Internet macht Schule

Ein Vademecum für Lehrkräfte

Von Christian A. Gertsch, Universität Bern

Lehrkräfte aller Schulstufen haben inzwischen erkannt, dass das Internet mannigfaltige Möglichkeiten zum Einsatz im Unterricht bietet. Wer die ersten Surfversuche in der farbigen WWW-Welt ohne Schaden überstanden hat, verspürt schnell einmal das Bedürfnis, sich in etwas professionellerer Manier mit Internetressourcen auseinanderzusetzen.

Schulrelevante Internetadressen gibt es zuhauf. Verzeichnet findet man sie zum Beispiel in der Online-Dokumentation zur NZZ-Format-Sendung «Lernen mit Internet» vom 19. 5. 97. Ausdrücklich genannt seien hier nur die allerwichtigsten Adressverzeichnisse, die eigentlich jedermann, der auf irgendeine Weise mit Schule und Unterricht zu tun hat, kennen sollte: einen guten Einstieg - vorab in schweizerische Ressourcen - bietet das Schulnetz Schweiz, wo auch weiterführende Adressen verzeichnet sind. Die deutsche Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet und das deutsche Schulweb bilden zusammen die derzeit wohl umfangreichste deutschsprachige Datenbank mit schulrelevanten Informationen, wohlgeordnet nach Ländern, Schulen, Schulstufen, Fächern und Zielgruppen. Hier findet man nebst Unterrichtsmaterialien und -konzepten, Quellen und Fachliteratur alles über Schulprojekte, Wettbewerbe, Schülerzeitungen, Netze, Tagungen, Institutionen und das deutsche Projekt Schulen ans Netz.

Schliesslich gibt es nicht nur das Angebot auf dem World Wide Web (WWW), welches man an den typischen «http://www.»-Adressen erkennt. Zu den ältesten Internetdiensten gehören die sog. FTP-Archive, das sind grosse Datenbanken, die über das File Transfer Protocol (ftp) abrufbar sind. Hier findet man ein schier unerschöpfliches Reservoir an wertvollem Material: ganze Sammlungen von Computerprogrammen stehen zur Verfügung, aber auch literarische Werke (Romane, Theaterstücke, Gedichte) im Volltext oder grosse Bildersammlungen. FTP-Archive machen allerdings einen eher spartanischen Eindruck auf einen Benutzer, der sich an die graphisch einladende WWW-Welt gewöhnt hat. Dafür kommt man hier schnell und ohne zeitraubendes Klicken durch graphischen Müll zur Information, die man sucht. Den Einstieg in FTP-Archive findet man über die Archie-Suchmaschine. Wer sich nicht damit begnügen will, bloss Informationen abzurufen, sondern das Internet dazu benutzen möchte, mit anderen Menschen zu kommunizieren, dem stehen vorab zwei Dienste zur Verfügung, die allerdings beide voraussetzen, dass der Teilnehmer über eine persönliche E-Mail-Adresse verfügt - was nicht zu verwechseln ist mit einem persönlichen Internetanschluss. Eine persönliche, kostenlose und gut funktionierende E-Mail-Adresse kann sich jedermann von jedem beliebigen Internetcomputer aus innerhalb von wenigen Minuten leicht selber verschaffen: unter der WWW-Adresse www.hotmail.com erfährt man wie.

Hat man erst einmal seine E-Mail-Adresse, so lässt sich jederzeit und von überall her das persönliche Postfach leeren, und es lassen sich Meldungen an jeden beliebigen Internetteilnehmer verschicken. Wer jetzt gar an weltweit geführten Diskussionen über einen bestimmten Gegenstand teilnehmen will, abonniert eine sogenannte Mailing list, eine Art regelmässig - oft täglich - erscheinendes elektronisches Bulletin, welches die von den Diskussionsteilnehmern über E-Mail eingesandten Beiträge an alle Abonnenten der Liste - wiederum über E-Mail - weiterleitet. Qualitativ hochstehende Diskussionsforen werden von einem fachlich qualifizierten Redaktor betreut, d. h., es gelangen nur Diskussionsbeiträge in die Mailing list, welche gewissen Qualitätsansprüchen standhalten. Es gibt zu jedem Fachgebiet mindestens ein Diskussionsforum. Mailing lists findet man mittels spezieller Suchmaschinen.

