Die Beurteilung der Lehre und der Lehrenden durch Studierende, in die öffentliche Debatte unter dem Schlagwort "Evaluation der Lehre" eingeführt, hat sich in den letzten Jahren auch in Deutschland zum Thema der Hochschulpolitik entwickelt. Wie in manchen europäischen Ländern, vor allem aber in den USA bereits selbstverständlich, sollen nach dem Willen der Bildungspolitiker an deutschen Hochschulen Studierende per Fragebogen ihre Beurteilung zu Lehrveranstaltungen abgeben Können, um so die "schwarzen Schafe" unter den Hochschullehrern in die hochschulöffentliche Diskussion ihres Lehrverhaltens zu zwingen. Im Ergebnis soll dies dazu beitragen, die Qualität der Lehre und die Studienzufriedenheit der Studierenden zu verbessern. Darüberhinaus gibt es auch Überlegungen, Hochschulen insgesamt evaluieren zu lassen, um auf dieser Basis knappe Finanzmittel unter den konkurrierenden Hochschulen aufzuteilen - für die deutsche Szene eine fast revolutionäre Vorstellung.
Erwartungsgemäß hat dieses Ansinnen bei den zu Evaluierenden in der Bundesrepublik heftige Reaktionen ausgelöst. Zwar wurde die Berechtigung von Evaluationsmaßnahmen nicht grundsätzlich bestritten, es wurden aber sofort methodische Probleme der Evaluation entgegengehalten. Darüberhinaus wurde den Hochschulpolitikern unterstellt, sie wollten mit dieser populistischen Forderung nach Evaluation der Lehre von der Misere der deutschen Hochschulpolitik ablenken, deren Ziel nur noch die Verwaltung und Kaschierung knapper Ressourcen sei. Der "lehrfaule Professor" diene als Popanz einer ideenlosen Hochschulpolitik, in ähnlicher Funktion wie der "Sozialhilfebetrüger" als öffentliche Rechtfertigung für eine restriktive Sozialpolitik.
In diesem gereizten Klima entwickelte sich unter den Fachhochschulen in Baden-Württemberg eine pragmatische Position zum Thema Evaluation. lm Bewußtsein, von Evaluationsergebnissen nichts befürchten zu müssen, wurden im Rahmen des Förderprogramms LARS (gefördert vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung) Projekte intensiviert, die Evaluationsmaßnahmen an Fachhochschulen in Baden-Württemberg methodisch und organisatorisch unterstützen sollen.
Die Entwicklung eines Evaluationskonzeptes an der Fachhochschule Kehl
An der Fachhochschule Kehl war der Boden für diese Beschäftigung mit der Evaluation der Lehre wohl vorbereitet. Seit dem Jahr 1 989 waren in repräsentativen Befragungen die wichtigsten Gruppierungen der Fachhochschule Kehl zu ihrer Sicht des Fachhochschulstudiums befragt worden: Studierende, Lehrende, Absolventen, Verwaltungspersonal.
Die Evaluation einzelner Lehrveranstaltungen war nur ein logischer weiterer Schritt. Allerdings auch ein Schritt mit Brisanz für die Situation der einzelnen Lehrenden und das Verhältnis von Studierenden und Lehrenden. Allen Beteiligten war klar, daß dieses Instrument der Evaluation sensibel gehandhabt werden muß, wenn daraus tatsächlich eine Verbesserung der Lehr- und Studienqualität resultieren sollte. Übereinstimmung herrschte darin, daß Evaluation an der Fachhochschule Kehl hauptsächlich im Sinne "formativer Evaluation" praktiziert werden sollte:
Fragebogenergebnisse sollten noch in der laufenden Veranstaltung diskutiert werden und Auswirkungen auf Lehr- und Studienverhalten haben können. Dies bedeutet, daß Evaluation nicht am Ende, sondern etwa noch der Hälfte einer Lehrveranstaltungsreihe vorgenommen werden sollte. Ein weiteres wichtiges Prinzip: Fragebogen sollten nicht als Ersatz, sondern als Einstieg für ein Gespräch über die Kooperation zwischen Lehrenden und Studierenden in einer Lehrveranstaltung gesehen werden.
Diese und andere Grundsätze fanden ihren Niederschlag in einem Senatsbeschluß zur Evaluation der Lehre an der Fachhochschule Kehl. Darauf aufbauend wurden ab Dezember 1 994 den haupt- und nebenamtlich Lehrenden Evaluationsbogen des Heilbronner LARS-Evaluationsprojektes zur Befragung der Studierenden angeboten. Mit dem Leiter dieses Projektes, Herrn Prof. Dr. Frey, war zuvor ein Kooperationsabkommen getroffen worden, wonach die Fachhochschule Kehl die Kosten für die Herstellung der Fragebogen übernimmt und die standardisierte Datenerfassung (per Belegleser) und Ergebnisdarstellung (per spezieller Software) bis zu einem bestimmten Umfang vom LARS-Projekt übernommen wird.
