Stefan Moises 

KREATIVITÄT

I.  Allgemeines zum Begriff "Kreativität"

Der Begriff "Kreativität" hat im Alltag eine unklare, verschwommene Bedeutung, er wird geradezu inflationär mit gänzlich beliebiger Bedeutung gebraucht, wobei es sogar in der Fachliteratur teilweise gegensätzliche Definitionen gibt.
Oftmals wird Kreativität heute fälschlicherweise mit einem "laissez-faire-Prinzip" gleichgesetzt oder gar als "Nichtstun" bezeichnet und als gänzlich unfaßbar, nicht willentlich beeinflußbar betrachtet. Diese Vorstellung fußt im sogenannten "Kreativitätskult", einer anfänglichen Vergötterung der Kreativität mit der damals weit verbreiteten Ansicht, man dürfe speziell dem Verhalten des Kindes keinerlei Grenzen setzen und  müsse von jeglichen "überkommenen Denkschemata" abkommen.
Heute geht man jedoch davon aus, daß ein gewisser Grad an Autorität nötig ist und daß auch feste Schemata und Fakten wichtige Voraussetzungen für Kreativität sind. Man ist sich darüber einig, daß Kreativität nicht gelegentliche, göttliche Inspiration, sondern beeinflußbar und trainierbar ist und auf einem soliden Fachwissen beruht, das aus der Anwendung herkömmlicher Lernleistungen resultiert (nach A. Cropley, S.29).
Albert Einstein soll dazu gesagt haben: "Das Glück begünstigt den wohlvorbereiteten Geist".

II. Geschichte und Entwicklung des Kreativitätsbegriffes

1. Historische Entwicklung

Das Phänomen der Kreativität (das man früher als "das Schöpferische" bezeichnete) gilt zwar als so alt wie die Menschheit selbst, wird jedoch erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts wissenschaftlich betrachtet. Davor galt es als "religiös-mystische Kategorie", als "Ausdruck göttlicher Gnade oder Willkür" usw.(nach Th. Stocker, S.11).
Von der Antike bis zur Klassik galt der schöpferische Mensch als nahezu vollkommen, als fast "gottähnliches Genie". Zur Zeit des Realismus war vor allem der praktische Nutzen bedeutend, neben Künstlern galten erstmals auch Wissenschaftler als "genial".

Erste psychologische Grundlagen für die Kreativitätsforschung wurden um 1900 durch den Funktionalismus (Angell, 1907) geschaffen, der später dann vom Behaviorismus (Stimulus - Response - Modelle; Versuch - Irrtum -Methoden) abgelöst wurde. Ab 1930 kamen auch einige Denk- und Persönlichkeitspsychologische Ansätze auf (z.B. von Woodsworth 1934, der in seinem "stimulus-organism-response"-Modell explizit die menschliche Aktivität berücksichtigte).

Die entscheidende Wende in der Kreativitätsforschung war jedoch der "Creativity" - Vortrag von Joy Paul Guilford 1950 in den USA. War zuvor das Phänomen der Kreativität eher "stiefmütterlich" behandelt worden ( von 1927 bis 49 waren von 121 000 psychologischen Arbeiten nur ca 186 Titel für die Kreativität relevant), so stieg das Interesse an der Kreativität und damit die Zahl der Publikationen nach diesem Vortrag explosionsartig an (vgl. Schaubild 1 im Anhang).

2. Gründe für den Kreativitätsboom

a) sozio-ökonomische Auslöser

Entscheidend war in diesem Bereich vor allem der durch den Start des ersten Satelliten in der UdSSR ausgelöste "Sputnikschock" in den USA, deren Position im weltpolitischen Konkurrenzkampf dadurch geschwächt schien. Man konzentrierte sich nun auf die Förderung neuer, nicht nur hochintelligenter, sondern vor allem kreativer Kräfte (Manager, Politiker, Wissenschaftler, usw.).

Bestimmend war auch der sogenannte "Zeitgeist" verschiedener Institutionen, v.a. der Rüstungsindustrie und der amerikanischen Luftwaffe, die das fragwürdige Ziel hatten, durch die Wiedererlangung der alten Rüstungsüberlegenheit dem "Wunsch nach Frieden" zu entsprechen.
Eine andere entscheidende Institution war und ist die Industrie, die sich durch "brainstorming" und ähnliche Techniken eine bessere Werbung und neue Verkaufsmöglichkeiten versprach, um damit den Absatz zu steigern und den Gewinn zu erhöhen.

