bei denen sich keinerlei Normierung bzw. Entwicklung eines Standards abzeichnet. Weiterhin werden Vorlesungsskripte online abgelegt und Software-Tutorien, also EDV-Trainingskurse für spezielle Softwarepakete, angeboten.
Durchgängig kann festgestellt werden, daß die neuen Medien in aller Regel nicht im Rahmen eines hochschuldidaktischen Konzepts genutzt werden. Der Ort, an dem sie für das universitäre Lernen systematisch Bedeutung gewinnen bleibt unklar. Weiterhin ist in aller Regel die didaktische und inhaltliche Strukturierung und Ausarbeitung mit erheblichen Mängeln behaftet, weil der große technische Aufwand und die technischen Probleme den Großteil der Arbeitszeit absorbieren.
Die Initiatoren verbrauchen ihre Arbeitskraft schon bei der Bewältigung technischer Probleme, die doch eigentlich nur für die Umsetzung didaktischer Ideen bedeutsam sind. Aber vor lauter technischem Wirrwar geraten didaktische Fragen kaum in den Blick.
Ein weiteres - bereits erwähntes - Defizit springt ins Auge, das geradezu einen Defekt der Struktur der Universität aufzeigt: Nahezu alle vorgestellten Projekte sind nicht auf Initiativen einer Fakultät oder einer Hochschulleitung zurückzuführen, sondern sie basieren im Kern auf persönlicher Initiative, sind also an einen bestimmten Hochschullehrer gebunden und sterben mit dem Weggang dieses Hochschullehrers wieder.
Es gibt zudem kein einheitliches Fortbildungskonzept, nach dem in den Hochschulen Medienkompetenz für die Forschenden und Lehrenden vermittelt würde. Die Beratungstätigkeiten der Rechenzentren sind primär technisch orientiert und von Installationsfragen und selbsterzeugten Softwareproblemen dominiert.
Generell ist eine Polarisierung im Lehrkörper festzustellen: Einige wenige engagieren sich in Sachen Neue Medien und Internet; die Vielzahl der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer lehnt jedoch den Einsatz der Neuen Medien in der Lehre - teilweise aus persönlichen Gründen - massiv ab. Die Durchsetzung von bestimmten Standards, um die formale und inhaltliche Kompatibilität von Lernangeboten zwischen den einzelnen Fachgebieten und Universitäten, sowie die rechtlichen Fragen bei der Produktion virtueller Lehrangebote, sind noch kaum in den Horizont des jeweiligen Problembewußtseins vor Ort gelangt.
Auch Großprojekte, wie beispielsweise das Virtual-College, an dem sich einige Universitäten in Berlin und Brandenburg beteiligen, wie auch der Tele-Teaching-Versuch zwischen den Universitäten Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg und Konstanz, wo interaktive Online-Echtzeit-Übungen im Internet auf ATM-Basis realisiert werden sollen, zerfallen immer mehr in lose verbundene Einzelprojekte, die dann nur noch auf persönlichen Initiativen basieren - wenn überhaupt das Geld reicht.
Uni, Sponsoring und Commerz: Multimediale Werbung an der Hochschule?
Sponsoring scheint ein interessanter Weg aus der personellen und finanziellen Krise zu sein, wird aber kontrovers diskutiert. Die Frage lautet: Inwiefern sollen virtuelle Lernprojekte an Schulen und Hochschulen künftig zu einem Teil dadurch finanziert werden, daß in diesen Projekten auf bestimmten Seiten für Produkte geworben werden kann. So könnte beispielsweise die Eröffnungsseite eines virtuellen Seminars ein Werbebanner für einen Internet-Book-Shop, für Lern-Software oder auch für eine andere Universität enthalten.
Die Kritik an einer solchen Möglichkeit läßt sich wie folgt zusammenfassen: Über eine solche Werbung entstehe mittelfristig eine Abhängigkeit von demjenigen, für den geworben werde. Diese Abhängigkeit gefährde potentiell die Freiheit der Lehre, weil man vom Geldgeber annimmt, daß er von seinen kommerziellen Interessen her die Inhalte der Lehre massiv beeinflussen will. So könne durch Werbung in virtuellen Lernangeboten eine Abhängigkeit in Schulen und Hochschulen entstehen.
Die Ambivalenz dieser Position liegt in folgendem Punkt: Die Autonomie derjenigen, die solche Lernangebote entwickeln, wird als sehr gering eingeschätzt. Sie erscheinen als Personen, die leicht beeinflußbar und von Geldgebern dirigierbar sind. Demgegenüber ist aber darauf hinzuweisen, daß die Position der Lehrer und Hochschullehrer vergleichsweise autonom ist, nicht zuletzt durch ihren Beamtenstatus, der dort seinen guten Sinn zeigt.
