Darwinismus und Ethik

Elisabeth Jecht


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1.1. Umriß der Selektionslehre (nach Mayr)
1.2. Gegner der Selektionslehre
1.3. Kategorien finaler Vorgänge
1.4. Auslese als Zwei-Schritte-Prozeß
1.5. Zwei Arten der Anpassung
1.6. Philosophische Züge von Darwins Theorie

2.1. Natur als Schlüssel zur Moral - Meinungen
2.2. Klassische Ethologie (Lorenz)
2.3. Soziobiologie
2.4. Moralentwicklung
2.5. Abschließende Bemerkungen

3.1. Instinktbegriff
3.2. Phylogenetische und sozial-kulturelle Anpassung
3.3. Brauch und angeborenes Verhalten
3.4. Methodenprobleme
3.5. Unspezifische Antriebe

4.1. Psychoanalytische Instanzen und ihre Entwicklung
4.2. Kulturentwicklung
4.3. Das Lust- und das Real-Ich
4.4. Kulturfähigkeit
4.5. Das Über-Ich in der kulturellen Evolution

Ý1. Darwins Selektionstheorie

ÝEinige Theorien haben es schwer in der Wissenschaft anerkannt zu werden. So erging es z.B. Newtons Theorie der Planeten, Mendels Vererbunslehre und eben auch Darwins Theorie der natürlichen Auslese, von der im Folgenden die Rede sein soll. Sie brauchte insgesamt 90 Jahre, bevor sie offiziel anerkannt wurde. Zunächst einmal ein kurzer Umriß der Selektionslehre:
1. Von hunderten von Nachkommen überleben nur einige wenige.
2. Die Variation in der Natur ist unerschöpflich; es gibt nie zwei identische Individuen.
3. Die am besten angepaßten Individuen überleben und pflanzen sich fort.
4. Die einzelnen Arten passen sich der Umwelt an.
Wie kam es zu der starken Ablehnung von Darwins Theorie? Offensichtlich rüttete sie an einigen fundamentalen Glaubenssätzen der Wissenschaft. Einige seien hier genannt:
- Die Physiktheologie postulierte eine gottgegebene feste Ordnung in der Natur. Sie leitete das aus der Tatsache her, daß die Tier- und Pflanzenwelt hierarchisch geordnet ist und sich in einem "wundersamen Einklang" befindet. Die Selektionstheorie bot eine Erklärung für dieses geordnete Zusammenspiel. - Der Essentialismus legt allen Dingen Weseneinheiten (Essenzen) zugrunde, die ihre Struktur nicht verändern können. Diese Essenzen existieren unabhängig von den Objekten. Sie sind invariabel und passen damit nicht in Darwins Theorie, die besagt, daß Arten nichts festes sind, sondern ineinander übergehen können.
Diese Anschauung ist ganz besonders eingängig, da der Mensch vorwiegend in Kategorien denkt. Alles wird zu Typen zusammengefaßt und verallgemeinert. Da hat die These von der Einzigartigkeit jedes Individuums oftmals keinen Platz.
- Teleologische Weltanschauung sagt, daß die Natur zielgerichtet abläuft, daß sie einen bestimmten Zweck erfüllt. Sie sieht den Mensch als Produkt von finalistischen Naturgesetzen, die nach einer intrinsischen Ordung, die von Gott geschaffen wurde, funktionieren.

Welche Ereignisse verdienen überhaupt die Bezeichnung "zielgerichtet"? Ganz sicher verhält sich eine Schildkröte, die zur Eiablage zur mittelamerikanischen Küste schwimmt, zielgerichtet. Doch wie steht es mit einem Vulkanausbruch, bei dem 30.000 Menschen umkommen. Kann man hier auch noch nach dem Wozu fragen? Es gibt offensichtlich verschiedene Klassen von finalen Vorgängen.
1. Die Naturvorgänge (z.B. Fallen eines Steines) haben einen durch Naturgesetze festgelegten Endpunkt. Sie heißen teleomatisch.
2. Die genetischen Programme (z.B. die Entwicklung des Menschen vom Ei zum fertigen Lebewesen) sind zielgerichtet ablaufende Prozesse. Sie werden teleonom genannt.
3. Die angepaßten Systeme (z.B. das menschliche Auge) werden als teleologisch bezeichnet.

