*werner stangl: Beiträge zur Erziehungsstilforschung *

Psychologische Beiträge, Band 27, 1985, S. 283 - 290

Elterliches Erziehungsverhalten und schulische Befindlichkeit

Der Zusammenhang zwischen elterlichem Erziehungsverhalten und schulischer Befindlichkeit wird in vielen Untersuchungen bestätigt (TAUSCH & TAUSCH 1970, MINSEL & FITTKAU 1971, MULLERKOHLENBERG & FOKKEN 1978, TIEDEMANN, LANGER, SCHMIDT & TIMM 1981), wobei nach dem lerntheoretischen Ansatz (Zweikomponentenmodell elterlichen Bekräftigungsverhaltens) eine der Ursachen von Schulschwierigkeiten im Elternhaus lokalisiert wird. Die Erfassung des Erziehungsverhaltens erfolgt nach dem dimensionalen Ansatz von SCHAEFER (1961) und BECKER (1964), meist mit den "Marburger Skalen" (HERRMANN, STAPF & KROHNE 1971). Die postulierte Unabhängigkeit der erfaßten Faktoren "Strenge" und "Unterstützung" wird von STAPF, HERMANN, STAPF & STÄCKER (1972) relativiert, indem eine altersabhängige Erhöhung der Korrelation postuliert wird. Die erste Fragestellung dieser Untersuchung betrifft den Zusammenhang zwischen den Faktoren elterlichen Erziehungsverhaltens. Dai3 zwischen Elternverhalten und sozial-emotionalen Störungen bei Jugendlichen ein Zusammenhang besteht, ist vor allem für die Schulangst nachgewiesen worden (TAUSCH & TAUSCH 1970, MINSEL & FITTKAU 1971, MULLER-KOHLENBERG & FOKKEN 1978, TIEDEMANN et al. 1981). Auch das Auftreten von sozial-emotionalen und psychosomatischen Störungen wird mit elterlichen Erziehungsmustern in Zusammenhang gebracht (Hypothesen 2 und 3).

MULLER-KOHLENBERG & FOKKEN (1978) weisen auf die Einflüsse elterlichen Verhaltens auf das schulische Befinden hin. Als vierte Fragestellung werden daher Faktoren der schulischen Befindlichkeit (Schulzufriedenheit, erlebtes Lehrerverhalten, Mitbestimmung, Mitschülerbeziehungen) zu Erziehungsstilmustern in Beziehung gesetzt. Folgende vier Hypothesen werden in dieser Arbeit geprüft:

 

Methode und Stichprobe

Eine geschichtete Stichprobe (10- 18 Jahre) von Schülern einer Linzer AHS und deren Eltern wurde schriftlich befragt. Eltern und Schülerfragebogen konnten einander zugeordnet werden. Die Schüler wurden während des Unterrichts befragt, die Eltern erhielten den Fragebogen in einem verschlossenen Kuvert (Rücklaufquote 90 %). Folgende Meßverfahren wurden eingesetzt:

Die Messung des Elternverhaltens, der Schulangst und der Befindlichkeit erfolgte im Schülerfragebogen, die Messung der Störungen im Elternfragebogen. Zur Hypothesenprüfung wurden Korrelationen (Hypothesen I und 2) bzw. einfaktorielle Varianzanalysen (Hypothesen 3 und 4) durchgeführt. Vier Typen (Erziehungsstilmuster) wurden durch Medianteilung der Skalen "Unterstützung" und "Kontrolle" wie folgt definiert:

Das Signifikanzniveau für alle statistischen Prüfungen wurde mit fünf Prozent Irrtumswahrscheinlichkeit festgelegt.

Ergebnisse

Hypothese 1: Die Korrelation zwischen den Skalen "Unterstützung" und "Kontrolle" beträgt bei der Gesamtstichprobe r=.10 (sign.). Nach Altersstichproben getrennt findet sich der stetige Anstieg des Zusammenhanges von r = -.06 (11 - 12jährige) über r = .09 (13 - 14jährige) und r = .14 (15 - 16jährige) bis r = .27 (17-18jährige, sign.). Der Unterschied zwischen den extremen Korrelationen ist statistisch gesichert (z = 2.0).

Hypothese 2 (Tab. 1): Der Zusammenhang zwischen "Kontrolle" und Schulangst ist nur bei den Teilstichproben der 11-12jährigen bzw. der 13-14jährigen nachweisbar, zwischen "Unterstützung" und Schulangst nur bei den Teilstichproben der 13 - 14jährigen bzw. 15 - 16jährigen.

 

Hypothese 3 (Tab. 2): Die Auftretenswahrscheinlichkeiten von Störungen bei den vier Erziehungsstilmustern bestätigen in ihrer Gesamttendenz die Hypothese. Im Bereich der sozial-emotionalen Störungen bestehen deutliche Unterschiede zwischen den extremen Typen, während bei den Störungen im Bereich der Körpersphäre nur geringe Differenzen au treten. Ein Gesamtwert über alle Storungsbereiche erbrachte einen signifikanten Unterschied zwischen den vier Typen (Typ 1: 27% Störungen Typ 2: 20%, Typ 3: 18%, Typ 4: 14%).

