Evaluationsstrategien in der Personal- und Organisationsentwicklung:
Trends, Nutzen, Grenzen

Günther Bergmann
Universität München, Institut für Verhaltens- und Organisationsentwicklung


1. Kritik des traditionellen Bildungswesens

Seit etwa 1992 hat sich das Aufgaben- und Tätigkeitsfeld des betrieblichen Bildungswesens und der Personalentwicklung stark gewandelt. Während Vertreter des traditionellen Bildungswesens sich hauptsächlich in der Rolle von Seminarveranstaltern verstanden und mit möglichst umfangreichen Weiterbildungskatalogen brillierten, sahen sich diese Bildungsmanager in Zeiten der wirtschaftlichen Krise mit der Tatsache konfrontiert, daß auf ihre Dienstleistungen (damit auf die von ihnen verursachten Kosten) verzichtet wurde, soweit sie keinen nachweisbaren Beitrag zur Unternehmensentwicklung leisten konnten. Die Auflösung von zentralen Bildungsabteilungen in großen Konzernen und die Integration ihrer Mitarbeiter in die operativen Einheiten sowie die Bildung von Profit-Centers oder Ausgründungen in rechtlich selbständige Bildungsgesellschaften reflektieren eine oftmals durch wirtschaftlichen Druck erzwungene Umorientierung.

In einer Untersuchung von Lammek (1994) benennen die befragten Bildungsmanager von Unternehmen folgende Hauptargumente einer kritischen Sicht ihrer bisherigen Tätigkeit:

Die Forderung an Wissenschaft und Praxis gleichermaßen lautet also, ein wirkungsvolleres Bildungscontrolling bzw. eine qualifizierte Evaluation zu betreiben (auf eine begriffliche Unterscheidung zwischen Bildungscontrolling und Evaluation soll hier nicht eingegangen werden; vgl. Bergmann, 1996c; von Landsberg & Weiss, 1992). Diese Forderung kann jedoch nur sinnvoll umgesetzt werden, wenn geklärt ist, was evaluiert werden soll. Dies wiederum ist nur unter Nachvollzug der aktuellen Neuorientierung in der betrieblichen Personal- und Organisationsentwicklung möglich. Ihr Hauptmerkmal liegt in einer strategischen Orientierung, also der Frage, welchen Beitrag Personal- und Organisationsentwicklung zur Erreichung der Unternehmensziele und zur zukünftigen Unternehmensentwicklung leisten (vgl. Stiefel, 1996, der bereits seit mehr als 10 Jahren für diese Neuorientierung argumentiert). Dieser Ansatz einer unternehmensstrategischen Zielbestimmung unterscheidet sich von früheren, eher humanistisch und manchmal idealistisch geprägten Vorstellungen (zur Kritik s. auch Neuberger, 1991).


2. Konsequenzen für Personal- und Organisationsentwicklung

Die unternehmensstrategische Ausrichtung hat entscheidende Konsequenzen für das Instrumentarium der Personal- und Organisationsentwicklung, damit auch für die Evaluation: Es wird nicht das Ziel sein, einzelne Bildungsmaßnahmen zu evaluieren, es geht um eine Evaluation der Veränderungen im Praxisfeld.


Problem-orientierte Bedarfsanalyse

Es ist eine problem-orientierte Bedarfsanalyse durchzuführen an dem Maßstab derzeitiger und zukunftsbezogener Unternehmensziele. Ein nur individueller Bedarfsbegriff, der auf die Defizite des einzelnen Mitarbeiters ausgerichtet ist, stellt keine geeignete Grundlage dar (hierzu auch Stiefel, 1996). Damit erscheint es auch obsolet zu evaluieren, was ein einzelner Mitarbeiter in einem Training „gelernt“ haben mag.