Um die Theorie der Auslese besser zu verstehen, muß man sich vor Augen führen, daß es sich hier um einen Zwei-Schritte-Prozeß handelt. Der erste Schritt, die Rekombination des Genbestandes der Eltern und damit die genetische Variation, wird vom Zufall bestimmt. Der zweite Schritt von den vorherrschenden Umweltbedingungen, die die Individuen "bevorzugen", die am besten an sie angepaßt sind. Kurz gesagt heißt das, daß die Selektion die Variation ordnet.
Es gibt zwei Formen der Auslese:
Die natürliche Auslese ist die Selektion nach Anpassung an das Wetter, die Nahrung usf. Die geschlechtliche Auslese bezieht sich auf den Fortpflanzungser-folg, den das einzelne Individuum hat. Diese beiden Formen der Auslese können auch gegenläufig sein, wie man am Beispliel des Pfaus sehen kann, der durch sein schönes Gefieder zwar seinen Fortpflanzungserfolg erhöht, indem er die Pfauenweibchen beeindruckt, aber dadurch auch für seine Jäger eine auffällige und leichte Beute wird.
Man muß bei der Selektionstheorie immer im Auge behalten, daß der Erfolg des "Tüchtigsten" nicht zwingend, sondern lediglich wahrscheinlich ist.
Zum Schluß dieses Abschnitts sollen nochmal die wesentlichen Neuerungen Darwins zusammengefaßt werden.
Bis zu Darwins Zeit, galt nur das als Wissenschaft, was durch Beweis und exakte Voraussagbarkeit belegt werden konnte. Darwin sagte, daß es so etwas wie sichere Voraussagen nicht gebe, sondern man lediglich probabilistisch-statistisch vorgehen könne.
Er bescheinigte auch der belebten Natur eine Geschichte und führte damit die Methodologie der historischen Wissenschaft in die Biologie ein. Bis dahin sprach man nur dem Menschen eine Geschichte zu.
Außerdem war er ein Gegner des Determinismus, der sich brüstete, die Zukunft voraussagen zu können, wenn nur alle Ausgangsbedingungen bekannt wären. Die multiplen Ursachen bei Selektionsvorgängen machen es schwer (oder unmöglich) genaue Verursachungen anzugeben.

