Hypertext: Von utopischen Konzepten

zu kollaborativen Projekten im Internet

von Heiko Idensen

0.0

"Präambel Wir glauben an Hypermedia und das World Wide Web... Hyperdokumente sind nicht nur Ansammlungen von Knoten und Links, sondern Entfaltungen von Knoten und Links im Raum ... Der Hypermedia-Raum ist nicht der Raum des Buches ... Wir sehen die Notwendigkeit, Computer-Netzwerke zur Erfindung neuer kollektiver Formationen der Intelligenz zu benutzen, für neue Interaktionweisen zwischen Menschen ... Es ist besser, zu handeln, als darüber zu schreiben!" Compact for responsive electronic Writing (C.R.E.W.)

0.0.1

"Compact for Responsive Electronic Writing (C.R.E.W.)" ist ein Zusammenschluß von Word Wide Web Autoren, die ihre Dokumente öffnen wollen für Links von anderen Lesern/Schreibern aus der Gemeinschaft. Durch diese Querverbindungen auf Gegenseitigkeit hoffen die Initiatoren, das WWW von einem passiven Hypertext, in dem die Leser lediglich Links folgen können, in einem aktiven zu transformieren, in dem die Leser auch neue Links erzeugen können. Einschreiben kann man sich unter:

Compact for responsive electronic Writing (C.R.E.W.): sign on!

1.0

Hypertext als nicht-sequentielles Schreiben und Lesen ist von den Entwicklern als ein Produktionssystem konzipiert worden, das Denkprozesse durch die Visualisierung komplexer Strukturen prozessural unterstützen soll. Reine Präsentationssysteme, die eben gerade keinen Eingriff seitens der Leser erlauben, sondern den Akt des Lesens auf ein Überfliegen - ein 'Browsen' - reduzieren, rauben dem Hypertext-Konzept gerade die wichtigsten aktiven diskursiven Funktionen.

1.0.1

Da in den technischen Informationsenvironments alles mit allem verbunden werden kann und zudem die Fäden der Bedeutungsvektoren (der Links) nicht mehr im Menschen selbst zusammenlaufen, ist die Frage nach einer ästhetischen Programmierung der Hypermedien eine entscheidende - was der momentane Kampf um die Marktanteile des Telekommunikations-Marktes, um Kontrolle, Monopolisierung und Kommerzialisierung des Internets nur bestätigt.

1.1

Hypertext ist eine Operationalisierung von Informations-, Kommunikations- und Sprachbildungsprozessen auf den Oberflächen informationsverarbeitender Systeme: in objektorientierten Bildschirmmanipulationen vollziehen sich grundlegende kulturelle semiotische, textuelle, poetische Aktivitäten. Vielleicht ist Hypertext deshalb Ausgangspunkt und Gegenstand so zahlreicher Spekulationen über die Zukunft der Literatur und der gesellschaftlichen Kommunikation, weil hypertextuelle Operationen genau das vollziehen, was wir ohnehin in der Literatur, der Wissenschaft, der Poetik ... als Diskurstechniken für die Zirklation von Ideen einsetzen: Querverbindungen herstellen, Verweisen folgen, Wissenpfade anlegen, Informationspartikel sammeln, explorieren, organisieren, verteilen, senden und empfangen: Netzwerke anlegen.

1.1.1

Zur Begriffsdefinition von Hypertext wird auf eine Vielzahl von Metaphern für nicht-lineare Texte zurückgegriffen - auch in der Literaturtheorie finden sich eine Unzahl von Begriffskonstruktionen, die sich auf Hypertext anwenden lassen. Hypertext stellt ganz allgemein zunächst einen sehr dynamischen Gebrauch von Textstrukturen dar - wodurch sich auch Bezüge zu den verschiedensten literarischen Strömungen einserseits und zu strukturalistischen Text-Theorie wie auch Reader-Response-Ansätzen ergeben. Hypertext ist Sprache in Aktion, assoziatives Verknüpfen von Sprachpartikeln, Visualisieren von Ideenfragmenten, Bild-Schirm-Denken, Verzetteln, Über-den-Rand-Schreiben, ein System generalisierter Fußnoten ...

1.2

Da das Hypertext-Konzept letztlich sehr offen und vielschichtig ist, erscheit die Frage nach dem (angeblich) ersten Hypertext müßig - darüber hinaus ist die Beantwortung dieser auch abhängig von der jeweilige historisch 'gültigen' Definition des Text-Begriffes. Selbstverständlich können vor allem die klassischen kanonischen Texte (etwa die Thora oder die Bibel), die 'großen Erzählungen' inklusive ihrer Kommentare und Auslegungen nachträglich durchaus als Hypertexte angesehen werden.

1.2.1

Auch das hebräische Sefer Yezirah ("Book of Creation") kann als ein früher kombinatorischer Hypertext gelesen werden, der - ebenso wie die kombinatorischen Philosophie- Maschinen des Raimundus Lullus - ein Werkzeug zur Erzeugung von Spekulationen gennannt werden kann.

(Sefer Yezirah ("Book of Creation"):kombinatorischer Hypertext

1.3

Um einer genauen Definition von Hypertext zu entkommen wird auch gern auf die 'klassische' Definition Nelsons zurückgegriffen: "By Hypertext i simply mean non-sequential writing; a body of written or pictorial material interconnected in such a complex way that it could not be presented or represented on paper. Hypertext is the generic term for any text, which cannot be printed." Nelson, Theodor, Holm (1987), Computer Lib/DreamMachines, Redmond, S. 1/17)

1.4

Hypermediale Erzählweisen (Postmoderne Literatur, Video-Clips, interaktive Spiele, expanded Books, Edutainment, Dokudrama ...) stellen - quer durch verschiedene mediale Träger - ein breites Spektrum fragmentarisierter Versatzstücke dar, die über netzwerkartige Verknüpfungen kulturell codiert und zusammengehalten werden. Die Speicherkonzepte dieser 'kleinen Erzählungen' beruhen nicht mehr auf dem klassischen Gedächtnis- und Erinnerungsorganisationen (Kathedrale, Bibliothek, Gehirn) sondern verwandeln sich mehr und mehr in hybride cyborgartige 'aktive Methaphern', die von technologischen Aufschreibesystemen dominiert werden: Softmachine, Elektronengehirne, künstliche Gedächtnisse, Datenbanken, Medien-Verbundsysteme ...

1.4.1

Ein mögliches Modell für den Informationsaustausch zwischen Mensch-Maschine könnte als eine Fortsetzung viraler Sprach-Theorien aus der Frühzeit der Medientheorie (etwa von William S. Burroughs) entwickelt werden: Der Austausch von 'Ideen- Viren' ('memes') wird als topographisches Modell von (organischen und nicht-organischen) Ideen- Landschaften 'memescape' genannt: hier entstehen die Meme, begegnen und verkoppeln sich. Der Cyberspace als auch die gesamte Medienkultur kann als ein solcher Austausch-Prozeß beschrieben werden.

Nonlocated online

MEMESIS REFERENCE (ars electronica 1996):input your own url!

 

1.5

Die aufkommenden technischen Medien beflügelten die Literatur seit der Jahrhunderwende und führten zu einer Reflexion medialer Auflösungserscheinungen in der Literatur (Futurismus, Noveau Roman, James Joyce).

1.5.1

"Das Wort Aufschreibesystem [...] kann auch das Netzwerk von Techniken und Institutionen bezeichnen, die einer gegebenen Kultur die Entnahme, Speicherung und Verarbeitung relevanter Daten erlauben. [...] Nun sind zwar alle Bibliotheken Aufschreibesysteme, aber nicht alle Aufschreibesysteme Bücher. [...] Archäologien der Gegenwart müssen auch Datenspeicherung, -übertragung und-berechnung in technischen Medien zur Kenntnis nehmen." Kittler, Friedrich (1987), Aufschreibesysteme 1800/1900, München, S.429

2.0

Ideengeschichtlich interessant und auffällig ist, daß historisch die Rede von Ende des Buchzeitalters und der explizite Entwurf eines Dokuversums, das auf einer globalen Vernetzung und einem permanentem Austausch von Hypertext-Dokumenten beruht, parallel als vollkommen getrennte, fast gegenläufige Diskurse auftauchen - genau zu dem Zeitpunkt, als die abendländische Buchkultur angesichts sich entwickelnder AV-Massenmedien 'umzukippen' droht.

2.1

Das Aufkommen neuer Medien wird von pompösen Tumulten und vielfältigen Totengesängen auf die 'alten' Medien begleitet. Aber unterhalb der leeren perfekt designten Oberflächen des neuzeitlichen Informationsdesigns, der "Softmoderne", des Infotainment blitzen die überwunden geglaubten Schriftzeichen verschämt wieder auf - jetzt als Wörter, die ihre alte Unschuld verloren haben und als Hotspots, keywords, Hypertext-Absprungstelle den Leser nicht mehr in den Text hineinsaugen, sondern ihn vielmehr abstoßen und in das weite Feld digitaler Kommunikationsstrukturen hinausschleudern. Leser und Schreiber sind jetzt gleichermaßen mit denselben Maschinen und Tools angeschlossen, schreiben und lesen gleichzeitig an einer über die ganze Welt verteilten und zerstückelten Textur: Copy/Paste ... Send/Recieve ...

2.1.1

Ted Nelson prägte in seinen visionären Entwürfen hypertextueller Kommunikationslandschaften den utopischen Begriff von elektronischer Literatur als "Dokuverse" :"Literature is an ongoing system of interconnecting documents."(Nelson, Theodor, Holm (1981), Literary Machines, Swarthmore :2/9 ff.). Vgl. auch Bolz, Norbert (1993), Am Ende der Gutenberg- Galaxis, München, S.216 ff.): "Der Abschied von den diskreten, privaten Dokumenten der Gutenberg-Galaxis ist eben auch ein Abschied von den Ordnungsmustern Hierarchie, Kategorie und Sequenz. [...] Es gibt gar keine Einzelgegenstände des Wissens [...] es sind nur Knotenpunkte unzähliger Querverbindungen, Gatter und Netze."

