Dr. Hans Hänni, wiss. Mitarbeiter, Didaktikzentrum ETHZ
Das "Information Age" hat begonnen. Die Informationstechnologien
eröffnen uns nie dagewesene Möglichkeiten der Erfassung,
Speicherung, Übertragung und Darstellung von Information sowie
der weltweiten Kommunikation. Sie beeinflussen zusehends auch die
Lehre. Es gilt daher heute zu überlegen, wie die neuen Medien
sinnvoll in den Lehr- und Lernprozess integriert werden
können.
Multimedia und Internet erobern die Welt und mit ihr auch die
Hochschulen. Die Möglichkeiten, die sie eröffnen, sind
attraktiv: Multimediale, interaktive Wiedergabe audiovisueller
Information auf einem Arbeitsplatzrechner, dazu weltweite digitale
Kommunikation mit Zugang zu einer nie dagewesenen Fülle
elektronisch erfasster Text-, Bild- und Tondokumente, wie sie die
Internet-Dienste Electronic-Mail (E-Mail), File-Transfer-Protocol
(FTP) und World Wide Web (WWW) heute erlauben. Sie alle bieten sich
für eine Nutzung im Unterricht geradezu an. Der Trend zu
elektronischen Unterrichtsmedien und -hilfen hat denn auch seit
einiger Zeit eingesetzt. In welchem Masse sich der
Hochschulunterricht in Zukunft aufgrund der Informationsrevolution
verändern wird, ist offen. Wichtig ist aber, dass sich die mit
der Lehre betrauten Personen heute darüber Gedanken machen, wie
die Möglichkeiten der neuen Medien in einer zeitgemässen
Ausbildung der Studierenden genutzt werden können.
Ein Anwendungsgebiet steht dabei im Vordergrund:
Computergestütztes, eigenständiges Lernen.
Selbstaneignung von Standardwissen durch computergestütztes
Lernen
Herkömmliche Lehrveranstaltungen mit Frontalunterricht zeitigen,
besonders wenn sie mit Übungen gepaart sind, im allgemeinen gute
Lernerfolge. Sie haben indessen den Nachteil, dass sie örtlich
und zeitlich fix sind, und dass sie individuelle Unterschiede der
Studierenden wie Vorkenntnisse, Interessenslage, Lernvoraussetzungen
und -verhalten wenig berücksichtigen können. Auswahl,
Methode und Rhythmus der Stoffdarbietung werden zudem weitgehend von
den Dozierenden bestimmt und passen, besonders wenn sich die
betreffende Lehrperson zu wenig um Feedback bemüht, oft nur auf
einen Teil der Studierenden. Die Folgen für die
"randständigen" unter ihnen sind Unter- oder Überforderung,
rasche Ermüdung und Demotivation. (Das Spektrum der
studentischen Kommentare bei den Unterrichtsbeurteilungen zeigt dies
immer wieder deutlich auf.)
Das eigentliche Lernpotential wird bei zahlreichen Studierenden erst
durch einen interaktiven und individualisierten Lernprozess voll
ausgeschöpft, was im Frontalunterricht nur bedingt möglich
ist.
Hier ergibt sich mit den neuen Medien eine Chance: Standardwissen
kann heute auch durch computergestützte Methoden (Computer Aided
Learning CAL), das heisst multimediale Selbstlernprogramme, welche
Theorie und Anwendung, Lernstoff und Übungen in einer Einheit
darstellen, vermittelt werden.
Die Vorteile davon sind: Ungestörtes, selbstverantwortliches
Lernen, örtliche und zeitliche Unabhängigkeit, potentiell
erhöhte Effizienz durch eine den eigenen Bedürfnissen
entsprechende Vorgehensweise, Motivation durch eingebaute
Lernerfolgskontrolle (wichtig vor allem im ersten Semester),
jederzeit abrufbare Hilfsfunktionen, Stichwortsuche und - bei Nutzung
der Internet-Dienste - unmittelbarer und weltweiter Zugang zu
aktueller Fachinformation.
