|
Seit Vergleichsstudien deutschen Schülern ein allenfalls mittleres Niveau bescheinigthaben, reagieren Politiker reflexartig mit der Forderung nach mehr Leistung. Darunter verstehen sie mittels formalisierter Tests abfragbares Wissen, ausgedrückt in Zensuren. Mehr Leistung bedeutet so mehr Kontrollen. Hinter solchen Forderungen verbirgt sich ein fundamentales Missverständnis darüber, wie Schüler erfolgreich lernen. Werfen wir einen Blick in eine Unterrichtsstunde an einem Gymnasium. Der Lehrer steht vor einer neunten Klasse und unterrichtet Geschichte: die Entstehung des Deutschen Reiches von 1815 bis 1871. So steht es im Lehrplan. Er fängt an, die historischen Fakten zu schildern, verteilt einen Arbeitsbogen und schreibt wichtige Daten an die Tafel. Dann versucht er die Klasse in eine Diskussion darüber zu verwickeln, warum nur die Einigung des Reiches "von oben" möglich war. Das gelenkte Unterrichtsgespräch, so der didaktische Terminus, ist ein dünnes Rinnsal: Ein paar Interessierte - meistens mit häuslicher Vorbildung - versuchen sich mit einer Antwort. Der Rest ist Schweigen. Dieses Ping-Pong-Verfahren - Lehrer diskutiert mit vier Schülern - lässt die Mehrheit der Klasse unberührt. Es bleibt offen, ob die Passiven nur gelangweilt sind oder das Thema nicht verstehen. Geprüft wird das in der Stunde nicht. Der Lehrer tröstet sich mit Entwicklungspsychologie: Pubertierende Jugendliche interessieren sich mehr für das andere Geschlecht als für den preußischen Verfassungskonflikt. Ist das ein Trost? Muss Unterricht in der Mittelstufe so aussehen? Szenenwechsel: Universität. Der Didaktiker Gerold Scholz pflegt in Seminaren mit seinen Studenten zu experimentieren. Sie sollen aus beliebigen Fächern Faktenwissen aus dem Gedächtnis abrufen. Die Ergebnisse sind kläglich, obwohl die Schulzeit oft wenige Jahre zurückliegt. Scholz leitet daraus seine Grundthese ab: "Kinder sind nicht belehrbar. Sie können nur selbst lernen." Schule und Universität verhalten sich zueinander wie kommunizierende Röhren. Halbgares Wissen und die ungefestigten Lernmethoden aus der Schule pflanzen sich in die Uni fort und lassen in manchen Fachbereichen die Abbruchquoten höher ausfallen als die Abschlussquoten. Was macht den Schulunterricht besser ? Messungen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung haben ergeben, im Schnitt sind nur 2,6 Prozent des Unterrichts nicht lehrerdominiert. In einer Klasse mit 30 Schülern kommt jeder Schüler eineinhalb Minuten lang zu Wort - falls der Lehrer ganz schweigt. Gängige Unterrichtsmethoden sind das gelenkte Unterrichtsgespräch, die direkte Instruktion, der Vortrag. Unhinterfragt und unangefochten gaben Lehrer das Methodenrepertoire von Generation zu Generation weiter. Erst in den Jahren nach der 68er-Bewegung kamen Gruppen- und Partnerarbeit - ergänzend - dazu. Jeder experimentierfreudige Lehrer kann ein Lied davon singen, wie oft seine kommunikative Sitzordnung (U-Form, Karree, Gruppentische) vom nächsten Lehrer wieder zurückgebaut wird, weil er sich nicht zurechtfindet. Der Trugschluss, der die traditionellen Lernformen legitimiert: Bei den Schülern bleibt für kurze Zeit tatsächlich Wissen hängen - meistens bis zur Klassenarbeit. Würde man dieselbe Klausur vier