2.1.2

Derrida umkreist diesen Punkt als Ende des Phonozentrismus: "Entgegen allem Augenschein kündigt dieser Tod des Buches zweifellos bloß einen Tod des gesprochenen Wortes [...] und eine Mutation in der Geschichte der Schrift, in der Geschichte als Schrift an [...] sei sie nun alphabetisch oder nicht, selbst wenn das von ihr Ausgestrahlte nicht im Reich der Stimme liegt: Kinematographie, Choreographie, aber auch "Schrift" des Bildes, der Musik, der Skulptur usw. Ebensogut könnte man von einer athletischen Schrift sprechen und [...] von einer Schrift des Militärischen oder des Politischen [...] spricht auch der Biologe heute vom Schrift und Pro-gramm. Und endlich wird der ganze, von kybernetischen Programm eingenommenen Bereich [...] ein Bereich der Schrift sein." (Derrida, Jacques (1974), Grammatologie, Frankfurt/Main, Originaltitel (1967), De la grammatologie, Paris, S.20,21)

2.2

Was treiben die Hypertexte im neuen veräußerlichten Denkraum? "Hypertext macht explizit, was lineare Schriften noch der hermeneutischen Arbeit auflasten [...]. Der gesamte hermeneutische Gehalt eines Texts ist in der Verzweigungsstruktur seiner elektronischen Darstellung manifest." (Bolz, Norbert (1993). S. 222)

2.2.1

"Damit ist es heraus. Das neue Medium verspricht ein Grauen zu eleminieren. Das Grauen vor der Tatsache, daß Texte grundsätzlich auslegbar sind, und ihr hermeneutischer Gehalt eben nie 'manifest'. [...] In dieser Bestimmung ist tatsächlich die Differenz aufgehoben. Der Text hat kein Gegenüber mehr, das ihn unter- oder überbieten könnte; Texte treffen nicht mehr auf Köpfe oder auf die Sprache, sondern ruhen in sich [...]. Im Kern geht es darum, die Differenz zwischen Text und Sprache zu eliminieren [...]. Nur wenn es gelingt, tatsächlich die Totalität der Sprache in 'manifeste' Verweisstrukturen zu überführen, kann der hermeneutische Gehalt in seiner 'Gesamtheit' manifest werden; und dies ist nur möglich, wenn der einzelne Hypertext in einem (globalen?) Makrotext aufgeht, der die Sprache in ihrer vollen Extension ersetzen will und schließlich ersetzt." (Harmut Winkler: Dokuverse. Zur Medientheorie der Computer. Manuskript, S. 57)

3.0

Auf der medien-utopischen (teils technokratischen) Seite läßt sich ein Entwicklungsstrang zeichnen von Vannevar Bushs analogem Desktop eines wissenschaftlichen Arbeitsplatzes (1945) über Zwischenphasen von Prototyp-Entwicklungen (1962-1975) bis hin zu den konkreten Hypertext- Programmen auf Personal Computern (1987), während sich seitens der Literatur- und Medienkritik ein verschlungener Zusammenhang von Mc Luhans 'Prophezeiungen' über die Postmoderne-Debatte, den Dekonstruktivismus bis hin zur aktuellen Diskussion von Medien-/Theorie- /Text-Konzepten auftut.

3.0.1

Vannevar Bush, der wissenschaftliche Berater Präsident Roosevelts und Koordinator amerikanischer Wissenschaftler, versucht 1945 die Wissenschaft von der unmittelbaren Kriegsproduktion auf (zivile) Wissensproduktion umzuprogrammieren. In dem als Prätext der Hypertext-Idee oft zitierten Artikel "As We May Think" (Bush, Vannevar: As We May Think, in: Atlantic Monthly 176 Juli 1945, S. 101-108) entwirft er seine Vision eines wissenschaftlichen Informationssystems Memex : Erblickt der Forschende eine interessante Stelle auf einer Buchseite, wird diese durch eine Art Sofortbildkamera, die auf der Stirn befestigt ist, aufgenommen und in einem mechanischem Karteikastensystem gespeichert, auf das assoziativ zugegriffen werden kann. Suchwege verschiedener Benutzer durch den Datenbestand können aufgezeichnet und ausgetauscht werden. Annotationen, Randbemerkungen können an jeder Stelle eingefügt werden.

3.0.2

Die Desktop-Metapher mit Mouse-Interface führte Douglas Englebarts in dem komplexem Informationssystem 'Augment' ein, in dem schon Mitte der 60er Jahre mehrere tausend Benutzer im Netzwerk auf Text-Bild Ausschnitte in verschiedenen Fenstern zugreifen konnten: Querverbindungen konnten hergestellt werden, mit verschiedenen Ansichten auf die Dokumentstrukturen (Outlining, Idea-Processing) konnte zwischen verschiedenen Arbeitsgruppen Forschungsergebnisse ausgetauscht werden. Email, Word-Processing, kooperativen Arbeiten war in diesen frühen Forschungsprojekten schon möglich.

3.0.3

Bill Atkinsons Entwicklung von Hypercard für den Apple Macintosh (1987) stellt einen einschneidenden Entwicklungsschritt dar. Anfänglich wurden alle Apple Computer mit HyperCard ausgeliefert, es entstand eine vielfältige Public-Domain Kultur von literarischen, wissenschaftlichen und Home-Anwendungen auf der Basis von HyperCard. Später wurde das Produkt dann getrennt verkauft und nur noch Read-Only Versionen waren - ohne Dokumentation - auf den Macs vorinstalliert, woraufhin der beginnende massenhafte Gebrauch wiederum auf universitäre Kreise zurückschrumpfte ...

3.0.4

Im Gegensatz zu präsentationsorientierten Hypertextprogrammen liegt der Schwerpunkt von Storyspace darin, spontane Schreib-Prozesse zu unterstützen und Strukturen für das Zusammenspiel und die Verknüpfung von Ideen zur Verfügung zu stellen. Erreicht wird diese Funktionalität durch eine Verräumlichung des Schreibaktes: Konsequentes topographisches Schreiben in Schreibräumen, den kleinsten Text-Einheiten - Gedanke, Ideenobjekt, Plan, Topos ... . Die Writing-Spaces werden als Boxen visualisiert, zwischen denen Querverbindungen durch (benennbare) Pfeile hergestellt werden können. Diese Schreib-Räume stellen eine dynamische Benutzermetapher im Vergleich zu Karten oder Bildschirm-Fenstern dar, denn sie können beliebig verschachtelt, am Bildschirm plaziert, bewegt, kopiert, etc. werden. Dadurch sind zerstreute Datenkonfigurationen ebenso möglich wie klar durch Sub-Ordination gegliederte Dokumente. Storyspace ist eines der wenigen Hypertext-Systeme, die es dem Nutzer erlauben, beim Schreiben und Lesen nicht mehr linear, sondern vernetzt vorzugehen: die Querverbindungen (Links) können benannt und vor allem graphisch als Mapping -in verschiedenen Ansichten - dargestellt werden; Hilfsmittel für die Erstellung von 'Reisewegen' durch Textbestände liegen vor (Pathbuilder), die eine Vielzahl von Zugangsweisen auf Textbestände eröffnen ... Informationen zum Programm nebst Verweisen zu einer Vielzahl von Hypertext-Projekten:

Eastgate Systems (Hypertext-Projects)

3.0.5

Anfang der 90er Jahre waren dann eine Vielzahl von Hypertext-Programmen auf allen Hardware- Plattformen verfügbar. Da aber - trotz Konferenzen und Normungsanstrengungen- kein Austauschformat in Sicht war, setzte sich - den Prophezeiungen von Experten, Medienwissenschaftlern und - theoretiker zum Trotz - ein Gebrauch hypertextueller Programme nicht durch - bis von Marc Anderson (1991) ein relativ simples Auszeichnungsformat für Hypertexte entwickelt wurde, das sich in kürzester Zeit als ein universeller Hypertext- Standard durchsetzte und wie ein Virus verbreitete: die Hypertext Markup Language (HTML) - das 'natürliche' Austauschformat elektronischer Texte im Word Wide Web (WWW). Die offene Struktur, die einfache Bedienung der grafischen Oberfläche und die Tatsache, daß für alle Rechnerplattformen Freeware-Browser und Editoren verfügbar sind, führten dazu, daß die althergebrachten Internet-Dienste (wie FTP, Newsgroups) inzwischen auch größtenteils in das WWW-Konzept integriert wurden. Das WWW ist quasi zum Standard des online-Publishing geworden und trägt mit zum derzeitigen Boom des Internet bei. Der Netzwerk-Leser findet im WWW gestaltete Textseiten vor, von denen aus er durch einfaches Anklicken Navigieren kann. Durch das offene Austauschformat ist jede weitere Integration anderer Medien (Bild, Ton, MPEG-komprimiertes Video ...) über ein einfaches PlugIn möglich, wenn auch durch die langen Übertragungszeiten bisher nur begrenzt praktikabel. Programmschnittstellen wie JAVA lassen letztlich sogar beliebige Programme auf den lokalen Computern mit Netzwerk-Dokumenten kommunizieren (etwa Datenbanken, Grafikroutinen ...), wodurch sich fast schon eine Art universelle Hypertext-Oberfläche herauszubilden scheint, die in Zukunft die klassischen Betriebssysteme ersetzen könnte.

4.0

Der visionäre Entwurf Ted Nelsons ist auf mehreren Ebenen wichtig - insoweit scheit die Rede von Ted Nelson als einem Pionier/ Erfinder oder zumindest Wortschöpfer des Hypertext-Gedankens durchaus gerechtfertigt. Die Hardliner der eher technokratisch ausgerichteten Entwurfsgeschichte von Hypertext-Programmen entnehmen den Texten Nelsons entscheidende Anregungen und Konzepte, die sie konkret in Programmstrukturen übersetzen (Link- und Vernetzungsstrukturen, topographische "Benutzermetaphern", Medienströme als Symbolmanipulationen ...) - während eine kritische Medientheorie und die 'cultural studies' eher den Universalansprüchen seiner Text-Theorie nachgehen und Hypertext dann als Lösung aller Medienkonflikte zwischen Buchkultur ud neuen Medien anbieten - als das Medium der Postmoderne schlechthin.(siehe Idensen 1993)

4.0.1

Landow, George P.(1992), Hypertext. The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology, Baltimore / London macht die die Konvergenzen von Software- bzw. Interface- Design und Literaturtheorie/Philosophie deutlich, indem er in seiner Einleitung immer wieder diese beiden unterschiedlichen Diskurszusammenhänge mischt, einen 'hypertextuellen Derrida' und einen 'poststrukturalistischen Nelson' konstruiert. Die Revolution des Menschlichen Denkens - der vielbeschworene Paradigmenwechsel - läge eben gerade in den Möglichkeiten elektronischer Schreibweisen als praktische Antwort auf die Krise des Buches (Zentralismus, Hierarchie, Linearität), die jetzt konkret durch das Netzwerk-Konzept von Hypertext überwunden werden könnten.

4.1

Daß der nicht-angepaßte Universalist Nelson bisher keine eizige Programmzeile eines wie auch immer gearteten Hypertext-Programms im Laufe seiner wechselhaften Entwicklungsgeschichte vorgelegt hat, wird ihm u.a. in einer derzeitigen Kontroverse vorgeworfen, die durch einen ausführlichen Artikel im Netzwerk-Kult Magazin wired ausgelöst wurde. Gleichzeitig läßt Nelsons Hinwendung zum Pragmatismus (Durch seine Arbeit an einem Teilaspekt seines Entwurfs (transcopyright und mögliche Abrechnungsstrukturen im Netz, Konsistenz der Verweise) in Japan am "sapporo hyperlab") ein für 1996 angekündigtes Plug-In für Hypertext-Browser im WWW mit Spannung erwarten.