Außerdem kann man von einem "gesamtmenschlichen Bedürfnis" nach kreativen Ideen sprechen, um damit eventuell einen Ausweg aus einer sich andeutenden "Weltbedrohung" (durch Bevölkerungsexplosion, Umweltzerstörung, soziale Ungleichheit, nukleare Gefahr ) zu finden.

Aus heutiger Sicht läßt sich sagen, daß die Kreativität durch Rüstung und Industrie in den Dienst genommen wurde, daß sich aber die Hoffnung in die humanen Wirkkräfte noch nicht erfüllt hat.

b) wissenschaftliche Auslöser

Entscheidende Voraussetzungen waren hierbei die Überwindung der künstlerischen oder religiösen Mystifizierung, das Feststellen der Universalität kreativen Potentials und das Erkennen des größeren Spektrums der Kreativität gegenüber der Intelligenz.

Problematisch bei der Forschung war anfangs v.a. die Begrenztheit des Behaviorismus auf das rein Beobachtbare, auf Reiz-Reaktions-Verbindungen und auf Konditionierung, da kreatives Denken zu komplex ist und so nicht erfaßt werden kann.
Auch bei einer testtechnischen Schematisierung (multiple-choice-Test u.ä.) ist keine Kreativität möglich und erfaßbar.

Es war also die Beseitigung dieser wissenschaftstheoretischen Barrieren und die Entwicklung neuer Methoden (z.B. Faktorenanalyse) nötig.

c) pädagogische Auslöser

Der Bedarfsdruck nach kreativem Verhalten bewirkte eine neue Bildungsvorstellung: Ziel der Bildung war nicht mehr der einseitig intelligente, gut angepaßte und konfliktfreie Mensch ("well-rounded-personality"), sondern die kreative, kritische und konfliktfähige Persönlichkeit.

Man wollte nun kreatives Verhalten fördern und zu diesem Zweck eine  starke Leistungsbetonung, einseitige Förderung konvergenten Denkens und eine Bestrafung des
Nonkonformismus vermeiden.
Allerdings wiesen alle theoretischen Konzepte ein verkürztes Verständnis von Kreativität auf und zielten von Anfang an mehr auf eine selektive Hochbegabungsförderung ab.
Gisela Ulmann schreibt hierzu: "...Es war also von vornherein nur an die Förderung einer kleinen Minderheit zur neuen Elite, die Ablösung der 'high IQs' durch die 'Hoch-Kreativen' gedacht." (aus Th. Stocker, S.21).

Hinderlich für wirkungsvolle Konzepte war teilweise sicherlich auch die Angst vor den "Folgen" der Kreativität, also vor systemkonträren, konfliktbereiten und daher "unbequemen" Menschen, die zu einem meist nur halbherzigen Interesse an der Kreativitätsförderung geführt hat.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß von den gehegten Hoffnungen einer reformfreudigen und liberalen Pädagogik nicht viel mehr als ein Trainingsziel übriggeblieben ist, das auf eine bestimmte "Form des Denkens" begrenzt bleibt.

III. Definitionsversuch/Begriffsbestimmung

Kreativität gilt als komplexes Phänomen, für das es keine eindeutige, klärende Definition gibt. Der Wortursprung liegt im lateinischen "creare", was "zeugen, gebären, (er-)schaffen" bedeutet und auf einen Prozeß mit einer bestimmten Dynamik (also mit Ursprung und Ziel) hinweist.
"Creativity" steht als eine Art Arbeitsbegriff, der verschiedene frühere Begriffe vereint und der durch die seit 1950 stark angewachsene experimentelle Forschung immer wieder einen neuen Sinn erhält.

In der Kreativitätsforschung gibt es drei Hauptrichtungen, wobei  entweder beim kreativen Produkt, beim kreativen Prozeß oder bei der kreativen Person angesetzt wird.
Mit Kreativität verbindet man meist Attribute wie "originell, neu/trefflich, adäquat, ungewöhnlich, spontan, angemessen" usw. oder auch Eigenschaften wie "Offenheit, Produktivität, Flexibilität, Erfindungsgabe" u.ä.. Als Synonyme verwendet man häufig die Begriffe Genialität und Originalität.

Grundsätzlich stellt sich jedoch immer die Frage nach dem jeweiligen Bezugsrahmen:
Für WEN ist etwas neu, originell, wertvoll, etc.? Für das Individuum, für die Gesellschaft, für eine bestimmte Kultur oder gar für die gesamte Menschheit?