Hypothese 4 (Tab. 3): Bis auf den Aspekt der erlebten Mitschülerbeziehungen sind die Ergebnisse erwartungsgemäß. Vor allem der Typ 1 unterscheidet sich deutlich in seinen Auswirkungen von den übrigen Erziehungsstilmustern, die Unterschiede zwischen den anderen Typen sind tendenziell im Sinne der Erwartungen.

 

Diskussion

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung bestätigen die von STAPF et al. (1972) gesammelten Befunde, nach denen mit zunehmendem Alter der Befragten die Korrelation zwischen den Faktoren elterlichen Erziehungsverhaltens zunimmt. Neben der Erklärung, daß sich die Struktur des Elternverhaltens tatsächlich ändert, könnte es sich auch um die Folge eines einstellungsverändernden Effekts in der Wahrnehmung der Jugendlichen handeln. Hier nicht im Detail berichtete Ergebnisse zeigen, dai3 es im Alter von 10 bis 18 Jahren zu einer Zunahme der perzipierten Selbständigkeit kommt, während das erlebte Ausmaß an Zuwendung unverändert bleibt. Es stellt sich die Frage, ob es gerechtfertigt ist, dasselbe Instrumentarium altersinhomogenen Gruppen vorzulegen, da möglicherweise kognitive Schematisierungsprozesse (nicht bloi3 retrospektiv, wie dies STAPF et al. (1972) vermuten) bei der Wahrnehmung elterlichen Verhaltens Auswirkungen auf die Meßergebnisse zeigen. Bei Untersuchungen von Eltern-Kind-Beziehungen bzw. der Wahrnehmung solcher Beziehungen dürften altersabhängige Einstellungen auch zu Inhalten des Testmaterials wirksam werden. Die bloß quantitative Berücksichtigung (z.B. durch Altersnormierungen) entspricht vermutlich nicht den qualitativen Veränderungen in den Strukturen. Angesichts widersprüchlicher Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen den Faktoren elterlichen Verhaltens sollten bisherige Untersuchungen unter diesem Gesichtspunkt der altersabhängigen Dynamik von korrelativen Beziehungen überprüft werden.

Auch die Zusammenhänge mit Variablen der schulischen Befindlichkeit zeigen altersabhängige Veränderungen. Zwar konnte der Zusammenhang zwischen Schulangst und erlebtem Erziehungsverhalten bestätigt werden, doch auch hier fand sich eine altersabhängige Dynamik der Strukturen.

Die Annahme, daß bestimmte Störungen bei Kindern mit bestimmten elterlichen Erziehungsmustern einhergehen, konnte bestätigt werden. Der circulus vitiosus ist deutlich: entweder werden auftretende Störungen mit hoher Kontrolle und geringer emotionaler Unterstützung durch die Eltern beantwortet, bzw. es führt gerade dieses Elternverhalten zu Störungen. TIEDEMANN et al. (1981, S. 338) schreiben: "Ein hoher Grad an elterlicher Strenge korrespondiert nur dann mit sozial-emotionalen Schulschwierigkeiten, wenn sie mit fehlender Unterstützung einhergeht. Umgekehrt korrespondiert fehlende Unterstützung nur dann mit sozial-emotionalen Problemverhaltensmustern der untersuchten Art, wenn zugleich ein hohes Maß an Strenge objektivierbar ist". Die Ergebnisse lassen den Schluß zu, daß in einem häuslichen Klima der positiven Anteilnahme an schulischen Belangen Probleme zwar eher sichtbar werden, jedoch vermutlich auch eher lösbar sind.

Im Vergleich mit den Ergebnissen von Mt)LLER-KOHLENBERG & FOKKEN (1978) kann die Wechselwirkung zwischen häuslicher und schulischer Befindlichkeit als bestätigt gelten. Vermutlich sind hier Wahrnehmungsstereotypien bei den Jugendlichen wirksam. Nimmt man an, daß für die untersuchte Stichprobe altersgemäß das Aufbauen von Beziehungen zu Gleichaltrigen und die Neudefinition von Erwachsenenbeziehungen die zentrale Sozialisationsaufgabe darstellen, so weisen die Ergebnisse auf die Bedeutung der Partnerschaft Lehrer-Eltern hin.

 

Literatur

Becker, W. C., Consequencies of different kinds of parental discipline. In M. L. Hoffmann & L. W. Hoffmann (Hg.), Review of child development research. Vol. I. New York: Russel Sage Foundation, 1964, S. 169 - 208.

Fend, H., Schulklima: Soziale Einflußprobleme in der Schule. Weinheim und Basel: Beltz, 1977.

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Herrmann, Th., Stapf, A. & Krohne, H. W., Die Marburger Skalen zur Erfassung des elterlichenErziehungsstils. diagnostica, 1971, 17, 118 - 131.

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Stapf, K. H., Hermann, Th., Stapf, A. & Stäcker, K. H., Psychologie des elterlichen Erziehungsstils. Stuttgart: Klett, 1972.

Taller, C., Psychosomatische Störungen bei Heimkindern. Unveröff. Forschungsbericht. Linz: Amt der oö. Landesregierung, 1978.

Tausch, R. & Tausch, A. M., Erziehungspsychologie-Psychologische Vorgänge in Erziehung und Unterricht. Göttingen: Hogrefe, 1970.

Tiedemann, J., Langer, M., Schmidt, R. & Timm, T., Sozialemotionales Schülerverhalten und elterliche Erziehungsmuster. ZEPP, 1981, 13, 331 - 340.

 

 

 

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