Wochen später erneut schreiben lassen, hätten sich die Kenntnisse deutlich verflüchtigt. Schüler wissen besser als Lehrer, dass sie für das Kurzzeitgedächtnis lernen. Deshalb büffeln sie am Tag vor dem Test. Von der Lerntheorie ist bekannt, nur etwa zehn Prozent der Schüler gehört zum abstrakt-verbalen Lerntyp, dem es leicht fällt, den herkömmlichen Lehrervortrag zu verstehen. Die meisten Jugendlichen werden dem praktisch-anschaulichen Typ zugerechnet, der auf das Selbstmachen angewiesen ist. Jeder Erwachsene kann einmal einen der vielen in Zeitschriften angebotenen Lerntests machen. Er wird dabei erleben, was die empirische Forschung zeigt: Was man hört, behält man zu 20 Prozent, was man sieht und liest zu 30 Prozent. Was man sich in tätiger Weise selbst aneignet, bleibt zu 80 Prozent präsent. Im Alltag können wir dazu ein aufschlussreiches Experiment studieren: in Bereichen wie der Computertechnik oder Telekommunikation, wo Schüler den Erwachsenen, ja oft den Fachlehrern für Physik und Mathematik überlegen sind. Fragen wir, wie sie ihr immenses Wissen und die raffinierten Fertigkeiten erworben haben, bekämen wir ein müdes Lächeln, das besagen soll: selbst beigebracht. Und zwar mit selbsttätigem Lernen, mit einem Lernen mit hoher Motivation und zu einem bestimmten Zweck, oft mit praktischem Nutzen. Welches Schulfach kann diesen Dreiklang bieten: Motivation, Eigentätigkeit und praktischen Nutzen ?
Was kann die Schule daraus lernen? Dauerhaft wird Wissen, wenn es systematisch und mit eigenem Entdecken erworben und angewendet wird. Es gibt inzwischen Schulen, die sich solchen entdeckenden Lernformen zugewandt haben. Eine Hamburger Gesamtschule hat den Englischunterricht der Oberstufe zu einem fächerverbindenden Projekt umgestaltet. Die Schüler bilden sich zum Fremdenführer für Ausländer aus, die über die Sehenswürdigkeiten der Stadt auf Englisch informiert werden sollen. Das Projekt läuft mit dem Segen des Fremdenverkehrsamts. Ausbildungsinhalte sind kultur-historisches Wissen, der englische Wortschatz und rhetorische Fähigkeiten. Zur Verblüffung der Lehrer war der Lerneffekt in der Fremdsprache ungleich größer als beim herkömmlichen Unterricht mit englischen Sachtexten. Der zweite Zugewinn betraf die Persönlichkeit der Schüler. Sie wurden in den wenigen Wochen der Arbeit als Fremdenführer selbstsicherer als in Jahren normalen Unterrichts. Die Kultusminister müssen die Reform des Unterrichts anstoßen. Was Not tut, ist die Ausarbeitung von Lernarrangements in jedem Fach, die mehr Selbsttätigkeit im Lernen ermöglichen. Dabei darf das Ziel des Lernens nicht immer nur gesichertes Wissen sein. Um Kreativität und Methodenbewusstsein zu schaffen, sollte entdeckendes Lernen, der Umgang mit unterschiedlichen Lösungswegen mehr als bisher geübt werden. Lehrer müssen ihre Scheu vor den modernen Medien ablegen, weil sich hier effektive Lernmethoden auftun, die man für den Unterricht nutzen kann. Wichtig ist dabei die sinnvolle Einbindung in jedes Fach. Erfahrungen in Geschichte und Politischer Weltkunde zeigen, dass Schüler ohne strukturierendes Vorwissen in der unverstandenen Flut der Information, die im Internet abrufbar sind, hilflos umher schwimmen. Aufgabe des Unterrichts ist mehr denn