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Werner
Stangl, Assistenzprofessor am
Institut für Pädagogik
und Psychologie der Johannes
Kepler Universität,
Linz
|
Im Netz - aber kaum vernetzt
Wissenschaftliche
Arbeiten im Internet am Beispiel der
Psychologie
Wissenschaftler
gelten zwar - neben den Militärs -
als die frühesten intensiven Nutzer
des Internets - aber das gilt
hauptsächlich für Amerika. Im
deutschsprachigen Raum beschränken
sich die Wissenschaftler meist darauf,
bestehende Publikationsformen
fortzuschreiben, soll heißen: sie
wissen nichts Rechtes mit dem Net und
seinen Möglichkeiten anzufangen. Das
gilt weithin auch im Bereich der
Psychologie, immerhin haben aber viele
KollegInnen das Internet zum
Forschungsthema erkoren. Am 17. und 18.
Mai 2001 etwa fand in Göttingen
(Lehrstuhl für Sozial- und
Kommunikationspsychologie) schon die
4.
German Online Research
Tagung statt.
Im Mittelpunkt der Tagung standen
vorwiegend empirische Studien, die sich
mit dem Internet auseinandersetzen. Dabei
geht es sowohl um das Net als
Forschungsgegenstand (z.B. Internetsucht,
Einsatz in der Lehre) als auch um seine
Nutzung als Forschungsmedium (z.B.
für die Datenerhebung oder Tests im
Internet).
Obwohl sich wissenschaftlich arbeitende
Psychologen seit mehr als fünf Jahren
mit dem Internet beschäftigen, ist
festzustellen, daß sich die
wissenschaftliche Psychologie wenig mit
netgemäßen Publikationsformen
auseinandersetzt. Auf dem Server des
Psychologischen
Instituts der Universität
Bonn werden
seit Jahren Psychologische
Online Dokumente in Deutschland,
Österreich und der
Schweiz
gesammelt, der jährliche Zuwachs
hält sich allerdings in Grenzen.
Für den universitären Bereich
hängt das mit der Bewertung der
Forschungsleistung zusammen, die noch
immer an der Publikation in renommierten
Fachzeitschriften gemessen wird.
Allerdings häufen sich die
Zweitpublikationen solcher Artikel im Net,
meist über Homepages der
WissenschaftlerInnen bzw. über die
Institutssites. Offensichtlich wird
gesehen, daß dieses Medium dazu
geeignet ist, das Ansehen einer Person
oder eines Instituts in der
Öffentlichkeit zu heben. Als ich 1996
die erste Homepage unseres Institutes
Pädagogik
und Pädagogische Psychologie der
Johannes Kepler Universität
Linz ins Net
stellte, war es in Österreich die
erste in diesem Fachbereich. Zusammen mit
einigen wenigen Homepages von
psychologischen Instituten in Deutschland
war das Angebot an Content jedoch ziemlich
dürftig. Meist begnügte man sich
mit einer Startseite mit Adressen,
Telefonnummern, dazu kamen einige wenige
inhaltliche Beiträge, meist von den
MitarbeiterInnen, die die Site entwickelt
hatten.
Veraltete
Informationen, tote Links
Heute besitzt vermutlich jedes Institut im
deutschsprachigen Raum eine mehr oder
weniger umfangreiche Präsenz im Net.
Das Content-Angebot reicht von reinen
Infoseiten für StudentInnen bis zu
umfangreichen mit fachwissenschaftlichen
Inhalten gefüllten Wissensservices.
Allerdings ist die Betreuung der Seiten
oft mangelhaft; neben veralteten
Informationen sind auch zahlreiche tote
Links zu finden. Auch heute noch beruhen
die meisten fachpsychologischen
Internet-Aktivitäten auf
Privatinitiativen von wenigen
MitarbeiterInnen, so etwa André
Hahns Server psychologie.de,
der sich gerade im Umbau befindet (links
das neue Maskottchen Willi) oder Bernhard
Jacobs (Universität Saarbrücken)
gesammelte Psychologische
Tutorials,
deren Aktualisierung allerdings aufgrund
des immensen Arbeitsaufwandes schon vor
einiger Zeit eingestellt wurde.