2. Gibt es eine Natürliche Moral?

ÝLassen sich mit Hilfe der Selektionstheorie auch ethische und moralische Prinzipien des Menschen erklären? Oder anders gefragt: Kommt unsere Moral aus der Natur?
Es folgen zwei Richtungen, die diese Frage unterschiedlich beantworten:
- Die klassische Ethologie, deren Hauptvertreter Lorenz ist, gesteht Tieren ein moral-analoges Verhalten zu. Instinktives Verhalten (z.B. die Tötungshemmung) wird mit der verantwortlichen Moral des Menschen verglichen. Nach Lorenz weiß der Mensch auch nicht, ob "der Imperativ, der uns zu bestimmten Handlungen treibt, aus den tiefsten vormenschlichen Schichten unserer Person oder den Überlegungen unserer höchsten Ratio stammt." Diese Instinktmechanismen sind durch die Selektion -als stammesgeschichtliche Anpassung- entstanden.
Aus diesen Überlegungen heraus wird gut und gesund mit angepaßt gleichgesetz, und alles, das unagepaßt (nicht der Fortpflanzung der Art dient) ist eine zufällige Mutation, die von der Selektion wieder herausselegiert wird. Es gibt also einen Idealtyp jeder Art, der zur Norm erhoben wird. Dieses Denken wird auch auf den Menschen übertragen. So sind für Lorenz Homosexuelle eine Abweichung der Norm und somit nicht gesund, da ihr Verhalten der Fortpflanzung nicht dienlich ist.
Da der Mensch aber insgesamt einen erschwerten Zugang zu seinen Instinkten hat, muß er dem moralischen Verfall durch künstliche Normen entgegenwirken. Diesen Verfall sieht Lorenz z.B. im Wegfall der Tötungshemmung beim Menschen. Innerartliche Aggression verläuft bei Tieren meist nach festen Regeln wie Unterwerfungsgeste, Beißhemmung - sie tragen ihre Aggressionen also nur symbolisch aus. Alle Artgenossen gehorchen diesen Gesetzen, d.h. es gibt so etwas wie eine innerartliche Egalität. Erst der Mensch hat dieses Prinzip durchbrochen.
- Die Soziobiologie geht an die Fragestellung anders heran. Sie sagt, daß die Selektion eigentlich eigennütziges Verhalten fördern müßte, da sich eigennützig handelnde Individuen gegenüber altruistisch handelnden Individuen durchsetzen müßten. Wie kommt es also zu altruistischem Verhalten im Tierreich:
Die natürliche Selektion bewirkt die Optimierung der Fähigkeiten von Organismen zur erfolgreichen Konkurrenz um begrenzte Ressourcen. Die Individuen gelten als "persönlich fitt", die am meisten Nachkommen großziehen.
Das heißt aber nichts anderes, als daß die Individuen möglichst viele ihrer Gene weitergeben wollen. Die Soziobiologie geht also weg vom Individuum und fragt, was dür ein Verhalten denn für die Gene am sinnvollsten wäre. Und da zeigt sich, daß -rein vom Genbestand her- es sinnvoll ist, verwandte Individuen zu unterstützen, da diese zumindest teilweise das gleiche Genmaterial besitzen. So kann man beobachten, daß manche Tiere auf eigenen Nachwuchs verzichten, um den Nachwuchs der Geschwister mit großzuziehen. Dieses Verhalten ist aber nur phänotypisch altruistisch, auf genetischer Ebene kann es sehr eigennützig sein, da auf diese Weise das Weiterbestehen der eigenen Gene am besten gesichert werden kann. Dieses Verhalten nennt man kin selection.
Die Soziobiologen kommen also nicht wie Lorenz zu dem Schluß, daß Selektion arterhaltendes Verhalten fördert, sondern daß es auf die Gesamtfitness einer Gruppe ankommt. Das Verhalten ist adaptiv, daß meine Gene und die meiner Verwandten schützt und weitergibt.
Aber auch nicht verwandte Individuen können sich gegenseitig helfen, allerdings nur unter ganz bestimmten Bedingungen, die Robert Trivers zusammengefaßt hat: Die Lebensdauer der Individuen muß so groß sein, daß das "altruistische" Individuum erwarten kann, von dem momentanen Nutznießer die gleiche Hilfe zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch nehmen zu können; die beiden Individuen müssen in einer sozialen Gruppe zusammenleben und eine gewisse Vertrautheit haben. Dann kann "reziproker Altruismus", wie diese Form des Altruismus genannt wird, entstehen.
Die Entstehung der Tötungshemmung erklären die Soziobiologen folgendermaßen: Bei den Hirschen gibt es in der Mehrzahlt Kommentkämpfer (d.b. sie drohen nur, sie greifen den Gegner nicht wirklich an). Es gibt aber auch eine Anzahl Beschädigungskämpfer, die sich nicht an die "Regeln" halten und ihren Rivalen ernsthaft verletzen oder sogar töten. Diese haben zunächst einmal einen Vorteil gegenüber den Kommentkämpfern. Da sie aber immer mit vollem Einsatz kämpfen, werden sie auch oft verwundet und müssen viel Kraft aufwenden. Je mehr Beschädigungskämpfer es gibt, desto anstrendender werden die Kämpfe. Und dann hat plötzlich wieder ein Kommentkämpfer den Vorteil, der sich lieber in die Büsche schlägt, bevor es ernst wird, der aber dann frisch und ausgeruht ist und seine Kräfte der Fortpflanzung und Sicherung seiner Herde widmen kann. Es handelt sich hier also um eine häufigkeitsabhängige Selektion. Solange es mehr Kommentkämpfer gibt, haben Beschädigungskämpfer einen leichten Vorteil, dreht sich das Verhältnis um, ist es genau umgekehrt. Deswegen pendelt sich die Anzahl in der Population auf einen bestimmten Wert ein, der über die Zeit stabil ist.
Für die Soziobiologie haben diese instinktiven Verhaltensweisen aber nichts mit Moral zu tun, sie sagen, die Natur ist moralisch indifferent.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Menschen?
Auch der Mensch kennt soetwas wie eine doppelte Moral. Was für mich gilt, muß noch lange nicht für Menschen gelten, die nicht meiner Gruppe angehören. So unterscheidet sich z.B. das Völkerrecht vom allgemeinen Recht. Man kann auch eher Hilfsbereitschaft beobachten, wenn es um enge Familie oder Freunde geht. Je fremder mir ein Mensch ist, desto weniger Hilfe kann er von mir erwarten. Das bedeutet aber, daß allgemeinverbindliche Menschenrechte naturfern sind und somit durch menschliche Verantwortlichkeit eingehalten werden müssen, um die biologischen Prinzipien zu überwinden. Um die Herkunft von moralischen Verhaltensweisen zu bestimmen müssen wir uns erstmal klar machen, wodurch sie sich eigentlich auszeichen.
Moralisches Handeln setzt absichtliches Agieren, eine freie Entscheidungs- möglichkeit zwischen verschiedenen Handlungsalternativen, die Möglichkeit der Abschätzung der eigenen Folgen und die Wahrnehmung einer personalen Identität (in bezug auf sich selbst und auf andere) voraus. Erst wenn diese Bedingungen erfüllte sind, kann man von moralischem Handeln ausgehen. Das soziale Umfeld des Menschen setzt allgemeingültige Verhaltensregeln, die bei Verstoß mit Sanktionen belegt werden. Zum Teil internalisiert das Individuum auch Normen, bei deren Nichtbeachtung es Schuldgefühle bekommt.
Moral bedarf also keiner evolutionsbiologischen Erklärung, sie ist vielmehr eine Notwendigkeit für den Menschen, um den biologischen Grenzen zu entkommen und so überleben zu können.