A. Cropley weist darauf hin, daß neben Intelligenz und Intellekt auch Wille und Selbstvertrauen nötig sind (also motivationale und emotionale Faktoren). Er sieht Kreativität als "Weg zur Wahrung der Menschenwürde" und betont die Abgrenzung des Menschen zu Maschinen und Computern durch das kreative Denken (A. Cropley, S.26).
Kreativität ist für ihn die "Fähigkeit, möglichst viele Ideen zu bilden" (S.53) und wird
hauptsächlich durch vier Faktoren bestimmt (S.30):

solides Fachwissen, Begabung, Gelegenheit, Fleiß/Zielstrebigkeit

Nach Erika Landau gibt es eine gemeinsame Fähigkeit der verschiedenen kreativen Prozesse: "...die Fähigkeit, Beziehungen zwischen vorher unbezogenen Erfahrungen zu finden, die sich in der Form neuer Denkschemata als neue Erfahrungen, Ideen oder Produkte ergeben.... Dieses kreative Potential ist jedem Individuum gegeben und kann in jeder Lebenssituation angewandt werden" (E. Landau, S. 14).

H. Roth definiert speziell die "Kreativität des Alltags" folgendermaßen:
"Wer zur rechten Zeit einen Zaun in eine Leiter zu verwandeln versteht, einen Vorhang in ein Kleid, eine Kiste in einen Tisch, einen Lappen in eine Puppe, ein Mikroskop in eine Waffe, handelt im Augenblick kreativ" (in: Th. Stocker, S.28).

IV. Die kreative Person

Als charakteristisch für eine kreative Person gilt z.B. eine offene Haltung der Umwelt gegenüber, Kritikfähigkeit, Flexibilität, Begeisterungsfähigkeit, viel Initiative und Originalität.
Sie ist im allgemeinen unkonventionell, energisch und mutig, hat eine Vorliebe für Neues, arbeitet ausdauernd an Lösungen, ist autonom, reif, emotional stabil und dominant.

Allerdings werden dem kreativen Menschen auch soziale Introvertiertheit, weniger ausgeprägte soziale und religiöse Werthaltungen  und Aggressivität nachgesagt.
Gisela Ulmann behauptet sogar, kreative Menschen wären notwendigerweise "unsozialisierbar" und "asozial" (G. Ulmann, S.44).

Erika Landau bezeichnet die kreative Person als unabhängiger im Urteil, als selbstbewußter und narzistischer, sowie als wehrhaft gegen Unterdrückung und Einschränkung. Sie spricht ihr einen poetischen Sinn zu und betrachtet als motivationale Faktoren
                         - einen angeborenen Drang
                         - unbefriedigte Bedürfnisse
                         - einen Kommunikationsdrang
                         - Neugier bzw. einen Drang zum Neuen  (nach E. Landau, S.16/17).

A. Cropley betont auch ein "Gespür für Komik" bzw. eine "Vorliebe für Humor" bei kreativen Menschen (aus: H.z.Oeveste, S.263).

V.  Kreatives Denken

"Wir lernen, nach Guilfords Modell, indem wir Einheiten bzw. Klassen bilden, wir werden uns der Systeme durch Herstellung von Beziehungen bewußt und erreichen dadurch Transformationen des Erfahrenen. Kreatives Denken ist also Erkenntnis (cognition) der Beziehungen, die zwischen den Informationen bestehen" (E. Landau, S.34).

"Kreatives Denken" vereinigt alle Bedeutungen des Begriffes "Denken", wie z.B. erinnern, planen, etwas glauben, überlegen, meditieren oder vorstellen.

Erika Landau spricht von einer "bipolaren Aktivität zwischen Logik und Phantasie" (S.114/115; vgl. auch Schaubild 2 im Anhang).

Das größte Problem beim kreativen Denken ist, daß zu viele Konventionen die Phantasie einschränken. Konformes Denken gilt als sicher, bekannt und akzeptiert, kreatives hingegen ist "unsicher". Aus konformem Denken kann jedoch leicht mechanisches Denken, also Denken in Stereotypen werden, was zu Unlust und Langeweile führen kann.
Ein weiteres Hindernis kann zu früh einsetzende Kritik sein, denn "unzensiert aufkeimende Assoziationen" dienen als "Rohmaterial für kreatives Denken" (E. Landau, S.115).
Auch zu starke Betonung der Originalität kann sich hemmend auswirken, da evtl. ein nicht-kreativer Leistungsdrang entstehen kann.