4.1.1

Als epische Tragödie wird das 'Stationen-Drama' (Xerox Park, Autodesk ...) der nie fertig werdenden Entwickler um Nelson herum ziemlich herablassend nachgezeichnet (Wolf 1995). Dieser Text (in der Hotwired) versammelt aber trotzdem durchaus viele Informationen - gerade zusammen mit dem ausführlichen Leserbrief Ted Nelsons
in der folgenden Ausgabe (der in bester Hypertext-Manier den Umfang des von ihm heftig kritisierten Textes überschreitet.)

5.0

Mittlerweile hat die Praxis des WWW die Voraussagen Nelsons einerseits bestätigt, den praktischen Entwicklungsstand des einstigen Utopisten selbst dabei allerdings auch 'überholt', so daß die 'grundsätzliche Kritik am WWW', die von Nelson immer wieder gerne wiederholt wird, nicht jeder könne schließlich an jeder Stelle des Webs selbst einen Link anlegen und die chaotische Struktur insgesamt gewähre keine Konsistenz von Adressen und Links, genauso verfehlt erscheint wie das Messen der Netzpraxis der 90er Jahre an literarisch- konzeptuellen Entwürfen aus den 60er Jahren.

5.1

Während die literarische Archäologie des Hypertextes in den 80er Jahren immer weiter zurück ging im Nachforschen, was eigentlich Hypertext sei und schließlich zur - typisch postmodernen - rekursiven Aussage kam, alles sei schließlich Hypertext (die klassische Exegese, das Geflecht der Texte und des literarischen Systems, die Thora, die Bibel, die Enzyklopädie, Proust, James Joyce, Wittgenstein ...), und die Theoretiker sich nur noch darüber wundern, warum Hypertext-Programme sich so wenig durchsetzen konnten, erscheint es heutzutage keineswegs übertrieben im 'heißesten' Medium, dem WWW, alles als Hypertext zu bezeichnen - dabei fällt das wundersame, besondere oder utopische dieses Konzepts schon gar nicht mehr auf. Hypertext ist in dem neuen Massenmedium des Netzwerkes untergegangen bzw. aufgegangen.

5.1.1

"Die Integration von verschiedenen Systemen bietet einen großen Vorteil, insbesondere dann, wenn es dem Benutzer möglich ist, Verbindungen zu folgen, die ihn von einem Stück Information zum nächsten bringen. Die Schaffung eines Netzes mit Informationsknoten, und nicht mit hierarchischen Bäumen oder geordneten Listen, ist das grundlegende Konzept von Hypertext. Die Texte werden so miteinander verbunden, daß man von einem Konzept zum anderen gehen kann, um schließlich die Information zu finden, die man benötigt. Die Verbindungen innerhalb des Netzwerkes werden Web gennannt. Das Web ist also niemals vollständig, und es ist kaum vorstellbar, daß alle Links, the theoretisch möglich sind, von den Autoren auch gesetzt werden. Die Texte werden Knoten genannt. Der Prozeß, um sich von einem Knoten zum anderen zu bewegen, heißt Steuerung. Die Knoten müssen nicht notwendigerweise auf der gleichen Maschine liegen; LInks können auch über einen Rechnerverbund hinausgehen. Knoten können prinzipiell auch Nicht-Textinformationen wie Diagramme, Bilder, Tondateien und Animationen enthalten. Der Terminus Hypermedia ist einfach die Erweiterung der Hypertext-Idee auf die anderen Medien."

Tim Berners-Lee: Proposal for a HyperText Project

6.0

Eine Medienkritik/Datenkritik/Netzkritik (Wie sie etwa der Theoretiker/Praktiker Geert Lovink einfordert), die sich von dem Ausblenden konkreter Technologie ebenso befreit hat wie von metaphorischen Deutungen/Exegesen medialer Daten- Konstellationen kann auch dem Dilemma entkommen, zwischen Inhalt/Form, Daten/Struktur, Theorie/Praxis keine Brücke mehr schlagen zu können.

6.1

Über Mailings-Lists werden neue Formen der Sammlung, Diskussion und Distribution von Texten praktiziert, die im Vergleich zur herkömmlichen Herausgabe gedruckter Texte viel dynamischer sind und zudem auch Diskursformen jenseits des Mainstream-Journalismus oder etablierter Theorie- Kontexte ermöglichen.

6.1.1

Die nettime Mailings-List beschäftigt sich mit der Politik der Netzkultur und versucht mittels kollaborativer Text-Filter-Prozesse Formen der Netzkritik parasitär zu den Zentren der etablierten Kultur zu etablieren. Für das Verhältnis Theorie/Praxis spielen die Kulturtechniken der Netzkultur selbst eine wichtige Rolle: im Bemühen Werkzeuge und Methoden für 'eine andere kollektive Subjektivität' zu finden - jenseits des Info-Kapitalismus und der neuen Netzwerken der Macht entstehen und zirkulieren Texte in einer Weise, die nichts mehr mit der distanzierten Lobbyistik etablierter Medientheoretiker (die Werbung für die Telecom machen) zu tun hat: schneller, widerspruchsvoller, waghalsiger, wilder, heterogener, verrückter .... Nettime funktioniert dabei als ein 'sozialer Text-Filter' für eigene und gefundenen Texte, Anfragen, Ankündigungen. Zu verschiedenen Gelegenheiten (wie Konferenzen, Festivals) werden Aufrufe zum Einsenden von Texten zu bestimmten Stichworten gemacht, die dann weitläufig in Umlauf gebracht werden. Es geht nicht um die Ergebnisse, sondern um die Prozesse. "100 % anti-copyright - not for commercial use" nettime (collaborative social text-filtering)

6.2

Einerseits wird von hypertext Theorieansätzen der Anspruch vertreten, den Diskurs selbst in medienadäquater Form zu führen, während - auf der anderen Seite des Praxisfeldes - die Hypertext- Autoren allein schon in der Struktur ihrer Hyper-Texte die entscheidende Innovation sehen und dabei - literarisch - ganz konventionelle Schreibweisen benutzen. (so findet etwa Robert Coovers experimentelle Hypertext-Praxis (vgl. 10.1.3) kaum eine Fortsetzung in seinen literarischen 'Bestsellern'.

6.2.1

Die häufig vorangestellte Klage, daß der zu lesende Text leider nur in gedruckter Form vorliege, was dem Inhalt durchaus nicht adäquat sei und außerdem eine Zumutung für den Leser darstelle, der sich den Text doch lieber gleich als Hypertext besorgen solle, ist schon fast zur Standard-Einleitung von Texten über Hypertext geworden.

6.2.1.1

So lamentiert auch Bolter in seinem Buch "Writing Space" (Bolter, Jay David (1991), Writing Space. The Computer, Hypertext, and the History of Writing, Hillsdale), daß der lineare Drucktext das Heraufkommen des elektronischen Buches nur annäherungsweise beschreiben kann, weil der vielfach verzweigten Struktur des elektronischen Text-Netzwerks die lineare Organisationsweise der Druckkultur mit ihren Unterordnungen und Übergängen gegenübersteht. Am schwersten sei ihm dabei der Rückfall vom vielstimmigen Hypertext in die monotone auktoriale Stimme einer einzigen (Autor-) Instanz gefallen. (ebd.:IX)

6.2.1.2

Allerdings zeigt dann ein Vergleich der Rezeption des gedruckten Textes einerseits und der Hypertext-Version von "Writing Space" (Bolter 1991) andererseits, daß zwischen der emphatischen Hypertext-Theorie und der praktischen Umsetzung durchaus noch eine große Kluft liegt. Das einfache (mediale) Umsetzen (Digitalisieren) von gedruckten Texten in eine digitale Form ist erst der Anfang - das Umsetzen poetischer und textueller Strategien in eine interaktive digitale Dramaturgie - die dann auch dem Leser außer Klicken und Scrollen entscheidende Aktivitäten ermöglichen - ist die eigentliche Herausforderung. S.a. Riehm, U.; Böhle, K.; Wingert, B.(1992), Bücher über Hypertext und Hypertexte der Bücher. Erfahrungen aus einer Evaluation, Karlsruhe

6.3

Erst in einer noch im experimentellem Stadium begriffenen neuen Form des medialen Diskurses wird versucht, sich gleichzeitig der Medieneffekte zu bedienen, über die geschrieben wird. Eine solche 'materialistische' Hypertext-Theorie/Praxis entkommt auch dem scheinbar fundamentalistischen Widerspruch, zwischen dem 'Tod des Buches und der Literatur' und der 'Geburt eines neuen Mediums' sich entscheiden zu müssen.

6.3.1.1

"Das Computernetz befreit den Autor von seinem Verleger. Ungehindert [...] kann ein schreiblustiger Autor Buch nach Buch direkt ins Netz werfen. [...] Die Sätze wollen nicht länger eine Verbindung mit Vorgängern und Nachfolgern eingehen. Nach jedem Satz kann im Prinzip jeder andere folgen [...] Der real existierende Cyberspace ist ein Text-based Environment [...] Der flüchtige Computext ist die ironische Rückkehr der Schrift, nachdem das Wort im Zusammenhang der Bildkultur für tot erklärt worden war [...] Virtuelles Schreiben ist die Antwort der Schrift auf die Designermedien, weil es keine Form sucht, um sich zu materialisieren [...] sondern um sich stattdessen im elektronischen Universum einen neuen Raum zu schaffen, um überallhin gelangen zu können." (Agentur Bilwet - zur Förderung der illegalen Wissenschaften durch Lesungen, Bücher, Piratenradio, Reisen, Manifeste, Ferngespräche, Übersetzungen - über Webstop: Agentur BILWET

7.0

Online-Texte glänzen weniger durch stilistische und rhetorische Figuren oder den Gebrauch metaphorischer Formulierungen, sondern eher durch kontextbezogene Aktivitäten, durch Hin- und Herschalten zwischen verschiedenen Ebenen, Querverbindungen, Schnelligkeit des Austausches - sie thematisieren den Raum zwischen verschiedenen Text-Fragmenten - inszenieren und bearbeiten intertextuelle Strukturen. Jeder Text schreibt sich ein in ein intertextuelles Ensemble künstlerischer / kultureller / formaler / kanonischer / biographischer Konstellationen. Jedes Wort produziert Bedeutungen im Kontext der umgebenden sprachlichen Einheiten - alles Geschriebene ist 'Zitat': Entwendung gelesener Schriften. Neu ist allein die konkrete Zusammenschaltung sämtlicher Lese- und Schreibvorgänge im Netz - auf einer einzigen Oberfläche. Die Intertextualität der Druckkultur ist eine virtuelle, in literarischen Texten explizit hergestellte, produzierte.

7.0.1

Intertextualität war in den politisierten Literaturdebatten der siebziger Jahre der entscheidende 'Kampf'-Begriff zur Aufhebung bürgerlicher Autoren-Funktionen zugunsten literarischer Netzwerk-Modelle. Diese Impulse führten - neben einer explosionsartigen Ausbreitung intertextueller Schreibweisen - auch zum Paradigmenwechsel in der Literaturtheorie. Ein ausuferndes 'Lexikon' intertextueller poetischer Praktiken liefert Genette (1993).