Training in „Organisationsfamilien“

Eine bereichsspezifische und hierarchieübergreifende Teilnehmerzusammensetzung sorgt für einen nachhaltigeren Praxisbezug als das im traditionellen Bildungswesen verbreitete Verfahren, Teilnehmer einer hierarchischen Ebene zusammenzubringen, die im beruflichen Alltag weitgehend keine Berührungspunkte haben. Hiermit ist ein Teil der Transferproblematik zu lösen, nach der ein „Transfermanagement“ eine von der Maßnahme separate Aufgabe darstellt (vgl. Lemke, 1995). Insbesondere mit Blick auf verhaltensorientierte Trainingsmaßnahmen wird deutlich, was gemeint ist: Die Inhalte beispielsweise eines Führungstrainings erhalten eine viel höhere Verbindlichkeit und Umsetzungsrelevanz, wenn Führungskräfte unterschiedlicher hierarchischer Ebenen aber aus einem abgegrenzten Unternehmensbereich gemeinsam an einem Seminar oder einer Seminarreihe teilnehmen. Die Mitwirkung der Geschäftsführung an diesem Prozeß ist dabei eine entscheidende Erfolgsbedingung. Bei einer späteren Evaluation, etwa ein Jahr nach den Seminaren, kann die Veränderung der Führungskultur in dem gesamten Unternehmensbereich untersucht werden (z.B. Bergmann, 1991).


Arbeitsplatz-nahe Entwicklungsmaßnahmen

Nicht nur aus Kostengründen sondern auch aus Gründen des Transfers sind aufgabenbezogene Entwicklungsmaßnahmen („arbeitsplatz-nah“) zu verstärken. Es geht um eine bessere Nutzung unternehmensinterner Lehr-/Lernressourcen für die Unternehmensentwicklung (ohne daß hiermit dem m.E. unsinnigen Begriff der „lernenden Organisation“ das Wort geredet werden soll). Projektarbeit und Lernpartnerschaften sind nur zwei konkrete Möglichkeiten der Umsetzung dieses Prinzips.


Teamorientierung

Einen eindeutigen Trend in der Unternehmenspraxis stellt die Zunahme von Team- und Gruppenarbeit dar, in der Produktion, in der Entwicklung und neuerdings auch stärker in indirekten Bereichen. Für die Evaluation ergeben sich damit ganz andere Meßgrößen als nur individuelle Lern- oder Umsetzungsergebnisse. Es ist möglich und gefordert, „hard“ und „soft facts“ der Zusammenarbeit im Praxisfeld zu evaluieren und daraus bedeutungsvolle Informationen zur Verbesserung der Gruppenarbeit zu gewinnen (vgl. Bergmann & Ernst, 1996).


Problemorientierung

Es macht einen Unterschied, ob ein Personalentwickler sich mit einer betrieblichen Problemstellung beschäftigt, oder ob er versucht, ein Seminarthema als notwendig zu propagieren. Soweit ein Teil der PE- und OE-Maßnahmen auf die Lösung unmittelbarer betrieblicher Probleme gerichtet ist, erübrigt sich auch der Legitimationsnotstand, dem traditionelle Bildungsabteilungen häufig unterliegen. Wenn z.B. ein neues Produktionssystem eingeführt wird, ohne die Mitarbeiter vorher einzubinden und vorzubereiten, ist das Scheitern der Einführung vorprogrammiert. Das wissen inzwischen auch die meisten Geschäftsführungen aus leidvoller eigener Erfahrung. Bildungsverantwortliche müßten von ihrer „Seminardenke“ Abstand nehmen, um sich den wirklichen Problemen zu widmen und damit einen klar kommunizierbaren Beitrag zur Unternehmensentwicklung zu leisten. Die Vorgehensweisen der Organisationsentwicklung bieten hierzu ausreichende Grundlagen (hier ist insbesondere hinzuweisen auf die seit Kurt Lewin bekannten Elemente der Aktionsforschung „Diagnose“ und „Survey-Feedback“).


3. Evaluation im Rahmen von Total Quality Management

Neue Anforderungen an und Chancen für eine psychologisch-wissenschaftliche Evaluation entstehen aber nicht nur aus den Veränderungen innerhalb der Personal- und Organisationsentwicklung. Die Entwicklung des modernen Total Quality Management greift sinnvollerweise immer mehr über den technischen und ingenieurwissenschaftlichen Qualitätsbegriff hinaus auf den Bereich der Human Resources. In anderen europäischen Ländern bereits weiter verbreitet setzt sich auch in Deutschland langsam das europäische Modell für ein umfassendes Qualitätsmanagement der European Foundation for Quality Management (EFQM, 1997) durch. Dieses Modell, jüngst in einem erweiterten Verständnis als „model for business excellence“ vorgelegt, akzentuiert stark die Rolle der Human-Resources-Faktoren für die Qualität aller Unternehmensleistungen (Bergmann, 1996b; Wunderer, 1995; Zink, 1995). Seit 1992 wird jährlich der europäische Qualitätspreis und ab 1997 auch der neue deutsche Qualitätspreis nach den Kriterien der EFQM verliehen.

