Wie wird Wissen wirksam?

Die österreichischen Universitäten stehen vor neuen ökonomischen und organisatorischen Herausforderungen. Die Budgets schrumpfen und die Aufgaben wachsen. Welche Handlungsmöglichkeiten bleiben? In diesem Kontext steht das Thema des ersten Bandes der iff-Texte "Wie wird Wissen wirksam?". Ein Beitrag des Instituts für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung.

In den Vorstellungen von der Steuerung komplexer Sozialsysteme hat sich in den letzten Jahren sowohl in der Gesellschafts- und Organisationstheorie als auch in den Konzepten von Management und Führung ein Paradigmenwechsel vollzogen. Die Universitäten sind als Organisationen der Wissensproduktion durch diesen Paradigmenwechsel in mehrfacher Hinsicht radikal gefordert. Sie durchlaufen einen Prozeß der Dezentralisierung und Autonomisierung, der sie zwingt, sich immer stärker als Gesamtorganisation zu verhalten. Heute stehen sie als Kooperationspartner vielfach nicht zur Verfügung, weil sie als Ganzes nicht handlungsfähig sind. Neben den wissenschaftsimmanenten Erfolgskriterien müssen sie die Selbststeuerung nun auch an Kriterien wie Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Bedarfsgerechtigkeit ausrichten.

Die Universität verliert zusehends das Monopol über Wissensproduktion. Viele andere Systeme generieren und verarbeiten heute Wissen: Industrieunternehmen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen oder Beratungsunternehmen. Diese neue Konkurrenz führt zu anspruchsvollen Kooperationen zwischen Organisationen. Um ihre Arbeitsweise neuen gesellschaftlichen Problemlagen und veränderten Bedingungen der Wissensproduktion anzupassen, benötigen die Universitäten neue organisatorische Strukturen. Sie müssen sich darauf einstellen, daß sie es in der heutigen Gesellschaft mit anderen Klienten zu tun haben, daß vor allem auch andere Organisationen Adressaten und Anwender von Wissenschaft sind. Wenn die These von der primär organisationsförmigen Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme stimmt, dann bedeutet Wissen vermitteln, Interventionen in soziale Systeme zu setzen. Diese Systeme verändern sich jedoch nach ihrer eigenen Logik, die sich von der Logik der Wissenschaft unterscheidet.

Wie können Forschungsergebnisse und Erkenntnisse wirkungsvoll an andere komplexe soziale Systeme kommuniziert werden? Das ist eine Schlüsselfrage, die sich die universitär organisierte Wissenschaft stellen muß. Wie können zum Beispiel gesundheitswissenschaftliche Erkenntnisse über die Gestaltung von Arbeitsplätzen in Unternehmen wirksam werden? Wie kann Wissen über Qualität medizinischer Versorgung als Grundlage für eine Reform der Krankenversorgung genutzt werden? Wie können Erkenntnisse der Gesundheitssystemforschung für die Gestaltung von nationaler oder regionaler Gesundheitspolitik nutzbar gemacht werden? Diese Fragen stellen sich nicht nur in bezug auf das Gesundheitssystem , sondern auch für andere gesellschaftliche Subsysteme, wie Politik, Verwaltung, Erziehung oder Technologieentwicklung in der Wirtschaft. Unterläßt es die Wissenschaft, ihr Verhältnis zu anderen relevanten Systemen zu reflektieren, verzichtet sie auf ihre Wirkung.

Das Verständnis des Instituts für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (iff) von ëGesellschaftlichem Lernení beinhaltet die Auseinandersetzung mit Veränderungen in gesellschaftlichen Problemfeldern und damit der wissenschaftlichen Intervention in relevante Gesellschaftsbereiche. Damit ist nicht jenes verkürzte Verständnis von ëpraxisrelevantemí Wissen gemeint, das nur jene Forschung akzeptiert, die unmittelbar in Handlungen umsetzbar ist. Hier geht es vielmehr um die Entscheidung, die Wirkung mitzudenken, die das generierte Wissen in den betroffenen Systemen auslöst. Gesellschaftliches Lernen setzt einen Wandel der universitären Arbeitsweise und der Selbstorganisation der Universitätseinrichtungen voraus. Das universitäre Wissenschaftssystem wird an gesellschaftlicher Unterstützung gewinnen, wenn es ihm gelingt, die für die eigene Zukunftsfähigkeit notwendigen Lernprozesse zu bewältigen. Interventionen, die von der Wissenschaft selbst ausgehen, können dazu beitragen, diese Lernprozesse zu initiieren und zu begleiten. Solange die Universitäten "nicht die Kraft aufbringen - und den externen Druck dafür wahrnehmen - sich selbst zu transformieren", meint der Bielefelder Systemtheoretiker Helmut Willke im ersten Band der iff-texte, "werden sie nicht mit einer überzeugenden Antwort auf die Frage hervortreten, welche Leistung es ist, die nur sie und kein anderes Teilsystem der Gesellschaft erbringen kann".

Ralph Grossmann für das Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Universitäten Innsbruck, Klagenfurt und Wien (Hg.): iff texte 1: Wie wird Wissen wirksam? Wien / New York: Springer 1997. ISBN 3-211-82981-4

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