Die Möglichkeiten zur Vernetzung
dieser Inhalte mit externen Quellen wird
wenig genützt. Martin Rost unternahm
dazu 1996 einen bemerkenswerten
Vorstoß, indem er die Entwicklung
einer standardisierten Diskurs
Markup Language
(DML)
vorschlug. Damit sollten wissenschaftliche
Texte durch eine neue Kategorie von
dokumentenübergreifenden Links
ineinander verschränkt werden. Ein
Zitat - so die Absicht - wird derart mit
einem DML-Link unterlegt, daß per
Mausklick nicht nur das Originaldokument
aufgerufen, sondern gleich an die
entsprechende Textstelle gesprungen werden
kann. So entstünde ein dichtes Netz
von Texten. Um die Stabilität zu
gewährleisten, müßten aber
einerseits die DML-Links einen
höheren Grad der Verbindlichkeit
untereinander aufweisen als die heutigen
HTML-Links, andererseits die Texte
kontrolliert archiviert werden - jeder vom
Server genommene Text würde das Netz
zerreißen. Vermutlich ist dieser
Vorschlag in seinen Dimensionen aber
für die Publikations- und
Rezeptionsgewohnheiten des Faches zu
radikal.
Ähnliches wird übrigens auf
Anregung von Tim Berners-Lee im
Zusammenhang mit der Evolution des
Internet zu einem "Semantic
Web"
diskutiert. Nach Mike
Sandbothe
(1996, S. 428) würde mit der
Einführung einer solchen
standardisierten Form zur Verknüpfung
von Textstellen die zeitaufwendige
Literaturbeschaffung entfallen, so
daß sich Lernende und Lehrende ganz
auf die eigentlichen Inhalte konzentrieren
könnten. "Es wird in Zukunft weniger
Zeit verschwendet werden für die
aufwendige Suche von Zitaten, für die
mühsame bibliographische Recherche,
für das Auffinden, Bestellen,
Ausleihen eines Buches und für den
manchmal nervenzermürbenden Kampf mit
dem Bibliothekar, der seine Aufgabe
häufig darin sieht, die Bücher
vor den Lesern zu schützen, statt sie
diesen zur Verfügung zu stellen".
Allerdings ist das aufgrund der
derzeitigen labilen und fluktuierenden
Beschaffenheit des net noch weitgehend
Utopie, auch wenn im wissenschaftlichen
Bereich die Stabilität der Dokumente
wesentlich größer ist als im
übrigen Net.
International renommierte
Wissenschaftsverlage arbeiten ebenfalls
seit einigen Jahren an der Vernetzung
ihrer Publikationen im und mit dem
Internet (z.B. Oxford University Press,
Macmillan Magazines Ltd., Springer-Verlag,
John Wiley & Sons Inc., Elsevier
Science). Im Bereich der Psychologie ist
dabei bisher aber wenig Konkretes zustande
gekommen. Am ehesten kann man hier
angebotene Texte und Ausschnitte als
Werbung für den Verkauf der
Bücher sehen. Der kommerziell
orientierte wissenschaftliche Bereich will
sich offensichtlich Marktanteile in diesem
Medium sichern und tritt somit als
Konkurrent zu dem von öffentlichen
Institutionen (Universitäten,
Schulen) und privaten Initiativen
aufgebauten globalen Wissensmarkt auf.
Neben den institutionellen Anbietern sind
es vor allem StudentInnen, die
wissenschaftliche Arbeiten aus den
verschiedensten Gründen im Net
anbieten. Zum einen finden sich Sammlungen
von Skripten oder Mitschriften (meist als
kommentierte Prüfungsliteratur),
andererseits auch Seminar- oder
Hausarbeiten, die auf einer
persönlichen Homepage zugänglich
gemacht werden.
Private Angebote von WissenschaftlerInnen
aus dem Bereich der Psychologie sind
selten - eher versuchen sich interessierte
Laien an der Darstellung
wissenschaftlicher Erkenntnisse. Ihre
Seiten reichen von überraschend
professionell und kompetent aufbereiteten
Angeboten bis zur unverstandenen oder
oberflächlichen Wiedergabe von
angelesenem Fachwissen. Solche Pages
spannen einen weiten Bogen bis hin zur
Esoterik und allgemeinen Lebensratgebern.
