Schritte der Fragebogenkonstruktion
Bestimmung der Form des Fragebogens
Bevor mit der Sammlung der Elemente des Fragebogens begonnen
werden kann, sollte eine Entscheidung über die Form des
Fragebogens, d.h. über die Art und Weise, sprachliches Material
zur Beantwortung darzubieten, getroffen werden: Es können
- Fragen gestellt werden, z.B. "Halten Sie sich für einen
geselligen Menschen?" oder "Sollte man allen Asylsuchenden eine
Arbeitserlaubnis geben?",
- oder es können Feststellungen (Statement) dargeboten
werden, z.B. "Ich bin ein geselliger Mensch" oder "Man sollte
allen Asylsuchenden eine Arbeitserlaubnis geben"
Die Fragebogen-Items können in unterschiedlicher
grammatikalischer Form erscheinen,
- in der ersten Person Singular, z.B. "Ich bin ein geselliger
Mensch" oder
- in unpersönlicher Form, z.B. "Man sollte allen
Asylsuchenden eine Arbeitserlaubnis geben".
Auf sehr unterschiedliche Art und Weise kann der Antworttypus,
d.h. die Art der verlangten sprachlichen Reaktion gestaltet sein. In
einfachster Weise wird auf eine Frage oder Statement lediglich ein
zweistufiges kategoriales Urteil verlangt: "ja-nein" oder
stimmt-stimmt nicht u.ä.
Die Zahl der Anwortkategorien kann erweitert werden, z.B. im
einfachsten Fall um eine dritte Antwortkategorie: ja-neutral-nein
etc. Durch Erweiterung um mehrere Kategorien entsteht eine
sogenannten Schätz- oder Rating-Skala; dabei kann es sich um
eine rein numerische Rating-Skala, eine graphische Rating-Skala, eine
verbal verankerte (d.h., an bestimmten Punkten der Skala mit Worten
beschriftete) Rating-Skala handeln, z.B. stimmt 3 2 1 0 1 2 3 stimmt
nicht, ja 1 2 3 4 5 nein, stimmt-stimmt eher-stimmt eher nicht-stimmt
nicht.
Erfahrungsgemäß führt die Einführung einer
"mittleren" Antwortkategorie, sei sie explizit vorgegeben (z.B. durch
die Antwortkategorie "neutral") oder durch Verwendung einer
mehrstufigen Antwortskala mit ungerader Kategorienzahl, eher zu
Schwierigkeiten als daß es mit Vorteilen verbunden ist. Ein
Zustimmen oder Ablehnen der mittleren Antwortkategorie kann
nämlich für einzelne Versuchspersonen ganz
Unterschiedliches bedeuten:
- eine mittlere Antwortposition (z.B. jemand hält sich
für einen in mittlerem Maße geselligen Menschen)
- eine "Weiß nicht"-Antwort (z.B. jemand kommt zu keinem
endgültigen Urteil darüber, ob er nun gesellig ist oder
nicht)
- eine "Irrelevanz"-Antwort (z.B. jemand hält die Frage
für nicht besonders wichtig usw.)
- eine "Protest"-Antwort (z.B. jemand hat etwas gegen die Frage
einzuwenden und drückt seine Unmut oder Widerstand gegen die
Frage durch das Ankreuzen der mittleren Kategorie aus)
Aus solchen Gründen wird eine mittlere Kategorie häufig
bewußt weggelassen, indem nur positive und negative
Antwortmöglichkeiten vorgegeben werden. Die antwortende Person
soll dadurch gar nicht erst auf eine der genannten
Ausweichmöglichkeiten verwiesen werden. Auf der anderen Seite
kann die Berücksichtigung der neutralen Antwortkategorie
sinnvoll sein, wenn man aus der Häufigkeit des Ankreuzens dieser
mittleren Position auf so etwas wie Interesse bzw. Desinteresse bei
der Beantwortung des Fragebogens schließen will u.ä.
