Wir bekennen uns zum Determinismus des Menschen, d.h. wir glauben, daß das Erleben und Verhalten des Menschen vollständig determiniert ist und bestimmten, größtenteils unbekannten Gesetzen unterliegt. Diese Position ist insofern metaphysisch, als ihre Richtigkeit nicht entschieden werden kann. Wir fühlen uns jedoch zu diesem Standpunkt hingedrängt, weil wir ansonsten die Forschung relativ unproblematisch mit dem Hinweis beenden könnten, die aufgefundene Fehlervarianz sei auf die Freiheit des Menschen zurückzuführen. Die Menschen glauben zwar, sie wären frei, und diesen Glauben wollen wir ihnen auch nicht nehmen, wir betrachten Freiheit aber lediglich als eine gesellschaftlich vielleicht notwendige Fiktion, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Es darf sie gemäß unserer Position auch nicht geben, weil die Reaktionen des Menschen sonst nicht unter Gesetze subsumierbar wären. Nun finden wir ja in den Sozialwissenschaften und auch in dieser Arbeit keine überzeugenden Gesetze, die den Namen Gesetz verdienen, sondern nach ihrer Überprüfung meistens solche quasigesetzförmigen Äußerungen wie: "Wenn A, dann signifikant eher B als nach Zufall zu erwarten." Man könnte meinen, es gäbe keinen überzeugenderen Beweis für die Freiheit des Menschen als die empirischen Ergebnisse der Sozialwissenschaften. Dabei dokumentieren diese Ergebnisse häufig nur die Schwächen und Unvollkommenheiten dieser Wissenschaften.
Wir erachten es als sinnvoll, Theorien als raum- und zeitunbegrenzt zu begreifen und Hypothesen als Sätze der Form "Immer wenn A, dann B" aufzufassen. Wir wenden uns damit strikt gegen die Auffassung mancher Wissenschaftler, die behaupten, in den Sozialwissenschaften sei es, wenn überhaupt, nur möglich, Aussagen für den heutigen Menschen unter den jetzigen Bedingungen zu machen. Wer so denkt, wird jedoch von der historischen Entwicklung überrollt und betreibt eigentlich neuere Geschichte.
Deshalb ist es wichtig, so grundlegend zu theoretisieren, daß die aufgestellten Theorien nicht von den historischen Zufälligkeiten erschüttert werden, d.h. das Verhalten des Steinzeitmenschen in den Berghöhlen, das Verhalten des heutigen Menschen in der technisierten Umwelt und die Reaktionen des zukünftigen Menschen irgendwo im Weltraum sollten, bezogen auf eine theoretische Fragestellung, lediglich Spezialfälle eines allgemeinen Gesetzes darstellen. Wir ignorieren damit nicht die Historizität des Menschen, sondern fordern lediglich, man solle trotz der Geschichtlichkeit des Menschen allgemeine Gesetze anstreben. Natürlich bleibt dann immer noch das Problem, wie allgemeine Gesetze auf die besondere geschichtliche Situation übertragen werden sollen.
Prinzipiell sehen wir keinen Unterschied zwischen Natur- und Sozialwissenschaft. Die zweifellos bewundernswerten theoretischen Entwürfe der Naturwissenschaften, von denen wir nur träumen können, ermöglichen es den Naturwissenschaftlern dennoch nicht zu prognostizieren, wohin z.B. das Blatt eines Baumes fällt, weil unkontrollierbare Faktoren nicht berücksichtigt werden können. Sozialwissenschaftler, die weder über die Qualität noch über die Exaktheit naturwissenschaftlicher Theorien verfügen, müssen noch mehr unkontrollierbare Faktoren in Kauf nehmen.
Der Hauptzweck der Wissenschaft liegt darin, zuverlässige Informationen zu liefern, die ein effizientes menschliches Handeln erlauben. Man kann zwar auch Wissenschaft um ihrer selbst willen betreiben, und dies ist bei weitem nicht der schlechteste Beweggrund für wissenschaftliches Arbeiten, vor allem wenn man daran denkt, wieviel möglicher wissenschaftlicher Fortschritt der Befriedigung extrinsischer, d.h. wissenschaftsirrelevanter Motivation der Forscher geopfert wird. Aber zumindest die Möglichkeit, daß Wissenschaft Konsequenzen für die Praxis haben könnte, sollte man nicht aus den Augen verlieren. Wenngleich wir die Einwände aus der Praxis, Wissenschaft trage häufig eher zur Verwirrung als zur Klärung der Probleme bei, durchaus ernst nehmen, so gilt doch, was STRITTMATTER (1979, S. 22) sagt: "Wie anders sollen praktische Probleme wissenschaftlich gelöst werden, wenn nicht auf der Basis theorieorientierter Forschung."