3. Konzept der Humanethologie

ÝDer Instinktbegriff ist in der Biologie sehr eng gefaßt. Er beinhaltet nur Verhaltensabläufe, die starr sind, immer gleich verlaufen und die genetisch festgelegt sind. Sobald man aber den Instinktbegriff auf den Menschen anwenden will, muß man ihn weiter fassen, sonst trifft er überhaupt nicht zu. Um den Begriff neu zu definieren, muß man ihn erst einmal aufspalten. Der Instinkt beinhaltet nämlich ein relativ variables Appetenzverhalten und eine starr ablaufende Endhandlung. Das Appetenzverhalten findet man bei Trieben wieder, die man auch beim Menschen postulieren kann. Die starre Endhandlung fällt jedoch beim Trieb weg.
In der Ethologie werden phylogenetische (Erbkoordination; AAM usw) und ontogenetische (Lernen) Anpassung unterschieden. In der Humanethologie muß noch eine dritte Anpassung dazugenommen werde: die kulturelle Anpassung. Der Mensch gibt seine Traditionen von Generation zu Generation weiter, so daß der einstige Instinkt durch Intuition ersetzt wird. Die genetische Auslese wurde durch eine kulturelle ersetzt, bei der sich besser angepaßte Kulturen durchsetzen und sich verbreiten können. Die Sprache beschleunigte diese Entwicklung. Da die kulturelle Anpassung differenzierter und rascher als die phylogenetische Anpassung ist, werden immer noch vorhandene Triebe gelockert und bekommen einen größeren soziokulturellen Spielraum.
Das wirft dann aber wieder die Frage auf, welches Verhalten angeboren und welches erlernt ist. Die Ethologen sagen, daß unser gesamtes zwischenmenschliches Verhalten auf angeborenen Instinkten beruht. So postuliert Eibel Eibelsfeld z.B. einen "Mutterinstinkt", der das Verhalten der Mutter determiniert, sie reagiert quasi nur auf dargebotene Auslöser (wie z.B. das "Kindchenschema"). Die Empirie zeigt jedoch, daß das gerade nicht der Fall ist. Viele Mütter wissen überhaupt nicht, wie sie mit ihrem Kind umgehen sollen. Das jeweilige soziale Umfeld gibt ihnen die Regeln, wie sie ihr Kind behandeln sollen. In der westlichen Zivilisation sind diese Regeln so schwammig und vielfältig geworden, daß oft nur noch Ratlosigkeit herrscht. Die soziale Determination bestimmt also das menschliche Miteinander und nicht ein genetisch determinierter Instinkt.

