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Hans-Dieter Haller
Zu den wesentlichen Kennzeichen der "modernen" Auffassungen von Lehren und Lernen gehört die Vorstellung von aktiven Lernerinnen und Lernern. Lernen selbst wird verstanden als Prozeß aktiver Aneigung von Wissen, Kompetenzen, Fähigkeiten oder Fertigkeiten. So ist es denn auch nicht verwunderlich, daß in Lehrveranstaltungen an Hochschulen zunehmend die aktive Mitarbeit von Studierenden erwartet wird; in manchen Veranstaltungstypen wohl weniger (Vorlesungen), in anderen wohl mehr (Seminare, Übungen). Auch wird Selbsttätigkeit, Eigenititiative u.ä. als "Schlüsselqualifikation" angesehen, d.h. als eine wesentliche allgemeine Kompetenz für berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit. Und schließlich ist selbsttätiges Lernen im Hochschulalltag schon deshalb unumgänglich, weil es natürlich schlechterdings nicht vorstellbar ist, alle erforderlichen und erwarteten Kompetenzen durch formelle Lehre zu vermitteln; so ist das selbsttätige Studieren schon lange eine implizite Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium.
Gleichwohl wird von Dozentinnen und Dozenten oft beklagt, daß -vielleicht bis auf wenige Ausnahmen- die Studierenden zu wenig Eigeninitiative aufweisen würden; gerade in Seminaren und Übungen, wo es auf lebendige Diskussionen ankomme, müsse man ihnen immer wieder eigene Beiträge wie "die Würmer aus der Nase holen". Auf die Dauer sei das lästig, man sei so zu langen Monologen gezwungen, es fehle der Impuls aus dem Kreis der Zuhörenden.
Als Dozent/Dozentin sieht man sich mit sehr unterschiedlichen Strategieempfehlungen versehen. Im Extremfall wird empfohlen, die Studierenden total allein zu lassen oder wenigstens sich sukzessive als Dozent/in zurückziehen, also gewissermaßen ein Vakuum zu schaffen, so daß die Studierenden gezwungen seien, selbst etwas zu unternehmen. So soll es schon Seminare gegeben haben, in denen der Dozent sich zu Beginn in der ersten Sitzung zwischen die Studierenden setzte und nichts tat, abwartete, bis sich vielleicht nach 10, 15 oder noch mehr Minuten irgendetwas unter den Studierenden tat. Andere Dozenten/Dozentinnen empfehlen und vollziehen selbst (wahrscheinlich sind dies die meisten) eine Praxis der Ignoranz; irgendwann würde sich wohl schon eine größere Aktivität ergeben, sie übergehen selbst schon peinliche Momente der Stille, wenn sie eine Frage gestellt haben.
Lassen wir hier einmal außer Acht, ob die Klage über zu geringe Eigenaktivität der Studierenden auf entsprechenden empirischen Tatsachen beruht, bzw. unterstellen wir diese hier als möglich und fragen zunächst, welches Gründe für eine evtl. geringe studentische Mitarbeit in Lehrveranstaltungen sein können; daraus ergeben sich bereits Folgerungen:
Von übergreifender Bedeutung im Hinblick auf einzelne dieser Gründe dürfte die sog. "Theorie der Kausalattribuierung" als Erklärung für das dargestellte Problem sein. Kurz zusammengefaßt besagt dieses Modell, daß Menschen sich im Verlauf ihrer Entwicklung subjektive Theorien über die Ursachen (Kausalität) der Wirkungen ihrer eigenen Handlungen machen; diese Handlungen können erfolgreich oder nicht-erfolgreich sein; die Zuschreibung (Attribuierung) der zugrundeliegenden Ursachen kann internal (auf die betreffende Person selbst bezogen) oder external (auf Bedingungen der Umgebung oder Glück und Zufall bezogen) sein. Ein gutes Prüfungsergebnis können Studierende also auf sich selbst (internal) zurückführen oder z.B. auf Mildheit eines Prüfers oder Glück (external). Von besonderer Beduetung in unserem Zusammenhang wird dieses Schema, wenn ein Mensch Erfolg und Mißerfolg seiner eigenen Handlungen unterschiedlich attribuiert, also entweder Erfolg sich selbst zuschreibt und Mißerfolg durch äußere Bedingungen erklärt (ein psychohygienisch sehr entlastendes Schema) oder aber Erfolg durch äußere Bedingungen und Mißerfolg mit sich selbst erklärt ("ich bin wohl doch sehr dumm", "ich kann das nicht").
Aus diesen beiden Schemata dürften unterschiedliche Strategien der Bewältigung von Anforderungen resultieren: nach dem erstgenannten Schema sucht ein Mensch den Erfolg und geht ggf. auch Risiken ein (Strategie der Risikoorientiertheit), nach dem zweiten Schema versucht ein Mensch, möglichst Mißerfolg zu vermeiden und geht nicht gern Risiken ein (Strategie der Risikovermeidung)! Solche Attribuierungsschemata lassen sich allerdings nicht leicht oder schon in kurzer Frist ändern; Forschungen berichten auch von einer geschlechtspezifischen Differenz: Männer neigen eher zum ersten, Frauen eher zum zweiten Schema. Auf jeden Fall gehört die realistische Chance zum Erfolg und eine positive Rückmeldung zu den notwendigen Voraussetzungen, aus Erfahrungen heraus ein günstiges Attribuierungs- und Risikoschema aufzubauen.
Die disziplinären und beruflichen Deutungsmuster und das dafür aufgebaute Handlungswissen sind letztlich die Bezugspunkte, aufgrund derer ein Student/eine Studentin eine professionelle Haltung im Umgang mit Anforderungen und seinen/ihren eigenen Handlungspotentialen im Verlauf der akademischen Bildung entwickeln muß. Der Dozent/die Dozentin ist nur Mittler in diesem Entwicklungsprozeß und muß sich selbst hinter das Fach und die Profession stellen. In der Medizin z.B. ist die oft zu findende Praxis, Studierende schon früh in die Perspektive des Arztes bzw. der Ärztin zu setzen, ein guter Weg, diese Bezugspunkte zu setzen.
Abschließend noch ein paar einzelne Hinweise zu diesem Thema:
Quelle: http://www.gwdg.de/~hhaller/lehrtip11.htm
- - Homepage
des Arbeitskreises für Hochschuldidaktik