Bildungsforschung für die Schulentwicklung


Gertrude Brinek

Schule heute -

zwischen Esoterik und Ökonomie

 

e-mail:

W3: http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/

Immer mehr herrschen über Sinn und Zweck von Schule unterschiedliche Auffassungen, wobei sich darin nicht nur die allgemeine, d.h.eine der pluralen Geselllschaft gemäße Diversifizierung widerspiegelt, sondern die Unterschiede offenbar bis an die Wurzeln reichen. Vielfach werden Lernen und Kenntniserwerb diskriminiert, immer konsequenter tritt eine "Befindlichkeitspflege-Pädagogik" an die Stelle einer systematischen Reflexion über Wesen und Ziel von Bildung bzw. an die Stelle eines wissenwollenden Zugangs auf Welt.
Unter der Chiffre "soziales Lernen" sind in den letzten Jahren diverse esoterische Praktiken in der Schule heimisch geworden: von religionsähnlichen bis gruppendynamischen Verhaltensweisen, von Selbstfindungs-Übungen bis zu kosmischen Du-Erfahrungen u.ä.m. Traditonelles Lernen zählt nicht mehr; zu wissen, über Wissen verfügen zu können, das wird als unnötiges Vollstopfen mit "enzyklopädischen Schlacken" angeprangert. (Daß wir uns als "kognitive Gesellschaft" denken, steht allerdings in den EU-Papieren...)
Neue Praxisansprüche
Problematisch werden die neuen Ansprüche und Vorstellungen vor allem im Praxis-Vollzug. Stellt das Normen-Repertoire der Schule auf das erzieherische Handeln und auf die Praxis des Unterrichts in einer klar strukturierten "bürokratischen Anstalt" ab, so findet sich bezüglich der neuen Emotionalisierungs-Programme keine vergleichbare Entsprechung. Lehrerinnen und Lehrer sind damit vielfach verunsichert. Je weniger sie auf präzise operationalisierte Vorgaben zurückgreifen können, desto mehr wird ihr Handeln von ihrer Professionalität und Gesamt-Kompetenz, ihrer pädagogischen Souveränität geleitet sein (müssen), d.h. mehr als bisher haben Lehrerinnen und Lehrer ihre Entscheidungen allein zu treffen, zu legitimieren und zu begründen. Mangels definitiver Vorgaben entsteht eine wahrer Begründungswirbel. Die Individualisierung von Normen und Kriterien macht das pädagogische Tun auf neue Weise anstrengend. Die Konsequenz ist eine permanente Reform(-Stimmung).
Mit Reform kann man verschleiern, daß Unterrichten und Erziehen, daß das pädagogische Handeln an Halbwüchsigen wenig Aufregendes und Dramatisches an sich hat, wenig zu tun hat mit Umsatz und nationalen Bilanzen, mit Mega-Tonnen und Milliarden Dollar, mit den wichtigen Themen der Zeit also. Es wird karikiert als Dressur und Zucht von kleinen Wehrlosen oder als leichtfertige spielerische Vormittagsbeschäftigung, für deren Ausübung die handelnden Personen mit gar nicht so großer Selbstverständlichkeit ein volles Gehalt beziehen wie andere werktätige Menschen. Das "Hinunter-Didaktisieren" von Erwachsenen-Problemen auf ein kindliches Rezeptions-Niveau, der Umstand, daß hauptsächlich Frauen am Werk sind, das und noch einige andere Phänomene führen zu einem wenig ausgeprägten Professionsbewußtsein. Als Konsequenz hat sich die Vorstellung etabliert, daß in der Schule alle gleich sind: Lehrer, Schüler und Eltern und daß alle mit allen kooperieren. Im idealisierten Miteinander ist der Professionalitätsvorsprung der Lehrperson aufgehoben. Laien, Eltern und Kinder werden zu Experten in Bildungsfragen.
Der Lehrer als Qualitätsmanager
In der jüngeren Zeit hat sich eine weitere Bewußtseinsfacette herausgebildet: Die in der Schule handelnden Personen verstehen sich als Manager. Augenfällig ist, daß sich dieses Verhalten entwickelt hat als im Zusammenhang mit dem Überdenken der Staatsausgaben die Aufwendungen für Schule und öffentliche Erziehung diskutiert wurden. In der Phase des Sich-Arrangierens hielt der Jargon der Ökonomie und Soziologie Einzug in die Schule. Es ist die Zeit des Sprach-Mixes....