ÝDies zeigt sich auch an den Kindstötungen, die nach dem biologischen Modell nicht erklärt werden können. Da diese aber vorkommen und von Kultur zu Kultur in einer anderen Form (in China werden z.B. Mädchen getötet, da Jungen als wertvoller betrachtet werden), kann das biologische Modell nicht sinnvoll sein.
Im folgenden gehe ich auf einige Methodenprobleme ein, die durch die Übertragung von Begriffen aus der Ethologie in die Humanpsychologie passieren können. Da kommt es z.B. zur Verwässerung von präzisen Begriffen, wie z.B. dem des Auslösers. Auf einen Auslöser läuft ein Verhalten starr und in immer gleicher Form ab (z.B. beim Stichling, der beim Anblick eines roten Flecks -des Auslösers- mit Angriff reagiert). Eibl-Eibefeldt sprach von sexuellen Auslösern in der Werbung, wo er von sexuellen Reizen hätte sprechen müssen, da der Mensch ja sehr flexibel und mitnichten starr auf Werbung reagieren kann.
Ebenfalls Eibl- Eibelsfeldt meinte, daß das oftmals starre Festhalten an politischen Idealen der Jugend auf ein Prägung in der Jugend zurückgeht. Eine Prägung ist aber ein genau umschriebener Vorgang, der eine sensible Phase hat und in einem gewissen Alter abläuft. Ob es also sinnvoll ist, im Falle von politischen Meinungen von Prägung zu reden, muß in Frage gestellt werden. Ein weiteres Problem ist die Vermischung von Homologie und Analogie. Homologie ist dann gegeben, wenn sich strukturelle Züge von Organismen ähneln, die gleichzeitig auf eine gemeinsame Abstammung zurückgehen. Eine Analogie besteht dann, wenn ebenfalls strukturelle ƒhnlichkeiten bestehen, die aber nicht auf gemeinsame Abstammung, sondern auf die Anpassung an eine gleiche Umwelt zurückgehen. Dies sei an einem Beispiel deutlich gemacht:
Die Flossen eines Delphins und eines Wales sind strukturell ähnlich. Da Delphin und Wal von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, handelt es sich hierbei um eine Homologie. Die Flosse eines Fisches dagegen ist zu einer Walflosse nur analog, da die strukturelle ƒhnlichkeit nicht auf Verwandtschaft, sondern auf die Anpassung an die gleiche Umwelt zurückgeht.
Ethologen postulieren gerne bei dem Vergleich von tierischem und menschlichen Verhalten Homologien, obwohl es sich in Wirklichkeit um Analogien handelt oder ziehen unzulässige Analogien. Dies soll an zwei Beispielen gezeigt werden:
Lorenz hat das "Sich-Verlieben" von Menschen analog zu instinktivem Verhalten von Tieren gesetzt, da das "Sich-Verlieben" nicht dem Verstand zugänglich ist und immer wieder die gleichen Fehler dabei gemacht werden. Allerdings über- sah er dabei, daß es beim "Sich-Verlieben" in hohem Maße auf personenspe- zifische "Auslöser" ankommt, während ein Instinktverhalten durch arteigene Auslöser in Gang gesetzt wird. Die postulierte strukturelle ƒhnlichkeit liegt hier also nicht vor.
Das zweite Beispiel kommt auch von Lorenz. Dieser verglich die menschliche Aggression mit der von Buntbarschen. Diese müssen in einem bestimmten Zeitraum aggressiv handeln. Haben sie dazu keine Gelegenheit (weil z.B. kein gegnerisches Männchen vorhanden ist) richten sie ihre Aggression gegen das Weibchen oder die eigenen Kinder. Die menschliche Aggression soll nach dem gleichen Muster funktionieren, also immer wieder ansteigen, um dann irgendwie nach außen abgelassen zu werden. Diese Erklärung setzt menschliche Aggression und die von Buntbarschen homolog. Lorenz belegte diese These an einem Fallbeispiel und generalisierte dann auf alle Menschen.
Diese Verwässerung von Begriffen und Konzepten ist weder der Ethologie noch der Humanpsychologie dienlich. Die Humanethologie sollte sich auf die Erforschung von echten Homologien spezielisieren, wie z.B. das Ausdrucksverhalten von Primaten. Die Analogieforschung bringt nichts, da nur ein zufälliger und kein systematischer Bezug vorhanden ist.
Welches Verhalten angeboren ist, kann nur eine absolut erfahrungslose Aufzucht zeigen, da sonst immer wieder das Lernen die angeborenen Verhaltensweisen überformt. Es ist aber auch gar nicht so entscheidend, ob es rein angeborenes Verhalten überhaupt gibt, wichtig ist vor allem, die Wechselwirkungen zwischen Außen- und Innenfaktoren zu erkennen. Durch einsichtiges Handeln ist der Mensch in der Lage sein Verhalten sinnvoll zu steuern, das Angeborene wird von dem Kulturellen immer weiter überformt und sogar aufgehoben. Der Selektionsdruck ruht nun auf der Optimierung der Fähigkeiten, auf unsere Umwelt effektiv zu reagieren und rational einzuwirken. Wir gestalten unser Zusammenleben durch einsichtig gesetzte Regeln und nicht mehr durch Instinkte, wie z.B. die Tötungshemmung.
Von diesen Instinktmechanismen ist nicht mehr als eine "unspezifische Aktivierung" geblieben, die wir durch Einsicht steuern können. Diese Aktivierung kann auf viele verschieden Objekte übertragen werden (etwa so, wie Freud das für seine Triebenergie postuliert).
Das heißt, daß der Mensch zwar eine konstitutionelle Aggressionsbereitschaft hat, diese aber nicht -wie das Lorenz postuliert- notwendig zu Tage treten muß, sondern durch kulturelle Einflüsse entweder aus oder eingeschaltet werden kann. Das wird unter anderem durch die Existenz von sehr aggressiven(Massai), aber auch sehr friedlichen(Eskimos) Kulturen belegt.