Im Unterschied zu formalisierten Systemen wie der DIN ISO 9000 schreibt das europäische Modell nicht vor, wie Qualität zu sichern ist. Es schreibt aber zwingend vor, Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen, also zu evaluieren. In diesem Zusammenhang wichtige Kriterien des Modells sind „Führung“, „Mitarbeiterorientierung“ und „Mitarbeiterzufriedenheit“ mit einem Anteil am Gesamtqualitätsergebnis von 28% sowie „Kundenzufriedenheit“ mit einem Anteil von 20%.

Für Unternehmen, die sich um einen Qualitätspreis bewerben, bedeutet dies z.B., daß die Durchführung von regemäßigen Mitarbeiterbefragungen (Kriterium Mitarbeiterzufriedenheit) einen Standard darstellt. Aber auch die jüngst wieder modern gewordene Anwendung von Vorgesetzten-Einschätzungen bzw. Vorgesetztenbeurteilungen greift unter den Kriterien „Führung“ und „Mitarbeiterorientierung“ als ein Qualitätsmaßstab. Allerdings darf es sich dabei nicht um konsequenzlose Fragebogenaktionen handeln, sondern diese sind als Katalysator für Veränderungsprozesse anzulegen, also um OE-Prozesse zu initiieren und Feedback-Prozesse zu verstärken (Bergmann, 1996a; Bergmann, Wistokat & Krist, 1997; Bühner, 1995; Hofmann, Köhler & Steinhoff, 1995; Smither et al., 1995). Ein weiteres in Zukunft bedeutsamer werdendes Thema stellt die Erfassung der internen und externen Kundenorientierung dar. Die Annahme eines Zusammenhangs zwischen Mitarbeiterorientierung und -zufriedenheit einerseits und Kundenorientierung andererseit ist außerdem naheliegend (vgl. Töpfer, 1995).

Abbildung 1. Das TQM-Modell der European Foundation for Quality Management


4. Perspektiven der Evaluation in PE und OE

In der Zusammenschau der künftigen Aufgaben im Rahmen einer psychologisch-empirischen Evaluation ergeben sich also folgende Schwerpunkte:

sowie

Allerdings muß vor der kurzschlüssigen Reaktion gewarnt werden, ein nur nach den testmethodischen Regeln konstruierter Fragebogen sei bereits für ein Unternehmen die relevante Problemlösung. Vielmehr sind – zumindest ergänzend – umsetzungsorientierte kreative Verfahrensweisen notwendig, also auch qualitative Verfahren, moderierte Workshops etc. Die Literatur bietet hier ein breites Spektrum an Evaluationstechniken (z.B. Easterby-Smith, 1994; Newby, 1992; Wottawa & Thierau, 1990). Allerdings sind manche dieser Techniken ausgesprochen aufwendig, damit methodisch anspruchsvoll, aber für die Praxis wenig geeignet. Pragmatische Evaluationstechniken sind oft wenig spektakulär, auf ihren Beitrag zur Verbesserung und Weiterentwicklung eines Veränderungsprozesses kommt es an (Kolb & Bergmann, 1997).

In einem Projekt zur Evaluation der Implementierung von Teamarbeit in einem Elektronik-Unternehmen hat sich beispielsweise eine Kombination von klassischer Fragebogen-Untersuchung und qualitativen Interviews bewährt (Aufschläger, Bergmann & Jonitz, 1996). Mittels der Fragebogen-Daten konnten in einem Kontrollgruppen-Versuchsplan Gesamteffekte im Sinne einer Verbesserung des Organisationsklimas gesichert werden; mittels qualitativer Daten konnten konkrete Hinweise zur Verbesserung der bestehenden Teamarbeit und Hinweise zur besseren Einführung weiterer Teamprojekte gegeben werden.

