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Seminar: Probleme des Unterrichts an Wirtschaftsschulen (Unterricht II) im SS 1996


Bernd Gerling, Anne Hoefermann, Oliver Schöming, Armin Schünemann:

Das Unterrichtsgespräch: fragend-entwickelnd oder neosokratisch?


4. Das neosokratische Gespräch


4.1 Die Rolle des Leiters im neosokratischen Gespräch

Im neosokratischen Gespräch unterliegt der Leiter dem "Gebot der Zurückhaltung". Er darf nicht

Diese Instrumente werden im fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch zur Gesprächssteuerung verwendet. Der Gesprächsverlauf wird abgekürzt und in bestimmte Bahnen gelenkt. Das Denken der Schüler folgt den als "richtig" bezeichneten Beiträgen und verwirft die "falschen" - jedoch ohne Einsicht in die Beurteilung. Im neosokratischen Gespräch ist es gerade wichtig, daß der Lehrer als "Signalgeber" sich aus der Diskussion herausnimmt und die Schüler für sie akzeptierbare Ergebnisse selbst erarbeiten läßt.

Hier ist es gerade unter Schülern wichtig, daß eine gewisse Gesprächsdisziplin eingehalten wird. Der Leiter erreicht dies durch formale Einwürfe, wie z. B. "Laß die anderen ausreden!" Die Rolle eines neosokratischen Gesprächsleiters geht aber noch weiter. Er muß sich in die Teilnehmer hineinversetzen, zu Beiträgen auffordern und deren Gehalt beurteilen können. Der Gesprächsverlauf an sich ist für den Leiter nicht steuerbar, da die inhaltlichen Argumente nicht von ihm kommen.

Eine gesprächssteuernde Frage im neosokratischen Gespräch wäre z. B. "Wer hat verstanden, was eben gesagt worden ist?" Hierdurch erreicht der Leiter Aufmerksamkeit für eine evtl. nicht beachtete oder mitgedeutete Aussage. Desweiteren gewinnen langsamere Gesprächsteilnehmer durch eine solche Vertiefung bzw. Wiederholung Zeit, über das Gesagte nochmals nachzudenken. Der Leiter eines neosokratischen Gespräches muß also nicht nur den behandelten Stoff gut beherrschen, er muß auch anhand äußerer Merkmale auf das Verstehen der Teilnehmer schließen können. Die Gesprächsatmosphäre sollte den Teilnehmern gestatten, auch ein Nicht-Verstehen offen zugeben zu können.

Als Hilfestellung dienen ihm dabei noch die allgemeinen Richtlinien des neosokratischen Gesprächs:

a) Im Konkreten Fuß fassen

Auch wenn am Anfang eine abstrakte Fragestellung steht, sollte man - wenn möglich - versuchen, diese auf eine erlebte Situation herunterzubrechen, um so die Erfahrungen der Teilnehmer einzubeziehen.

b) Die Fokussierung der Aufmerksamkeit

Grundsätzlich hat jeder Teilnehmer den Drang, seinen eigenen Gedanken nachzugehen. Der Leiter muß hier einschreiten, wenn ein Beitrag von den zu erörternden Fragen abweicht und von den anderen Gesprächsteilnehmern eigentlich nicht thematisiert werden möchte. Andererseits können in einem lebendigen Gespräch durchaus mehrere Aspekte eines Themas behandelt werden, um dann nach der Erfassung aller Argumente fokussiert zu werden. Hilfreich ist hier, wenn der Gesprächsleiter die Äußerungen z. B. auf einer Tafel mitschreibt. Es wird so einfacher, zum Thema zurückzufinden oder einzelne Argumente einzuordnen.

c) Erstreben von gemeinsam akzeptierten Ergebnissen

Für ein neosokratisches Gespräch ist es wichtig, daß auch über Teilfragen Einigkeit erzielt wird. Es muß sich dabei nicht um absolute Wahrheiten handeln, sondern pragmatische Lösungen, die bei neu auftauchenden widersprechenden Erkenntnissen verworfen werden, reichen völlig aus.

Von der Tätigkeit des Leiters hängt also letztendlich das Gelingen des neosokratischen Gespräches ab. Versagt der Leiter oder wird das Gespräch den Teilnehmern überlassen, dann droht, daß

4.2 Das Metagespräch

Das neosokratische Gespräch sollte ganz auf der Sachebene geführt werden. Trotzdem treten bei diesen Gesprächen häufig Probleme auf der Beziehungsebene auf, wie z. B. vermeintliche Geringschätzung oder nicht-gelten-lassen einer anderen Meinung. Um diese störenden Faktoren aus dem neosokratischen Sachgespräch herauszunehmen, sollte einige Stunden nach dem Sachgespräch ein Metagespräch stattfinden. Hier wird den Teilnehmern ein Forum geboten, ihre Irritationen zu thematisieren. Auch die Rolle des Leiters wird unter die Lupe genommen; die Theorie, die hinter seiner Rolle steht, wie auch deren Ausführung.

4.3 Die Teilnehmer am neosokratischen Gespräch

"Der Arbeitsvertrag fordert von dem Schüler nichts als die Mitteilung der Gedanken." (L. Nelson)

Diese Grundforderung impliziert eine intensive Beschäftigung mit dem Thema und die Mitteilung der eigenen Erkenntnisse, die in einem gedanklichen Prozeß als relevant beurteilt wurden. Der Teilnehmer profitiert einerseits von der offenen Gesprächsatmosphäre, die ihm eine freie Meinungsäußerung oder das Begehen von Fehlern "erlaubt", andererseits muß er aber auch seine Äußerungen von den anderen Teilnehmern überprüfen und kritisieren lassen. Häufig neigen Menschen dazu, ihre eigenen vorgefaßten Erkenntnisse zu verteidigen. Es ist jedoch für das Gelingen eines neosokratischen Gespräches nötig, eine innere Distanz zu allen Argumenten zu erlangen, um so bei einem gemeinsamen Prüfprozeß mit den anderen Teilnehmern gemeinsam zu einem Schluß zu kommen.

Eine weitere wichtige Forderung an den Teilnehmer eines neosokratischen Gespräches ist, daß er über relevante Vorkenntnisse verfügt. Da der Leiter nicht an der thematischen Debatte beteiligt ist, müssen alle Erkenntnisse von den Teilnehmern selbst kommen. Sehr spezielle fachliche Themen können mit der neosokratischen Methode im Lehrgespräch schlecht erarbeitet werden, sondern können höchstens im Gespräch unter Fachleuten behandelt werden.