7.1

Die Intertextualität im Netz ist konkret, flach, pragmatisch, real(istisch), d.h. die Dokumente/Fragmente 'treffen' tatsächlich aufeinander - ein link führt tatsächlich zu einer (oder mehreren) Referenzstelle(n) im selben Text oder in anderen Texten.

7.1.1

Deshalb ist die oft vorgenommene Analogisierung zwischen der klassichen Fußnote und dem link in elektronischen Texten auch nur bedingt tauglich. Der narrativen Funktion von links kommt man aber doch auf die Spur, wenn man extreme Gebrauchsweisen von Fußnoten in literarischen oder theoretischen Texten verfolgt: Fußnoten weisen über die (auch physische) Abgeschlossenheit nicht digitaler Texte hinaus. Sie ermöglichen ein Schreiben über den Rand des jeweiligen Diskurses. Als Absprungstellen für den Leser fordern sie Interpretation, Kritik, eigene Suchbewegungen heraus und bewirken einen Wechsel der Perspektive, der das diskursive und auktoriale Zentrum des Textes aufsprengt und für Anschlußmöglichkeiten an andere Texte und Diskurse sorgt. (vgl. 7.3. und 12.2.4)

7.2

Die Poetik eines link liegt keineswegs in der bloßen Anspielung, in einer metaphorischen oder impliziten Bezugnahme, sondern vollzieht sich in einem wirklichen Sprung, einer tatsächlichen Koppelung - eine Poetik des Transports. (Was nichts über die 'Qualität' oder Literarizität aussagt - ausgedruckt sind Netzwerktexte zumeist langweilig und 'nicht lesbar'.)

7.2.1

Eine 'Poetik des Transports' könnte vielleicht das alte Konzept der Metapher als Netzwerkladungen verfügbar machen, die durch Ankunft und Abreise, Import und Export, Ein- und Ausgänge in Wissenspartikel organisiert werden. Neue Formen der Begriffsbildung und der gesellschaftlichen Kommunikation entstehen - eine aktive Semiose, in der Schreibende und Lesende fortwährend neue Zusammenhänge entdecken, Spuren nachgehen, Kommentare aufzeichnen.

7.3

Das Schreiben und Lesen im Netz ist zwar strukturähnlich zu literarischen Produktiuons- und Rezeptionsformen - aber im Netz passiert das Lesen und Schreiben gleichzeitig auf einer Oberfläche, es gibt außerdem keine Hierarchisierung zwischen Primärtexten und Sekundärtexten. Darüberhinaus verschwinden die Unterschiede zwischen Produktion und Rezeption - so daß der Leser im Netz auf derselben Ebene Fußnoten und Randbemerkungen in die Netztexte einfügen kann, wie in gedruckten Texten nur die Autoren - oder später im Produktionsprozeß die Herausgeber oder gar am Ende die Setzer. Elektronische Dokumente zerfallen im Gegensatz zur linearen sequentiellen Schreibweise gedruckter Texte in kleine diskrete Einheiten: Eine Bild-Schirm- Seite, die Karte eines Hypertextsystems, der Datensatz einer Datenbank, das Text-, Bild- oder Aktionsfenster einer objektorientierten Arbeitsoberfläche, eine Message im Brett einer Mailbox stehen in vielfältigen Beziehungen zueinander. Das Netzwerk solcher Ideen- Objekte und Gedankenbilder erfordert von vornherein eine multiperspektivische Organisationsweise - ein vernetztes Denken, das verschiedene Zugangsweisen, Verknüpfungen, und vor allem auch Eingriffe in bestehende Datenkonstellationen, ermöglicht.

7.3.1

Einen wunderbaren Überblick über Netzwerk-Aktivitäten bietet Volker Grassmuck, der auch - in Absetzung von der Gutenberg-Galaxis - gleich ein neues Paradigma für das neue Zeitalter parat hat - "Die Turing-Galaxis", die zunächst noch mit den Benutzermetaphern der Gutenberg-Galaxis arbeitet: "Der Computer tut so, als sei er Schreibmaschine, Gedrucktes und Bibliothek. [...] Bibliothekare gehörten zu den ersten, die die neue Galaxis erschlossen und besiedelt haben. Mehr als tausend Bibliothekskataloge sind heute online, über siebenhundert digitale Zeitschriften, Hunderte von Volltextbüchern [...] Wir beobachten heute einerseits, daß traditionelle Bibliotheken [...] sich auf Volldigitalisierung und Vernetzung zuentwickeln. Andererseits hat sich in der bislang wenig bibliophilen Matrix eine Hypertextoberfläche herausgebildet, die die Millionen angeschlossenener Rechner effektiv zu einer Gesamtbibliothek mit Fernleihe auf Tastendruck machen."(Volker Grassmuck: Die Turing Galaxis Das Universal-Medium auf dem Weg zur Weltsimulation, in: Lettre International, Heft 28, I/95, S. 48-55; hier: S. 51)

7.4

Bild-Schirm-Denken ereignet sich als Vision, Audio-Vision, interaktives Cut-Up von Texten, Grafiken, Sound und bewegten Bildern mittels taktiler Interfaces - als kontinuierlicher intermedialer Selektionsprozeß. Man liest keine Texte mehr, man sieht keine Bilder mehr, man hört keine Klangmuster mehr, man schneidet vielmehr verschiedene Medienströme online (in sog. Echtzeit) zusammen - nicht nur als beliebige intermediale Mischung - wie etwa in den frühen multi-medialen Happenings - sondern als eine Art integrales Gesamtdatenwerk.

7.5

Sind hypertextuelle Praktiken 'demokratischer', anarchistischer, fröhlicher, produktiver ... als die mit der Postmoderne endgültig verabschiedeten klassischen Hermeneutiken? Trotz aller Beschwörungen, Metaphorisierungen etc. ist das WWW zunächst einmal eine Oberfläche, ein Point and Click-Interface zum multimedialen Verknüpfen von Objekten. Eine kontrovers diskutierte Frage ist, ob elektronische Texte notgedrungen 'flache Texte' im Sinne eines Mankos, einer fehlenden Komplexität, Tiefe, Sinnlichkeit etc, sind, oder ob aus den topographischen Organisationsweisen mit offenen Verknüpfungsstrukturen nicht gerade ganz neue Qualitäten aufkommen, die geradezu das Manko der Schriftkultur - fehlendes Feedback und eindimensionale Kommunikationsstrukturen bei unendlicher 'Tiefe' der Bedeutung ... überschreiten könnten. Macht Karten, keine Kopien! (vgl. Idensen/Krohn 1994, S. 259).

7.5.1

"Ein offensiv ästhetischer Gebrauch von Medienverbundsystemen wird da erschwert, wo eine Medien-Kritik nur am Output der Medien, d.h. den technischen Bildern selbst ansetzt (und so in den Untergangsgesang auf die literale Kultur einstimmt) und nicht am produktionsästhetischen Nerv, d.h. an den Schaltungs- und Vernetzungsstrukturen. Auch die übliche Forderung nach sozialer Kontrolle der Sender bzw. sozialem Engagement der Produzenten - der Autor als Agent der Massen, wie es in einem historischen Essay zur Medienkritik gefordert wird (vgl. Hans Magnus Enzensbergers altmodisch schönen Baukasten zu einer Theorie der Medien in: Kursbuch 20/ 1979, Über Ästhetische Fragen, Frankfurt am Main 1970, S.159-186) - löst nicht die Interface Problematik zwischen Medien und Produzenten. Produktionsweisen aus dem Bereich der Kunst in einen anderen Umgang mit den Kommunikationsmedien einzuschleusen, weist möglicherweise aus dem Dilemma postmoderner Endzeittheorien heraus und läßt einen neuen ästhetischen Produktionsbegriff zu, der sich auf den Oberflächen der neuen Medien abspielt." (Idensen/Krohn: Kunst-Netzwerke, S.376)

7.5.2

Von anderer Stelle wird eine solche 'oberflächliche' 'Befreiung' vom vermeidlichen 'Tiefgang' logozentrischer Kultur als unzureichender 'Postmodernismus' kritisiert: "Es gibt kein Außen mehr, das der bequemen Fiktion kritischer Distanz Bedeutung verleihen könnte. [...] Die alten Herschaftsverhältnisse des weißen kapitalistischen Patriarchats [...] normieren Heterogenität [..] wir selbst sind verflacht, ohne Subjektivität, die Tiefe erfordert [...].Es ist Zeit, "Den Tod der Klinik" (Anspielung auf Foucaults "Geburt der Klinik", H.I.) zu schreiben. Die Methode der Klinik verlangt nach Körpern und Arbeit, wir jedoch verfügen über Texte und Oberflächen. Unsere Herrschaftsverhältnisse vermitteln sich nicht mehr durch Medikalisierung und Normierung. Sie vermitteln sich über Vernetzuung, den Neuentwurf von Kommunikationszusammenhängen und Streßmanagement." (Donna Haraway: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt 1995, S.202)

7.6

Netz-Werk-Schreibprojekte stellen eine entscheidende Frage künstlerischer Medienentwendung: Wie können ästhetische Operationen - losgelöst von den ästhetischen Strategien einzelner Autoren - als konkrete Programm- und Verknüpfungsoperationen in gemeinschaftliche Schaffensprozesse eingehen? Wie können kollektive Texte -die aus einer Vernetzung vieler Schreibakte generiert werden - zirkulieren? Kann und wird eine 'telematische Poesie' von allen gemacht werden?

7.7

Die entscheidende Revolutionierung vernetzter hypermedialer Aufschreibesysteme liegt gerade darin, ein Schreiben im öffentlichen Raum zu ermöglichen. Die Umstellung von Produktzirkulation auf die Beteiligung an 'heißen' informativen Prozessen, der Umgang mit beweglichen Texten, beweglichen Kontexten, sogar beweglichen Referenzen - während die Leser/User selbst in Bewegung sind ... und die Beteiligung an vielen virtuellen Welten, die (im Gegensatz zur Perspektive der Autoren der Druckkultur) von vielen generiert werden.

7.8

Leser und Autoren werden durch einen 'eindimensionalen Gebrauch' von Hypertext als KlickText geradezu wieder zu ganz traditionellen Formen zurückgeführt (etwa der Run auf 'authentische Literatur nach all den Experimenten der 60-80er Jahre) - oder sie fallen gar einer reaktinären fundamentalistischen Position (wie etwa Postman) zum Opfer. Das Ablegen (ge- und verbrauchter) Texte der Gutenberg-Galaxis im Netz (wie die Universaltutopie des 'Gutenberg-Projekts') ist tot - es lebe der Austausch und die Zusammenarbeit!

