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Hans-Dieter Haller
In vielen wissenschaftlichen Disziplinen sind Fallstudien in kleinerer oder größerer Form ein Bestandteil des methodologischen Instrumentariums; interessanter Weise sind sie in Forschung und Lehre verbreitet. Es sei hier nur kurz angedeutet, daß Fallstudien in der Entwicklung vieler Wissenschaften einen recht frühen historischen Ursprung haben und in den wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzungen auf der Seite der nicht auf allgemeingültige Gesetzesaussagen zielenden, idiographischen Ansätze zu verorten sind sowie oft als explorativer, hypothesengenerierender Forschungstypus für ein noch frühes Stadium der wissenschaftlichen Analyse angesehen werden.
Es geht in besonderem Maße darum, der Komplexität realer Praxis gerecht zu werden und ganzheitliche Betrachtungs- und Interventionsweisen zu berücksichtigen. Manche Fächer haben für die Durchführung von Fallstudien eigene Methoden und Begrifflichkeiten entwickelt, zu erinnern sei an die Anamnese in der Medizin oder die Unterscheidung von Einzelfallstudie und Fallstudien im Rahmen von Feldforschung in der empirischen Sozialforschung oder der Kulturanthropologie.
Fallstudien können in Forschung und Lehre einen breiten Raum einnehmen. Die folgenden Überlegungen beschränken sich auf "kleine" Fallstudien im Rahmen der Lehre, etwa im Umfang von 1 bis 4 Seminarstunden.
Solche Fallstudien können ganz unterschiedliche Zielsetzungen aufweisen; es kann gehen um (siehe "Göttinger Katalog Didaktischer Modelle"):
Inwieweit die Studierenden die angesprochenen Aufgaben und Aktivitäten selbständig oder unter Anleitung oder mit Einhilfen (falls sie erforderlich werden) durchführen, hängt einerseits vom Schwierigkeitsgrad des Falles, andererseits vom Fortschritt ihres Lernprozesses ab.
Ein Fall muß sorgfältig unter dem Gesichtspunkt seines exemplarischen oder repräsentativen Charakters ausgesucht werden; untypische Merkmale, die diesen Charakter verdecken ("Distraktoren"), können vorhanden sein, damit die Fallanalyse etwas schwieriger wird; sie sollten aber nicht überwiegen. Fälle sind oft auch in irgendeiner Art und Weise aus dem üblichen Rahmen fallend, d.h. ein wenig oder auch sehr spektakulär.
Sofern dieses nicht Gegenstand der Fallstudienbearbeitung selbst ist, gehört eine gute und übersichtliche Dokumentation des Falles zu den Voraussetzungen, bevor diese Bearbeitung erfolgen kann; zumindest in einer Grundfassung sollte eine solche Falldokumentation möglichst allen beteiligten Studierenden schriftlich vorliegen. Im Rahmen dieser Falldokumentation kann es um zentrale und Hintergrundinformationen gehen; üblich ist eine zusammenhängende Darstellungsskizze, die ggfs. auf das weitere Material verweist.
Je nach Zielsetzung und Informationslage sowie natürlich auch nach den gegebenen Möglichkeiten und Interessen oder Wünschen kann die Bearbeitung gemeinsam, verteilt auf arbeitsgleiche oder arbeitsteilige Gruppen sowie durch einzelne Studierende erfolgen. Bei verteilten oder durch einzelne erfolgende Fallbearbeitungen ist die Dokumentation des Fortschrittes dieser Fallbearbeitung zu sichern; bei gemeinsamer Fallbearbeitung sollten gelegentliche Zusammenfassungen des bisherigen Erkenntnisstandes diese Transparenz sichern. Bei gemeinsamen Fallbearbeitungen kann es auch hilfreich sein, die grundlegenden Dokumente und die Zwischenergebnisse mit Folien an die Wand zu projizieren, bei verteilten und längeren Fallbearbeitungen können sie gut in Form von Wandzeitungen festgehalten werden.
was
getan?
4. Aus dem so erschlossenen
Wissensbestand über den Fall lassen sich "Eckwerte" des
Falles, d.h. die zentralen Problempunkte ("critical
incidents"), die grundlegenden Parameter oder auch das Besondere
des Falles herauskristallisieren. Vielleicht lohnt es sich nun, in
Art einer Wissens-Landkarte diese "Eckwerte" zusammenzustellen und
auch schon ihre möglicherweise bestehenden Beziehungen
zueinander (Ursache-Wirkungs-Verhältnisse,
Bedingungswahrscheinlichkeiten u.ä.)
darzustellen.
