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Sabine Kirchhoff

Schreibwerkstatt: Von Schreibproblemen zu Schreibperspektiven

Schreibendes Schaffen

"(...) hat nichts von Geniestreichen aus heiterem Himmel oder von dem Pathos entrückter Eigentümlichkeit, es bedeutet auch kein permanentes Fest (...). Schreiben bedeutet Arbeiten (...). Arbeit setzt aber immer etwas voraus, was bearbeitet, verarbeitet und umgearbeitet wird, ohne die kräftigen Widerlager der Tradition läuft die Kreativität leer."

Wissenschaftliches Schreiben ist für den Studienerfolg zwingend erforderlich. Spätestens am Ende des Studiums muß diese Fertigkeit in Form einer Diplom-, Magister- oder Staatsarbeit unter Beweis gestellt werden. Nichtsdestotrotz hat die "Lehre des Schreibens" an bundesdeutschen Hochschulen keine Tradition. Dies liegt teilweise daran, daß mangelnde Schreibfähigkeiten hierzulande mit mangelnden Studierfähigkeiten assoziiert werden, was per se negativ konnotiert ist. Eine Sichtweise, die in den USA oder England obsolet wäre. Denn in den USA gehören "writing programs" für Studierende wie für Graduierte zum Standardprogramm der Hochschulen, und in England ist die Vermittlung von Schreibkompetenzen sogar Herzstück der Eliteausbildung. Gerade die renommiertesten Hochschulen Cambridge und Oxford führen ihre Studierenden anhand sogenannter "tutorials" in das Handwerk des schriftlichen Formulierens und Argumentierens ein, wobei die Teilnehmenden ein umfangreiches schreiberisches Programm zu absolvieren haben, um im Anschluß dem Ruf der Universität zur Ehre zu gereichen (vgl. ZEIT, Nr. 5, 22. Januar 1998).

In der Bundesrepublik lassen sich immerhin seit Anfang der 90er Jahre einige wenige Aktivitäten beobachten, die das Bewußtsein für die Notwendigkeit eines Schreib-Lehrangebotes geschärft haben. Dieses Bewußtsein fußt nicht zuletzt auf Erfahrungen aus der zentralen Studienberatung der FU Berlin. Seither wurden neben spärlichen Initiativen einzelner Lehrender insbesondere im Rahmen des Aktionsprogrammes "Qualität der Lehre" mehrere Projekte zur Verbesserung der Schreibausbildung mit Blick auf die Verkürzung von Studienzeiten als Leuchtturmprojekte gefördert. Die Vorhut bildete hierbei das Schreiblabor der Universität Bielefeld, der die Gründung von Schreibzentren in Bochum, Düsseldorf und Köln folgten (vgl. Hollmann/Frank/Ruhmann 1995, Kruse 1994, Ruhmann 1997).

Am Hochschuldidaktischen Zentrum der Universität Dortmund existiert seit dem Sommersemester 1995 ebenfalls eine "kleine" Schreibwerkstatt, in der pro Semester je nach Semesterwochen zwölf bzw. 15 Studierende an das Handwerk des Schreibens herangeführt werden. Hieran können Studierende aller Fachbereiche teilnehmen. Wie die vom Ministerium geförderten Schreibprojekte stieß auch die Dortmunder Schreibwerkstatt auf eine hohe Resonanz und im Verlauf des jeweiligen Seminars auch Akzeptanz seitens der Studierenden (vgl. Eisbein/ Fenske/Höhn/Klandt/ Schäckermann/ Söntges/Strasser 1996). Trotz des Verzichts auf Werbung überstieg die Nachfrage regelmäßig das Angebot und die Teilnehmerzahl blieb über das Semester hinweg konstant. Da unsere Erfahrungen zeigten, daß es aus mehreren Gründen Sinn macht, dieses Angebot des Hochschuldidaktischen Zentrums nicht nur beizubehalten, sondern es auszuweiten und zu institutionalisieren, haben wir unser Programm - wie in den Beiträgen von Ruhmann/Wildt und Gaus/Wildt noch gezeigt werden soll - ausgebaut. Und zwar im Bestreben dazu beizutragen, daß sich Schreibprobleme in Schreibperspektiven verwandeln.

Von den Mühen des wissenschaftlichen Schreibens

Warum "nur" fällt "das" Schreiben vielen Studierenden, aber auch WissenschaftlerInnen so schwer? Zu meinen, es läge "lediglich" an mangelnder Übung, greift unserer Erfahrung nach zu kurz. Hemmend wirken gleichfalls der Druck, die schriftliche Arbeit innerhalb eines vorgegebenen zeitlichen Rahmens fertigzustellen, sich einer Fachöffentlichkeit stellen und gewissen (meist überhöhten) Ansprüchen genügen zu müssen, und, und, und (vgl. Becker 1994). Denn Schreiben bedeutet - wie eingangs - erwähnt im Sinne Merleau-Pontys Arbeiten. Da sich am Beispiel der Studierenden, der Gruppe mit der geringsten Schreibpraxis, die eng verzahnten kognitiven, sozialen und emotionalen Komponenten des Schreibprozesses am besten herausarbeiten lassen, wollen wir uns bei der Beschreibung "typischer" Probleme zunächst auf diese Gruppe beschränken. Sie sollen einen Eindruck von der Komplexität des Schreibprozesses vermitteln und die Relevanz der Expansion des Schreib-Lehrangebotes unterstreichen. Denn unserer Ansicht nach schlummern hier Potentiale, die geweckt werden sollten, weil es den Studierenden häufig am Mut und an der Übung fehlt, ihrem Denken und erst recht ihren niedergeschreibenen Gedanken zu vertrauen als am intellektuellen Vermögen.