Wichtig für kreatives Denken ist eine bewußte intrapersonelle Kommunikation, die man durch die Anregung zu vielen unterschiedlichen Assoziationen erreichen kann, um dadurch die eigene Erlebnis- und Gefühlswelt zu erweitern und seine "Selbstaktualisierung" zu vollziehen, was letztlich zu Individuation und Autonomie führt.

VI. Das kreative Produkt

Guilford unterscheidet zwei Arten des kreativen Produktes:
 - greifbare und von der Kultur anerkannte Produkte und
 - "psychologische Produkte" (ausgedrückte oder auch nur gedachte Ideen)

Für Brogden und Sprecher (1964) ist entscheidend für ideelle kreative Produkte, daß sie neu und der Realität angepaßt sind (Brauchbarkeit). Allerdings stellt sich auch hier wieder die Frage des Bezugsrahmens (nach E. Landau, S.18/19).

Laut Preiser liegt der "Angelpunkt einer Kreativitätsdefinition...eindeutig beim Ergebnis, beim kreativen Produkt,..., bei der sichtbaren oder erfahrbaren Idee" (in: Stocker, S.22f.).
Produkte können übermittelt werden und sind nicht an die Existenz des Produzenten gebunden.
Problematisch ist hierbei allerdings, daß sich für die Neuheit und Brauchbarkeit eines Produktes kein allgemeingültiger Bezugsrahmen finden läßt, damit keine Objektivität erreicht werden kann und somit die produktorientierte Forschung zwangsläufig unwissenschaftlich wird.
Man hält allerdings trotzdem an diesem Ansatz fest, da für die nach Profit strebende Industrie (die ja ein Hauptauslöser der Kreativitätsforschung war) eben das Produkt entscheidend ist.

Stocker fordert zur Schaffung von mehr Objektivität die Einbeziehung konkreter gesellschaftlicher Verhältnisse und geschichtlicher Hintergründe (v.a. um die Interessen der jeweiligen Institutionen klar herauszustellen).

Heutzutage ist man sich in der Kreativitätsforschung weitgehend darüber einig, daß v.a. in der Schule nicht das Produkt, sondern der Prozeß im Mittelpunkt stehen sollte.
Gisela Ulmann sagt hierzu: "Das Werk des Kindes muß als Ausdruck seiner selbst verstanden werden und deshalb nicht - etwa durch Zensuren - mit den Werken anderer Kinder verglichen werden." (in: Stocker, S.29).

Es wird also eine Abkehr von fest formulierten Leistungszielen, von einer Erfolgs- und Ergebnisorientierung (mit entsprechender Fehlerbestrafung) gefordert, da diese die Entfaltung kreativen Verhaltens einschränken. Nicht die Produkte und ihr Nutzen für die Gesellschaft sollten entscheidend sein, sondern die Träger dieser Produkte und damit das Wohlergehen des Individuums.

Stocker fordert deshalb speziell von der anthropozentrischen Pädagogik, daß als Ziel nicht die Produktivitätssteigerung, sondern die allseitige Entwicklung und Ausbildung jeder einzelnen Persönlichkeit deklariert wird. Kreativität sollte den Menschen glücklicher machen (nach: Stocker, S.30/31).

VII. Kreativität und Intelligenz

Ein wesentlicher Anstoß für die moderne Kreativitätsforschung war die Entdeckung, daß das traditionelle, weitgehend am IQ orientierte Intelligenzkonzept nur einen Teil der intellektuellen Fähigkeiten abdeckt.

Auch wenn sich aus der Forschung heraus keine eindeutige Korrelation zwischen Kreativität und Intelligenz feststellen läßt, so kann man doch sagen, daß Kreativität weit über den Intelligenzbegriff hinausgeht. Intelligenz alleine ist keine hinreichende Voraussetzung für Kreativität. Beide Begriffe sind Abkürzungen für jeweils sehr komplexe Phänomene (die allerdings Querverbindungen aufweisen) und werden voneinander unabhängig gebraucht.