je, Grundlagen zu vermitteln, Strukturen und Modelle, denen sich das konkrete Wissen zuordnen lässt. Zurück zu unserer Geschichtsstunde in der neunten Klasse. Wie könnte eine Methode aussehen, die alle Schüler einbindet und von ihnen eine aktive Teilnahme einfordert ? Ansatzpunkt ist das Prinzip, Geschichte erfahrbar zu machen. Die Klasse wird in kleine Gruppen aufgeteilt, die sich mit den Lebensbedingungen der einzelnen Schichten und den politischen Erwägungen der Entscheidungsträger befassen. Dazu erhalten sie vom Lehrer Material, Quellen über das Leben der Menschen im 19. Jahrhundert. Alle Schüler sollen sich die Lebensumstände so aneignen, dass sie im Rollenspiel ihre Schicht oder Vertreter einer Partei handelnd vertreten. Die Konflikte, Entscheidungen, Weichenstellungen der historischen Situation werden spielerisch nachgestellt. Die Schüler reden nicht über Geschichte, sie handeln als historische Figuren. Es gibt Lehrer, die ab und zu solche Sternstunden in ihren Klassen zaubern. Den Unterrichtsalltag prägen sie freilich nicht. Den Entdeckungsreisen steht alleine schon der 45-Minuten-Rhythmus der Schule entgegen. |
|
|
|
|
|
Mit Beginn des neuen Schuljahres soll eine bundesweite Multimedia-Schulaktion mit dem Namen «Stars@Bytes» die deutschen Schüler und Lehrer besser mit der Informationsgesellschaft vertraut machen. Unter der Schirmherrschaft des Bundeswirtschaftsministeriums stellen mehrere Medienhäuser und Internet-Unternehmen vom 15. September an unter der Adresse «www.stars-bytes.de» unter anderem Unterrichtseinheiten im Internet bereit. Parallel dazu werden die Schüler mit Informationsmaterial versorgt und begleitende Wettbewerbe veranstaltet. An der Aktion mit dem Motto «Die Zukunft liegt in eurer Hand» sind das Hamburger Magazin «stern», der Zeitbild-Verlag, Hewlett-Packard, die Karstadt Warenhaus AG, amazon.de, AOL Deutschland und Siemens Mobile Phones beteiligt. «Stern»-Chefredakteur Thomas Osterkorn sagte am Montag in Hamburg, die Einbeziehung von Internet und Multimedia in den Unterricht sei in deutschen Schulen noch immer nicht alltäglich. «Wenn Deutschland den Anschluss nicht verpassen will, muss endlich flächendeckend gehandelt werden.» Zum Start des neuen Schuljahres versorgte der Zeitbild-Verlag dabei 23 000 weiterführende Schulen mit Informationsmaterial für Schüler und Lehrer. Im Internet werden fünf Lehreinheiten online gestellt, teilten die Organisatoren mit. In einem begleitenden Wettbewerb sollen Schüler Online-Magazine entwickeln, Multimedia- Kunstwerke gestalten oder das Telefon der Zukunft planen. Unter dem Motto «DIE ZEIT für die Schule» beginnt am kommenden Donnerstag zum dritten Mal ein medienpädagogisches Projekt der Hamburger Wochenzeitung «DIE ZEIT». Wie die Zeitung mitteilte, richtet es sich an Lehrer mit Klassen und Kursen von der 10. Jahrgangsstufe an. Zu den Themen Medienkunde, Politik oder Geschichte werden dabei Texte und ein Paket mit Arbeitsblättern angeboten. Zusätzlich können für jeden Schüler kostenlos vier aktuelle «ZEIT»-Ausgaben bestellt werden. In den vergangen zwei Jahren haben laut «ZEIT» mehr als 6 000 Lehrer und insgesamt 100 000 Schüler von Gymnasien, Berufsbildenden Schulen und Fachoberschulen das Angebot in Anspruch genommen.
