Im Mai 2005, also kurz nach dem Zeitpunkt meiner
architekonischen Analyse, fand sich in der Ausgabe
der Presse eine "Kleine Geschichte des
Spittelbergs" von Anne-Catherine
Simon:
"Durch diesen Bogen ist Josef rausgeflogen",
liest man im Spittelberger Alt-Wiener Lokal "Witwe
Bolte". Gemeint ist Josef II., Sohn von Maria
Theresia, der hier angeblich eine berüchtigte
Wirtin aufgesucht hat. Der Spittelberg galt als
ungesündeste Region Wiens, nicht nur wegen der
dichten Verbauung. Jetzt wisse er endlich, warum
der Spittelberg so heiße, notierte ein
französischer Reiseschriftsteller - weil man
danach ins Spital müsse. Bis in die
Anfänge des 20. Jahrhunderts hielt sich
der Spittelberg als einmal mehr, einmal weniger
blühendes Rot-Licht-Viertel - nicht zuletzt
aufgrund der Nähe zum kaiserlichen Hof und
dessen Bediensteten. Dann verkam er baulich, nach
dem Zweiten Weltkrieg "taugte" er nur noch als
sanitär unzulängliche Billig-Enklave
für zuwandernde Gastarbeiter.
"Krowotendörfl" nannte man den Spittelberg
übrigens vor Jahrhunderten, nach den Kroaten,
die hier als Gärtner und Bauern die Wiener
Nahversorgung sicherten. Vom Spittelberg, der
höchstens ein Hügel ist, ließ es
sich immer schon gut auf Wien schauen (oder
schießen - Letzteres taten die Türken,
später die Franzosen). Um ein Haar wäre
das gesamte Viertel in den Sechziger Jahren
abgerissen und durch Hochhäuser mit Wien-Blick
ersetzt worden. Statt kahl geschlagen wurde dann
doch saniert, ein Gutteil der
Biedermeier-Häuschen blieb erhalten. Und damit
viel Geschichte - die schon im Namen des Viertels
steckt: "Spittelberg" heißt es, weil es um
1600 im Besitz eines Bürgerspitals war. Die
Idee, den Spittelberg als Kunstviertel zu
etablieren, sei grandios gewesen, meint Heinz
Jankowsky, Leiter des Bezirksmuseums Neubau. Aber
"sie ist eigentlich tot". "Mit dem
Kunsthandwerksmarkt Anfang der Achtziger Jahre hat
es angefangen", erinnert sich auch der seit
Jahrzehnten am Spittelberg lebende Fotograf Herbert
Bednarik. Damals habe es noch eine Jury gegeben,
die auf Qualität geachtet und entschieden
habe, wer ausstellen darf. Die Jury löste sich
auf, viele Künstler wanderten zum Karlsplatz
ab. Auch die 1986 mit Pomp und Polit-Prominenz
eröffnete "Erste Wiener Straßengalerie"
versandete schon Anfang der Neunziger. Mit
großen Künstlern konnte der Spittelberg
übrigens auch früher nie aufwarten. Eine
Ausnahme: der am Spittelberg geborene Maler
Friedrich Amerling, der dort auch sein Atelier
hatte.
In derselben Ausgabe schrieb Ulrike Weiser unter
dem Titel "Künstlerviertel in der
Krise":
Der Spittelberg plagt sich zum 30. Jubiläum
mit dem MQ und geschlossenen Ateliers. (
) 30
Jahre nach seiner "Neuerfindung" (
) steckt
der Spittelberg in der Krise: Zu viel Gastronomie,
zu wenig Kunsthandwerk und mächtige Konkurrenz
wie Mariahilfer Straße und MQ machen dem
ehemaligen "Petit Montmartre" von Wien zu schaffen.
"Das Museumsquartier hat uns 20 bis 30 Prozent des
Erfolgs gekostet", meint Pius Strobl,
Gründungsmitglied der Grünen und
Gründungsmitglied des vor mehr als zehn Jahren
ins Leben gerufenen Forums Spittelberg. Als
"vertane Chance" bezeichnet Strobl den
Übergang vom Museumsquartiers zum siebenten
Bezirk: "Die Öffnung in der Breite Gasse ist
ja eher ein Notausgang." Andere Probleme sind
hausgemacht: Nachdem man sich jahrelang bemüht
hat, den Spittelberg in allen Reiseführern der
Welt unterzubringen, "kommen nun die Touristen und
finden das Künstlerviertel nicht",
erzählt Winkler. Denn viele Ateliers seien
durchgehend geschlossen, andere "sperren nur zum
Adventmarkt auf und fallen nachher in einen
Dornröschenschlaf", kritisiert Winkler.
Zustimmung findet er bei Andreas Klotz, Wiener
Stadtplanungsdirektor und prominenter
"Spittelberger": "Viele Galeristen sind nur per
Handy erreichbar, die Kultur stagniert." Der Grund:
Dank der damals hohen Förderungen für die
Sanierung seien die Mieten so günstig, dass
die Ateliers auch bloß als Lager genutzt
würden, so Strobl. (
) Die
Unzufriedenheit mit dem Status quo hat auch einen
neuen Verein der "FreundInnen des Spittelberg"
hervorgebracht. Dessen erste Aufgabe wird es sein,
dass "Grätzelmanagement" zu optimieren und
"ein Leitbild" zu erarbeiten.
Quelle: Die Presse vom 20.05.2005
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