Gegenstand
der Untersuchung ist die nordöstliche Seite
der Philadelphiabrücke in Meidling, dem 12.
Bezirk Wiens. Dieser Platz ohne offizielle
Namensbezeichnung ist ein typisch
vorstädtischer Bereich, der -
ursprünglich natürlich gewachsen aus
mehreren dörflichen Siedlungen am Wienfluss -
immer mehr ein Ort bewusster Planung geworden ist.
Heute ist die Philadelphiabrücke - der Name
"Philadelphia" erinnert an die erste Lokomotive der
Südbahn mit dem Namen Philadelphia -
Durchgangsbahnhof der Südbahn und eine
wichtiger Verkehrsknotenpunkt, wo sich U-Bahn,
mehrere Autobus- und
Straßenbahnenlinien kreuzen. Der Platz kann
auch als das Ende der Meidlinger Hauptstraße,
einer Einkaufsstraße mit
Fußgängerzone, gesehen werden. Dadurch
wird dieser Bereich kaum bewusst als Platz genutzt
und wahrgenommen, sondern stellt eine
Umstiegsstelle zwischen öffentlichen
Verkehrsmitteln dar, den die Benutzer eiligen
Schrittes durchqueren, wenn sie nicht kurz
anhalten, um bei einem meist fremdländischen
Zeitungsverkäufer ein Exemplar zu
erwerben.
Ende des zweiten Weltkriegs war der Meidlinger
Bahnhof Ziel zahlreicher Bombenangriffe, die zwar
den Bahnhof verfehlt, jedoch die umliegenden
Gebäude schwer beschädigt hatten. Der
anschließende Wiederaufbau veränderte
wenig an der Binnenstruktur, denn die
"unterirdische Stadt", die weit gehend unversehrt
geblieben war, und ökonomische Gründe
bedingten den Aufbau an alter Stelle (vgl. Siebel
2004, S. 42). Heute prägt das Umgebungsbild
der soziale Wohnungsbau, der unverkennbar die
Handschrift des "roten Wien" trägt.
An
der Längsseite des Platzes lag früher ein
Revue-Theater, das "Philadelphia", das nach dem
zweiten Weltkrieg in ein Kino umgewandelt wurde. An
dieser Stelle befindet sich heute die "Arcade
Meidling", ein multifunktionales Zentrum mit
Einkaufspassage, Fastfood Restaurants,
Stadtbibliothek und Bürogebäuden. Einen
Großteil der Geschäftslokale (z.B. Spar,
ESPRIT, Ströck) und Gastronomiebetriebe (z.B.
McDonalds, Starbucks) sind entindividualisierte
Filialbetriebe (vgl. Siebel 2004, S. 39). Die
automatisch öffnenden Glasschiebetüren
als Eingang der Passage suggerieren dem
willkommenen Einkäufer das Bild, als wäre
dies öffentlicher nutzbarer Raum, der faktisch
jedoch nur bedingt öffentlich nutzbar ist, da
er mit technischen Überwachungsmitteln und von
privaten Sicherheitsdiensten kontrolliert wird
(vgl. Siebel 2004, S. 30, Selle 2004, S. 139).
In vielen Fällen ist die Semiotik des so
genannten 'zu verteidigenden Raumes' ungefähr
so subtil wie ein großspuriger weißer
Polizist. Die schicken, pseudo-öffentlichen
Räume von heute - Luxus-Einkaufspassagen,
Bürozentren, Kulturakropolen usw. - sind voll
unsichtbarer Zeichen, die den 'Anderen' aus der
Unterschicht zum Gehen auffordern (Davis 1994, S.
262).
Auch bei den unter kommunalem Einfluss stehenden
Bereichen U-Bahn und Bahnhof findet man Regulierung
und Ausschluss unerwünschter Gruppen. Durch
zusätzliche Privatisierung des Platzes in Form
des Schanigartens eines Cafes wird der noch
vorhandene öffentliche Raum auf einen
Bruchteil der Gesamtfläche reduziert, und die
ausgegrenzten Personenkreise (Bettler, Obdachlose,
arbeitslose und verwahrloste Jugendliche) werden in
"Internierungsräume" verwiesen (vgl. Selle
2004, S. 143). Auch wenn die Stadt nicht mehr jener
besondere Ort ist, dem das gesellschaftlich Andere
abhanden gekommen ist (vgl. Siebel 2004, S. 25),
schafft sie dennoch in einer Zeit starken
gesellschaftlichen Wandels eine hohe Konzentration
sozialer Ungleichheit. Behübschung und
geplante Platzgestaltung aus dem Versandkatalog
verdecken, aber beseitigen nicht die Ursachen der
urbanen Probleme.
Quellen:
Siebel, W. (2004). Einleitung: Die europäische
Stadt (S. 11-50). In W. Siebel (Hrsg.), Die
europäische Stadt. Frankfurt: Suhrkamp.
Selle, K. (2004). Öffentliche Räume in
der europäischen Stadt - Verfall und Ende oder
Wandel und Belebung? Reden und Gegenreden (S.
131-145). In W. Siebel (Hrsg.), Die
europäische Stadt. Frankfurt: Suhrkamp.
Davis, M. (1994). City of Quartz. Ausgrabungen der
Zukunft in Los Angeles, Berlin, Göttingen:
Verlag der Buchläden Schwarze Risse & Rote
Straße.
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