Der Beamtenstatus und die Finanzierung der Kernbereiche der wissenschaftlichen Tätigkeiten durch öffentliche Haushalte ermöglichen ein erhebliches Maß an Unabhängigkeit. Das erlaubt es den Entwicklern von virtuellen Lernangeboten, nur für diejenigen Firmen und Produkte Werbung zuzulassen, die in einem sachlichen, inhaltlich fundierten Zusammenhang mit dem Lernangebot selbst stehen - Werbung für ein Internet Book-shop kann sich in einem universitären Seminar als durchaus sinnvoll und praktisch erweisen. Die Selbstbestimmungsfähigkeiten und an die Autonomie der Lehrenden und der Lernenden ist an dieser Stelle hervorzuheben. Die Entwicklung einer kulturellen Vielfalt von Lernangeboten hat diese Autonomie gerade zur Voraussetzung.
Was müssen die Universitäten lernen, wenn sie eine offensive Rolle in der Mediengesellschaft spielen wollen?
Glanz oder Elend der Hochschulen liegen nicht am guten Willen des einzelnen, sondern an den objektiven Strukturen, die sich in ihnen gebildet haben. Also wird man - wenn man erfolgreich sein will - in eben jene objektive Strukturen massiv eingreifen müssen.
Ein Beispiel: Wer sich an unseren heutigen Hochschulen in Sachen Neuen Medien engagiert, wird dafür in aller Regel bestraft, anstatt Vorteile aus seinem Engagement ziehen zu können. Der Arbeitsaufwand für multimediale Lehrangebote ist enorm, der Kampf um die Mittelverteilung in den Fakultäten ist scharf; man wird als neuer Gegner im Verteilungskampf angesehen. In aller Regel beschränkt man sich auf seine eigenen Ressourcen, die dabei weitgehend verbraucht werden. Inhaltlich müssen die Angebote jedoch ein hohes wissenschaftliches Niveau besitzen, weil ansonsten mit kollegialer Häme zu rechnen ist: "Technisch o.k., aber die Fachkompetenz ...".
Was wäre zu tun? Sicher ist ein Globalhaushalt für Universitäten unabdingbar. Es muß ein homogenes Anschaffungskonzept für IT-Geräte entwickelt und durchgesetzt werden. Es muß festgelegt werden, daß vom variablen Etat einer Universität 10 % für die Neuentwicklung multimedialer Lernangebote festzulegen sind. Dafür erhält jedes Fachgebiet den Auftrag, zwei Veranstaltungen des Grundstudiums in Form von virtuellen Lehrveranstaltungen anzubieten. Fachgebiete, die sich nicht an diesen Aufgaben beteiligen wollen, müssen mit - linearen - Mittelkürzungen rechnen.
Durch diese Umstrukturierung wird nun das Engagement interessant. Es wird eine Kooperation einsetzen und der Nachwuchs, die Studierenden, werden plötzlich für die Hochschullehrer bedeutsam, weil sie Medienkompetenz besitzen und diese auch fachlich einbringen können. Mit dieser Strukturänderung könnte erreicht werden, daß das Engagement in Sachen Multimedia nicht mehr bestraft, sondern belohnt wird. Multimedia-Projekte dürften demnach nicht als zusätzliche Belastung der Finanzen angesehen werden. Vielmehr wäre der Globalhaushalt der Universität umzustrukturieren. Neue Medien müßten also zur Chefsache der jeweiligen Universität werden und durch eine Umstrukturierung des Haushalts gefördert werden.
Ein weiteres Kernproblem ist das der studentischen Akzeptanz virtueller Angebote. Die Studierenden müssen erst lernen, neue virtuelle Seminarangebote in ihren Lernalltag zu integrieren. Einige Beispiele und Fallstudien zeigen, daß dies mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet ist. Die Studierenden sehen virtuelle Seminare nur als zusätzliche Lernangebote und weisen sich selbst für die Arbeit damit zuwenig Zeit zu - müde Abende oder Phasen, in denen sie eigentlich Pausen nötig hätten. Das kann zu Oberflächlichkeit führen und in der Abschlußprüfung negative Ergebnisse bringen.