|
|
|
Bildungsministerin Gehrer sieht Österreich damit "an der Spitze" | "Internet für alle Bürger" als Ziel ihrer Politik | Motto: "Keine Angst vor dem World Wide Web!" Als
Motto für die weitere IT-Ausbildung in Österreich
gab Gehrer heute bei einer Pressekonferenz das Motto "Keine
Angst vor dem World Wide Web!" aus. Ziel sei das "Internet
für alle Bürger". |
|
MATHIAS EBERENZ Die Computer-OffensiveSchulanfang in Hamburg. Mathe, Deutsch, Sport. Und Wirtschaft? Die Ökonomie hält Einzug in die Klassenzimmer. Worauf müssen sich Schüler, Eltern und Lehrer einstellen? http://www.abendblatt.net/ |
Hamburg - Ein komplett eingerichtetes Internet-Klassenzimmer für 70 000 Mark. Als Geschenk. Wie eine prall gefüllte Schultüte zur Einschulung. Welcher Schulleiter würde da nicht zugreifen? Das Johanneum in Hamburg konnte nicht widerstehen. Am Mittwoch überreichte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen der traditionsreichen "Gelehrtenschule" feierlich den symbolischen Scheck. Schulleiter Hans-Friedrich Bornitz hatte das Geld allerdings schon ausgegeben: für neun Windows-98-PCs und einen Linux-Server. Installation und Wartung sind auch mit drin. So wie dem Johanneum geht es zurzeit immer mehr Schulen in ganz Deutschland. Denn immer mehr Firmen - längst nicht nur aus der Computerbranche - erkennen die Gunst der Stunde. Schließlich sorgen die Hightech-Wohltaten für Sympathie bei Schülern und Eltern. 90 Unternehmen haben sich mittlerweile zu der bundesweiten Initiative D21 angeschlossen. Unter anderem, um Internet-Klassenzimmer zu sponsern. Einige Unternehmen gehen darüber hinaus eigene Wege. So ließ die Hamburger Sparkasse 500 gebrauchte PCs überholen und stiftete sie Schulen, 600 weitere kamen vom Baumarkt Max Bahr. Der Computerhersteller Hewlett-Packard (HP) hat sogar ein bundesweites Spendenprogramm eingerichtet. Daraus bekam das Reinbeker Sachsenwald-Gymnasium Internetserver und PCs geschenkt, die Handelsschule am Holstenwall durfte eine Klasse mit Laptops ausstatten. Und auch das Gymnasium Heidberg konnte mit Hilfe von HP seinen Computerraum mit 16 neuen PCs aufrüsten. Wert: 130 000 Mark. Einen zweiten Raum hat sich die Schule bei kleineren Hamburger Firmen "zusammengebettelt", sagt Informatiklehrer Burkhart Brüning. Doch es gibt auch Kritik. Etwa von Rolf Steinert, Projektleiter an der Gesamtschule Süderelbe. "Wir bekommen öfter Angebote aus der Wirtschaft", sagt er, "aber das sind zu 80 Prozent veraltete Rechner, reiner Sondermüll. Die Unternehmen wollen nur Entsorgungskosten sparen." Deshalb melden viele Hamburger Schulen ihren PC-Bedarf beim "Marktplatz für Schulen" an. Die Onlinebörse wurde Ende letzten Jahres von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn und der Initiative D21 gegründet und bringt Sponsoren und Schulen zusammen. Bis Juni haben sich schon 1800 Schulen gemeldet. 