Studierende an den bundesdeutschen Hochschulen verfügen eher selten als oft über ausreichende Schreibpraxis (vgl. Eisbein et. al 1996). In der Dortmunder Schreibwerkstatt trat jedenfalls deutlich zutage, daß es auch in den geisteswissenschaftlichen Studiengängen möglich ist, sich ohne auch nur eine längere schriftliche Arbeit verfaßt zu haben, durch das Studium zu schlagen. Was sich am Anfang und während des Studiums noch als Schlupfloch darstellt, kann am Ende in eine Sackgasse und zum Studienabbruch führen. Denn spätestens bei der Diplomarbeit muß der Studierende sozusagen von 0 auf 100 all das nachholen, was er während seines gesamten Studiums versäumt hat. Probleme oder gar ein Desaster sind vorprogrammiert, was wiederum dazu führt, daß Studierende in dieser Phase oftmals ihr Leid StudienberaterInnen klagen.

Wenn wir uns zunächst die in der Schreibwerkstatt am häufigsten gestellten Fragen der Studierenden ansehen, kristallisiert sich eine für das wissenschaftliche (!) Schreiben typische Eigentümlichkeit heraus. Diese lautet: Viele der gemeinhin unter das Phänomen "Schreibprobleme" subsumierten Aspekte hängen weniger mit dem eigentlichen Schreiben zusammen als mit

Diese häufig unbeantworteten Fragen ragen in den vermeintlich einfachen Prozeß des Schreibens hinein, wobei dieser selbst wiederum neue Fragen aufwirft, die auf mangelnde Schreibpraxis oder von Seiten der Universitäten nicht geförderte Schreibkarrieren zurückzuführen sind. Hierzu gehören:

Hiermit korrespondieren zudem noch Vorstellungen, die auf der Unterscheidung zwischen Wissenden und Unwissenden beruhen, im hierarchischen Aufbau der Universitäten widerhallen und zu Verunsicherungen führen können. Der/die Einzelne fühlt sich häufig 

Das Unbehagen wird für gewöhnlich aber nur im privaten Kreis oder Schreibwerkstätten angesprochen (vgl. Eisbein et al. 1996). Da Wissenschaft gemeinhin für Wissen steht, versuchen die meisten Personen den bestmöglichen Eindruck zu hinterlassen. Dieses Verhalten läßt sich schon unter Studierenden beobachten, aber erst recht bestimmt es vielfach die Interaktion zwischen Studierenden und Lehrenden.

Darüber hinaus richten sich Studierende bei der Bewertung eigener schriftlicher Leistungen selten an Arbeiten ihresgleichen aus, sondern ziehen fertige, bereits publizierte Texte als Orientierungsfolie heran. Diese im bestmöglichen Fall sprachlich, grammatikalisch, argumentativ auf Hochglanz polierten Veröffentlichungen bieten jedoch keinen Aufschluß über den Schaffensprozeß, was wiederum zu der irrigen Annahme führt, AutorInnen wären ohnehin "unerreichbar" oder zumindest begabter als man selbst. 

Zwei Schritt vor und einen zurück:
Vom Entwurf zum fertigen Text

Um diese Vorstellungen auszuräumen und den Studierenden schreiberisches Selbstvertrauen zu vermitteln, steht der Prozeß des Produzierens von Texten (mit all seinen Vorstufen wie der Verständigung über Wissenschaft, Zitierweisen etc.) und seinen Tücken im Mittelpunkt der Schreibwerkstatt. Innerhalb der Seminare wird den Teilnehmenden in einem ersten Schritt veranschaulicht, daß 

In einem zweiten Schritt stehen Übungen an, die zeigen, wie

Last but not least werden mit dem Schreiben korrespondierende - den Rahmen und die Arbeitsorganisation betreffende - Fragen thematisiert. Hierunter fallen unter anderem

Kurzum: Es wird den Studierenden vermittelt, daß Schreiben keine Kunst darstellt, sondern ein Handwerk, welches erlernt werden kann.

Unsere Erfahrungen, die sich mit denen anderer Schreibzentren und den Veröffentlichungen zu diesem Thema decken, zeigen, daß nicht nur Studienzeiten verkürzt und persönlich wahrgenommene, aber kollektiv vorhandene Unsicherheiten abgebaut werden können, sondern gleichzeitig die Arbeitsorganisation wie die Qualität der Texte verbessert werden kann. Insbesondere letztgenannter Aspekt sollte eine Hochschule interessieren, weil die Qualität der Leistungen der Studierenden letztlich auch ein Indikator für die Qualität der ausbildenden Universität ist. Grund genug also diesen Schwerpunkt weiter auszubauen.

Literaturverzeichnis:

Eisbein, Boris/Fenske, Petra/Höhn, Petra/Klandt, Gerlinde/Schäckermann, Sandra/Söntges, Simone/Strasser, Christine, Die Angst vor dem leeren Blatt überwinden, in: HDZ-Rundbrief 7. Jg., Nr. 1, S. 20-21.

Hollmann, Detlef/Frank, Andrea/Ruhmann, Gabriela, Wenn die Worte fehlen. Das Schreiblabor: Beratung für Studierende und Lehrende, in: Handbuch Hochschullehre, Bonn 1995, A.3.5, S. 1-16

Hovestadt, Gertrud/Hein, Mathias/Wildt, Johannes, Forschen lernen, Düsseldorf 1998

Kruse, Otto, Keine Angst vor dem leeren Blatt. Ohne Schreibblockaden durchs Studium, Frankfurt/Main 1994

Perras, Arne, Elite braucht Knete. Sind die Universitäten Oxford und Cambridge gefährdet? In: ZEIT,Nr. 5,22.1.98


Quelle: http://www.hdz.uni-dortmund.de/publik/Rundbrf/skirchh.htm (99-12-05)