Es gelegentlich gewähltes, wenn auch etwas aufwendiges
Verfahren der Darbietung von Fragebogen-Items und ihrer Beantwortung
besteht in der sogenannten Forced-Choice-Technik, bei der nicht jede
Frage für sich beurteilt werden soll, sondern eine Entscheidung
zwischen mehreren gleichzeitig dargebotenen Fragen oder Aussagen zu
treffen ist: Es werden dabei Statements vorgegeben, die das zu
messende Merkmal in unterschiedlichem Grad ausdrücken oder
repräsentieren. Die zutreffendere der Feststellungen soll dabei
angekreuzt werden.
Bestimmung der Quellen für die Item-Sammlung
Ein mit einem Fragebogen zu erfassendes Konstrukt kann
grundsätzlich sowohl aus sozialwissenschaftlichen Theorien oder
Modellen, wie sie in der Fachliteratur der jeweiligen Disziplin
fixiert sind, entspringen. Es kann aber ebenso gut aus eigenen
Überlegungen, Alltagsbeobachtungen u.ä. abgeleitet werden.
Dementsprechend kann die Sammlung der Items, wahlweise oder
kombiniert auf eine Reihe unterschiedlicher Quellen
zurückgreifen: Fragen können aus bereits vorliegenden
sozialwissenschaftlichen Theorien abgeleitet werden. Fragen oder
Feststellungen können jedoch auch von bereits bestehenden
Erhebungsinstrumenten übernommen werden (ZUMA Skalenhandbuch).
Ebenso können ExpertInneninterviews oder Probeinterviews als
Ideenquelle für die Formulierung von Fragebogen-Statement
dienen.
Item-Revision
Bevor ein Fragebogen zum Einsatz kommt, scheint eine "zweite
Lesung", eine nochmalige Revision der gesammelten Fragen, vor allem
auch unter sprachlichen Gesichtspunkten angebracht. Die sprachliche
Formulierung einer Frage erfolgt einerseits mit dem Ziel, die
Befragten zu einer Antwort zu motivieren, andererseits muß sie
erreichen, daß die Frage von den Versuchspersonen richtig
verstanden wird. Eine Reihe vom allgemeinverbindlichen Regeln der
Formulierung von Items zur Operationalisierung von
sozialwissenschaftlichen Konstrukten in Fragebögen, die mit
gewissen Einschränkungen anwendbar erscheinen, hat EDWARDS
bereits vor dreißig Jahren zusammengestellt:
- Man vermeide Feststellungen, die sich auf Vergangenheit oder
Gegenwart beziehen.
- Man vermeide Feststellungen, die sich auf Tatsächliches
beziehen oder so interpretiert werden könnten.
- Man vermeide Feststellungen, die sich auf mehr als eine Weise
interpretieren lassen.
- Man vermeide Feststellungen, die entweder von fast jedem oder
fast niemandem bejaht werden können.
- Man wähle eine einfache, klare, direkte Sprache.
- Feststellungen sollten kurz sein und nur selten mehr als
zwanzig Wörter enthalten.
- Jede Feststellung sollte nur einen einzigen vollständigen
Gedanken enthalten.
- Man vermeide Wörter, die von den beantwortenden Personen
nicht verstanden werden,
- Man vermeide den Gebrauch doppelter Verneinung.
Bei der Item-Revision sollte auch die Reihenfolge der Darbietung
der Items festgelegt werden. Von einer Zufallsreihenfolge, wie sie
oft postuliert wird, ist nicht viel zu halten, vielmehr sollte der
Fragebogen inhaltich strukturiert und für die Versuchspersonen
in dieser Struktur erkennbar sein.
Strategien der Frageformulierung
Die Konstrukte eines Fragebogens können Themen betreffen z.B.
Persönlichkeitszüge etc., die der Befragte auch dann nicht
an sich selbst beschreiben könnte bzw. würde, wenn zwischen
ihm und dem Interviewer eine freundschaftliche Beziehung
bestünde.
Eine Vielzahl von indirekten Techniken ist daher für alle
Fälle entwickelt worden, wo anzunehmen ist, daß der
Untersuchungsgegenstand "Widerstand" hervorrufen würde.
