Kai Romhardt

Wissensmanagement im System Wissenschaft

Dieser Text - das persönliche Resume des Autors am Ende seiner Dissertation - stammt aus dem lesenswerten und inzwischen leider vergriffenen Buch
Romhardt, Kai (1998). Die Organisation aus der Wissensperspektive - Möglichkeiten und Grenzen der Intervention. Wiesbaden: Gabler
und wurde von mir nur leicht modifiziert. Hervorhebungen von mir. Die Arbeit ist als pdf-file im internet unter
http://www.cck.uni-kl.de/wmk/papers/public/DissRomhardt/Diss_Romhardt.pdf downloadbar.

Wer sich über Jahre mit Wissensmanagement beschäftigt, den darf man fragen, wie er seine Ideen und Konzepte auf den Umgang mit dem eigenen Wissen anwendet. Wer sich innerhalb des Wissenssystems "Wissenschaft" bewegt und sich zudem noch mit Wissensmanagement beschäftigt, der muß zwingenderweise diesen Selbstanwendungsnachweis erbringen. Die Unfähigkeit zur Selbstreferenz ist leider nicht selten, aber immer tragisch.

Betrachtet man den Erstellungsprozeß des Wissensproduktes "Dissertation" aus der Perspektive des Wissensmanagements wird deutlich, daß eine Auseinandersetzung mit den Bausteinen des Wissensmanagements Sinn macht, bevor man in den Prozeß eintritt. Eine Dissertation ohne klare Wissensziele kann sich leicht verzetteln und findet kein Ende. Ohne hinreichende Wissenstransparenz übersieht man Bestehendes, findet Gleichgesinnte nicht und bleibt isoliert. Ohne Wissens(ver)teilung in Form von Publikationen oder Vorträgen bleiben die eigenen Erkenntnisse Dritten unbekannt und können daher auch nicht von ihnen genutzt werden. Ohne die klare Bewertung der eigenen Arbeit durch eine wissenschaftliche community oder sich selbst fehlen der Arbeit Feedbackschleifen, was zu langsamen Lernprozessen führen kann. Treten diese Defizite im Erstellungsprozeß der Dissertation auf, so kann das wissenschaftliche Arbeiten zu einer Negativerfahrung werden und wenig "Wissensfrüchte" tragen. Viele Doktoranden, denen ich während meiner Promotionszeit begegnet bin, klagten über solche Zustände.

Die folgende Abbildung stellt dar, wie ich meinen Dissertationsprozeß aus der Perspektive des Wissensmanagements beobachtet und gesteuert habe:

Wissensziel

Wissen über Möglichkeiten und Grenzen von Wissensmanagement gewinnen und in Form einer Dissertation bündeln, Anschlußfähigkeit dieses Wissens in Theorie und Praxis erreichen, Meilensteine definieren.

Wissensidentifikation

Bestehende Literatur sichten und analysieren, Experten im Forschungsfeld und best practice in der Praxis identifizieren.

Wissenserwerb

Forschungskooperationen eingehen, Kongresse besuchen, Praktiker befragen.

Wissensentwicklung

im Team (Action research im Wissensfeld, Schreiben im Kollektiv, Kolloquien), individuell (Kreativität plus systematisches Problemlösen).

Wissens(ver)teilung

Präsentation von Ergebnissen im Forum, auf Kongressen und Kolloquien, Publikationen, Netzwerkaufbau, Durchführung von workshops mit Trainingscharakter.

Wissensnutzung

Anwendung der Ergebnisse auf den eigenen Umgang mit Wissen, Nutzung der Erkenntnisse in Beratungsprozessen.

Wissensbewahrung

Dokumentation der empirischen Ergebnisse, Festhalten nicht ausgearbeiteter Ideen in einem Ideenpool, Weitergabe der eigenen Erfahrungen innerhalb des Lehrstuhlteams.

Wissensbewertung

Meilensteine überprüfen. Anerkennung der eigenen Forschung innerhalb der knowledge community (Zitierungen), Anerkennung der Dissertation im wissenschaftlichen System, Anerkennung der eigenen Ideen in der Praxis, subjektive Zufriedenheit mit dem eigenen Wissen über Wissen.

