An den Beginn dieses Artikels möchte ich einen den Auszug eines Beitrags stellen, der am 8. Dezember 1995 in der Neuen Zürcher Zeitung unter dem Titel "Die Bibliothek auf dem Schreibtisch - Das Internet und seine Vordenker" von Ruth West erschienen ist:
In zunehmendem Maße werden Informationstechnologien benutzt, ohne daß der Nutzer im mindesten versteht, wie diese aufgebaut sind. Dadurch entgeht ihm ein Verständnis des eigentlichen Potentials der neuen Medien. Man kann einen Computer durchaus als hochintelligente Schreibmaschine nutzen oder das Internet lediglich dafür, elektronische Post zu verschicken. Nur, dann wird einfach eine Arbeit etwas schneller als früher erledigt, aber nichts Neues hat sich entwickelt. Um Implikationen der digitalen Welt des Internet wirklich abschätzen zu können, ist außerdem ein Verständnis des historischen Zusammenhangs ebenso wie der medientheoretischen Entwicklung nötig.
Der Wissenschaft gelingt es kaum, mit derselben Geschwindigkeit Instrumente für die theoretische Beurteilung von Medien wie dem Internet zu entwickeln, wie sich die Technologien selber vorwärtsbewegen. Hinzu kommt, daß die sogenannte kulturelle Elite sich bis jetzt zum Phänomen Internet kaum äußert. Eine Ausnahme ist John Brockman, zur kulturellen Avantgarde der USA gehörend, der in seinem neuen Buch "The third culture" das Desinteresse der Geisteswissenschafter an der Technik kritisiert. Viele Intellektuelle verhielten sich neuen Medien gegenüber geradezu reaktionär, seien oft noch stolz auf ihre Ignoranz und brüsten sich damit, das sie selbst nie einen Computer benutzen würden. (aus: Zürcher Zeitung, 286/8.12.95/S.39-40)
In diesem Zusammenhang sind auch Pädagogik und Schule aufgerufen, das Phänomen Internet zu diskutieren:
"Zum Beispiel ist es im Bereich unserer Schulen dringend geboten, sich auf die Möglichkeiten und Probleme elektronischer Kommunikation einzustellen."
Peter Rastl, Leiter des EDV-Zentrums der Universität Wien (Der Standard - Beilage: Internet Direct, 12.12.1995, S.1)
Welcher Ort oder welches Medium könnte sich für eine derartige Diskussion besser eignen als das Internet selbst ?
1. Das Internet als Kommunikations- und Informationsmedium muß vor allem auch Forschungsgegenstand von Wissenschaftsdisziplinen werden, die vorrangig nicht durch eine rein technische Orientiertheit charakterisiert sind.
2. Das Internet muß als völlig neues, interaktives und mit herkömmlichen Textstrukturen kaum vergleichbares Medium verstanden werden. Nur so kann die Wiederholung alter Kommunikations- und Informationsstrukturen in einem neuen Gewand verhindert werden.
3. Das Internet wird ein vorrangig textorientiertes Medium bleiben. Daher sind gerade jene aufgerufen, sich mit den Produktions- und Rezeptionsmöglichkeiten vernetzter Systeme auseinanderzusetzen, deren Arbeitsgegenstand vornehmelich die Produktion, Rezeption und Vermittlung von Texten und Textstrukturen darstellt.
4. Das Internet setzt sich selbst ständig der Gefahr aus, in einer Überfülle von unorganisierten und in zunehmendem Maße auch unrelevanten Daten zu ersticken. Die "Kunst der Suche" wird mit dem zunehmenden Anwachsen der Datenfülle im Netz zu einem entscheidenden Faktor betreffend die Funktionalität des Internet. Ohne geeignete Suchstrukturen entwickeln sich Informationsangebote zunehmend zu einem funktionslosen Datenkonglomerat ohne jegliche Existenzberechtigung in einer Kultur, die, um ein Wort von Sigmund Freud zu verwenden, jeden Augenblick wie eine Seifenblase zu zerplatzen droht.
5. Das Internet muß in zunehmendem Maß mit wirklich sinnvollen Inhalten gefüllt werden. Wenn ein Medium prinzipiell die Möglichkeit bietet, allen alles zu sagen, dann wird das Medium selbst irgendwann gar nichts mehr zu sagen haben.
(Fortsetzung folgt)