Wenn ein Interview sensible Themen behandelt, muß man Fragen
so formulieren, daß die Abwehrmechanismen auf ein Minimum
beschränkt werden. Die projektive Methode (siehe unten) stellt
dabei eine Strategie dar. Es gibt jedoch auch Wege, auf denen direkte
Fragen derart formuliert werden können, daß der Befragte
sich verhältnismäßig frei fühlt, unbefangen zu
antworten. Im wesentlichen besteht das Problem darin, den Befragten
nicht fühlen zu lassen, daß bestimmte Antworten einen
Prestigeverlust bedeuten würden. Dies kann dadurch erreicht
werden, daß man die Antworten, die der Befragte geben
könnte, "salonfähig" erscheinen läßt.
- Ausbalancieren der Alternativen. "Halten Sie und ihre Familie
etwas davon, ihre Zuneigung zueinander offen zu zeigen, oder
gehören sie eher zu den zurückhaltenden Menschen?" Eine
andere Fassung dieser Frage, die lediglich darauf einging, ob man
in der Familie des Befragten einander herzlich begegnete, brachte
eine übermäßige Häufung von Fällen am
positiven Ende der Skala.
- Man nehme an, daß der Befragte die niedrig
eingeschätzte Einstellung oder Verhaltensweise besitze, und
wälze die Last des Leugnens auf ihn ab. KINSEY (1948)
verwendete diese Technik bei der Formulierung von Fragen
erstmalig: "Wann haben sie zum ersten Mal...", statt "Haben sie
jemals..."
- Projektive Fragen: Damit bezeichnet man jene Fragemethode, bei
der Fragen nach anderen Personen gestellt werden, wobei vermutet
wird, daß der Befragte sich selbst an die Stelle des anderen
setzen wird, so daß die Beantwortung in Wahrheit seine
eigene Einstellung wiedergeben wird. Das Problem, die
Gültigkeit projektiver Fragen zu bewerten, ist seinem Wesen
nach äußerst schwierig. Man kann z.B. die Antworten auf
projektive Fragen mit Antworten auf direkte Fragen zu diesem Thema
korrelieren. SANFORD & ROSENTSTOCK (1952) bereicherten diese
Methode der projektiven Fragestellung um eine interessante
Variante. Ziel ihrer Untersuchung war es, Aufschluß
über autoritäre Persönlichkeitsstrukturen zu
bekommen. Sie benutzten eine Reihe von witzblattartigen
Zeichnungen, in denen Situationen beschrieben waren, bei denen
Fragen von Führung und Autorität eine Rolle spielten. So
stand z.B. ein Mann vor einer Gruppe und sagte: "Weil ich der
Leiter der Gruppe bin, sollen Sie das tun, was ich sage". Ein
Gruppenmitglied wurde beim Antworten gezeigt, aber die Antwort
freigelassen oder geschlossen vorgegeben. Der Versuchsleiter
forderte den Befragten dann auf, dieses Comics zu vollenden.
- Fehlerauswahlmethode: Die Befragten werden dabei, gebeten
zwischen verschiedenen Antwortmöglichkeiten auf eine
Tatsachenfrage zu wählen. Alle vorgegebenen Alternativen sind
jedoch falsch. Zugrunde gelegt ist die Annahme, daß die
Richtung des Fehlers, den ein Befragter macht, etwas über
seine Einstellung aussagt.
- Informationstest: Vielfach wurde gefunden, daß die Art
und das Ausmaß einer Information die eine Versuchsperson
über einen Gegenstand besitzt, eine Funktion ihrer
Einstellung in bezug auf diesen Gegenstand darstellt.
Informationsfragen können deshalb in einem Interview zur
indirekten Messung von Einstellungen verwendet werden.
Fragebogen-Begleittext
Von äußerster Wichtigkeit vor allem bei postalischen
Befragungen ist die Abfassung eines entsprechenden Begleit- bzw.
