Die Presse, Datum:22.03.1997, Ressort:Innenpolitik
"Ich hab' eine Geisel in der Schule" Wieviel
Lehrer sind Problemfälle?
Uni-Pädagogen analysieren die Diskussion um die Eignung oder Nichteignung der Lehrkräfte. Ein Patentrezept zur Behebung einzelner Mißstände gibt es nicht.
VON ERICH WITZMANN
WIEN. "Was soll ich machen, ich hab' doch eine Geisel in der
Schule." Derartige Aussagen einer Mutter bekomme er immer wieder zu
hören, sagt der Salzburger Pädagogikprofessor Volker Krumm.
Eltern seien zwar oft mit einer Lehrkraft unzufrieden, sie glauben,
ihr Kind sei Schikanen ausgesetzt - aber sie beschweren sich aus
Angst vor Repressalien nicht. Krumm hat vor einem Monat mit seiner
Studie über die Angst der Schüler aufhorchen lassen.
Die Diskussion um die Qualität in der Schule hat durch diese
Krumm-Studie und die von Wiens Stadtschulratspräsident Kurt
Scholz ab Herbst geplante Bewertung der Junglehrer sowie der
"Problemlehrer" an allen österreichischen Uni-Instituten
für Erziehungswissenschaften bzw. für Pädagogik einen
vorrangigen Stellenwert erhalten. Bei einem Diskussionsabend des
Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten einigten sich acht
anwesende Professoren und Dozenten auf drei Aussagen: Das Problem der
schlechten Lehrer gibt es, es läßt sich nicht
wegdiskutieren. Der jüngste Scholz-Vorstoß (Bewertung der
Junglehrer durch Eltern und Schüler) ist grundsätzlich zu
begrüßen, die Art und Weise der Bewertung zeigt aber
Mängel auf.
Und drittens: Schulorganisation und Lehrer müssen sich zu einer
Evaluation durchringen, wobei der "Selbstevaluation" (Lehrer
führen die kritische Bestandsaufnahme selbst durch) der Vorrang
eingeräumt wird.
Ferdinand Eder (Linz) hält die Wiener Bewertungsbögen
"für kein wirklich verläßliches Kriterium". Peter
Posch (Klagenfurt) befürchtet etwa, daß durch diese Art
der Notengebung Lehrer bloßgestellt werden. Und Josef
Thonhauser (Salzburg) bezweifelt die Qualifikation der künftigen
Bewerter: "Man geht davon aus, daß alle Experten sind."
Ein neuer Schüleranwalt?
Trotzdem stellt Karl-Heinz Gruber (Wien) für alle Beteiligten
fest: "Die Einladung von Scholz an die Erziehungswissenschaftler,
sich am Diskurs zu beteiligen, ist aufzunehmen." Allerdings
weiß Volker Krumm trotz seiner Untersuchungen nicht, wie
groß die Zahl der "Problemlehrer" ist. Er verweist auf die
Lehrergewerkschafter Hermann Helm (Pflichtschulen) und Helmut Skala
(BMS/BHS), die von fünf und zehn Prozent gesprochen haben.
Seiner Meinung nach sollten die Eltern als Kunden der Institution
"Schule" die Möglichkeit haben, auch bezüglich der
Lehrer-Qualität zu Wort zu kommen. Und noch ein Krumm-Vorschlag:
Analog zum Patientenanwalt im Krankenhaus sollte es auch einen Schul-
oder Schüleranwalt geben. Dieser dürfe aber nicht in der
Schulbehörde verankert sein.
Wie gehen die Schulinstanzen mit Problemfällen um, fragt Krumms
Kollege Thonhauser, um gleich die Antwort zu liefern: Gar nicht. "Ich
spüre eine emotionalisierte defensive Haltung, die an der Schule
beginnt: Die Schulleitung kennt entsprechende Fälle, die aber
nicht mit entsprechender Konsequenz verfolgt werden." Michael Schratz
(Innsbruck) ergänzt etwas später: "In einem stark
zentralistisch organisierten System darf es keine Fehler geben.
Deswegen werden sie unterdrückt und vertuscht."
Warum gerade jetzt diese Diskussion losbricht? "Je autonomer eine
Institution wie die Schule wird, desto mehr muß sie sich
gegenüber der Gesellschaft rechtfertigen", weiß Posch;
außerdem habe sich die Beziehung der Kinder zu den Eltern
"dramatisch verändert", zu Hause wird partnerschaftlich
verhandelt. "Dann kommen sie in die Schule - und es wird
angeschafft".
Eder weiß aus seinen Untersuchungen, daß die Schulangst
in den dritten und vierten Hauptschul- und AHS-Klassen einen
besonderen "emotionalen Tiefpunkt" erreicht - in der AHS-Unterstufe
noch stärker, da hier die Schüler auf bessere
Volksschulnoten zurückblicken können. Was zu tun ist? "Das
perfekte Kriseninterventionssystem gibt es nicht", stellt
Altrichter unmißverständlich fest. Der Innsbrucker
Schratz fordert die Schulen auf, aus bestehenden
Mißständen zu lernen: "Mit Fehlern kann man auch kreativ
umgehen." Der Schulleiter muß standortbezogene Lösungen
finden.
Jetzt sind die Universitäten am Zug. Altrichter will bei
der fachlichen Einführung der Junglehrer ansetzen. Und Gruber
versichert, daß an seinem Institut das Entstehen der
unterschiedlichen Schul-Subkulturen untersucht werde.