Bei einem Vergleich lassen sich folgende Unterschiede feststellen: (nach G. Ulmann, S104/105)
 - Intelligenz soll nicht befähigen, Probleme zu entdecken
 - bei der Intelligenzforschung sollen die Probleme eine gewisse Schwierigkeit haben
 - bei der Intelligenz ist die Abstraktheit des Denkens wichtig
 - bei Intelligenztests wird nur eine richtige Lösung gesucht (bei Kreativitätstest sucht man     mehrere gute Lösungen)

Als Gemeinsamkeiten lassen sich festhalten:
 - Probleme verschiedenster Art sollen gelöst werden
 - neue Wege sollen gegangen werden
 - auf bereits vorhandene Probleme soll adäquat reagiert werden (d.h. ökonomisch,              zielgerichtet, sozial wertvoll).

VIII. Das Intelligenz-Struktur-Modell von Joy Paul Guilford

Das Hauptanliegen Guilfords war die Entwicklung einer einheitlichen Theorie, die die bekannten speziellen oder primären intellektuellen Fähigkeiten zu einem einzigen System zusammenfaßt (siehe Schaubild 3 im Anhang).

Das Modell weist drei Dimensionen auf:
 - Denkoperationen (unterteilt in fünf Kategorien bzw. Klassen)
 - Denkinhalte (vier Kategorien)
 - Denkprodukte (sechs Kategorien)

Alle diese einzelnen Faktoren sind beliebig miteinander kombinierbar, es gibt also 5x4x6=120 Kombinationen bzw. Intelligenzfaktoren. Jeder dieser Faktoren ist das Ergebnis des Zusammenwirkens der drei Dimensionen des Intellekts. Bis heute wurden allerdings erst ca. 100 Faktoren praktisch nachgewiesen.

Wichtig sind für Guilford vor allem die Funktionen der "divergenten Produktion" und der "Transformationen". Auch für Guilford heißt "kreativ denken" vor allem divergent denken (also finden einer Vielzahl von richtigen und angemessenen Lösungen zu einem Problem).

Kreatives Verhalten wird für ihn aber auch geprägt von emotionalen, motivationalen und sozialen Faktoren sowie in gewissem Maße auch von konvergentem Denken.
Guilford postulierte acht intellektuelle Fähigkeiten, die er als entscheidend für Kreativität hielt:
 1. Problemsensitivität (die Fähigkeit, Probleme zu entdecken)
 2. Flüssigkeit (möglichst viele Ideen in einer bestimmten Zeit produzieren)
 3. Flexibilität (verschiedene, v.a. ungewohnte Denkwege gehen)
 4. Originalität (ungewöhnliche und ausgefallene Lösungsansätze finden)
 5. Neudefinition (Objekte neu und ungewohnt interpretieren und zu ganz neuen Zwecken benutzen)

 6. Elaboration (Ideen durchdenken und einen konkreten Plan ausarbeiten)
 7. Analyse (komplexe Gegenstände in ihren Bestandteilen erkennen)
 8. Synthese (Teile zu einem Ganzen organisieren)

Obwohl Guilfords Modell einige methodische Mängel aufwies (z.B. einseitige Stichprobenauswahl, zu viel Gewicht auf Schnelligkeit bei der Aufgabenbearbeitung,...), hat er doch beachtliches geleistet. Er stellte das bisher umfassendste Konzept  menschlicher Denkfähigkeiten auf, mit dem er weit über das bis dahin geltende eindimensionale Intelligenzverständnis hinauskam. Er räumte dem kreativen Denken einen expliziten Platz im Intellekt ein, und zwar als individuell variable, normalverteilte menschliche Eigenschaft.

Mit seinem konsequenten Versuch, die theoretisch deduzierten kreativen Fähigkeiten empirisch zu sichern, legte er die Grundlage für viele weitere Forschungen.

IX. Kreativitätsfördernde Methoden

Grundlage für kreatives Verhalten ist allgemein die Stimulation von Ideen. Hilfreiche Methoden können hierbei z.B. sein (nach A. Cropley, S.89ff.):

 - synektisches Denken (durch Verfremdung von Bekanntem bzw. Sich-Vertraut-Machen von     Unbekanntem können neue Zusammenhänge geschaffen werden)
 - Umkehrung des Problems (Änderung der Betrachtungsweise)
 - Konzentration auf die dominante Idee
 - Durchbrechung von Denkhemmungen (Bsp.: "Ei des Kolumbus")
 
Grundsätzlich wichtig ist dabei auch ein spielerischer Umgang mit Ideen und eine gezielte Nutzung der Phantasie.