7.8.1

Selbst Ted Nelsons heutige Positionen erscheinen sehr pragmatisch bis konventionell - verglichen mit der Aufbruchsstimmung der frühen Texte aus den 60er Jahren. Ein in das Dokuversum eingebautes 'Transcopyright' -Schema soll die Literatur vor ihrem Untergang bewahren: "Literatur" - oder das System zusammenhängender Medienobjekte - ist ein Metaparadigma, da alle anderen Paradigmen in ihr enthalten sind. Literatur bleibt bestehen, ihr kollektiver Bestand ist die größte Kostbarkeit der Menschheit. Elektronische Dokumente und die wild expandierende Front neuer Medien gefährden jedoch Zugang und Wiederverwendung dieses Erbes in bedenklichem Maße. Die Medienbeschleunigung unserer Tage verbindet schneller und schneller werdende Filme, Werbespots und Spiele mit zunehmender Unwissenheit und Desinteresse an der Vergangenheit. Die neue Kultur verfälschten elektronischen Stammesgefühls gefährdet das Kulturerbe. Wertbeständiges elektronisches Publizieren wird immer wichtiger. Dies ist weniger eine technische Angelegenheit als vielmehr eine Frage von Verpflichtung und wettbewerbsfähigem Handeln. Wir müssen wertbeständiges Publizieren erleichtern und fördern und für die Wiederverwendbarkeit aller elektronischen Formate sorgen." (Ted Nelson in: Interface 3 Programmheft)

7.8.2

Das Project Gutenberg stellt in Kooperation mit anderen Initiativen einen öffentlichen Netz- Zugriff auf digitalisierte Bücher zur Verfügung, deren Copyright abgelaufen ist: "Unser Ziel ist es, bis zum Dezember 2001 eine Trillion elektronische Texte verteilt zu haben - d.h. 10.000 Titel an hundert Millionen Leser. Elektronische Texte, die sowohl von Menschen, als auch von Maschinen gelesen werden können." Bis jetzt sind hier über zweihundertundfünfzig Titel verfügbar - in einer anderen Liste (Web Books), die auch digitale Texte aus anderen Projekten verzeichnet, sind über sechshundert Titel aufgeführt - neben den Klassikern etwa auch James Joyce, Ludwig Wittgenstein und viele Texte aus dem Bereich Computer/Netzwerke - teilweise mit Illustrationen - viele Texte liegen auch direkt im HTML-Hypertext-Format vor.

8.0

Welche synergetischen Effekte eine Öffnung des Hypertext-Konzeptes von den frühen (offline) Hypertexten zu den vernetzten Projekten (im WWW) trotz aller Affirmations- , Kontroll- und Kommerzialisierungsanstrengungen hat, möchte ich am Beispiel einiger kooperativer Schreibprojekte deutlich machen, die für mich auch gleichzeitig einen Rückbezug auf die (frühen) Hypertext-Utopien von Partizipation und offenen Kunstwerk-Strategien darstellen und auch beweisen, daß Nelsons vieldeutige Aussage "Everything is deeply intertwingled" angesichts des Massenmediums Hypertext im WWW keinesfalls zu einer leeren Floskel verkommen muß.

8.1

Daß diese möglichen neuen Poetiken und Rhetoriken der Netzwerkkultur auch einen eminent politischen Charakter haben, zeigen die fundamentalistischen anti-medialen Kampagnen, die sich seit Mitte 1995 (unter dem klassichen Vorwand der Pornographie und des Terrorismus) gegen die Autonomie des Cyberspaces richten.

8.2

Online-Medien arbeiten - schon wegen der dezentralen Vernetzungsstruktur - eher nach dem Prinzip eines unkontrolierbaren rhizomatischen Austausches. So können etwa Zensurmaßnahmen (bestimmter Sites oder Newsgroups) schon dadurch umgangen werden, daß die indizierten Inhalte an anderer Stelle niedergelegt werden ...

8.2.1

Schon in der Nacht nach der Unterzeichnung des Communication Decency Acts am 10.2.1996 wurden nach und nach ein großer Teil der Netzseiten schwarz ... in der Folgezeit bildete sich ein wuchernderndes Netzwerk über das - von Aids-Kampagnen entlehnte - Blue-Ribbon- Symbol: Von jeder (beteiligten) Seite im WWW kann jetzt zu einer Sammlung von Anti-Zensur- Aktivitäten verzweigt werden Electronic Frontier Foundation: Blue Ribbons

8.2.2

Als "Celebration of Free Speech on the Internet" sammeln sich unter dem Projekt "24 Hours of Democracy" Essays zum Thema "Freiheit": die Initiatoren sind so verblüfft darüber, daß in wenigen Tagen schon über 1000 Texte sich angesammelt haben, daß sie fortan damit beschäftigt sind über Suchmaschinen, Inhaltsverzeichnisse, Bilder-Galerien und zufällige Auswahlverfahren einen entsprechenden Zugang zu diesen Textmassen anbieten zu können.

8.2.3

Nach der Beantwortung eines Fragebogens ("ARE YOU INDECENT?") kann der Online-Leser zu den "Dirty Desires" vordringen, einer Literaturanthologie des online-Magazins ALT-X in der Tradition von Plato, Rabelais, Sterne, Henry Miller. Ob diese Texte auch die (inzwischen verbotenen) gefährlichen Worte enthalten? Alt-X: Dirty Desires

9.0

Festivals und Kongresse sind ein wichtiger Umschlagpunkt für künstlerische Experimente und die Entwicklung neuer Distributionsformen - gerade auch für Mischformen zwischen den verschiedensten Arten von Medienkunst (Film, Video, Musik, Performance, Installationen, Interaktive Anwendungen, CD-ROMs, Hypertexte, Netzwerk- Projekte ...) Begleitet werden solche Events inzwischen in zunehmenden Maße durch Online-Angebote im WWW, die neben Programminformationen, Archiven, Vortragstexten (als eine Online-Erweiterung des klassischen Kataloges) auch verschiedene Konferenzsysteme anbieten, die in eine Einschreibung der Besucher/User in thematisch strukturierte Diskussioneforen ermöglichen. Mit solchen Konferenzsystemen wird das WWW um diskursive Funktionen erweitert, wie sie sich in der Kultur des News-Groups als eine Form gemeinschaftlicher Wissensproduktion herausgebildet haben.

9.1

Beim posten, download, reply, annotate ... vollziehen sich die Prozesse der Strukturierung, Überarbeitung von Texten sowie der Einbindung in andere Kontexte nicht mehr im Kopf eines einzelnen Autoren (oder am Rand des Manuskripts, zwischen den Zeilen des Probeausdrucks) , sondern sie ereignen sich bereits im öffentlichen Raum: es entstehen neue Diskurstechniken, ein verteiltes kollaboratives Entwerfen und Entwickeln von Ideen findet statt - ein Prozessieren von Text im wahrsten Sinne des Wortes.

9.1.1

Zur Ars Electronica in Linz findet man neben einem Überblick über sämtliche Kunstwerke und Projekte aus den Jahren 1987-1995 sowie den aktuellen Ausschreibungen und Planungen für das laufende Jahr ein offenes Forum zur Vorbereitung und online- Unterstützung des Symposions. Neben den abstracts oder mehr oder minder vollständigen Papers der eingeladenen Referenten ist hier der Diskursraum für alle Interessierten geöffnet: verteilt über eine Mailing-List wird über "MEMESIS - die Zukunft der Evolution" sehr lebendig und kontrovers 'diskutiert'. Die Texte und Argumente der anonymen Teilnehmer haben hier genausoviel Gewicht wie die der bekannten 'Meisterdenker', die jetzt nicht mehr im Zentrum des Diskurses stehen (etwa wie bei einer klassischen Podiumsdiskussion). Selbst die obligatorische Referenzliste mit Links zum thematischen Umfeld ist keinesfalls als unumstößliche Quelle der Weisheit vorgegeben, sondern auch hier lassen sich Anmerkungen vornehmen. (Open Forum MEMESIS (ars electronica Symposion 1996)

9.2

In diesen kollaborativen Systemen entstehen neue Formen von Online- Diskursen: Life-Chatting, Online-Interviews mit Referenten und Künstlern oder Konferenzsysteme, die die Nutzer selbst in die Lage versetzen, Statements abzugeben und Diskussionsrunden zu eröffnen.

9.2.1

In einer"Transkonferenz" zum Videofest Berlin etwa kann man an jeder Stelle der dort diskutierten Beiträge selbst einen Text einfügen: transconference (Videoweb Berlin)
.

9.2.2

Im Rahmen des Interface 3 network, das die online-Parallel-Welt zum Symposium war und schon im Vorfeld Vorbereitungen von Diskussionen zwischen Vortragenden und interessierten Netz- Teilnehmern ermöglichte, hat Regan King (bei dem ich mich an dieser Stelle noch einmal für die wunderbare Zusammenarbeit und den fruchtbaren Erfahrungsaustausch bedanke) von der telematic workgroup eine gemeinsam nutzbare Diskussions-Seite angelegt, auf der zum Thema 'Kollaborative Projekte' Kurzbeschreibungen eingegeben werden konnten, zu denen jeweils auch eine Reply-Möglichkeit vorgesehen war. Kollaborative Projekte

9.3

Auch auf die geselligen Formen literarischer Kommunikation wird in den Bezeichnungen und Benutzermethaphern der online-Foren bezug genommen. So laufen etwa aktuelle Debaten über literarische und netzpolitische Fragen im Salon von Netville: im roten, grünen und blauen Salon wird über Literatur im Netz, Strukturen und Kontrolle der Literaturverbreitung und über eigene Leseerfahrungen, Textexperimente und online- Schreibweisen diskutiert. Themenvorschläge für weitere Foren sind ausdrücklich von den Nutzern gefordert.

Salon (netville)

9.4.0

Eines der wenigen deutschsprachigen kollaborativen Schreibprojekte ist Storyline , das es durch eine einfache Verschachtelungsstruktur mehreren Autoren ermöglicht, gleichzeitig an derselben Geschichte (versetzt) zu arbeiten. Auf jeder Ebene der sich so immer weiter verzweigenden Geschichte hat der Leser die Möglichkeit, selbst einen eigenen Strang zu beginnen ... Wer hier die Konstuktivität und Komplexität von Wittgensteins Traktatus oder literarische Spielformen von der Radikalität eines Roussel (der nur über Klammersetzungen bis zu 9-fachen Verschachtelungsgrad nach dem Muster frame im frame im frame ... erreichte) erwartet, legt sicherlich falsche Maßstäbe an diese Art von 'Amateur'-Literatur an. Gerade in Deutschland fehlen entsprechende Traditionen (wie etwa creative writing- Bewegungen in den USA, wodurch dort auch akademische und wissenschafliche Kreise mit experimentellen Hypertext-Schreibweisen experimentieren.

Hypertext Project (Brown University)

9.4.0.1

Diese Spielformen kollaborativer Schreibprojekte lassen auch politische und soziale Bezüge vermissen, wie sie in den revolutionären Experimenten kollektiver Schreibweisen vom Typus 'operationeller Schriftsteller' zu finden waren. Es scheint sich eher das Bonmot vom Internet als einer Art 'Salon, der seine eigene Literatur hervorbringt' zu bewahrheiten, wie es Florian Cramer auf der Softmoderne II fallen ließ.

