Lebensabschnitt Schule hinter sich bringen

Zum Kommentar: Hurra, weniger Schule vom 4. März

Die jetzt geplante Kürzung um zwei Unterrichtsstunden ist - abgesehen von der fragwürdigen Begründung auf einer eher unsicheren Ausgangs- und Vergleichsbasis - bloße Kosmetik, denn die derzeit üblichen Schulstunden liegen schon seit Generationen jenseits eines lernpsychologisch noch sinnvollen Ausmaßes. Die in unseren Breiten üblichen Stundenpläne und die damit verbundenen Hausarbeitszeiten verhindern ohnehin mit großer Treffsicherheit, dass man als Schüler von der Schule als Lernender profitieren kann.

Es ist vielmehr ein Wunder und der offensichtlich teilweise robusten Konstitution zuzuschreiben, wenn Kinder und Jugendliche trotz der Zumüllung mit weitgehend ungewünschten Lehrinhalten in diesem Lebensabschnitt überhaupt etwas lernen. Wenn man - wie jüngst diskutiert - die Zahlen zur Schulfreude bzw. Schulangst mit einbezieht, dann ergibt sich das Bild von Kindern oder Jugendlichen, die mit mehr oder minder großer Eile versuchen, den Lebensabschnitt Schule hinter sich zu bringen, um die daran geknüpften Qualifikationen und Chancenzuteilungen zu erwerben. Ich empfehle Lehrern immer den Elchtest des Unterrichts: "Legen Sie einer Klasse einen Test oder die Prüfungsfragen vom Vorjahr vor!"

Ein Grundproblem unseres Schulsystems ist nämlich die schlichte Tatsache, dass die Schule den Alltag von Kindern und Jugendlichen mit zunehmendem Alter so vollständig ausfüllt und bestimmt, dass die im Unterricht vermittelten Bildungsinhalte keine Chance mehr besitzen, an der eigenen Lebensrealität mangels Zeit geprüft werden zu können. Ein Gutteil der Lehrerklagen über mangelnde Motivation ist darauf zurückzuführen.

Auch wenn die Oberstufenreform durchaus sinnvolle Möglichkeiten bildet, adäquate Lern- und Arbeitsformen für das "richtige" Leben zu entwickeln, hat die übliche Lerntradition schon Grundsätzliches an der Einstellung zu Bildung und Wissen zerstört bzw. verbildet.

Dr. Werner Stangl
Inst. f. Pädagogik und Psychologie der Universität Linz
4045 Linz


Quelle: http://www.diepresse.at/default.asp?channel=m&ressort=S005&id=341706 (03-03-11)