25 000 Rechner und Internetserver stehen auf ihren Wunschzetteln. Spätestens 2001, so verspricht die Ministerin, wird jede deutsche Schule mit PCs und Internetzugang ausgestattet sein. Doch während selbst nach mehr als vier Jahren Bemühungen der bundesweiten Initiative "Schulen ans Netz" erst 23 000 von 44 000 Schulen internetfähig sind, hat Hamburg seine Schulaufgaben längst erledigt. Landesschulrat Peter Daschner verweist auf die Erfolgsbilanz: Bis auf wenige Grundschulen sind die 380 allgemeinbildenden und 50 berufsbildenden Hamburger Schulen am Netz. Damit ist Hamburg bundesweit Spitze. In den Klassenzimmern gibt es schon mehr als 4000 Computer, 220 Medienecken sowie 360 Fach- und 150 Computerräume. Aber das lässt sich die Stadt auch einiges kosten. Rund 6,4 Millionen Mark jährlich, 32 Millionen insgesamt, in einem Fünf-Jahres-Programm. Das macht 67 000 Mark für jede allgemeinbildende Schule. Und demnächst soll sogar jeder neue Referendar einen eigenen Laptop erhalten. Kostenlos. Doch was helfen alle Geschenke der Wirtschaft und der finanzelle Einsatz der Stadt, wenn viele PCs ungenutzt in der Ecke stehen. Weil niemand für die Wartung zuständig ist. Weil allzu viele Lehrer immer noch Berührungsängste haben. Schon die stichprobenartige Befragung von Schülern legt schonungslos offen: Immer noch werden PCs kaum im Unterricht benutzt. Schlimmer noch: Kaum ein Lehrer kann die Schüler beim Surfen im Internet pädagogisch anleiten. Ein Thema, das schon mehrfach in Gesprächen zwischen Schulsprechern und der Schulsenatorin auf der Tagesordnung stand, bestätigt Gunther Regen von der Schülerkammer. Vielleicht ändert sich etwas mit der Telekom-Offensive School. Seit März ermöglicht sie allen Schulen den kostenlosen Zugang ins Internet. 20 000 Schulen - allerdings erst 156 aus Hamburg - nutzen den Service schon. Warum Hamburg hier Schlusslicht im Bundesvergleich ist? Die Schulbehörde: "Es gibt Probleme mit der Umstellung, weil der Zugang nur über T-Online funktioniert." Dennoch: Die Möglichkeit der kostenlosen Nutzung des Internets könnte auch die Lehrer dazu bringen, dem neuen Medium mehr Beachtung zu schenken. |
|
Viel Spreu, wenig Weizen Internet und CD-ROM - was nützen sie im Unterricht? Von Bernhard Schröter © beim Autor/DIE ZEIT 2000 Nr. 8 http://www.archiv.ZEIT.de/ |
Deutschlands Lehrer stolpern ins Netz: Von Bookmarks und Browsern haben sie wenig Ahnung, und ihr Interesse, daran etwas zu ändern, hält sich in Grenzen. Beim Einsatz von Computer und Internet im Unterricht sind sie die Schwachstelle. Auf diese Kritik an den Pädagogen (ZEIT Nr. 52/99 "Tiefbohren im Infosalat" und Nr. 2/00 "Ins Netz gestolpert") antwortet Bernhard Schröter. Der 57-Jährige unterrichtet Deutsch und Französisch am Gottfried-Keller-Gymnasium in Berlin-Charlottenburg Dass Lehrer faule Säcke sind, ist hinlänglich
bekannt. Jetzt sind sie zu allem Überfluss aber auch
noch Analphabeten. Vielleicht nicht in der neuen
Rechtschreibung, dafür aber - viel schlimmer! - in den
Neuen Medien und am PC: WinWord, Internet, Chatroom - das
sind alles Fremdwörter für sie, Fremdwörter
einer Sprache, die ihnen instinktiv zuwider ist, weil sie
nach Technik, Fortschritt und Zukunft riecht. Und weil dies
so ist, werden die deutschen Schüler von Jahr zu Jahr
mittelmäßiger und nähern sich in
bedenklicher Weise dem Bildungsniveau von