Instruktionstextes. Er soll die Motivation der Versuchspersonen zum
Ausfüllen des Fragebogens heben, den Kontext der Untersuchung
transparent machen und Kenntnisse für das richtige
Ausfüllen des Erhebungsinstrumentes vermitteln. Die übliche
Instruktion für die Beantwortung von Fragebögen weist auf
u.a. auf folgende Punkte hin:
- Vollständigkeit der Antworten beachten
- Aufrichtig zu antworten - Anonymität wird garantiert
- Möglichst zügig zu antworten
Da Versuchspersonen in der Regel Fragebögen mit "Intelligenz-
oder Leistungstest" verknüpfen, kann man im Instruktionstest
diesem Eindruck entgegenwirken, indem man ausdrücklich darauf
hinweist,
- daß es bei dieser Art von Untersuchung keine richtigen
oder falschen Antworten gibt, daß also jede persönliche
Antwort richtig sei, da es sich nicht um einen Leistungstest
handelt.
In bestimmten Fällen, in denen es notwendig erscheint, kann
es auch günstig sein darauf hinzuweisen,
- daß die Untersuchung lediglich zu Forschungszwecken
ausgeführt wird und nicht der Bestimmung individueller
Diagnosen mit Konsequenzen für die Versuchsperson dient,
sondern daß man sich nur für eine gruppenstatistische
Auswertung interessiert sowie,
- daß ausreichender Datenschutz gewährleistet
ist.
Item-Analyse
Bei der Itemanalyse im engeren Sinn handelt es sich um die
Überprüfung der FragebogenItems unter Verwendung
statistischer Methoden. Voraussetzung dafür ist die Erprobung
des Fragebogens an einer Probandengruppe. Die Itemanalyse stellt eine
Hilfe bei der Entscheidung dar, welche Items beibehalten und in die
endgültige Form eines Fragebogen aufgenommen werden - die
übrigen Items werden eliminiert und nicht weiter verwendet.
Traditionelleweise besteht die Itemanalyse aus mindestens zwei
Schritten, der Prüfung des Schwierigkeitsgrades und der
Trennschärfe jedes Items. Neuerdings kommen jedoch auch
sogenannten faktorenanalytischen Verfahren zur Anwendung.
- Der Schwierigkeitsindex eines Items ist als Prozentsatz der
als "falsch" kodierten Antworten auf das Item definiert. Der
Begriff der Schwierigkeit stammt aus der Leistungstest-Diagnostik
und ist eigentlich irreführend. Berechnet wird der Anteil der
Antworten auf ein Item in der dem zu messenden Konstrukt
ungünstigen Richtung. Je größer der
Schwierigkeitsindex ausfällt, desto mehr Personen haben das
Item in der Gegenrichtung des zu messenden Konstruktes
beantwortet. Die Bestimmung des Schwierigkeitsindex soll der
negativen Auslese solcher Fragen dienen, die entweder von fast
niemandem oder fast allen Personen im Sinne des zu messenden
Konstruktes bejaht werden.
- Die Trennschärfe eines Items ist als Grad des
Zusammenhanges zwischen de Bejahung dieses Items und dem
Gesamtwert, der sich aus der Summen aller Item-Bejahungen der
Fragen zu einem Konstrukt ergibt, definiert. Der
Trennschärfeindex gibt daher an, wie stark jedes Item den
endgültigen Fragebogenwert bereits vorhersagt. Je höher
er ist, desto eher vermag das betreffende Item zwischen Personen
mit hoher bzw. niedriger Ausprägung des Konstruktes, um das
es geht, zu trennen. Der Trennschärfeindex entscheidet auf
der Ebene jedes einzelnen Items über die Homogenität des
Itemes eines Konstruktes: Weisen alle Items einen hohen
Trennschärfegrad auf, so operationalisieren die Items das
Konstrukt homogen. Jedes Item trägt ungefähr gleich viel
zum Gesamtscore bei.
Quellen: Stigler, Hubert (1996). Methodologie. Vorlesungskriptum.
Universität Graz.
WWW: ftp://gewi.kfunigraz.ac.at/pub/texte/meth.doc
(98-01-03)
Stangl, Werner (1997). Zur Wissenschaftsmethodik in der
Erziehungswissenschaft. "Werner Stangls Arbeitsblätter".
WWW: http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/INTERNET/ARBEITSBLAETTERORD/Arbeitsblaetter.html