Da werden in vielen Fällen sogar sehr
bedenkliche Inhalte transportiert - worin
sie sich aber kaum von den
einschlägigen Printmedien
unterscheiden.
Persönliche Erfahrungen und
Initiativen
Seit Jahren beobachte ich ein langsames,
kontinuierliches Anwachsen der
Bestände psychologischen Wissens im
Net. Dabei werden fachwissenschaftliche
Inhalte meist in Form einer Zweit- oder
Nochmalverwertung online gestellt - sie
sind also nicht originär für das
Internet geschrieben und aufbereitet. Ich
selber arbeite seit Jahren daran,
psychologisches Wissen in netgerechter
Form zur Verfügung zu stellen, meine
Zielgruppe ist dabei sowohl die Scientific
Community als auch die interessierte
Öffentlichkeit. (z. B. in
Werner
Stangls
Arbeitsblättern).
In diesen derzeit etwa knapp 3000
miteinander verlinkten Webseiten versuche
ich, die für meine universitäre
Lehr- und Forschungstätigkeit
relevanten psychologischen Erkenntnisse in
mehr oder minder webgerechter Form und in
gewissem Ausmaß auch in einer
für Laien verständlichen Sprache
darzustellen. Die täglich 600-700
Visits zeigen, daß ein großes
Interesse an diesen Inhalten besteht. Nach
der Analyse der Logfiles halten sich die
Zugriffe von Bildungsinstitutionen
(Universitäten mit 30%, Schulen mit
etwa 20%) und die von privaten UserInnen
in etwa die Waage.
Dabei verlagert sich der Schwerpunkt in
den letzten Jahren immer mehr in Richtung
private NutzerInnen, was sich in einem
Andauern der Zugriffe auch in den
Abendstunden äußert (siehe
Grafik). Eine entsprechende Entwicklung
stelle ich auch auf der von einem lokalen
Provider unterstützten webgerechteren
Neu- und Weiterentwicklung
[werner.stangl]s
arbeitsblätter
fest.
Zweitveröffentlichungen
und Archiv
Fast meine sämtlichen bisherigen
"traditionellen" Publikationen in
Fachzeitschriften, Sammelwerken oder
Monographien, von denen viele schon
vergriffen sind, mache ich
im
Web
zugänglich.
Dabei ist ein Teil speziell aufbereitet,
andere bieten als pdf-Datei nur einen
bequemeren Zugang zu den Arbeiten, die
früher auf Anforderung als
Sonderdrucke an KollegInnen verschickt
wurden. Diese Kultur bzw. Form der
Anerkennung und des Interesses für
Arbeiten anderer WissenschaftlerInnen
scheint heute übrigens fast
ausgestorben. Vielleicht bildet die
Nutzung des internet ja dafür einen
zeitgemäßen Ersatz.
Diese Zweitveröffentlichungen, die
teilweise zwei Jahrzehnte hinter der
Erstpublikation erfolgen, haben mir
zahlreiche neue Forschungskontakte
eröffnet, und zwar vor allem zu
FachkollegInnen, die erst durch das neue
Medium auf diese Arbeiten aufmerksam
wurden. So kommt es dazu, daß einige
von mir schon vor Jahren entwickelte
Testverfahren
in neuen Untersuchungen eingesetzt werden.
Sie waren zwar seinerzeit in
Fachzeitschriften publiziert worden,
würden aber aufgrund des eher
beschwerlichen Zuganges heute auf normalem
Wege (Abstractssammlungen, Archive,
Datenbanken) kaum noch wahrgenommen.
Vermutlich schaut man heute als
WissenschaftlerIn auch oder zuerst im
Internet nach, wenn man etwas Konkretes
sucht.
Ein zweites wesentliches Element meiner
Arbeit mit dem Web ist die
internetgestützte
Lehre, deren
"Produkte" sich oft in Form einer
Zusammenstellung von fachrelevanter
Literatur, Arbeitsblättern und
Seminararbeiten im Internet wiederfinden.