Innerhalb des Wissenssystems "Wissenschaft" sollten solche Aktivitäten eigentlich selbstverständlich sein. Der effektive, offene und zielorientierte Umgang mit Wissen ist nach meiner persönlichen Einschätzung aber immer noch die Ausnahme. Als Reaktion auf diesen unbefriedigenden Zustand entstand ein Katalog von Regeln für Wissenschaftler und Praktiker, die im Feld des Wissensmanagements ein gemeinsames Erkenntnisinteresse verbindet und einen fruchtbaren, vertrauensorientierten Austausch pflegen wollen. Dieser aphoristische Katalog, den ich Verhaltensregeln für knowledge cowboys genannt habe und der in einem iterativen Prozeß mit vielen Partnern im Forschungsfeld erstellt wurde, faßt so etwas wie meine persönliche Wunschvorstellung des Zusammenarbeitens in wissensintensiven Bereichen zusammen:

Verhaltensregeln für knowledge cowboys

  1. Am Anfang war das Unwissen.
  2. Teile Dein Wissen (mit anderen knowledge cowboys).
  3. Speise ins Wissensnetzwerk ein und stärke so die Wissensgemeinschaft.
  4. Überprüfe deine Wissensrelevanzfilter - mache Dich auf die Suche nach dem Abwegigen.
  5. Was Du weißt, wollen viele gar nicht wissen.
  6. Verwende zur Wissensvermittlung so oft du kannst anschauliche Beispiele.
  7. Denke an die Wissensnutzer (bevor Du sie mit Informationen überschwemmst).
  8. Sei streng bei der Auswahl neuer knowledge cowboys.
  9. Zolle den Wissensgurus und ihren Buzzwords keinen Respekt.
  10. Achte das Unwissen anderer - fühle dich nicht als Missionar.
  11. Nutze dein Wissen.
  12. Verzweifele nicht an Deinem Unwissen, sondern lerne es zu lieben.
  13. Erschließe Dir neue Wissensquellen.
  14. Schmeiße Bewährtes nicht leichtfertig über Bord.
  15. Stelle stets das in Frage, worin Du Dir am sichersten bist.
  16. Befrage immer erst das Alte vor dem Neuen, Dein Wissen vor dem der Anderen.
  17. Freue Dich, wenn Du nichts mehr sicher weißt, sei glücklich über Wissenskrisen.
  18. Stürze andere höflich aber bestimmt in Wissenskrisen.
  19. Lasse Dir die Welt aus den Augen anderer knowledge cowboys erklären.
  20. Finde die Balance zwischen Wissen und Nicht-Wissen.
  21. Setze an veränderbarem Wissen an.
  22. Versuche eine gemeinsame Sprache über Wissensphänomene aufzubauen.
  23. Spiele mit Leitunterscheidungen des Wissens.
  24. Beobachte bei Veränderungen der Wissensbasis stets die Machtkomponente.
  25. Meide und isoliere Wissenszecken.
  26. Akzeptiere widersprüchliche Regeln für knowledge cowboys.

Wenn vieles in der Beantwortung meiner Schlußfragen sehr kritisch klang, so ist dies eher auf meine Besorgnis um das Thema "Wissensmanagement" zurückzuführen, als auf meinen generellen Zweifel daran, daß das Management der Ressource Wissen für den Einzelnen, Organisationen und ganze Volkswirtschaften für die Zukunft von zentraler Bedeutung sein wird. Mit dieser Dissertation entlasse ich meinen Beitrag zu diesem Thema in die wissenschaftliche Welt. Ob Teile dieser Ideen in den Köpfen anderer zu Wissen werden oder ihnen gar im Alltag nützlich und nutzbar werden, wird die Rezeption in Theorie und Praxis erweisen. Dieser Prozeß ist für mich nicht steuerbar und zudem auch sehr schwer beobachtbar. Daher freut sich der Autor über Feedback. Ich wünsche allen am Thema Interessierten viel Glück, Erfolg und Durchhaltevermögen auf ihrem persönlichem Wissensweg.


Betrifft ©opyright:
Dieser Text ist auf diesem server nur gespiegelt. Die AutorInnenrechte werden dadurch nicht beeinträchtigt. Bitte verwenden Sie bei einer Zitation in allen Fällen nur das angegebene Original, das über die Quellenangabe erreichbar ist. WS