DER STANDARD, 11. Mai 2006 |
DER UNISTANDARD |
Sie werden kritisiert, oder verehrt, geführt und kommentiert: Weblogs. Tagebücher, die es zu mehr brachten als je zuvor. Millionen User weltweit lesen so im Leben anderer. Auch Österreichs Unis mischen mit beim medial gut inszenierten Hype der neuen Internetgeneration.
Louise Beltzung
Wien - Peter Pilz macht es selbst. Benita Ferrero-Waldner lässt es sich machen. Nicht nur die Politik ist vom Blog-Fieber befallen - auch die Unis verfangen sich im Netz. Anfang der 90er-Jahre tauchte das Phänomen des Weblogs in den USA auf und verbreitete sich in rasanter Geschwindigkeit. Die Zahl ist immens", erklärt Rudolf Melcher, Forschungsassistent am Institut für Informatik der Uni Klagenfurt. Seine Pläne fürs Wochenende gibt er seinen Studenten nicht online preis, doch sein Blog bleibt ständig auf seinem Desktop präsent. Melcher führt ein wissenschaftliches Tagebuch. "Alles was mir begegnet, notiere ich. Es ist eine gute Möglichkeit der Kollektion, die ich dann entsprechend bearbeiten kann", beschreibt dieser.
Durch die einfache technische Handhabung können Beiträge chronologisch dargestellt werden für die intemationale Wissenschaftscommunity ein neuer Kommunikationskanal, "Knowledge Blogs" als Tool für Wissensmanagement wurden an den US Elite-Unis Harvard und Stanford bereits genutzt - dieser Boom hat Österreich zwar noch nicht völlig erfasst, einige klicken sich dennoch in diese neue Sinnprovinz ein.
So nutzt Wemer Stangl, Psychologieprofessor der Uni Linz zehn Blogs. „Ich bin von der Computerschiene immer schon infiziert gewesen", erklärt Stangl seine Motivation. Begonnen habe alles mit Mailinglisten, Newsgroups und Lernplattformen, doch die einfache Handhabung der Blogs hat ihn überzeugt. Er füttert seine Online-Spaces auch per E-Mail. Die Möglichkeit mit SMS direkt in seinen Blog zu posten, habe er für eine Lehrveranstaltung angedacht, doch wieder verworfen. „Auf meine eigenen Handykosten mache ich das dann doch nicht", erzählt Stangl.
Von Arbeitsblättern, Forschungstagebüchern, bis hin zu privaten Woblogs nützt Stangl fast alle Aspekte des Weblogs. Seine Frau arbeitet in Wien, sein Sohn studiert und so tauscht sich Familie Stangl online über Kinobesuche und Wochenpläne aus. „Der Höhepunkt ist noch lange nicht erreicht", analysiert Stangl. Über einen, Weblog könne man mittlerweile Internetseiten führen, die einfacher zu bearbeiten wären als herkömmliche - der Hype des Blogs würde sicher "noch ein paar Jahre" bis zu seinem vollen Ausbruch anhalten.
Etwas - skeptischer äußert sich in dieser Hinsicht der Wiener Kommunikationswissenschafter Thomas Bauer. Das Phänomen bezeichnet er als „nicht herausragend und allgemein überschätzt". Auch die möglichen Auswirkungen auf die zwischenmenschliche Kommunikation relativiert er. "Ich würde es als Parallelkommunikation betrachten", kommentiert Bauer, doch es verteilt Gesellschaftlichkeit. Themen bekommen eine Öffentlichkeit, die als Angebot im Raum steht und die man jederzeit auch nützen kann."
Diese Option wird an einigen Unis hier zu Lande auch Studenten angeboten. So steht es jedem an der Klagenfurter Uni frei, seinen Weblog zu nützen. Systematisch genützt werde es jedoch noch nicht, betont Melcher. Mehr der geistigen Exhibitionisten finden sich unter Wiener TU-Studenten. 4500 Benutzer konmmentieren 1700 Weblogs. Sie dokumentieren ihr Auslandssemester, Wochenenden oder thematisieren Fachliches, doch auch in Lehrveranstaltungen werden die Blogs eingesetzt. In der Vorlesung "Informatik und Gesellschaft" des Wintersemesters 2005 mit etwa 600 Teilnehmern kam Folgendes zustande: 2158 Kommentare, mit insgesamt 75.000 Worten - also einem Schnitt von 500 Worten pro Studierendem. Dieter Rapold, Geschäftsführer der Agentur Knallgrau, an die das Projekt ausgelagert wurde, zeigt sich davon beeindruckt" und optimistisch: Wir können davon ausgehen, dass bald jeder der E-Mail hat, auch einen Weblog führen wird."
Der Standard Webtipp:
www.plasticthinking.org/wiki/
twoday.tuwien.ac.at;
www.stangl-taller.at
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