Ý4. Evolutionslehre und Ich-Psychologie

ÝFreud, der Begründer der Psychoanalyse, sah den Mensch nie als Krönung der Schöpfung, sondern wies ihm einen Platz in der Natur zu. Er unterteilte den menschlichen Geist in die drei folgenden Instanzen: Das Es - das Ich - das Über-Ich (siehe Abbildung 1).

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ÝDas Es ist für die Triebe und Lust- und Unlustempfin- dungen zuständig, das Ich ist der rational handelnde Teil und das Über-Ich reflektiert das Handeln des Ich, bewertet es, kritisiert/lobt und enthält alle normativen Vorgaben der Eltern, bzw. der jeweiligen "Kultur". Freud hat gesagt, daß zuerst nur das Es da ist und aus ihm sich erst allmälich das Ich entwickelt. Er sah das darin bestätigt, daß Babys vorallem lustvolle Zustände aufsuchen und unangenehme Zustände vermeiden wollen.
Der Autor meint dagegen, daß zuerst das Ich da ist, aus dem sich dann das Es und das Über-Ich erst entwickeln. Er sagt, daß die zweckmäßigen Verhaltens- weisen des Säuglings (z.B. der Greifreflex, Saugreflex) dem Überleben dienen und somit nicht in Freuds Konzept passen, der postuliert, daß der Säugling nur auf Lustbefriedigung aus ist. Das Ich ist die Instanz, die unsere Motorik beherrscht und vor der Bedürfnisbefriedigung erst das Denken setzt. Deshalb ist es auch besser geeignet, das Überleben des Säuglings zu sichern.
Freud sah in der kulturellen Entwicklung eine Überforderung und Einengung des Es (des menschlichen Trieblebens), daß dann zu neurotischen Triebverdrän- gungen führt.
Der Autor sagt dagegen, daß sich im Laufe der kulturellen Entwicklung, die Jahr- millionen umfaßt, das Ich an die bestehenden Umwelten angepaßt hat. (Siehe Abbildung 2).