Spezielle Techniken können beispielsweise folgende sein:

 - Speicherung von Ideen (Notizblock, Zettelkästen, usw.; allerdings ohne Bewertung!)
 - "Geräuschgeschichten" (schwer erkennbare Geräusche vom Tonband sollen in                 Zeichnungen, Geschichten oder Bewegungen umgesetzt werden)
 - Brainstorming (sich ein Problem vorstellen und lösen, eventuell darüber diskutieren;         wichtig ist auch hierbei ein Verzicht auf jegliche Bewertung)
 - Verbesserung von Gegenständen
 - Verwendungsmöglichkeiten ausdenken
 - Ergänzen von Zeichnungen
 - Erfinden von Symbolen für bestimmte Wörter
 - Parodieren
 - Phantasieapparaturen erfinden, usw.

Entscheidende Voraussetzung ist hierbei immer die grundsätzliche Fähigkeit, überhaupt Probleme erkennen zu können. 

X.  Fazit / Heutige Situation

Das Phänomen der Kreativität kann nur umschrieben, nicht aber objektiv und eindeutig definiert werden, auch nicht unter dem Aspekt des kreativen Produkts.
Kreativität ist ein allgemeines Gattungsmerkmal des Menschen und womöglich der wesentliche Ausdruck der menschlichen Entwicklung. Vor allem die humanistische Psychologie geht davon aus, daß Kreativität "ein universell verbreitetes Grundbedürfnis der menschlichen Gattung" ist (Stocker, S.225).
Solche Ansätze finden bis heute allerdings nur sehr geringe praktische Beachtung und Anwendung. Es herrscht eine Dominanz des neopositivistischen Konzepts vor, das um einer Scheinobjektivität willen auf die gesellschaftliche und historische Analyse verzichtet. Dadurch bleiben eventuelle egoistische, mißbrauchende Interessen der Industrie und Rüstung  (Absatzsteigerung, weltpolitische Überlegenheit,...) weitgehend unerkannt und wirken sich unreflektiert auf die psychologische Kreativitätsforschung aus.

Stocker spricht von einer "Indienstnahme des inneren Zwangs (nach Kreativität) für externe Ziele" (S.228).
Nicht die spontane Flexibilität wird gewünscht und gefördert, sondern die adaptive (d.h. unter Anweisung zu produzieren).

Im pädagogischen Bereich spricht Stocker von einer Resignation aufgrund der Wirkungslosigkeit der Kritik an Noten und Erfolgsorientierung. Er beklagt den generellen Einflußmangel der wissenschaftlichen und praktischen Pädagogik auf das politisch bestimmte Bildungsgeschehen. Er wirft der Pädagogik vor, keine wesentlichen eigenen Ansätze zur Aufarbeitung und Klärung des Kreativitätsbegriffes entwickelt, sondern die produktorientierten psychologischen Konzepte der amerikanischen Forschung übernommen und integriert zu haben.
Ziel dieser Forschung sei, "Kreativität als Spezialleistung ausgesuchter Individuen heranzuzüchten und in den Dienst vorgegebener Ziele zu zwingen" (Stocker, S.235).

Stocker fordert deswegen, in der Kreativitätsforschung humane und demokratische Zielsetzungen zu verwirklichen und den Menschen als Ziel, nicht als Mittel zu sehen.
Nicht der "homo oeconomicus" sollte das Leitbild sein, sondern der mündige, emanzipierte  schöpferische Mensch (S.263).

XI. Literaturliste

1. Thomas Stocker: "Die Kreativität und das Schöpferische", Brandes & Apsel-Verlag, Frankfurt, 1988

2. Erika Landau: "Kreatives Erleben", Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel, 1984

3. Gisela Ulmann: "Kreativität", Verlag J. Beltz,Weinheim, Berlin, Basel, 1968

4. Arthur J. Cropley: "Unterricht ohne Schablone - Wege zur Kreativität", Otto Maier Verlag, Ravensburg, 1978

5. H.z. Oeveste/W. Wieczerkowski: "Lehrbuch der Entwicklungspsychologie, Band 2", Pädagogischer Verlag, Schwann, 1982

6. Ulrich Beer/Willi Erl: "Entfaltung der Kreativität", Katzmann Verlag KG,Tübingen, 1972

7. Siegfried Preiser: "Kreativitätsforschung", Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1976

8. Joachim Sikora: "Handbuch der Kreativmethoden", Quelle & Meyer, Heidelberg, 1976

9. Brigitte Bodens: "Sozialisationsbedingungen für Kreativität", Bonn, 1972


Quelle: http://www.ku-eichstaett.de/docs/PPF/FGPaed/arbeiten/moises1.htm (00-05-10)