9.4.1

"Treefiction on the WWW" von Gareth Rees beschreibt die Geschichte dieses Genres (von den Experimenten der Gruppe Oulipo über Julio Cortázar bis hin zu Science Fiction und Fantasie-Serien, die sich dem Muster 'wähle dein eigenes Abenteuer aus' bedienen und fragt sich, warum es so wenig interessante Beispiele im Web gibt.

9.4.1.1

Downtown Anywhere
Choose Your Own Adventure Story

9.5

"Der Bildschirm ist nicht wie ein Fetisch, sondern er ist selbst der Fetisch ..." Ausgehend vom keyword "Fetisch" (das einerseits als komplexer Schlüselbegriff für europäische Theorieansätze steht - Anthropologie, Marxismus, Psychoanalyse -, andererseits aber auch magische und triviale Praktiken gleichermaßen bezeichnet, die heterogenes Material anhäufen/sammeln) bauen Gregory Ulmer und Regan King Webseiten auf, die verschiedene Teilnehmer als ein Werkzeug für kollektive Schreibprozesse nutzen können: jeder, der auf den gemeinsamen x- change space zugreift, kann - in Analogie zu kulturellen Austausch-Prozessen - eigene Dokumente hinzufügen und selbst auf der Ebene von Srcipts vorliegende Dokumente ändern. Schreiben im Netz als kulturelle Differenz-Erfahrung, die Erfindung eines 'online-pidgin', das auch zur Meta-Reflexion der vermeintliche 'eigenen' kulturellen Codes taugt. Schließlich können alle Teilnehmer die niedergelegten Dokumente, Strukturen, Programme etc. verändern. Show me your fetish!

9.5.1

Folgende Fetisch-Bereiche stehen zur Verfügung. POST-COLONIAL | GENDER | IDENTITY | FASHION | THE FOUR ZOAS | DIETRICH | BORGES | VOICE | PEDAGOGY | GENRE | PRIMITIVISM | EUROPEAN CINEMA | Im Verlaufe des Medienfestivals Interface 3 und von Forschungsprojekten an der Universität Florida in Gainesville werden Text und Bilder auf der Fetisch-Seite von den Teilnehmenden plaziert und durch Kommentare, Bemerkungen in Beziehung gesetzt. Parallel dazu wird eine Spiel- und Lernumgebung entwickelt, in der die Studenten Charaktere, Objekte und Räume konstruieren, mit denen man spielen kann. - MOOMARTRE: - logon: guest; hilfe: ?

9.5.2

In diese spielerische Lernwelt konnte Gregory Ulmer sich sogar von der Interface Tagung in Hamburg einwählen - und mit seinen Studenten kommunizieren - seine Kurse online abhalten. Fasziniered ist an dieser Arbeitsweise die Kombination von Web-Seiten mit anderen Online-Tools (ftp, mail, MOO), wodurch sehr flexible Wechselbeziehungen aufgebaut werden können. Während sich die Kommunikation im MOO eher für Spiele, das Ausprobieren von Rollen etc. eignet, werden über email Aufgaben gestellt, Protokolle verschickt, Thesen verbreitet. All diese Aktionen werden in dem "WEB Archive Greg Ulmer" abgelegt.

9.6

Textmaschinen und Maschinentexte von der Antike über John Cages Mesostics bis hin zu Software mittels derer Markov-Ketten erzeugt werden können (darunter auch der 'Politische Babble Generator', der Clinton und Gingrich-Reden erzeugt sowie verschiedenen Tools für Do-it-yourself- Prosa - ein pornographischer Geschichten-Schreiber, die Eliza-Abart Racter, sowie verschiedenen Tools zu Queneau, Burroughs etc.) finden sich unter: Textmaschinen und Maschinentexte

9.6.1

PLOTS UNLIMITED bietet Ihnen tausende spezifischer Plot-Segmente. PLOTS UNLIMITED versorgt Sie mit einer praktischen, einfachem, leicht zu bedienendem, einmaligen Bibliothek von über 5600 - mit Querverbindugen. versehenen - Narrations- Segmenten und überraschenden Kniffen, die Ihre Imagination in Höhenflüge versetzen - alles basiert auf den essentiellen Zutaten des Geschichten-Schreibens: Charaktere in Konflikten verwickelt! PLOTS UNLIMITED bietet Ihnen 200.000 mögliche Kombinationen von Geschichten! Egal ob Sie mit Kritzeln, Skizzen anfangen oder Löcher ausfüllen work-in-progress: PLOTS UNLIMITED bietet Ihnen Ergebnisse in Sekunden! Mit PLOTS UNLIMITED können Sie am Anfang, am Ende oder in der Mitte anfangen! Sie können rückwarts, vorwärts, verzweigen! Einfach wie ein Tastendruck oder Mouse-Click!

9.7

Ob das Internet für Kriegszwecke taugt oder für Literatur, ob sich die im Netz zirkulierenden Dokumente an Maschinen oder Menschen richten, ob die Literaturkritik nicht letztlich auch eine Maschine ist, ob die einzige kreative Tätigkeit mit dem Computer das Programmieren ist, ob die Hypertexte im WWW nur den Mythos der Beteiligung und der Kooperation vermitteln ... ist nicht gewiß. Eine Liste kollektiv erzeugter Gedichte findet sich auf den Seiten des "Electronic Poetry Center": Collective Poems

9.8

Frei nach dem antiken Vorbild des Gedächtnispalastes ist der "collective memory palace" eine imaginäre Architektur von kollektiven Erinnerungsplätzen. Verschiedene Räume enthalten Erinnerungsobjekte (Bilder. Texte, Sound) und können mit den Räumen anderer Personen verbunden sein.

9.9

Im virtuellen Ausstellungsprojekt "1002 Situations" wird über den Raum des WWW zunächst ein virtuelles Museum aufgebaut, in dem die Netzwerk-Teilnehmner Versatzstücke aus ihren persönlichen Welten plazieren und in Beziehung setzen. Beim FESTIVAL DER REGIONEN (15.9.-1.10. 1995 in Österreich) wurde dann das Meterial aus dem online-Projekt für eine wirkliche Austellung benutzt.

9.10

Willkommen zum weltweit ersten kollaborativen Satz! The world first collaborative sentence

9.11

Ein ständig aktualisiertes und (da diese Seiten unter "Hypernews" laufen) auch von den Besuchern erweiterbares und kommentierbares ausführliches Verzeichnis kollaborativer Technologien und Projekte verzeichnet folgende Kategorien: Konferenz-Systeme, Free for all und Guestbooks, Voting-Systeme, kollaboratives Entwickeln ...

Collaboration in the WWW

9.12

Als originelle Weiterführung von Kunst-Manifesten aller Art im Netz wartet das "Manifest of the ___________-Movement" auf die Eingaben der Benutzer, die ein Formular mit Lücken ausfüllen können, um so das Manifest zu personalieren und zu aktualisieren.

9.13

Der schon sprichtwörtlich gewordenen Tatsache des "Lost in Hyperspace" stehen mittlerweile mächtige Suchmachinen, Indexlisten und Software-Agenten gegenüber, die dem verwirrten und verirrten Forschungsreisen zur wichtigen Navigationshilfe werden können. Die in Zeitschriften und Büchern veröffentlichten Listen und Tips helfen in der online-Praxis oft nicht weiter, da Informationen hier keinesfalls festgeschrieben sind, sondern sich in ständiger Bewegung befinden.

9.13.1

Es gibt zunächst die klassischen - hierarchisch gegliederten - "Inhalts"verzeichnissen wie etwa Yahoo , worin mehr als 200.000 Web-Sites unter 20.000 verschiedenen Katagorien aufgelistet und verzeichnet sind bei über 800.000 Anfragen pro Tag. Nachdem Suchprogramme das Web nach Schlüsselwörtern durchkämmt haben, wird das Material 'per Hand' von einem 20-köpfigen Team sortiert. Konsistenz und inhaltliche Präzision sind das Ergebnis).

9.13.2

Intelligentere Suchmachinen arbeiten nicht mehr mit festgeschriebenen Viewpoints und Klassifikationen, sondern mit konzeptuellen Navigations-Tools, die sich mehr von den Such- Eingaben des Benutzers leiten lassen: EXCITE

9.13.3

Meta-Sucher kombinieren verschiedene Suchmethoden und suchen in verschiedenen Listen und Verzeichnissen. So lassen sich auch ftp-sites nach Software durchsuchen oder gar die zehntausenden von newsgroups nach Stichworten in den dort niedergelegten messages, z.b. mit savy search

9.14

Muser's Service ist ein Assistent für das Tagträumen: aus den Eingaben des Benutzers werden Assoziationsketten gebildet - es wird also eben jener Tätigkeit nachgegangen, die nach den ersten Hypertext- Konzepten (wie in Vannevar Bush "As we may think" schon 1945 beschrieben) die Grundlage des Hypertextens ist. Anfangs und Endpunkt der Kette werden gewählt, ebenso wie die Assoziations-/Verknüpfungsart nach verschiedenen rhetorischen Modellen (Ähnlichkeit, Folge, Bedingung, Kontrast ...). Die assoziative Datenbank kann durch Benutzereingaben erweitert werden. In einer interaktiven Installation wird der Besucher auf einem mit 37 Grad C temperierten Wasserbett empfangen ...

musers service

9.14.1

Man wird sich zunächst klarmachen müssen, daß der Bezug auf den Begriff der Assoziation eine Reinterpretation [...] der Netzmetapher bedeutet. [...] Füllt die Metapher des Netzes den psychologischen Assoziationsbegriff tatsächlich aus? Hat die Psychologe nicht immer auch von Assoziationen gesprochen, die bildhaft, verschwommen, überdeterminiert, flüchtig oder unartikulierbar waren? Assoziationen, denen keineswegs ein distinktiv-linearer oder netzförmig/multilinearer Charakter zugeschrieben werden kann. Ein weiteres Mal scheint über menschliche Denkvorgänge viel zu wenig bekann, als daß 'das assoziative Denken' (und sei es 'des Alltags') eine sinnvolle FOlie für technische Implementierungen darstellen könnte. (Winkler (1996), S. 54)

10.0

Moos sind Werkzeuge für kollaboratives Arbeiten und Spielen im Netz. Im Gegensatz zum WWW ermöglichen sie Kommunikation zwischen verschiedenen Nutzern gleichzeitig in Realtime in verschiedenen als (virtuelle) Räume gekennzeichneten Bereichen: beim Eintritt in diese spezifischen Räume können die dort befindlichen Objekte gleichzeitig von allen 'präsenten' Usern durch ganz spezifische Aktivitäten der verändert und manipuliert werden.