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ÝDie menschlichen Triebanlagen sind also nicht kulturwidrig, sondern geradezu kultursüchtig. Durch die kulturelle Evolution entstand ein einheitlicher Menschentypus -homo-sapiens-, der ohne ein verinnerlichtes kulturelles Symbolsystem nicht lebensfähig ist.
Das Lust-Ich strebt nach Lustgewinn und Unlustvermeidung. Doch Triebe, die zuerst nur dem Lustprinzip gehorchten, werden zunehmend vom Realitätsprinzip gesteuert. Dies geschieht durch einsichtiges Lernen. Zuerst sind Lust und Schmerz durch angeborene Merkmale festgelegt, aber die Lust ist stark mit sozialer Zuwendung verbunden, was zu sozialer Abhängigkeit führt, d.h. das Real-Ich wird durch eine soziale Gruppe geprägt. Es übernimmt die symbolischen Strukturen der Primärgruppe (Familie, soziales Umfeld). Hier spielt der Nach- ahmungstrieb eine wichtige Rolle. Kleine Kinder, aber auch Primaten, imitieren oft Gesten von Erwachsenen. Dadurch lernen sie die sozialen Ausdrucksweisen und identifizieren sich gleichzeitig mit der Gruppe. Dieser Trieb ist durch die kutlurelle Evolution immer weiter entwickelt worden. Er ist ein überlebens- notwendiger Trieb, kann aber auch krankmachend sein, wenn sich ein Kind mit einer psychisch kranken Beziehungsperson identifiziert. Die Kinder ahmen nicht nur Gestik nach, sondern lernen auch, die affektiven Objektbeziehungen der Eltern zu übernehmen (z.B. können so Phobien weitergegeben werden). So können auch Vorurteile weitergegeben werden. Freud nennt diesen Identifizierungsvorgang die Einverleibung eines Objektes. Das soll am Beispiel der Melancholie verdeutlicht werden. Der Kranke identifiziert sich mit dem verlorenen Objekt, indem er es sich einverleibt; das Objekt wird personifiziert und der Kranke tritt in Kommunikation dazu. Dadurch Entschädigt er sich quasi für den Verlust. Auf ähnlich Art ist auch das Über-Ich entstanden: das Ich ist in der Lage einen Teil von sich abzuspalten, sich also selbst zum Objekt zu machen. Es kann sich auf diese Weise selber loben oder tadeln und über sich selbst reflektieren. Diese Fähigkeit ist bei den Geisteskrankheiten übersteigert vorhanden, sie fühlen sich z.B. dauernd beobachtet oder kritisiert oder haben Halluzinationen.
Durch diese Identifizierungsvorgänge gleichen die Kinder ihr Verhalten an das der Eltern an. Freud erklärte diese Vorgänge durch oral-kannibalische Phantasien, der Autor sieht ihren Ursprung aber eher genetisch bedingt, da sie einen Selekti- onsvorteil bieten.
Hier noch mal eine kurze Zusammenfassung der Funktionen des Über-Ich: Es dient der Selbstbeobach- tung, ist unsere Gewissensinstanz und bildet das Ich-Ideal, dem das Individuum nachstrebt. Durch die Spannung zwischen dem Ich und dem Ich-Ideal entstehen die Minderwertigkeitsgefühle. Wie entstand aber so etwas wie das Über-Ich?
Es gibt zwei Evolutionsperioden. Die synchrone und die asynchrone Periode. Die synchrone Periode bestand während der Jäger und Sammler Kulturen. Deren soziales System war auf Gruppen bezogen und egalitär. Jedes Kind hatte zahl- reiche Beziehungspersonen und war deshalb emotional stark an die Gruppe als Ganzes gebunden. Seit der neolithischen Revolution (circa vor 10.000 Jahren), die den Ackerbau und die Viehzucht brachte, begann die asynchrone Periode. Durch diese Lebensänderung entstanden auch Besitzunterschiede. Zum ersten mal wurde auch auf sofortige Befriedigung der Bedürfnisse verzichtet, indem nämlich Saatgut für das nächste Jahr gesammelt wurde, anstatt die Körner sofort aufzuessen. Durch diese Entwicklungen wurde das Über-Ich notwendig. Durch die sozialen Unterschiede gab es keine egalitären Strukturen mehr, die Individuen mußten ihren Platz in der Gesellschaft verinnerlichen und sich an die entsprechen- den Normen halten. Die Normenvermittlung übernahm jetzt die Familie, deren Oberhaupt (meist der Vater) auf Einhaltung derselben achtete. Die Söhne hatten plötzlich ein Erbe anzutreten, daß die Identifizierung mit dem sozialen Stand notwendig machte. So erhielt die Kernfamilie immer mehr Gewicht.