Dritte-Welt-Kindern. So sprudelt es uns schon seit Monaten aus so ziemlich allen Informationskanälen entgegen, und diese beziehen ihre Erkenntnisse aus den besten Quellen: Medienpäpste, Kommunikationsexperten, Erziehungswissenschaftler. Eine Quelle wird dabei regelmäßig ausgespart: die ominösen PC-Analphabeten selbst. Ziemlich alt und wenig naturwissenschaftlich geprägt - ich könnte einer von ihnen sein. Doch mir zeigt sich ein völlig anderes Bild als das von Päpsten und Experten gezeichnete. Kaum ein Kollege, der nicht einen PC hätte und ihn auch nutzte. Die jungen Kolleginnen und Kollegen können gar nicht mehr ohne. Auch das Internet erfreut sich unter Pädagogen - selbst unter den Älteren - wachsender Beliebtheit, nachdem sich herumgesprochen hat, dass sich im Netz zu orientieren nicht komplizierter ist als in der Lebensmittelabteilung des KaDeWe. Also ist der durchschnittliche Lehrer gar kein PC-Analphabet? Aber warum nutzt er ihn dann nicht auch gefälligst im Unterricht? Das mag daran liegen, dass in den Schulen die Voraussetzungen nicht gegeben sind, als da wären: genug Internet-vernetzte PCs der jüngsten Generation, um die Schüler einer Klasse gleichzeitig unterrichten zu können; ein Raum, in dem man an ihnen bequem und ungestört arbeiten kann; ein Techniker, der die PCs nach ihrer Installation wartet und im (technischen) Notfall zur Stelle ist; Filter und Zulassungsbeschränkungen, die die Schüler daran hindern, das auf dem Schul-PC zu machen, was sie mit ihrem Privatrechner eventuell zu tun pflegen. Eine Ton-Bild-Text-Pampe wird über Goethe ausgegossen Zum anderen mag es auch daran liegen, dass ein
Pädagoge gelernt hat, sich über Sinn und Unsinn
von Unterrichtsmitteln erst einmal Gedanken zu machen, ehe
er sie einsetzt. Er fragt sich: Was nützt dem
Schüler der PC im Unterricht? Zweiter Versuch: Eine interaktive, multimediale Lernsoftware für den Deutschunterricht - in einer fernen Galaxie belehren außerirdische Wesen über die Schönheiten der deutschen Rechtschreibung und Grammatik. Beim ersten Gebrauch noch sehr lustig, beim zweiten Mal auch noch ganz witzig, beim dritten Mal erinnert sich der Schüler, dass das Computerspiel Siedler von Catan doch viel unterhaltsamer ist, von der 3-D-Ballerei bei Doom ganz zu schweigen. Dritter Versuch: Ein Großteil des Korpus der deutschen Literatur zwischen 1750 und 1900 auf CD-ROM - da wird Schülern und Lehrern über ein Stichwort tatsächlich blitzschnell eine ganze Reihe von Textausschnitten geliefert, nach denen sie sonst monate-, vielleicht jahrelang hätten suchen müssen. Aber erst jetzt kommt die Arbeit, und die macht den Unterricht aus: Welche Texte sind wichtig, wie hängen sie zusammen, und wie arbeite ich mit ihnen weiter? Da ist Textverständnis gefragt, und dabei helfen PC und CD nicht für fünf Pfennig. Da hilft nur der PC-Analphabet in Gestalt des Lehrers. Beim Internet dasselbe in Grün. Die Schüler arbeiten an der Suchmaschine. Hunderte von Einträgen zu einem Suchwort, ja Tausende, wenn es aktuell ist. Auch wer extrem schnell Texte analysieren kann, braucht da viel Zeit, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Der durchschnittliche Schüler gibt sich mit dem dritten Treffer zufrieden, druckt ihn aus und glaubt ihn in diesem Augenblick schon verstanden, ja beinahe, ihn selbst verfasst zu haben. Nun könnte die eigentliche Unterrichtsarbeit beginnen: die Textanalyse. Hat der Schüler aber nicht zufällig eines der wenigen Weizenkörner erwischt, dann ist deren Ergebnis mager und bedeutet: Zurück ins Internet! Da das aber nicht nur einem Schüler, sondern oft der ganzen Klasse so geht, ist die Stunde vorbei, ehe der Unterricht richtig begonnen hat.