10.1

Als strukturelle Modelle - interfaces - für solche Konstellationen funktionieren bevorzugt räumliche Formationen, die asynchrone Vernetzungen verschiedener Materialien, Medien und Handlungsprozesse zulassen: Landkarten, wie etwa der (imaginierte) Plan einer Stadt oder eines Hauses in der klassischen Gedächtniskunst (als kulturelle Speicherplätze), die sich in vielfältiger Weise auch in der Literatur wiederfinden:

10.1.1

Ein hochgradig verschauchtelte und verräumlichte Roman-Konstruktion: etwa bei James Joyce, der den ganz normalen Tag des 16. Juni 1904 auf den Stadtplan von Dublin projiziert. (Joyce, James (1914), Ulysses, Triest, Zürich, Paris, Übers. (1975), Frankfurt/Main )

10.1.1.1

In einer aus Copyright-Gründen leider nie veröffentlichten Arbeit hat Klaus Dufke das dritte Kapitel des Ulysses wieder auf den Stadtplan von Dublin zurückprojiziert, so daß der Leser vom Plan aus in die entsprechenden Textstellen springen kann (als Text, teilweise animiert, und vorgelesen - in verschiedenen Versionen und Übersetzungen) sowie zu korrespondierenden Bildern - somit können verschiede Erzähl- und Assoziationsstränge verfolgt werden. (Programmiert mit Hypercard, lauffähig auf Macintosh, 8 MB - Informatinen über Klaus Duffke )

10.1.2

Der Querschnitt durch ein Pariser Wohnhaus , dient als Home-Page für einen Roman, in dem die Technik des mise en abyme - verbunden mit vielfältigen Katalogisierungen und Indexlisten - ein topographisches Lesen möglich macht..

10.2.1

In Perec, Georges (1982), Das Leben. Gebrauchsanweisung, Frankfurt/Main, übersetzt aus dem Französischen von Eugen Helmlé, Originaltitel (1978), Paris wird ein weitverzweigter Roman auf die Zimmer eines Mietshauses verteilt: 99 Kapitel (für alle Zimmer des Hauses inklusive Kellerräume, Treppenhaus, Eingangshalle, Hausmeisterloge), die nach Prinzipien von Schachbrettzügen durchquert werden. Aus den Strukturen des Text-Hauses werden immer wieder konstitutive Elemente für jedes Kapitel entwickelt, die die Konstellationen der Personen, das Mobiliar, biographische und geschichtliche Anspielungen, Zitate und literarische Bezüge miteinander vernetzen. Thematisch steht eine aberwitzige Geschichte um einen Puzzle-Künstler im Mittelpunkt der insgesamt wie ein Puzzle ausgelegten Geschichten.

10.1.3

Robert Coovers "Hypertext-Hotel" (in dem verschiedene Hypertext-Experimente der Brown University zusammenlaufen) arbeitet mit derselben Benutzermetapher:

10.1.4

Innerhalb des Waxweb-Projekts von David Blair (ein 'interkommunikativer' Film, bei dem die Zeitachse zugunsten von Querverbindungen aufgelöst worden ist, bestehend aus dreitausend WWW-Seiten, ca. fünfundzwanzigtausend Hyperlinks, fünfundachzig Minuten komprimiertem Video, fünftausend Standbildern) haben sich verschiedene autonome Arbeitsgruppen etabliert, die unterhalb der vorgegebenen Strukturen eigene 'Räume'/Foren aufbauen (z.B. eine 'womens's collaborative hypertext fiction working group' oder Vorbereitungen zu elektronischen Magazinen und Konferenzen. telnet://bug.village.virginia.edu 7777

10.1.5

Für Medienforscher ist am MIT der kooperative Konferenz- und Arbeitsraum MediaMOO verfügbar. Nach dem Durchqueren von Bar, Bibliothek, Theater, Ankleidezimmern und Tanzsaal kann man in einer 'himmlischen Höhle', die mit Papier und Schreibutensilien angefüllt ist, einen 'poetry-generator' aktivieren: "This machine will generate truly random poetry in an anarchist-dadaist-schizo-mental-paranoid way. Just type in 'activate poetry generator' to switch it on." Informationen zu Web-basierten MUDs finden sich unter: http:chiba.picosof.com/about. William Gibson Fans dürften mit dieser Mischung aus graphischen WWW-Seiten, auf die jetzt interaktive Eingriffe seitens der Nutzer möglich sind, gespannt sein.

10.1.6

The Sprawl implementiert Cyberspace-Welten - inklusive dem Entwurf für eine neu Art der virtuellen Universität.

10.1.7

Siehe auch Grassmuck (1995: 54), der auch eine Sammlung von Links zum Thema MUDs zur Verfügung stellt.

11.0

Mit der Ausbreitung virtueller Städte entstehen ganz konkret neue Territorien, neue Landkarten, Nachbarschaften und soziale Welten quer zu Nationalitätengrenzen. Ähnlich den subversiven Karten der Situationisten (auf denen die 'Brennpunkte' der 68er-Bewegung von Paris nach Berlin usw. ... unmittelbar ineinander übergingen) begreifen sich die 'lokalen' internationalen Städte als Knotenpunkte einer weltweiten Vernetzung von kulturellen und gesellschaftlichen Projekten - lokal und global gleichzeitig.

11.0.1

Die Stadtmetapher scheint das geeignete Struktur- Funktions- und Gebrauchs-Modell für die neuen öffentlichen Schreib-, Spiel- und Aktionsräume im Netz zu sein. Noch expliziter als in den virtuellen Spielwelten werden hier gerade die Übergänge zwischen privaten und öffentlichen Räumen zu den Zonen, in denen ein ganz neuer offener Produktions-Raum sich herausbildet - ein offener (multimedialer) Text in dem gelebt werden kann.

11.0.1.1

In der antiken Gedächtniskunst stellt sich der Redner eine Stadt vor: im Prozeß des gezielten Umherschweifens durch Erinnerungsorte rekonstruiert er seine Rede wieder. Das Internet selbst erscheint den Nutzern als "Global Village", die ganze Welt letztlich als ein topographisches Netz mit Kommunikations- und Verkehrsverbidungen analog zu dem universellen Medium Stadt, in der sich die Menschen als Fremde - unabhängig von Status, Geschlecht, Herkunft begegnen können. Das faszinierende Spiel der verschiedenen Informations- Kreisläufe einer solchen 'Megalopolis' wird in vielen Spielen (z.B. Sim City) entfaltet. Die Stadt als Benutzeroberfläche findet sich etwa in Apples online-Service "e-world" oder auch in Entwürfen zu Bedienungsoberflächen für interaktives Fernsehen. Siehe auch: "Telepolis"
.

11.0.2

Die 'Einwohner' können eigene Seiten gestalten, die entweder von allen gelesen werden können oder nur von bestimmten Gruppen - private Messages können durch Paßwörter geschützt werden. Aus der Tradition der Community-Networks in den USA (in den 70er Jahren) entwickelten sich z.B. auch Netzwerk-Projekte von Obdachlosen, die auf diese Weise ein politisches und kulturelles Forum aufbauten. Die "Digitale Stadt Amsterdam" hat schon 10000 'Einwohner' und ca. 3000 'Besucher' pro Tag - sie entstand im Kontext der Hausbesetzer-Bewegung und Medienexperimenten mit Piraten-Radios. Im Umfeld dieser Bewegungen entstehen auch ganz 'reale' Orte, die versuchen, diesen Medien- und Gesellschaftsutopien Raum zu geben: Cyber-Cafès, Galerien, Clubs.

11.0.3

Die "Internationale Stadt Berlin"

12.0

Willkommen zu HYPERNATION. Sie sind eingeladen, die Frage zu unersuchen, was das Konzept einer Nation im Cyberspace ist. Dies ist ein freier Ideen-Austausch. Träume, Rätsel, Witze, imaginäre Landkarten sind willkommen (in Text, Bild, Sound oder Video). Alle Sprachen werden gesprochen. Beiträge dieser Diskussion werden möglicherweise editiert und auf einer Web-Seite niedergelegt. Live Teleperformance Events werden stattfinden. Als kollektiver Text wird das HYPERNATION-Projekt ungefähr drei Monate andauern. Begleitet von Hank Bull in Vancouver.

13.0

Die Aktivitäten von PooL-Processing haben von Anfang an das klassische Copyright - insbesonders den bürgerlichen Mythos vom Besitz, Eigentum und Verfügungsgewalt über Texte, Artefakte, Ideen etc. radikal in Frage gestellt und versucht, Praktiken gemeinschaftlichen Produzierens auszuprobieren. Nach einer frühen Sammlung von Texten, Theoriefragmenten und Dokumenten zur Medienkunst (in der "Agentur für ästhetische Informationen", EMAF 88 und 89 Ars 89, wo wir als "Agenten" einen offensiven Umgang mit Informationskanälen, Datenbanken etc. initiieren wollten), haben wir das Prinzip der Intertextualität (vgl. 7.01) in der "Imaginären Bibliothek" inszeniert.

13.0.1

In der "Imaginären Bibliothek" findet sich Text-Material (Essays, Vorträge, Katalogbeiträge, Manifeste, Entwürfe ...) von Pool-Processing (siehe 13.1) - auch dieser Text nebst allen Absprungadressen!) Als "elektronische Essays" versuchen wir entsprechende hypertextuelle Umsetzungen der verschiedenen Text-Konzepte.

13.1

Die Idee, daß die Poesie von allen gemacht werden sollte, nicht von einzelnen Autoren, haben wir hier durch die Prinzipien der Entwendung, des Plagiats, der mißbräuchlichen Entwendung in Szene gesetzt: Der Leser wird zum Held, der auf hypertextuellen Oberflächen herumreist, Text-Bausteine kombiniert, kompiliert, Abstrungmarken folgt und unvermittelt in 'anderen' Text-Stellen 'landet' ...

13.2

Weitere Text-Transformationen im Kontext des Projekts PooL-Processing (Heiko Idensen/Matthias Krohn - Hyper-Media-Projekte seit 1987 -die diese Leserbeteiligung auf verschiedenen Ebenen zu provozieren versuchen:

13.2.1

Eine Navigation durch die PooL-Datenbank zur Ars Elektronica 1989 (Idensen/Krohn 1990a) ist der Versuch, das Symposion "Im Netz der Systeme" in den Kontext anderer Materialien des Medienkunstfestivals zu stellen: Beschreibungen, Entwendungen, Pastiches von Installationen, Katalog- und Archiv-Texte mischen sich mit Passagen aus den Vorträgen (der verhinderte Paul Virilio wird über Zitate aus seinen Veröffentlichungen wieder eingeschleust). Die (übertrieben) utopischen Forderungen damaliger Medientheoretiker werden in einem post- futuristischen "Manifest für virtuelle Produktionen" persifliert: "Die Losung heißt nicht mehr, 'Der Autor muß Agent der Massen sein!', sondern 'Aus Konsumgütern PRODUKTIONSMITTEL machen!'; nicht mehr 'Alle Macht der Phantasie!', sondern 'Aus Projektionen Projektile machen!' [...] Das Plagiat it notwendig! Wir alle sind Hacker, Cyber-Punker, Kopisten, Simulanten, Neuromancer, Enzyklopädisten, Kombinatoriker, Wunschmaschinen, Warhols, Ecos, Weibels, Sonys [...] Freien Zugang zu allen Terminals, Datenbanken und Archiven! [...] 'BEAM ME UP, SCOTTY!' " (ebd.: 139)

13.2.2

In "Bild-Schirm-Denken" (Idensen/Krohn 1994: 245-266) wird ein alphabetisch organisiertes "Manual für hypermediale Diskurstechniken" vorgelegt, das aus kleinsten Operationen/Handlungen zusammengesetzt ist. Durch "Hin- und Herschicken, Aussieben, Umschreiben, Löschen, Kopieren" (ebd.:246) kleinster Theorie-Momente hat sich diese Textur herausgebildet, die mit zahlreichen Querverweisen durchsetzt ist, um den Leser zum Navigieren durch den Text anzuregen:. "Das vorliegende Glossar soll zu einem enzyklopädischen Gebrauch anregen: Nachschlagen, Querverweisen folgen, Querlesen und -denken. (ebd.:245)

13.2.3

Der Text "Zur Natur digitaler Medienwelten" (Idensen 1994) wird vor dem Auge des Lesers auf einen Computer-Screen projiziert (als Animation, Bildschirm-Schoner, durchsetzt von Systemmeldungen und entsprechenen Eingaben als Regieanweisungen). Die Entstehung von Texten aus Datenbanken, und Versatzstücken aus Netzwerken mit Hilfe eines intelligenten Screen-Writers wird simuliert: Die Entstehung des Textes beim Klicken.

