[aus den Arbeitsmaterialien zum Unterricht für den
Berufsverband Österreichischer Psychologen]
Kindliche Reaktionen auf Trennung und Scheidung
Entwicklungsstufe I
Von der Geburt bis zum zweiten Lebensjahr
Für diese Entwicklungsstufe liegt nur wenig Forschungsevidenz
vor:
- "Nachtangst" (Einschlafschwierigkeiten; Aufwachen in der Nacht
mit Erschrecken, Desorientierung und Hilferufen)
- Bei einhergehender (häufig trennungsbedingter)
institutioneller Betreuung von schlechter Qualität:
- - generelle Retardierung der Entwicklung u. a. im
sprachlichen Bereich
- - vermindertes Interesse an Spielzeug, an der
äußeren Umgebung sowie an sozialen Kontakten
Entwicklungsstufe II
Zweites bis drittes Lebensjahr
Kinder auf dieser Entwicklungsstufe reagieren auf Trennung und
Scheidung ihrer Eltern mit
- Regression (z.B. Rückschritte in der
Sauberkeitserziehung; Trennungsängste; Gebrauch von
Ersatzobjekten, wie z.B. Puppen oder Decken zur
Rückversicherung bezüglich bestimmter Objekte);
- Irritierbarkeit/Furchtsamkeit, Weinen;
- allgemeine Angstzustände;
- gesteigerte Aggressivität und Trotz
Entwicklungsstufe III
Drittes bis fünftes Lebensjahr
Häufige Reaktionsmuster, die in der Literatur beschrieben
werden, sind:
- aggressiv-destruktives Verhalten und Angst vor Aggression
- Irritierbarkeit
- weinerliches Verhalten/Traurigkeit
- vermindertes Selbstwertgefühl
- Gehemmtheit im Spiel, Phantasie und Verhalten
- Hilfsbedürftigkeit
- gestörtes Vertrauen in die Zuverlässigkeit
menschlicher Beziehungen
- Einsamkeit
- Trauer
- Selbstbeschuldigungen wegen Zerbrechen der Familie
Jungen dieser Altersstufen zeigen im allgemeinen:
- heftigere, unmittelbare Reaktionen
- externalisierend-ausagierendes Verhalten
- Defizite in der sozialen Entwicklung
- Konzentrationsschwierigkeiten
- verminderter Optimismus und Leistungsdefizite
Mädchen reagieren hingegen mit Internalisierung der
Probleme,
- Depression
- Angst- und Rückzugsverhalten
- besitzergreifendes Verhalten
- Schlafstörungen
- vermehrtes Verlangen nach physischem Kontakt in Verbindung mit
schneller Hinwendung zu Fremden
- pseudoerwachsenem Verhalten einschließlich gehemmter und
rechthaberischer Reaktionen
Entwicklungsstufe IV
Fünftes bis sechstes Lebensjahr
Die kindlichen Reaktionen dieser Entwicklungsstufe sind
ähnlich wie in der Stufe III:
- aggressives Verhalten
- Ängstlichkeit
- Ruhelosigkeit
- Irritierbarkeit/Weinen
- Trennungsprobleme und -ängste
- Wutanfälle
- Kindheitsdepressionen
- Verweigerungsverhalten, Gefühl der
Zurückweisung
- Schlafstörungen
- Phobien
- zwanghaftes Essen
- abhängiges Verhalten
- weiterhin Schuldgefühle wegen Elterntrennung
Entwicklungsstufe V
Siebentes bis achtes Lebensjahr
In dieser Entwicklungsstufe erfolgt eine klare Abgrenzung der
Reaktionen von denen der Entwicklungsstufe IV
- anhaltende Traurigkeit als erste Reaktion auf Trennung gefolgt
von Resignation
- Auflösung der Familie wird als Bedrohung der gesamten
Existenz angesehen
- Schuldgefühle treten zurück
- verzögerte Auflösung der ödipalen Bindung
- Beeinträchtigung der schulischen Bildung
- Verhaltensveränderungen im schulischen Kontext
- Depressionen, die eher mit Rückzugsverhalten als mit
Weinen verbunden sind
- Wunsch nach Wiedervereinigung der Familie
- Loyalitätskonflikte
Bei Jungen:
- Depressionsgefühle, Ausdruck von Ärger und
Beschuldigungen gegenüber dem Elternteil, der die Scheidung
verursacht hat
Entwicklungsstufe VI
Neuntes bis zwölftes Lebensjahr
In dieser Entwicklungsstufe treten folgende Symptome auf
- psychosomatische Krankheiten oder Depressionen infolge von
übermäßiger Verantwortlichkeit für elterliche
Probleme und Organisation des Haushaltes
- Pseudoreife
- bewußter intensiver Zorn auf den Elternteil, der als
Initiator der Scheidung angesehen wird
- Angst, verlassen zu werden, Einsamkeitsgefühl
- soziale Scham
- Identitätsprobleme
- Loyalitätskonflikte
- Selbstwertprobleme, Schulschwierigkeiten
- Angst vor einer ungewissen Zukunft
- Gefühl der Einsamkeit und Ohnmacht
Entwicklungsstufe VII
Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren
Jugendliche dieser Entwicklungsstufe reagieren zunächst
äußerst heftig auf elterliche Trennung und Scheidung:
- Zorn, Trauer, Schmerz
- Gefühl, verlassen und betrogen worden zu sein
nach relativ kurzer Zeit entwickeln sie
- Fähigkeit zur realistischen Einschätzung der
Scheidungsursachen sowie
- konstruktive Beiträge zur Situationsbewältigung
Dennoch sind für eine Gruppe Jugendlicher auch Reaktionen
üblich wie z.B.
- Zweifel an den eigenen Fähigkeiten, eine positive
Partnerschaft zu haben
- abrupte und destruktive Ablösung vom Elternhaus
- Vermeidung von Kontakten mit den Eltern
- Vernachlässigung einer Auseinandersetzung mit den
Problemen der Gegenwart