Natürlich kann es auch besser laufen. Vor allem dann, wenn eindeutige www-Adressen mit klaren Informationsangeboten vorliegen. Ebenso richtig ist, dass der Austausch von EMails mit Schülern in Audincourt oder Oregon für eine Berliner Klasse sehr motivierend ist und sie auch sprachlich voranbringt. Aber kann das mehr sein als die willkommene Abwechslung im Rahmen eines effektiven Sprachunterrichts? Fazit: Der PC mit Internet und CD-ROM ist ein nützliches Hilfsmittel zum Beschaffen, Weiterleiten und Präsentieren von Informationen aller Art, mehr aber auch nicht. Es sollte sparsam von ihm Gebrauch gemacht werden. Denn wirklicher Unterricht, also die geistige Auseinandersetzung und der kreative Umgang mit den Dingen der Welt, mit Problemen und Texten, findet im lebendigen Gespräch zwischen Schülern und Lehrer statt und nicht zwischen Schülern und Maschinen. |
|
|
ABENDBLATT: Wie viele Stunden in der Woche verbringt ihr
in der Schule am Computer? |
|
|
Gemeinsam mit der Kinderschutzbewegung Alliance for Childhood[1] haben sich rund 80 namhafte amerikanische Pädagogen, Mediziner und Kinderrechtsexperten gegen den Einsatz von Computern an öffentlichen Schulen in den USA ausgesprochen. In einem in Kalifornien veröffentlichten Report sprach sich die Allianz dafür aus, die Computerisierung an Schulen zu stoppen und die Umsetzung bereits aufgestellter Pläne auszusetzen. "Die Vernetzung und Computerisierung amerikanischer Schulen ist ein dringendes Anliegen &endash; aber nicht für die Kinder, sondern für die High-Tech-Firmen, die ein vitales Interesse daran haben, neue Märkte zu erobern", heißt es in dem Report. Eine Vielzahl von Studien habe bereits erwiesen, dass Rechner weder den Lernfortschritt noch die soziale Kompetenz der Kinder verbesserten. Dennoch würden weiter Milliarden Dollar für die Rechnerausstattung und das Vernetzen von Klassenräumen ausgegeben, kritisiert der Report. Insbesondere für jüngere Schüler im Vor- und Grundschulalter berge das rechnerunterstützte Lernen sogar Risiken. So sei der Anteil an fettleibigen Kindern deutlich gestiegen, seit vermehrt Computer an Schulen eingesetzt werden. Zudem würden Kleinteiligkeit und Textlastigkeit vieler Computer-Aufgaben die kindliche Aufnahmefähigkeit überfordern. Die ständige Konfrontation mit vorgefertigten Computer-Produkten unterdrücke die kindliche Kreativität. Da Rechner nur in Einzelarbeit eingesetzt werden können, würden die sozialen Fähigkeiten der Heranwachsenden verkümmern. Allein der Umstand, dass der frühzeitige kritische Umgang mit dem Medium Computer trainiert werden könne, spreche für den Einsatz von Computern in der Schule. "Mit Bauklötzen zu spielen ist für kleinere Kinder eine wesentlich größere intellektuelle Herausforderung als ein Computer", erklärte Alison Gopnik, Psychologe an der Wittenberg University of California-Berkeley, anlässlich der Veröffentlichung des Reports. "Viele halten die Kritik an der Computerisierung der Erziehung angesichts unseres Wirtschaftswachstums für unzulässige Blasphemie. Doch im Interesse unserer Kinder müssen wir uns diesem Vorwurf aussetzen", so die Pädagigikdozentin Lowell Monke aus Ohio. Der Report empfiehlt den Grundschulen, zur traditionellen Lernweise zurückzukehren. Ältere Schüler hingegen sollten beim Umgang mit Rechnern auch die ethischen und sozialen Auswirkungen des Mediums reflektieren. Dazu gehöre es, sich bewusst zu machen, dass die meisten Menschen auf der Erde keinen Zugang zum Internet haben. Vertreter der High-Tech-Industrie werten die Ablehnung des rechnergestützten Lernens als eindimensionale Technik-Dämonisierung. "Kindliche Computer-Fertigkeiten und Kreativität müssen sich nicht zwangsläufig ausschließen", sagte etwa Larry Carr von der Silicon Valley Manufacturing Group. "Wir brauchen die Rechnererziehung an Schulen, damit wir später ausreichend qualifizierte Studenten haben, die problembewusst mit Computern umgehen können", so Carr. Die Vize-Präsidentin von Sun Microsystems, Kim Jones, widersprach dem Vorwurf, das