Die Über-Ich-Bildung ist nichts zwangsläufiges; in Jäger und Sammler Kulturen gab es dafür ein Gruppengewissen, daß das Über-Ich unnötig machte. Später wurde dann aber das Über-Ich zur Aufrechterhaltung der Normen benötigt. Das Über-Ich vermittelt aber auch Schuldgefühle, ƒngste und Minderwertigkeitsge- fühle gegenüber dem Ich-Ideal. Seit der neolithischen Revolution wird das Über-Ich immer stärker. Kulturelle Entwicklungen fordern eine immer stärkere Kontrollfunktion des Über-Ich. Das waren z.B. das Bürgertum (mit seinem Postulat der individuellen Gewinnmaximierung), Luthers christliche Ethik, die äußere Normen und Zwänge "aufhob", was zur Folge hatte, daß das Individuum immer mehr Träger seiner eigenen Ethik wurde, die industrielle Revolution und die heutige Gesellschaft, die durch immer mehr Leistung die Minderwertigkeits- gefühle des Über-Ich beschwichtigen will.
Heute gibt es ganz spezielle Familiendynamiken, bei denen das Kind vor der Wahl steht, sich entweder mit dem aggressiven Elternteil oder aber mit dem die Aggressionen erduldenden Elternteil zu identifizieren. Die Wahl fällt meist auch den Aggressor - wer möchte auch schon Opfer sein. So ist es nicht verwunderlich, daß Kinder, die geschlagen wurden, selbst wieder Schläge aus- teilen. Die Introjektion des aggressiven Elternteils führt zu einem selbstherrlichen, gegen sich und andere grausamen Über-Ich, daß sich im autoritären Charakter niederschlägt. Diese Charaktere zeichnen sich durch eine rigide Moral und Vor- urteile gegen Andersdenkende und Minderheiten aus. Diese Prozesse sind gruppendynamische Prozesse und müssen deshalb nicht unbedingt so verlaufen. Dies läßt sich an einem Beispiel gut demonstrieren. Man hat freiwillige Vietnamkämpfer und Kriegsdienstverweigerer miteinander verglichen und festgestellt, daß die freiwilligen Kämpfer eine autoritäre und z.Teil willkürlich disziplinierende Erziehung bekommen haben, während Kriegsdienst- verweigerer eine intakte Eltern-Kind-Kommunikation vorweisen können. Das Erlernen einer erfolgreichen Kommunikation ermöglicht auch den Kontakt zwischen Über-Ich und Ich, so daß beide integriert werden können. Durch den Drang alles zu beherrschen erreichte der Mensch technische Fort- schritte. Die Selektion begünstigte Kulturen, die sich aggressiv durchsetzten. So konnte sich auch das Christentum erfolgreich ausbreiten. Doch durch die kultu-rellen Zwänge verkümmern die einzelnen Individuen immer mehr.
In der heutigen Konsumgesellschaft wird das Über-Ich zum Teil durch die Massenmedien ersetzt. Die einzelnen Individuen fühlen sich noch hilfloser, da nicht mal mehr internalisierte Normen ihnen sagen, was gut und richtig ist. Dies kann zu Drogenkonsum und anderen Süchten führen, die die ƒngste betäuben sollen.
Der Autor sieht den Ausweg aus der Orientierungslosigkeit in einer gesunden Gruppenbildung, die die Möglichkeit zu stabilen Beziehungen bietet und damit gute Identifikationsprozesse ermöglicht.

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Literaturangaben:

Ernst Mayr (1988) Die Darwinische Revolution und die Widerstände gegen die Selektionstheorie in H.Meier(1988) Die Herausforderungen der Evolutions- biologie, München, Piper
Christian Vogel, (1988) Gibt es eine natürliche Moral? Oder wie widernatürlich ist unsere Ethik? In H.Meier (1988) Die Herausforderung der Evolutionsbiologie, München, Piper
Wolfgang Schmidbauer (1974) Evolutionstheorie und Verhaltensforschung, Hoffmann und Campe



Quelle: http://www.lrz-muenchen.de/~u7224ac/www/evol.htm