Im Unterschied zu den Mailing lists funktionieren die sogenannten Newsgroups ohne jede Intervention eines Redaktors: Eine Newsgroup ist am ehesten mit einem Anschlagbrett zu einem bestimmten Gegenstand zu vergleichen, an welches jedermann einen Diskussionsbeitrag, eine Frage usw. anbringen kann. Es gibt wohl keine noch so exotisch anmutende Frage, die nicht von irgend jemand auf der Welt gelesen und beantwortet werden könnte, vorausgesetzt allerdings, der Fragende hat sein Problem in der n Abteilung des Forums angebracht. Mit der Suchmaschine von Dejanews lassen sich gleich alle Newsgroups auf einmal nach Nachrichten zu einem bestimmten Stichwort absuchen. In einer Newsgroup lassen sich aber nicht nur Fragen anbringen, sondern man kann hier ebenso Diskussionen führen wie in einer Mailing list.

Internet und traditioneller Unterricht

Was leisten nun all diese Möglichkeiten für die konkrete Arbeit in der Schule? Das Internet lässt sich in der Tat auf mannigfaltige Weise nutzen. Zunächst einmal sollte man sich im klaren darüber sein, ob das neue Medium selber der Unterrichtsgegenstand sein soll oder ob man es als blosses Werkzeug braucht, um damit andere Gegenstände zu verhandeln. Die beiden Ansätze sind - wenigstens theoretisch-didaktisch - klar auseinanderzuhalten, da sonst bereits erste Konfusionen entstehen. Zum Unterrichtsgegenstand lässt sich das Internet in fast allen Fächern machen: Neben den technischen und systemischen Aspekten, die etwa in den Fächern Mathematik, Physik oder im Informatikunterricht zur Sprache kommen können, hat das Internet auch ganz spezifische mediale Eigenschaften, die in den Sprachfächern, im Fach Kunst oder Medienunterricht verhandelt werden. Darüber hinaus hat das Internet inzwischen auch eine Geschichte, die sich nicht nur in eben diesem Fach anbietet, sondern auch in den Fremdsprachenfächern - besonders im Fach Englisch - aufgearbeitet werden kann.

Um das Internet als Werkzeug für die konkrete Unterrichtsarbeit nutzen zu können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sei: Nebst den rein technischen - die Schule sollte über mindestens einen, besser mehrere Internetanschlüsse verfügen - sind dies vor alle immaterielle Voraussetzungen, welche in vielen Köpfen von Lehrkräften, Schulleitungen und Verwaltungen oft erst noch geschaffen werden müssen: Grundsätzlich bedarf es einer grossen Offenheit und Experimentierfreudigkeit bei allen Beteiligten, verbunden auch mit einer gewissen Lust zum Risiko und nicht zuletzt der Bereitschaft, Arbeitsstunden zu leisten, für die es noch keine traditionellen Gefässe gibt und die folglich auch nicht immer entschädigt werden. Was viele Lehrkräfte besonders verunsichert, ist die Tatsache, dass wohl nie jemand wird behaupten können, er habe das Internet voll im Griff. Ein Anspruch, den Lehrer oft haben, wenn es um die Beherrschung von Fachwissen geht. Alles Wissen über das Internet bleibt jedoch immer Stückwerk, ist immer vorläufig und ist meist schon veraltet, wenn man es endlich zu besitzen meint. Besonders gedruckte Publikationen sind oft schon veraltet, bevor sie überhaupt im Druck erscheinen. Auch Fachliteratur verschafft also hier keine letzte Sicherheit. Für den Umgang mit dem neuen Medium braucht es vielmehr Phantasie, Unerschrockenheit und die Lust, Neues und Unbekanntes ohne alle Vorurteile erst einmal zu entdecken. Lauter Fähigkeiten, welche die Schüler oft in höherem Masse haben als ihre Lehrer. Dabei kann die neue Rollenverteilung im Schulzimmer durchaus auch pädagogisch nutzbar gemacht werden: Schüler, die sich in der Rolle von Experten wiederfinden, lassen sich oft für Lernprozesse motivieren, für die sie bei einer traditionellen Rollenverteilung kein Interesse zeigen.