Inzwischen wurden ca. 4000 Fragebogen von
Professor/innen und Lehrbeauftragten abgerufen. Der Versand der
ausgefüllten Fragebogen nach Heilbronn durch das Sekretariat
für Hochschuldidaktik und die Rücksendung der Ergebnisse
nach Kehl hat sich inzwischen weitgehend eingespielt. Planungen, die
automatische Erfassung und Auswertung der Evaluationsbögen im
Haus zu organisieren, wurden aus Kostengründen zunächst
zurückgestellt. So bleibt zu hoffen, daß die
großzügige Kooperationsbereitschaft von Prof. Dr. Frey in
Heilbronn, für die an dieser Stelle herzlich gedankt sei, auch
im kommenden Jahr in Anspruch genommen werden kann. Ziel ist
jedenfalls nach wie vor, Evaluation an der Fachhochschule Kehl zu
etablieren und die dazu bereiten Kolleginnen und Kollegen
organisatorisch zu unterstützen.
Evaluation: Komplexe Fragen zu einfachen Ergebnissen
Wie schon angedeutet, sind Evaluationsinstrumente und die darauf basierenden Evaluationsergebnisse vielfältigen Einflüssen ausgesetzt. Die kritische methodische Reflexion von Evaluationsmaßnahmen ist nicht nur von akademischem Interesse - es zeigt sich schnell, daß Evaluationsergebnisse sogar kontraproduktiv zur Zielsetzung - Verbesserung der Lehr- und Studienqualität an der Fachhochschule - werden können.
Da die grundsätzlichen Probleme der Evaluation in der Fachliteratur bereits bekannt sind, wurde an der Fachhochschule Kehl in Kooperation mit dem ASTA ein hochschuldidaktisches Kolloquium* organisiert,in dem die Vielschichtigkeit von Evaluation Thema wurde.
Um einen Eindruck von der Komplexität der Interpretation scheinbar einfacher Ergebnisse zu geben, seien hier einige Punkte beispielhaft aufgeführt:
Mangelnde methodische Qualität vieler Evaluationsinstrumente: Bei vielen Evaluationsbögen fehlen Daten über die einfachsten teststatistischen Parameter wie Validität (Gültigkeit) und Reliabilität (Verleßlichkeit) oder faktorenanalytische/ multidimensionale Analysen. Dadurch bleibt unklar, was der Fragebogen wirklich erfaßt. Beispiel: Statt eine einzelne Lehrveranstaltung zu beurteilen, könnte tatsächlich eher allgemeine Studien(un)Zufriedenheit oder Studienmotivation erfaßt werden. Für die Situation an der Fachhochschule Kehl ein sehr bedeutsames Thema, wie sich noch zeigen wird.
Standards der Beurteilung: Viele Instrumente lassen kaum erkennen, an welchen Standards eine gute fachhochschulische Lehre gemessen werden soll. Die Diskussion um Standards wird ersetzt durch persönliche Präferenzen und Zufriedenheitsindikatoren. Expliziert man, auf der Basis der vorangegangenen Untersuchungen an der Fachhochschule Kehl, die impliziten Kriterien vieler Studierender, so wäre eine gute Lehrveranstaltung gekennzeichnet durch: Vollständige Absicherung der Prüfung; eindeutige, musterlösungsartige Stoffdarbietung ohne "akademische" Problematisierung oder Relativierung; mitschreibgerechtes Diktat des Stoffes; keine Fremdwörter; keine prüfungsirrelevanten Inhalte...
Frage bleibt: Hat das noch etwas mit Hochschule zu tun? Würde man diese Kriterien zugrunde legen, sollte die Hochschule ehrlicherweise in eine Berufsfachschule umgewandelt werden. Studierende wie auch Lehrende waren sich im Kolloquium einig, daß eine hochschulöffentliche Diskussion über hochschulische Standards für Lehre und Studium an der Fachhochschule Kehl dringend geboten sind - auch als Grundlage für ein Evaluationsinstrument, das sich an diesen Standards orientiert.
Qualität der Lehre als Ergebnis einer Interaktion statt eines Ursache-Wirkung-Zusammenhangs. Lehre wird im Rahmen von Evaluation meist als einseitige Kommunikation konzeptualisiert: Der/die Lehrende wirkt auf die Studierenden ein, seine/ihre Einwirkung bestimmt die Qualität und Effizienz des Studiums. Es ist natürlich sofort einsichtig, daß diese naive Vorstellung nicht stimmt: Studierende beeinflussen ganz wesentlich durch ihre Motivation, Leistungs- und Kooperationsbereitschaft usw. die Möglichkeiten der Lehrenden. Wenn Lehre verbessert werden soll, muß sie, hier auch einem Wandel in der Arbeitswelt folgend, als Kooperationsverhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden verstanden und entwickelt werden. Evaluation sollte dann die Funktion von Feedback zwischen den Beteiligten zugewiesen werden. Erstaunlicherweise zeigt sich bei dieser Gelegenheit, daß es kaum Instrumente gibt, die es umgekehrt auch den Studiengruppen ermöglichen, Feedback über die Zusammenarbeit von seiten der Lehrenden zu erhalten. Notengebung ist bisher offensichtlich nach wie vor die einzige, 1kümmerliche Form der systematischen Rückmeldung an Studierende. Auch hier herrschte im Kolloquium Einigkeit, daß solche erweiterten Feedbackinstrumente entwickelt werden sollten.
Diese eher zufällige Zusammenstellung von Reflexionsergebnissen mag deutlich machen, daß Evaluationsma8nohmen selbst immer wieder "evaluiert" und weiterentwickelt werden müssen im Zusammenhang eines ständigen Diskurses über die Weiterentwicklung der Hochschule und ihrer Mitglieder.
Heinz-Joachim Feuerstein ist Professor für
Psychologie und Beauftragter für Hochschuldidaktik an der
Fachhochschule Kehl.