14.03.2005 - POLITIK ÖSTERREICH
Experten sind uneinig über Computereinsatz bei Schülern.
VON REGINA PÖLL UND PHILIPP AICHINGER
"Die positive Auswirkung von Computern wird maßlos überschätzt", betont der deutsche Hirnforscher Manfred Spitzer. Sein neues Buch "Vorsicht Bildschirm" ist soeben erschienen. Lernen fände vor allem zwischen Personen statt, meint Spitzer im Gespräch mit der "Presse". Bei unter Zehnjährigen hätten Computer im Unterricht überhaupt nichts verloren. Auch danach dürfe der Computer nur sehr maßvoll eingesetzt werden.
"Die Schüler verblöden jedenfalls nicht,
nur weil sie am Bildschirm sitzen."
Werner Stangl vom Institut Pädagogik und Psychologie
Universität Linz
Mit dem zunehmenden Einsatz von neuen Medien im Schulunterricht müssten sich die Lehrer auch mit einer neuen "Lehr- und Lernkultur" auseinander setzen, sagt Martin Hämmerle, der Trainer am Institut für schulpraktische Ausbildung in Wien ist. Die Schüler bräuchten dabei einen "Lernbegleiter", der Orientierung in der Informationsflut über Internet bietet, statt dass sich der Lehrer weiter als reiner Wissensvermittler begreift.
"E-Learning setzt sonst einen Lernenden voraus, den es im Allgemeinen nicht gibt", meint auch die Bildungspsychologin Moira Atria von der Universität Wien. Das Lernen am Bildschirm sei nur dann sinnvoll, "wenn der Lehrer oder die Software Anleitungen und Anwendungen bietet, wie der Lehrstoff zum Beispiel durch das Aktivieren von Vorwissen oder Kontrollaufgaben bewältigt und gefestigt werden kann", erläutert Moira.
Schüler würden vor allem dann von "E-Learning" profitieren, wenn sie dabei selbst sehr aktiv sind, bestätigt Werner Stangl vom Institut für Pädagogik und Psychologie der Universität Linz: "Die Schüler verblöden jedenfalls nicht, nur weil sie am Bildschirm sitzen." Für besonders sinnvoll hält der Experte beispielsweise einen Computer-unterstützten Geografie-Unterricht. Dies gelte, so erläutert er, "wenn man zum Beispiel Informationen über Länder oder ihre Rohstoffe suchen soll" - oder bei Fremdsprachen - "wenn man ausländische Tageszeitungen möglichst aktuell lesen will, warum also nicht digital?"
Die Gefahr dabei: Die Lektüre erfolge mitunter oberflächlicher als bei Printmedien, "denn man klickt sich halt gern von link zu link". Dass die Konzentration der Schüler dadurch abnehme, sei aber "nicht seriös belegbar", so Martin Hämmerle. Das Buch sieht er durch das Internet nicht in Gefahr: "Das ist kein entweder - oder, sondern ein sowohl - als auch."
"Einen leichten Vorsprung haben ,Laptop-Klassen'
beim selbstständigen Problemlösen und in der
Teamarbeit."
Vera Popper vom Consulting-Unternehmen Arbor
"Laptop-Klassen" brächten in den einzelnen Fächern jedenfalls keine schlechteren oder besseren Leistungen als reguläre Klassen. Einen leichten Vorsprung hätten sie sogar beim selbstständigen Problemlösen und in der Teamarbeit, sagt Vera Popper von der Consulting-Firma Arbor. Mit Forschern der Universität Wien hat sie den Modellversuch "E-Learning und E-Teaching mit SchülerInnen-Notebooks" des Bildungsministeriums genauer unter die Lupe genommen.
An 25 Klassen mit 490 über 14-Jährigen an AHS und BHS in ganz Österreich hat sie festgestellt, dass Software-Programme vor allem an HTL - etwa um Hochbau zu veranschaulichen - oder an Handelsakademien - um Rechnungswesen Computer-unterstützt zu vermitteln - erfolgreich eingesetzt werden.
Bildungspsychologin Moira Atria empfiehlt im Gespräch mit der "Presse" E-Learning "idealerweise ab der Oberstufe": Viele Software-Programme an den Schulen würden auch ein hohes Abstraktionsvermögen erfordern, das die Schüler "frühestens ab zwölf Jahren" besitzen.
"Wir setzen neue Medien im Unterricht ein, dann ist er automatisch ein besserer Unterricht" - vor einer derartigen Einstellung bezüglich des Computer-Einsatzes warnt Martin Hämmerle. "Denn Daten und Information sind noch lange nicht Wissen."
Quelle: Die Presse vom 14. März 2005
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