Unterricht wird in der Schule nicht mehr gehalten sondern Lernprozesse werden arrangiert, Erfahrungsaustausche moderiert und Möglichkeiten zur Beziehungsstiftung (auch zu Zahlen...) geschaffen, Schüler und Lehrer bringen sich betroffen und gesamthaft ein. Darüber geben sie sich und der Öffentlichkeit ein feed back. Kontrolle, noch viel mehr Schulaufsicht ist ein "mega-out"-Wort, Leistung kommt gleich danach. Daher soll es auch keine Leistungs-Beurteilung mehr geben; wer selektiert, ist ein Menschenfeind. Nun wird Schulqualität "gemanagt", sie wird auch von Cotrollern und Evaluateuren begleitet und ermittelt; weil Schüler ja aus dem "Lern-Menü" auswählen können, haben sie auch nicht systematisch vorzugehen (woher sollten sie das Ansinnen überhaupt kennen?) Das Wort von der Lehrplan-"Architektur" läßt gerade noch nachvollziehen, daß ein solcher zumindest noch irgendwie vorkommt. Auf der Höhe der Zei ist dieser aber nur, wenn er "schlank" abgefaßt, unbestimmt gehalten und unverbindlich artikuliert ist. "Effizienter" als der/die einzelne ist die Gruppe, daher Proejekte, Projekte, Projekte, die sich gut "verkaufen" lassen ...
Die einzige Unterwerfung ist die unter den Zwang der neuen Medien. Die strenge Logik der Textverarbeitung, die Binarität des Internets entführt in eine neue Unübersichtlichkeit...
Was daraus zu folgern ist
Die Aufgaben der Schule können auch unter anderen Bedingungen gedacht und vollzogen werden als es in der traditionellen Einrichtung des Staates geschieht; für Lehrer ist auch ein anderes Dienst- und Besoldungsrecht vorstellbar als das geltende. Jedoch: was immer gilt, ist, daß sich das jeweils organisierte Unternehmen Schule über seine Aufgaben klar sein muß, daß die darin handelnden Personen auf ein formuliertes Ziel hin arbeiten.
Die primäre Aufgabe der Schule ist der Unterricht, die bloß funktionelle Sozialisation findet ohnedies statt, ließe sich mit dem renommierten Erziehungswissenschafter Hermann Giesecke sagen. In der Schule geht es nicht um beliebige Lernprozesse sondern um solche, die keine andere Institution oder gesellschaftliche Ebene leistet. Exemplarisch, modellhaft, systematisch fortschreitend, auf entwicklungspsychologische Bedingungen und kognitive Fähigkeiten zugeschnitten führen der Lehrer und die Lehrerin seinen Unterricht und helfen dem Schüler bzw. der Schülerin sich eine zutreffende Vorstellung von Welt zu machen und dabei all seine bzw. ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Unterricht (im wesentlichen der in höheren Schulen), so Giesecke vollziehe sich in der Distanz zum Leben. In der Grundschule ist Ausgang zu nehmen von der unmittelbaren Lebensumgebung, das hat seinen guten didaktisch-methodischen und propädeutischen Sinn.
Die Gesellschaft hat ein existenzielles Interesse, daß die nachwachsende Generation die "Fackel des Geistes" wie eine Staffette übernehmen kann, worin sowohl ihre demokratische Legitimation als auch ihre Chance auf Weiterentwicklung und Emanzipation liegt. An die Stelle von Herkunft, Religion und Geld tritt in einer modernen Gesellschaft das Denken, die Leistung. Damit bestehen für alle die gleichen Chancen auf Selbstentfaltung.
Bezüglich des erzieherischen Handelns darf sich Schule nicht selbst überfordern. Weil sie sich nicht mehr (wie früher) von ihren Milieus emanzipieren muß, ist vielfach die Übereinstimmung bezüglich des Ziels verlorengegangen; nach der letzten Einheitsvorstellung herrscht der Pluralismus, womit die Gefahr der doktrinären Auslegung von einzelnen Auffassungen nicht gebannt ist.

PS. In den männlichen Personenbezeichnungen ist die weibliche Form mit angesprochen.

Anmerkungen: -


[8-}) design]
http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/INTERNET/TAGUNG/Tagung.html