Paradigmawechsel: Vom Lehren zum Lernen
Ein weiterer gewichtiger Vorteil der lernerzentrierten Methoden ist
die Verlagerung der Verantwortung für den Lernerfolg zu den
Lernenden selbst. Dies ist angesichts der wachsenden Bedeutung des
lebenslangen Lernens heute essentiell.
Für die DozentInnen andererseits bedeutet dies, dass sie
vermehrt in der Lage sind, den Studierenden bei der Verarbeitung und
Vertiefung des Stoffs beizustehen. Hier braucht es ja ganz besonders
die Erfahrung, das Wissen und die Übersicht der Lehrperson,
ebenso wie ihr Sensorium für mögliche Schwierigkeiten und
ihren Enthusiasmus für das Fachgebiet.
Die Erkenntnis, dass den Lehrenden im "Information Age" vermehrt
diese andere, aber nicht weniger wichtige Rolle zukommt, setzen sich
vorab in den USA, wo der Einsatz der modernen Technologien im
Hochschulunterricht grosse Fortschritte macht, zusehends durch. Man
spricht dort bereits von einem eigentlichen Paradigmawechsel: "From
the sage on the stage to the guide on the side."
Lernen mit neuen Medien - auch an der ETH
Während vorab Grossfirmen im Zuge der Globalisierung zum Teil
schon seit Jahren auf CAL und Fernausbildung (Distance Learning)
setzen, trifft man diese Methoden im Hochschulunterricht erst
vergleichsweise wenig an. In zahlreichen Ländern, so auch in der
Schweiz, sind sie jedoch heute im Kommen, und die Erfahrungsberichte
sind allgemein sehr ermutigend.
An der ETH werden bereits heute neue Medien im Unterricht eingesetzt:
beispielsweise Computer Aided Design (CAD)-Software in der Abteilung
IIIA, Computer Aided Architectural Design (CAAD)-Programme in der
Abteilung I, multimediale Mathematikpakete (die zum Teil von
ETH-Dozenten entwickelt wurden) im Mathematik-, Physik- und
Informatikunterricht verschiedener Fachrichtungen, sowie Molecular
Modelling-Systeme in Chemie und Pharmazie.
Im Kommen ist der Einsatz von WWW, E-Mail und ähnlichen
Werkzeugen für die Gruppenkommunikation (vor allem im
Übungsbetrieb) und als kursunterstützende Plattformen zum
Verteilen von Unterlagen, so etwa in der Elektrotechnik, Informatik,
in den Betriebs- und Produktionswissenschaften und der
Umweltnaturwissenschaft. Auch gibt es schon Versuche mit
Fernunterricht in der Architektur und in der Elektrotechnik (Projekt
TELEPOLY des TIK, gemeinsam mit der EPFL).
Die Subkommission für Studiengestaltung organisiert im Mai 1996
für die Professoren- und Privatdozentenschaft eine Diskussions-
und Informationstagung (siehe Kasten), an welcher neben andern
Referenten mehrere ETH-Dozenten ihre Erfahrungen mit neuen Medien im
Unterricht mitteilen.
Die Tatsache, dass in allen Berufsbereichen, in welchen
StudienabgängerInnen der ETH normalerweise tätig sein
werden, die neuen Informationstechnologien Einzug halten und
zusehends an Bedeutung gewinnen, verlangt, dass der Umgang mit den
modernen Medien in bezug auf Wissensaneignung,
Informationsbeschaffung und Arbeitstechnik künftig ein fester
Bestandteil des Unterrichts wird.
KastenDie Subkommission für Studiengestaltung der ETHZ
widmet ihr nächstes Wochenendseminar dem Thema "Lehren
und Lernen mit lokaler und weltweiter Vernetzung". Die
Tagung findet am 3. Mai 1996 im Interkantonalen Technikum
Rapperswil/SG (ITR) statt und ist traditionsgemäss der
Professoren- und Privatdozentenschaft vorbehalten. Bei
Interesse ist aber beabsichtigt, die Diskussion später
in erweitertem Kreise fortzuführen. |