Engagement von High-Tech-Firmen im Erziehungssektor sei profitorientiert. Ihre Firma habe bei Aktionen wie dem Netztag von 1996, bei dem 12000 kalifornische Schulen vernetzt wurden, keinen Gewinn erzielt, erklärte sie. Ein ums andere Mal wird die Auseinandersetzung um die Schulrechner auch als Beitrag zum amerikanischen Wahlkampf angesehen. Immerhin gehörten die "Classroom Computer" zum Programm des derzeit noch amtierenden Präsidenten Bill Clinton. Die Ausgaben für Technik in Schulen haben sich während seiner Amtszeit verdreifacht. Der Report prangert jedoch vor allem die Ausgaben für teure unerprobte Technik an. Links in diesem Artikel: |
|
|
Schon 18 Millionen Deutsche sind "am Netz". Die Teilnahme breiter Schichten soll nach Kräften gefördert werden. Die Online-Euphorie aber darf nicht zum Irrglauben verführen, dass sich allein schon mit dem Internet-Zugang, so wichtig er sein mag, die Chancen des Einzelnen in der Wirtschaft von morgen entscheidend verbessern. Tief greifende Mängel in Schule und Ausbildung können damit nicht beseitigt werden. Über der Internet-Euphorie wird leicht vergessen, dass ein erfolgreicher Computereinsatz ein Mindestmaß an Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen und ein selbstständiges Urteil voraussetzt. Hier liegt auch die bedeutendste Schwachstelle bei der aktuellen Diskussion. Dies veranschaulicht ein kürzlich veröffentlichter Bericht der OECD in Paris. Er fasst die Ergebnisse sechsjähriger Studien in 20 Ländern zusammen ("Literacy In The Information Age"). Dazu hatte man eine repräsentative Auswahl der Erwerbsbevölkerung in ihrem Heim geprüft. Es sollte festgestellt werden, ob die Befragten die nötigen Kompetenzen besitzen, um in der "Wissensökonomie" von morgen effizient und erfolgreich zu sein. Die OECD spricht von der "ersten zuverlässigen und international vergleichbaren Studie" dieser Art. Getestet wurde dabei, wie gut jemand Texte lesen kann und versteht. Ob er Informationen anhand von Tabellen, Zeitplänen und Landkarten ausfindig machen und praktisch verwerten kann. Und ob er einfache Rechenaufgaben zu lösen vermag. Außergewöhnliche Kenntnisse waren also nicht erforderlich. Auf der untersten Kompetenzstufe zum Beispiel galt es zu beurteilen, welche von vier Filmrezensionen die ungünstigste war. Man musste ausrechnen können, wie viel mehr Energie ein Land erzeugt als es verbraucht. Auf einer höheren Stufe für so genannte gut Qualifizierte wurde der Preisdurchschnitt von Radioweckern errechnet und der Fettgehalt eines Hamburgers anhand einer Nährwerttabelle bestimmt. Auffallend war dabei, wie viele schwach Befähigte sich selbst doch für hochkompetent hielten. Das nun vorliegende Gesamtergebnis ist ernüchternd. Im Durchschnitt liegen 40 bis 50 Prozent, Alte wie Junge, unter der Kompetenzschwelle. In weniger entwickelten Ländern wie Polen oder Chile ist die Quote noch höher. Deutschland liegt mit einer "Risikoquote" von 43 Prozent bei den 25- bis 64-Jährigen im Mittelfeld, vor der Schweiz und Großbritannien. Amerika leidet an Schwächen in der Grundschulausbildung, dafür aber ist der Anteil der gut Qualifizierten um so höher. Am besten schneiden Schweden mit nur einem Viertel Unqualifizierter und die Niederlande ab. Unbestritten und empirisch eindeutig nachgewiesen ist, dass ein klarer Zusammenhang zwischen den Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen auf der einen sowie Beschäftigung, Leistung, Lohn, Berufserfolg und Gesundheit auf der anderen Seite besteht. Der Internet-Zugang wird diese fundamentalen Schwächen nicht beseitigen. Dafür müssen Schule und Ausbildung sorgen, so die Experten der OECD. Wer nur die Internet-Technik beherrsche, von Sachfragen aber wenig verstehe, wer nicht selbstständig urteilen und nur nach Vorschrift handeln könne, wer ein "funktionaler Analphabet" bleibe, werde es auch künftig schwer haben. Und selbst wenn er rein technisch gesehen "online" ist, wird er möglicherweise hilflos am Bildschirm sitzen. |
@}----->---->---- [8-}) design] |