Die Seiten zum Thema Jugendpsychologie
sind von allen wichtigen Suchmaschinen
vollindiziert worden und tauchen auch in
händisch betreuten Web-Verzeichnissen
auf. Tatsächlich gehören diese
Inhalte neben Arbeiten zur Lehr- und
Lernpsychologie zu den am meisten
nachgefragten Seiten des Servers.
Online-Verffentlichung bringen
mehr Resonanz
Einen Hinweis auf die Rezeption der
eigenen Arbeiten im Net geben die
Backlinks
- also Rückverweise auf Seiten, die
ihrerseits einen Link auf eine meiner
Seiten enthalten. Obwohl diese Links nur
gelegentlich und nicht systematisch
erfaßt werden - die
Institutshomepage mit ca. 8000 Pages ist
nach wie vor ein Einmannbetrieb -
beträgt die Liste bisher schon weit
über 400 Positionen. Sie bilden einen
Citation Index der neuen Art zur
Dokumentation der Rezeption
wissenschaftlicher Arbeit. Hier zeigt die
Online-Veröffentlichung sich den
traditionellen Publikationen weit
überlegen. Bei Texten in
traditionellen Fachzeitschriften, die oft
Auflagen von unter 500 Exemplaren haben,
muß man realistischerweise von
Leserzahlen im niedrigen zweistelligen
Bereich ausgehen. Einzelne Webpages (etwa
zum schon genannten Thema
Jugendpsychologie) erreichen vergleichbare
Zahlen von Abrufen schon an einem Tag. Wie
sich aus den Logfiles ablesen
läßt, gibt es BesucherInnen,
die sich mehrere Stunden auf den Seiten
des Servers tummeln, dabei handelt es sich
in den meisten Fällen FachkollegInnen
oder StudentInnen. Daneben finden sich in
den Logfiles auch auswärtige
"Stammkunden", die die Seiten
regelmäßig aufsuchen und
reichlich "Leserbriefe" im
Gästebuch
der Institutshomepage hinterlassen.
Ganz allmählich kommt es auch zu
einer stärkeren Vernetzung des
wissenschaftlichen Content. Die
Referrer-Logs zeigen, daß einige
Links auf Webauftritten anderer
psychologischer Institute dazu
führen, daß täglich
mehrmals von verschiedenen UserInnen auf
immer wieder dieselben Seiten zugegriffen
wird, z.B. die Seiten zum wissenschaftlichen
Arbeiten. Ich
habe - wie oben erwähnt - auf meiner
privaten Domain mit meinen
neuen
Arbeitsblättern
einen weiteren Schritt zur Vernetzung
unternommen, indem ich zur Ergänzung
auf andere ähnliche Initiativen im
Net verweise, die andere Teilgebiete
webgerecht aufbereitet haben. Diese
Initiativen kommen alle aus dem
universitären Bereich (z.B. die
Universitäten Konstanz,
Saarbrücken, Trier, Freiburg,
Toronto), sodaß davon auszugehen
ist, daß diese Zusammenhänge
über längere Zeit stabil
bleiben.
Eher zäh verläuft das vor
fünf Jahren begonnene Experiment der
Herausgabe eines E-zines
zur pädagogischen
Psychologie. Es
bekommt jedoch nur wenige Arbeiten
angeboten, teils wohl wegen der Forderung
der HerausgeberInnen nach webgerechter
Darstellung von Forschungsergebnissen,
teils wohl auch deshalb, weil diese
Publikationsform für die weitere
wissenschaftliche Karriere heute noch
gering bewertet wird.
Die Erfahrungen an unserem Institut deuten
darauf hin, daß diese
Geringschätzung alles andere als
berechtigt ist. Die Publikationen im Netz
werden in einem weiteren Kreis - sowohl
von Fachkollegen wie in der interessierten
Öffentlichkeit - zur Kenntnis
genommen als gedruckte
Veröffentlichungen. Sie werden
stärker in den wissenschaftlichen
Diskurs eingebunden und es bilden sich um
sie herum erste Ansatzpunkte einer
inhaltlichen Vernetzung. Wenn es dann noch
gelingt, Publikationsformen zu erarbeiten,
die diese Verknüpfungsmöglichen
stärker nutzen, kann es keinen Grund
mehr geben, Veröffentlichung auf
Papier höher zu bewerten als solche
im Netz.
Werner
Stangl
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