Weiterhin ist bei der Erarbeitung multimedialer Lernangebote eine mindestens regionale, besser eine nationale Koordination der Disziplinen und Subdisziplinen notwendig. Denn die Erfahrung zeigt, daß Lernangebote doppelt und dreifach entwickelt werden obwohl sie nur geringe Abweichungen aufweisen. Hier werden Ressourcen verschleudert. Bestehende multimediale Angebote könnten an vielen Universitäten eingesetzt werden, wenn in den Disziplinen und zwischen den beteiligen Universitäten eine Abstimmung erfolgte.
Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist allerdings die Abstimmung der Disziplinen bundesweit im Hinblick auf die Akzeptanz von Leistungsnachweisen, die in virtuellen Seminaren erworben wurden. Es wäre durchaus denkbar und wünschenswert, daß solche Seminare, die an einer Universität entwickelt werden, an anderen Universitäten eingesetzt werden. Sie müßten dort von einem Dozenten betreut werden, der möglicherweise beim Autor des virtuellen Seminars eine Fortbildung absolviert hat. Hier sind zwischen den Universitäten Prüfungs- und Studienordnungen sowie fachliche Inhalte abzustimmen. Es muß also bundesweit dafür gesorgt werden, daß die Kompatibilität der Lehrangebote in Struktur, Umfang und Inhalt gewährleistet ist.
Weiterhin wäre festzulegen, wie der Standardtypus einer virtuellen Lehrveranstaltung auszusehen hätte. Welche Inhaltsquanten sind erforderlich? Etwa 14 Lehrtexte mit je 10 Seiten und dazu 4 Arbeitsaufgaben? Oder jeweils zwei kommentierte Quellentexte mit je einer Problemstellung. Es ist für eine einheitliche Stoffaufteilung und für einen nachvollziehbaren Zuschnitt der im virtuellen Seminar gestellten Probleme zu sorgen.
Untersuchungen zur Akzeptanz solcher Lehrangebote haben gezeigt, daß es in aller Regel notwendig ist, pro Semester drei bis vier Präsensveranstaltungen in einem virtuellen Seminar oder einer Übung vorzusehen. Die Struktur dieser Präsensveranstaltung ist in ein hochschuldidaktisches Konzept zu integrieren, daß im engen Zusammenhang mit dem Inhalt des virtuellen Seminars zu stehen hat. Nur über diese soziale Komponente ist letztlich eine durchgängige Akzeptanz bei den Studierenden zu realisieren.
Auch auf eine einfache Programmierumgebung ist Wert zu legen, etwa HTML mit Java-Ergänzungen. Einfachheit ist wichtig, damit die Programmierungumgebung relativ kurzfristig von den Hochschulehrerinnen und Hochschullehrern zumindest soweit erlernt werden kann, daß die den Aufbau von virtuellen Seminaren verstehen und Ergebnisse beurteilen können. Zudem ist bei einer solchen programmtechnischen Vereinheitlichung der Nutzeroberfläche (HTML, Java) kein Unterschied zwischen Online und Offlinearbeit notwendig, was ein wichtiger Kostenfaktor für die Studierenden ist. Im gesamten Computerbereich sind seit 1981 alle wesentlichen Erfolge auf die Durchsetzung von Standards und auf die Gewährleistung von Kompatibilität zurückzuführen. Diese Lehren müssen auch im Hochschulbereich gezogen werden.
Allerdings ist für die Universitäten eine Virtualisierung aller Studienangebote nicht sinnvoll, weil die personale Komponente der Lehre aus vielerlei Gründen nicht ersetzbar ist und bekanntlich die drop-out-rate bei Fernstudienangeboten zwischen 40 und 60% liegt. Es wäre aber schon ein erheblicher Gewinn an Effektivität und Rationalität und Transparenz, wenn etwa 10-20 % aller Grundstudiumsangebote in Form virtueller Seminare durchgeführt werden könnten. Ganz nebenbei wird so von den Studierenden Medienkompetenz erworben.
Meiner Auffassung
nach sind alle beschriebenen Innovationen mittelfristig
weitgehend
kostenneutral einzuführen und sie werden on
the long run zu einer Verbesserung der Effektivität führen.
Voraussetzung dafür ist - wie bereits angedeutet - eine
Umstrukturierung der Mittelverteilung und, last not least, die
Forderung, neben der Bereitstellung der Hard- und Software durch
Rechenzentren, auch für Beratung, kontinuierliche Weiterbildung,
und Evaluation zu sorgen. Es muß also der Entwicklung von
Medienkompetenz vor Ort der gleiche Stellenwert eingeräumt
werden wie der Hard- und Software. Sonst wird die multimediale
Revolution an den Hochschulen vorbeigehen und sie werden noch weiter
in die Defensive geraten als sie es heute schon sind.
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Teil von Missing Link - Cyberzine