13.2.4

In "Die Poesie soll von allen gemacht werden!" und "Schreiben/Lesen als Netzwerk- Aktivität" wird der Mythos vom Hypertext als generalisierter Fußnote in Szene gesetzt, wobei der umfangreiche Fußotenteil beider Texte fast identisch ist, während die 'Haupttexte' jeweils eine andere Gewichtung des Materials in den verschiedenen Kontexten der Sammelbände vornehmen.

13.3

Im Kontext der jährlichen Tagungen "HyperKult" an der Universität Lüneburg erscheint eine Hypertext-CD-ROM, die die meisten der hier angesprochen (deutschsprachigen) Hypertexte enthält. Information über Martin Schreiber: schreiber@uni-lueneburg.de

 

13.4

In Kooperation mit dem Medienfestival Osnabrück erscheint eine CD-ROM mit Netzwerkdokumenten aus den Bereichen Hyperkultur/Hyperfiktion/Hyper-Art/Film und Video im Internet/Zensur/WebGrrls/Musik/ ... Projektbeschreibung und Links (auch zu den hier angesprochenen Projekten, sowie Informationen darüber, wie die einzelnen Mailings-List bestellt werden können ...)

13.5

Feedback: idensen@cl.uni-hildesehim.de

14.1 Hotlist zu kollaborativen Projekten im WWW

alt-x: are you indecent?
24 Hours of Democracy: reading the Essays (Random)
Electronic Frontier Foundation: blueribbon-Kampagne
Brown University: Freedom to Write Conference
Brown University: Hypertext-Program
The File Room
StreikZEIT (uni-hildesheim.de)
The SPOON-Collective (PoMoPhil Mailinglists)
Panic Encyclopedia
SPOON: Deleuze/Guattari Home
Enter the Palace (Collectiv Memory Palace
NWHQ (hypertext magazine)
Philosophia Perennis
ars electronica: open forum MEMESIS
Online Literaturpreis (ZEIT/IBM)
Agentur BILWET
MEMESIS Reference Liste/A>
View Roy's Guestbook
The Arts Forum - Welcome
Home: Pit Schulz
C@C: Discussion
WWW Collaboration Projects
Kollaborative Projekte (Workshop Interface 3 Hamburg 1995)
Tree fiction on the WWW
The World's Automatic Writing (Surrealism)
The Commonplace Book
E/Street Map
x-chance space: The FETISH Project
Fetish: History
Transkonferenz (Videofest Berlin)
SALON (netvile)
Storyline (Kollaboratives Schreibprojekt)
StoryPlot (koll.Schreibprojekt)
The ________ MOVEMENT
SITO SYNERGY collab projects
nettime
Electronic Poetry Centre (koll. Poem)
Compose a story

 

14.2 OFFLINE Readings

Agentur Bilwet (1993), Medien-Archiv, Bensheim und Düsseldorf

Agentur Bilwet (1995), Der Datendandy. Über Medien, New Age Barthes, Roland (1974): Die Lust am Text, Frankfurt/Main

Bolter, Jay David (1991), Writing Space. The Computer, Hypertext, and the History of Writing, Hillsdale

Bolz, Norbert (1993), Am Ende der Gutenberg-Galaxis, München

Burroughs, William (1982), Die elektronische Revolution, ohne Ort (Expanded Media Edition), Originaltitel (1970), Electronic Revolution

d'Alembert, Jean Le Rond/Diderot, Denis u.a. (1989), Enzyklopädie. Eine Auswahl, Frankfurt/Main

Cicero (1976), De oratore (Über den Redner), Stuttgart

Cortázar, Rayuela (1981), Himmel und Hölle, Frankfurt/Main, Originaltitel: Rayuela, Buenos Aires, 1974

Cortázar, Rayuela (1979) Von einer anderen "Machine célebataire", in: Reise um den Tag in 80 Welten, Frankfurt / Main 1979, S. 95-106, Originaltitel: La vuelta al dÃa en ochenta mundos, Buenos Aires, 1979

Derrida, Jacques (1974), Grammatologie, Frankfurt/Main, Originaltitel (1967), De la grammatologie, Paris

Dyens, Ollivier (1995), the movement of evolution, in: Nonlocated online > Digitale territories, incorporations and the matrix, Innsbruck (ISSN 1019-4193), map Xa

Eco, Umberto (1973), Das offene Kunstwerk, Frankfurt/Main, Originaltitel (1962), Opera aperta, Mailand

Genette, Gérard (1993), Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt/Main, Originaltitel (1982), Palimpsestes. La littérature au second degré, Paris

Grassmuck, Volker R. (1995), Die Turing Galaxis. Das Universal-Medium auf dem Weg zur Weltsimulation, in: Lettre International, Heft 28, I/95, S. 48-55

Haraway, Donna: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt 1995

Idensen, Heiko/Krohn, Matthias (1990a), "Connect it! Eine Navigation durch die PooL-Datenbank zur Ars Electronica 1989", in: Ars Electronica (Hg.), Im Netz der Systeme, Berlin, S. 123-140

Idensen, Heiko/Krohn, Matthias (1990b), "Vom Hypertext in der Kunst zur Kunst des Hypertext", in: Peter A. Gloor/Norbert A.Streitz, Hypertext und Hypermedia, Berlin, S. 296-300

Idensen, Heiko/Krohn, Matthias (1991), "Ideen als Objekte", in: Rötzer, Florian (Hrsg.), Digitaler Schein - Ästhetik der elektronischen Medien, Frankfurt/Main , S. 371-396

Idensen, Heiko/Krohn, Matthias (1994), "Bild-Schirm-Denken. Manual für hypermediale Diskurstechniken", in Norbert Bolz/Friedrich Kittler/Christoph Tholen (Hg.), Computer als Medium, München, S. 245-266

Idensen, Heiko (1993), "Hypertext als Utopie", in: nfd (Zeitschrift für Informationswissenschaft und -praxis), 1-93, S. 37-42

Idensen, Heiko (1994), "Hypermedia-Kulturtechniken: Zur Natur digitaler Medienwelten", in: Jan Berg/Kay Hoffmann (Hg.), Natur und ihre filmische Auflösung, Marburg

Idensen, Heiko (1996a): Die Poesie soll von allen gemacht werden! .Von literarischen Hypertexten zu virtuellen Schreibräumen der Netzwerkkultur, in: Kittler, Friedrich A. / Matejovski, Dirk (Hg.): Literatur im Informationszeitalter, Frankfurt/Main , S. 143-184

Idensen, Heiko (1996b): Schreiben/Lesen als Netzwerk-Aktivität. Die Rache des (Hyper-) Textes an den Bildmedien, in: Schneck, Ernst Peter; Mayer, Ruth; Klepper, Martin (Hg.): Hyperkultur. Zur Fiktion des Computerzeitalters, Berlin, S. 81-107

Joyce, James (1914), Ulysses, Triest, Zürich, Paris, Übers.

(1975), Frankfurt/Main

Joyce, James (1947), Finnegans Wake, New York

Kittler, Friedrich (1987), Aufschreibesysteme 1800/1900, München

Kittler, Friedrich (1993), Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig

Landow, George P.(1992), Hypertext. The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology, Baltimore / London

Lyotard, Jean-Francois (1982), Das postmoderne Wissen, Wien, Originaltitel (1979), La condition postmoderne, Paris

Lyotard, Jean-Francois mit anderen (1985), Immaterialität und Postmoderne, Berlin

Mc Luhan, Marshal (1968), Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters, Düsseldorf und Wien, Originaltitel (1962), The Gutenberg Galaxy, Toronto

Moulthrop, Stuart: Informand and Rhetoric: A Hypertextual Experiment, in: Writing on the Edge, Vol. 4, Nr. 1, Fall 1992, S.103-127

Nelson, Theodor, Holm (1981), Literary Machines, Swarthmore

Nelson, Theodor, Holm (1987), Computer Lib/DreamMachines, Redmond

Nonlocated online > Digitale territories, incorporations and the matrix, Innsbruck 1995 (ISSN 1019-4193)

Ong, Walter J.(1987), Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes, Opladen, Originaltitel (1982), Orality and Literacy. The Technoligizing of the Word, London

Perec, Georges (1982), Das Leben. Gebrauchsanweisung, Frankfurt/Main, Originaltitel (1978), Paris

Proust, Marcel (1957), Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Band I-XIII, Frankfurt/Main, Originaltitel (1920), A la recherche du temps perdu, Paris

Queneau, Raymond (1984), Hundertausend Milliarden Gedichte, Frankfurt/Main, Originaltitel (1961), Paris

Riehm, U.; Böhle, K.; Gabel-Becker, I.; Wingert, B.(1992a), Elektronisches Publizieren. Eine kritische Bestandsaufnahme, Berlin

Riehm, U.; Böhle, K.; Wingert, B.(1992b), Bücher über Hypertext und Hypertexte der Bücher. Erfahrungen aus einer Evaluation, Karlsruhe

Rötzer, Florian (Hg.)(1991), Digitaler Schein, Frankfurt/Main

Ronell, Avital (1989), The Telephone Book. Technology, Schizophrenia, Electric Speech, London

Spoerri, Daniel (1968), Anekdoten zu einer Topographie des Zufalls mit dem Anekdotenallerlei von Emmett Williams, übersetzt und dangereichert von Diter Rot, Neuwied und Berlin

Harmut Winkler: Dokuverse. Zur Medientheorie der Computer. Monographie in Vorbereitung

Yates, Frances A. (1990), Gedächtnis und Erinnern: Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare, Weinheim, Originaltitel, (1966), The Art of Memory, London


Quelle: http://www.uni-hildesheim.de/ami/kollab.html