5. Auf diese Zusammenstellung folgt der
Versuch einer Problemlösung, Hypothesenbildung
o.ä.; so können u.U. verschiedene Lösungswege,
Hypothesen o.ä. entstehen, die hinsichtlich ihrer
Konsequenzen zu betrachten sind (z.B.: "Wenn es stimmt,
daß..., dann müßte auch ..."). Hierbei ist auch
an das vorhandene Deutungswissen (theoretische Wissen,
Hintergrundwissen) anzuknüpfen; u.U. sind auch
mehrperspektivische Betrachtungsweisen möglich und sinnvoll
("nach dieser Theorie handelt es sich um..., nach jener Theorie
hingegen um ...").
6. Wurde eine Lösung gefunden oder
eine Entscheidung getroffen, so sollte sie zur Absicherung und zur
nochmaligen Veranschaulichung der bisherigen Fallbearbeitung und
der einzelnen Schritte an die Ausgangslage zurückgeführt
werden (Rückschau); die zentrale Frage lautet: "Haben
wir eine gute Lösung gefunden resp. Entscheidung getroffen?"
(noch könnte revidiert und der Arbeitsschritt wiederholt
werden!). Ist es beim besten Willen zu keiner Lösung gekommen
(auch im wirklichen Leben gibt es nicht immer Lösungen, oder
Entscheidungen werden vermieden), so sollte wenigstens das
zugrunde liegende Dilemma dargestellt und begründet
werden.
7. Zum Schluß sollte der Blick
nach vorn gerichtet werden; es sind Fragen zu stellen und zu
behandeln, welche Folgerungen aus den bisherigen
Erkenntnissen für die weitere Studiengestaltung abgeleitet
werden können, was noch gelernt werden
müßte, welche Routinen zu entwickeln sind,
u.ä.. Hierbei geht es auch um mögliche
Verallgemeinerungen, d.h. welche Typik sich aus dem
bearbeiteten Fall ergeben hat.
Allgemeines Planungsmodell für eine kleine Fallstudie (Fallbesprechung)
Thema:
Termin:
Fachbegriffe:
Literatur:
Vorbereitung:
besorgen
vorbereiten
vorher
ankündigen
mitbringen
Einstieg/Ankündigung:
möglicher Kontext des
Falles
Relevanz des Falles
Darstellung des Falles (1):
Präsentation des
Falles
sorgfältige Lektüre des
Falles
Aufgabenstellung
erste Auseinandersetzung, Stolpersteine (2):
Auffälligkeiten des
Falles
Ungereimtheiten,
Widersprüche
genauere Analyse der Aussagen/Merkmale (3):
Fragen an den Fall stellen (W-Fragen)
Abklärung der Fallparameter (4):
Eckwerte des
Falles
"critical
incidents"
Beziehungen zwischen den
Fallparametern
Versuch eines (möglicherweise auch verschiedener) Lösungswege (5):
Anknüpfen an
Deutungswissen
gibt es mehrere Lösungen, was spricht
für x, was spricht für y ?
gibt es unterschiedliche Perspektiven
für eine Lösung?
welche Konsequenzen
(Prüffragen)?
Abwägung der verschiedenen
Wege
was kennzeichnet die optimale
Lösung?
Entscheidung für eine
Lösung
Rückschau auf die Falldarstellung (6):
Rückbetrachtung der
Ausgangslage
Zusammenfassung der
Arbeitsschritte
Reflexion
Zusammenfassung
Begründung für die Lösung,
ggfs. für einen Nicht-Entscheid
ggfs. schriftliche Formulierung der
Lösung/Entscheidung
Folgerungen und Transfer (7):
Verallgemeinerbare
Erkenntnisse?
was müßte noch gelernt
werden?
Routinen
entwickeln
Perspektive
Nachbereitung:
gute Erfahrungen
schlechte
Erfahrungen
Zeitmanagement
Änderungen im
Vorgehen
Ideen für einen neuen
Fall
Materialien und Gedanken archivieren
Quelle: http://www.gwdg.de/~hhaller/lehrtip3.htm
- Homepage
des Arbeitskreises für Hochschuldidaktik