Zur Förderung effizienten Handelns benötigt man nicht unbedingt wahre Theorien. Zum einen können wir nie in Erfahrung bringen, ob Theorien wahr sind, und zum anderen hat die Geschichte der Wissenschaft gezeigt, daß schon viele großartige Systeme am Kriterium der Wahrheit gescheitert sind. Es ist nicht nur unrealistisch, sondern entspringt reinem Größenwahn, mit dem Anspruch an die Wissenschaft heranzutreten, eine wahre Theorie entwickeln oder finden zu wollen. Wem daher die göttliche Offenbarung der Wahrheit versagt bleibt, der sollte den Begriff am besten den Philosophen überlassen.
Wir brauchen in der Wissenschaft Erklärungshilfen, die uns in die Lage versetzen, die Phänomene besser zu begreifen als ohne Wissenschaft. D.h. wir benötigen in erster Linie keine wahren, sondern brauchbare Theorien. Schon der Versuch, eine brauchbare Theorie zu entwickeln, ist riskant genug.
Die wichtigste wissenschaftliche Aufgabe ist das Theoretisieren. Dieses ist auch die erste und unabdingbare Aufgabe der Wissenschaft und der Erhebung irgendwelcher Daten logisch vorgeordnet. Man kann zwar Theorie ohne empirische Erhebungen betreiben, aber nicht umgekehrt. In uns reift auch immer mehr die Erkenntnis, es sei sinnvoll, zunächst einmal ein paar Jahre nachzudenken, bevor man seine Zuflucht zu den Daten sucht, weil es vermutlich lange Zeit beansprucht, eine Theorie zu entwerfen, die sich nachzuprüfen lohnt. Die Umsetzung dieser Erkenntnis in die Forschungspraxis würde unserer Ansicht nach für die Wissenschaft von Nutzen sein, aber, so müssen wir fragen, nützt sie auch dem Wissenschaftler der empirischen Sozialwissenschaft? Es kommt darauf an, präzise Hypothesen aufzustellen. Wir wollen lieber mit aller Klarheit etwas möglicherweise Falsches behaupten, als uns durch globale unverbindliche Außerungen unangreifbar zu machen. Denn nur was angreifbar ist, ist auch kritikwürdig.
Die zweitwichtigste und zugleich ebenfalls unverzichtbare Aufgabe der Wissenschaft ist die Theorieüberprüfung an der Empirie, was ja schon bestimmte Anforderungen an die Theorienbildung voraussetzt und verhindern soll, daß die Theorie in systematisierten Wahn abgleitet. Es ist anzustreben, Theorien so zu testen, daß die empirischen Ergebnisse etwas über die Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit der Theorie aussagen, d.h. der Überprüfungsversuch muß möglichst intern valide oder in einer Formulierung von GADENNE (1976) sowohl streng als auch repräsentativ im Sinne der Zuverlässigkeit sein.
Kognitive Theorien liegen zur Zeit voll im Trend. Wir glauben nicht, daß der kognitive Ansatz der Komplexität menschlichen Verhaltens und Erlebens vollkommen gerecht wird, meinen aber, daß er von allen vorfindbaren Ansätzen hinsichtlich der möglichen Erklärungskraft für unsere Fragestellung noch die beste Orientierungsbasis liefert. Wir zweifeln nicht daran, daß das Kognizieren einen wesentlichen Einfluß auf Handlungen und Affekte ausübt, sondern nur daran, daß die menschlichen Aktionen oder Emotionen ausschließlich von kognitiven Prozessen gesteuert werden. Gott sei Dank oder bedauerlicherweise tun Menschen gelegentlich etwas, ohne sich etwas dabei gedacht zu haben.
Dennoch führt es weiter, wenn man von der grundlegenden Annahme ausgeht, Menschen würden mit bestimmten Vorstellungen und Theorien an die Welt herantreten und innerhalb dieses kognitiven Orientierungsrahmens ihre Wirklichkeit konstruieren, welche dann in hohem Ausmaß ihr Handeln und Erleben leitet. Diese subjektiven Theorien gilt es in Erfahrung zu bringen, und alle methodischen Schwierigkeiten müssen diesem Postulat untergeordnet werden.