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Was soll eigentlich evaluiert werden? Evaluiert werden soll nicht eine einzelne Bildungmaßnahme, weder in Hinblick auf die Zufriedenheit der Teilnehmer (sog. „happy sheets“) noch in Hinblick auf individuelle Lerneffekte. Auch die vermeintlich betriebswirtschaftlich klare Kosten-Nutzen-Kalkulation geht meist fehl, wenn nur Einzelmaßnahmen betrachtet werden. Evaluiert werden soll vielmehr der Veränderungsprozeß selbst: Welcher Effekt läßt sich in der Organisation oder in einem betroffenen Unternehmensbereich feststellen? Nur wenn der erwünschte Veränderungsprozeß problembezogen beschrieben wird, können „soft“ und „hard facts“ des Erfolgs eines Maßnahmenpakets überzeugend definiert und untersucht werden.


Literatur

Aufschläger, M., Bergmann, G. & Jonitz, L. (1996). Evaluationsstudie zur Implementierung von Teamarbeit in einem Elektronik-Unternehmen. Vortrag auf dem 40. Kongreß der DGPs in München; Basis: unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Salzburg.

Bergmann, G. (1991). Evaluation und Transferunterstützung des verhaltensorientierten Management-Trainings in betrieblichen Organisationsfamilien. In S. Höfling & W. Butollo (Hrsg.), Psychologie der Menschenwürde und Lebensqualität (Band 2, pp.290–303). Bonn: Deutscher Psychologen Verlag.

Bergmann, G. (1996a). Vorgesetzteneinschätzung durch die Mitarbeiter. Personalführung, 1, 40–44.

Bergmann, G. (1996b). Die Zukunft des Qualitätsmanagements. Personal, 1, 28–31.

Bergmann, G. (1996c). Bildungscontrolling ist der falsche Weg. In Bildungscontrolling in der betrieblichen Personalentwicklung (pp.22–24). München: Süddeutscher Verlag.

Bergmann, G. & Ernst, F. (1996). Evaluation von Gruppenarbeit. Personalführung, 9, 760–764.

Bergmann, G., Wistokat, P. & Krist, R. (1997). Feedback von „unten“. Vorgesetzten-Einschätzung und Mitarbeiter-Feedback zur Gestaltung der Führungskultur. Personal, 4, 198–203.

Bühner, R. (1995). Alles für den Mitarbeiter. Personalwirtschaft, 9, 37–40.

Easterby-Smith, M. (1994). Evaluating management development, training and education. Hampshire: Gower.

EFQM (1997). European Foundation for Quality Management: Der European Quality Award – Informationsbroschüre. Brüssel.

Hofmann, K., Köhler, F. & Steinhoff, V. (Hrsg.). (1995). Vorgesetztenbeurteilung in der Praxis. Konzepte, Analysen, Erfahrungen. Weinheim: Beltz.

Kolb, U. & Bergmann, G. (1997). Qualitätsmanagement im Personalbereich. Konzepte für Personalwirtschaft, Personalführung und Personalentwicklung. Landsberg/Lech: Olzog – moderne industrie.

Lammek, S. (1994). Unveröffentlichte Untersuchung zusammen mit Maisberger & Partner, München.

Landsberg, G. v. & Weiss, R. (1992). Bildungs-Controlling. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Lemke, S.G. (1995). Transfermanagement. Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie.

Neuberger, O. (1991). Personalentwicklung. Stuttgart: Enke.

Newby, T. (1992). Training evaluation handbook. Hants: Gower.

Smither, J.W., London, M., Vasilopoulos, N.L., Reilly, R.R., Millsap, R.E. & Salvemini, N. (1995). An examination of the effects of an upward feedback program over time. Personnel Psychology, 48, 1–34.

Stiefel, R.Th. (1996). Lektionen für die Chefetage. Personalentwicklung und Management Development. Stuttgart: Klett-Cotta.

Töpfer, A. (1995). Kunden-Zufriedenheit durch Mitarbeiter-Zufriedenheit. Personalwirtschaft, 8, 10–15.

Wottawa, H. & Thierau, H. (1990). Lehrbuch Evaluation. Bern.

Wunderer, R. (1995). Qualitätsförderung und Personalmanagement. Personalwirtschaft, 65, 15–18.

Zink, K.J. (1995). TQM als integratives Managementkonzept. Das Europäische Qualitätsmodell und seine Umsetzung. München. Hanser.