28. April 1997

 

Ängstliche Avantgarde?

Das Anti-Gentechnik-Volksbegehren markiere eine Zäsur, das Ergebnis sei ein Auftrag an die Politik, fordere Handeln ein, so war jüngst zu hören. Derzeit herrscht aber große Ratlosigkeit, wie die Ergebnisse auch nur in Ansätzen umgesetzt werden könnten, bei der Regierung ebenso wie bei den Initiatoren. Zum "Vorreiter" ist ein weiter Weg.

Von den SN-Gastautoren Helge Torgersen und Wolfgang Wagner

Man will keine gentechnisch veränderten Lebensmittel - daß man bloß keine in Österreich herstellen darf, scheint angesichts des Importdrucks in dieser Branche inakzeptabel. Verschärfte Haftungsbedingungen mögen die öffentliche Meinung beruhigen, sind aber in der Praxis kaum relevant. Ein Freisetzungs- oder Importverbot hingegen steht EU-Richtlinien entgegen. Also bleibt nur die Hoffnung auf eine grüne Vorreiterrolle in Sachen Eindämmung der Gentechnik in der Landwirtschaft. Österreich hätte, so hieß es, legitimiert durch die Ergebnisse des Volksbegehrens, diesbezüglich gute Chancen.

Der Erfolg des Volksbegehrens beruht auf der derzeitigen öffentlichen Meinung in Österreich. Eine große europäische Vergleichsstudie ("Biotechnology and the European Public"), deren Ergebnisse im Mai ver-öffentlicht werden, zeigt allerdings, daß die öffentliche Meinung hierzulande ziemlich extrem ist. Es ist daher nicht zu erwarten, daß irgendein EU-Mitglied die österreichische Haltung als vorbildlich ansieht, auch wenn es ansonsten (wie etwa Dänemark) der landwirtschaftlichen Gentechnik gegenüber kritisch ist.

Diese extreme Haltung erklärt sich (außer aus österreichischer Technikskepsis) vor allem aus der Tatsache, daß Gentechnik in Österreich erst etwa seit einem Jahr öffentlich diskutiert wird. Anderswo beschäftigt man sich damit bereits Jahrzehnte. Kritik kommt in Österreich (wie auch in anderen Ländern) hauptsächlich aus zwei politisch konträren Lagern - dem katholischwertkonservativen und dem ökologiebewegtegalitären. Beide treffen sich in der Ablehnung der ingenieurmäßigen Veränderung von Lebensprozessen zu ökonomischen Zwecken. Risikoargumente stehen dabei im Vordergrund. Genau betrachtet stehen sie aber nicht im Zentrum der Kritik; gäbe es kein Risiko, wäre die Kritik nicht gegenstandslos, weil sie eine auf bestimmte Werthaltungen gegründete Sicht der Natur, der göttlichen Ordung oder der Verteilungsgerechtigkeit verteidigt. Das Hervorheben eines Einzelrisikos - plausibel oder nicht - kann aber der Unterstützung der jeweiligen weltanschaulichen Position dienen. Umgekehrt werden Risiken von den Verteidigern der Gentechnik relativiert, um die Kritik abzuwehren. Dieses Muster findet sich in Debatten über die Gentechnik in vielen Ländern und überlagerte oft den grundlegenden Wertekonflikt; "unabsehbare Risiken" wurden früh postuliert, was politische Konsequenzen hatte: Mit Maßnahmen wie verbindlichen Risikoabschätzungen und "Sicherheitsforschung" glaubte man, die Kontroverse zu befrieden, ohne deren Kern zu berühren.

Was sich in der österreichischen Debatte gezeigt hat, war einerseits konservative, andererseits "grüne" Kritik. Dieser wertbasierte, fundierte und argumentierte Kern verschwand aber in einem Nebel von Angst, geschürt von Boulevardmedien. Die transportierten Inhalte verwandelten das verbreitete mulmige Gefühl in die bekannten "unabsehbaren Risiken". Dabei wurden Bilder verwendet, die bereits in den Köpfen vorhanden waren, bevor sie in die Schlagzeilen gerieten. Der Boulevard weiß, was Leser fühlen, noch dazu wenn es ums Essen geht. So blieb man in der populären Beschwörung von Ängsten stecken. Diese haben den großen Erfolg errungen, nicht die gut argumentierte Sach- oder Wert-Kritik.

Dabei ist es unerheblich, ob sich die Boulevardpresse mit einer Technologie beschäftigt und so das Verständnis, das "Gspür" für den Umgang fördert. Ein Beispiel hierfür ist die Computertechnologie, der anfangs große Vorbehalte entgegengebracht wurden. Die Vor- und Nachteile werden nach wie vor diskutiert, aber man ist in der Öffentlichkeit der Sache gegenüber kritischgelassener geworden. In Sachen Gentechnik war das bis vor kurzem nicht der Fall. Das Thema interessierte schlicht niemanden, nicht einmal, als das Parlament sich dessen in einer Enquete-Kommission annahm.

Die jüngste Debatte hat ein politisches Versäumnis offengelegt: Man hat in der Vergangenheit zuwenig getan, um die öffentliche Auseinandersetzung mit modernen Technologien zu fördern - nicht nur mit der Gentechnik. Es ist höchste Zeit, damit zu beginnen. Bloße Belehrung aber ist dazu nicht geeignet. Wenn der EU-Agrarkommissar der Regierung vorwirft, zu wenig für "Aufklä-rung" gesorgt zu haben, redet er einer Auffassung das Wort, wonach man den unmündigen Bürger nur über eine Technik belehren muß, damit sie akzeptiert wird. Untersuchungen zeigen aber, daß größeres Wissen den Anteil der entschiedenen Befürworter wie auch Gegner (auf Kosten der Unsicheren) erhöht. Wie sich jemand entscheidet, hängt in erster Linie von den persönlichen Werthaltungen ab. Diese argumentierte und wissende Enscheidung sollte das eigentliche Ziel der Debatte sein.

Das Ergebnis des Anti-Gentechnik-Volksbegehrens wären ein guter Anlaß für Maßnahmen, die auf breiter Basis Angst in informierte Betroffenheit oder kritische Gelassenheit verwandeln könnte. Bevor man damit nicht ernsthaft begonnen hat, sollte sich die Regierung jedenfalls gut überlegen, ob sie Österreich mit einer angemaßten Vorreiterrolle nicht international lächerlich macht.

Dr. Helge Torgesen ist Mitarbeiter am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Akademie der Wissenschaften. Dr. Wolfgang Wagner ist Dozent der Sozial- und Wirtschaftspsychologie der Universität Linz, dz. am Corpus Christi College, Cambridge, UK.


Quelle: http://www.salzburg.com/zeitung/97/04/28/innenpolitik-15773.html