Internetressourcen im Schulzimmer

Internetressourcen lassen sich zunächst einmal wie herkömmliche Informationsquellen nutzen. Die neueren Bestände der schweizerischen Bibliotheken lassen sich ebenso abfragen wie die schweizerischen und deutschen Buchhandelskataloge oder die Sammlungen von Museen und Galerien. Materialsammlungen für die Hand des Lehrers oder des Schülers - es gibt sogar einen Hausaufgabenserver - finden sich in den eingangs erwähnten Verzeichnissen. Verschiedene Suchmaschinen machen es möglich, in relativ kurzer Zeit umfangreiches Datenmaterial zu sammeln. Leicht findet man nicht nur Textseiten, sondern auch Graphik-, Video- oder Audiomaterial zu einem bestimmten Thema. Spätestens dann, wenn es einem um die didaktische Aufbereitung des Gefundenen zu tun ist, wird man aber gewahr, dass auch hier ohne Fachwissen und tägliche zeitraubende Knochenarbeit nichts geht. Für die Arbeit mit Internetmaterialien im Unterricht empfiehlt es sich grundsätzlich, alle für ein bestimmtes Unterrichtsprojekt benötigten Quellen offline, d. h. lokal, bereitzustellen. Die Composer-Funktion der neuesten Browserversion von Netscape, der sogenannte Netscape Communicator, erlaubt, eine WWW-Seite inklusive aller graphischen Elemente mit einem einzigen Befehl abzuspeichern. Anschliessend lässt sich durch die auf diese Weise gespeicherten - und für die spezifischen Unterrichtsbedürfnisse eventuell nachträglich editierten - Seiten lokal navigieren. Ein Unterrichtsprojekt - etwa zum Thema WWW-Nutzung - kann so aus beliebig vielen WWW-Seiten erstellt werden, die dann alle lokal zur Verfügung stehen. Eine Online-Verbindung während des Unterrichts erübrigt sich.

Alle kommunikativen und interaktiven Nutzungen jedoch bedürfen - wenigsten zeitweise - einer Online-Verbindung. Eine solche interaktive Nutzung von E-Mail im Fremdsprachunterricht bietet das E-Mail-Tandem-Network. In diesem Netz findet z. B. ein Französischlernender schnell einen Gesprächspartner in Frankreich, der seinerseits daran interessiert ist, sein Deutsch zu verbessern. Lernende sind hier immer zugleich Lehrende. E-Mail-Tandems sind gefragt für alle europäischen und einige aussereuropäische Sprachen in (fast) allen Kombinationen. Das Netz lässt also die herkömmliche Brieffreundschaft wiederaufleben, allerdings mit Reaktionszeiten, die so schnell sind, dass sie sich auf die Inhalte und den Stil der ausgetauschten Botschaften auswirken.

Eine andere für Sprachlehrer interessante Internetquelle lässt sich allerdings nur online nutzen: Zahlreiche Radiostationen in der ganzen Welt senden Nachrichten und andere Programme in verschiedenen Sprachen übers Internet. Die dazu benötigte Software - realaudio - ist gratis im Internet zu beziehen.
 

Eigene Kreationen

hag. Internet-Technologien lassen sich auch als Medium für eigene Kreationen nutzen. Eine Homepage, eine Schülerzeitung oder Hypertextdokumente für den Unterricht zu erstellen ist inzwischen kein grosses Kunststück mehr. Stefan Münz hat dazu ein gutes deutsches HTML-Handbuch im Hypertextformat verfasst. Wer seine Schule auf dem Web präsent machen will, sollte allerdings den ausgezeichneten Style Guide der Universität Yale konsultieren. Wer ihn beherzigt, wird eine benutzerfreundliche Dokumentstruktur für seine Site schaffen und auch nicht mehr der Versuchung erliegen, seine Dokumente mit unnützen graphischen Elementen zu spicken.

Darüber hinaus gibt es aber mindestens zwei Internet-Technologien, die kaum bekannt sind, obwohl sie einen hohen didaktischen Nutzen haben und erst noch gratis im Internet zu beziehen sind. Mit der von Apple entwickelten «Quick-Time Virtual Reality»-Software lassen sich Spaziergänge durch Innen- oder Aussenräume unternehmen. Man kann auf diese Weise zum Beispiel einen Besuch in einer virtuellen Kunstausstellung machen. Besonders wertvoll ist die Fähigkeit von Quick-time VR, dreidimensionale Objekte auf dem Bildschirm dreh- und wendbar darzustellen. Egal ob Kunstobjekt, Maschinenteil oder Versuchsanordnung, der Betrachter kann mit dem Mauszeiger das Objekt angreifen und es drehen.

Eine weitere didaktisch sehr wertvolle Technologie ist die von Voyager entwickelte CD-Link Software. Damit lässt sich eine lokal eingelegte Audio-CD mittels eines Hypertextdokuments über Internet ansteuern. Ein Musiklehrer in England hat zum Beispiel zu einem klassischen Musikstück ein Arbeitsblatt in Form eines Hypertextdokuments erstellt. Der Schüler in der Schweiz legt die entsprechende CD ins Laufwerk des Computers ein und liest das mit Links zur CD versehene Dokument dazu. Immer wenn er auf einen Hyperlink klickt, wird eine vom Autor programmierte Sequenz auf der CD abgespielt.

Neue Zürcher Zeitung vom 18. September 1997