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Maximilian war unglücklich.
Maximilian besaß alles, was man sich wünschen
kann.
Und wenn er einmal etwas sah, was er noch nicht besaß,
dann sagte er:
Mama, ich will einen blauen Teddybären, der sprechen
kann!
Und Mama kaufte den schönsten blauen Teddybären,
der sprechen konnte.
Papa, ich will ein grünes Auto, das im Wasser schwimmen
kann! sagte Maximilian.
Wenn sein Vater antwortete: "Du hast doch schon so viele
Autos", dann antwortete Maximilian: "Aber ich habe keines,
das schwimmen kann!"
Und er bettelte solange, bis sein Vater seufzend das
schönste grüne Auto kaufte, das auch im Wasser
schwimmen konnte.
Opa, ich will einen schwarzen Zauberhut, aus dem man
weiße Kaninchen zaubern kann sagte Maximilian.
Und Opa kaufte den schönsten schwarzen Zauberhut, aus
dem man weiße Kaninchen zaubern konnte.
Tante, ich will ein rosa Pferd, das wiehern kann und einen
Wagen zieht! sagte Maximilian.
Wenn seine Tante antwortete: "Du hast doch schon so viele
Tiere", dann antwortete Maximilian: "Aber ich habe keines,
das einen Wagen ziehen kann!"
Und die Tante seufzte und kaufte das schönste rosa
Pferd, das es gab. Und das Pferd konnte wiehern und einen
Wagen ziehen.
Maximilian hatte viele Tanten, von den Onkeln gar nicht zu
reden.
Maximilians Zimmer sah aus wie ein Spielzeugladen.
Maximilian lud seine Klassenkameraden der Reihe nach zum
Spielen ein. Alle staunten über seine
Spielzeugsammlung.
Er schleppte seine Besucher zum Schwimmbecken im Garten und
ließ sein Auto darin schwimmen. Und er stellte das
rosa Pferd auf und ließ es dazu wiehern.
Schließlich fragte er sie:
"Hast du auch so ein tolles grünes Auto wie ich, das
schwimmen kann?"
und
"Hast du auch so ein rosa Pferd wie ich, das wiehern kann
und einen Wagen zieht?"
Wenn sie antworteten:
"Nein! Mein Auto kann nicht schwimmen",
und
"Nein! Mein Pferd kann nicht wiehern",
dann war Maximilian zufrieden.
Wenn sie aber sagten,
"Ich habe dafür ein rotes Auto, das fliegen kann",
oder
"Ich habe ein größeres Pferd, auf dem ich reiten
kann",
dann trumpfte Maximilian auf:
"Dein Auto kann aber nicht schwimmen!"
oder
"Mein Pferd ist viel grüner als deines."
Bevor seine Besucher heimgingen, zauberte er weiße
Kaninchen aus seinem Zauberhut, daß ihnen Hören
und Sehen verging und sie die Flucht ergriffen.
Manche Klassenkameraden getrauten sich nicht Maximilian
einzuladen. Sie schämten sich, weil sie nicht soviel
Spielzeug besaßen wie er. Wenn ihn doch einer einlud,
dann prahlte Maximilian:
"So ein Auto habe ich auch! Meines ist aber viel, viel
größer",
oder
"Mein Baukasten ist viel, viel schöner als deiner!"
Keiner lud ihn ein zweites Mal ein.
Wenn Maximilian einen Klassenkameraden zum zweiten Mal
einlud, dann antworteten dieser:
"Ich hab keine Zeit, ich muß heute lernen",
oder
"Ich bin heute schon bei einem Freund eingeladen",
oder
"Ich muß heute mit meiner Mutter in die Stadt".
Keiner besuchte Maximilian ein zweites Mal.
Maximilian hatte schon alle Klassenkameraden eingeladen.
Bis auf Boris.
Er war mit seinen Eltern vor einem halben Jahr in das Dorf
gezogen. Boris hatte es schwer. Er sprach kein Wort Deutsch,
als er in die Klasse kam.
Maximilian dachte überhaupt nicht daran, Boris
einzuladen.
Als die Mutter fragte:
"Wann lädst du einmal den Boris ein?"
antwortete Maximilian:
"Den mag ich nicht einladen."
"Du hast alle Kinder eingeladen", sagte die Mutter. "Er ist
sicher traurig, wenn du nur ihn nicht einlädst."
"Ich mag aber nicht", maulte Maximilian.
"Seine Eltern sind arm. Boris hat bestimmt nicht soviel
Spielzeug wie du", erwiderte die Mutter.
Das gefiel Maximilian.
Er dachte nach und sagte schließlich: "Bestimmt hat er
nicht soviel Spielzeug wie ich! Wenn es sein
muß...."
Maximilian lud Boris ein.
Maximilian erwartete Boris an der Wohnungstür. "Da
bist du ja!" rief er und schleppte Boris in sein Zimmer.
Maximilian holte sogleich ein Auto nach dem anderen und
stellte es vor Boris auf.
Boris wußte nicht, wie ihm geschah.
Maximilian drückte Boris den blauen Teddybären in
die Hand. Als dieser sagte "Ich heiße Waldemar, weil
ich im Walde war!", ließ ihn Boris vor Schreck
fallen.
"Da staunst du, was!" sagte Maximilian.
Maximilian nahm ein Stofftier nach dem anderen und
drückte es Boris in die Hand. Baukästen,
Motorboote, Bücher und Eisenbahnen holte er aus den
Kästen und Regalen.
Und natürlich auch das rosa Pferd, das wiehern
konnte.
Boris sagte noch immer nichts.
Als Maximilians Mutter bei der Tür hereinschaute,
konnte sie Boris nicht sehen. Er saß unter einem Berg
von Spielzeug und war sprachlos.
"Na, was sagst du jetzt?" fragte Maximilian.
"Ich", stotterte Boris, "ich... ich weiß nicht."
"Wie viele Eisenbahnwaggons hast du?" fragte Maximilian.
"Ich habe keine Eisenbahn", antwortete Boris.
"Und wieviele Autos hast du?" bohrte Maximilian nach.
"Ein paar! Aber nicht so viele wie du."
Maximilian war zufrieden.
"Und womit spielst du dann?" fragte Maximilian.
"Ich spiele mit Finka", antwortete Boris.
"Wer ist Finka?"
"Das ist meine Freundin."
"Aber wenn du keine Lust hast, mit dieser Finka zu
spielen?"
"Dann spiele ich mit Bojan."
"Wer ist Bojan?" fragte Maximilian.
"Das ist mein Freund."
"Und wenn dir das zu fad ist?"
"Dann spiele ich mit Gerald!"
"Ist das auch ein Freund?" fragte Maximilian ungeduldig.
"Ja, das ist auch ein Freund. Wir spielen oft
miteinander."
"Das ist blöd!" sagte Maximilian verächtlich, "ich
brauche keine Freunde."
"Wir spielen verstecken, wir spielen Räuber und
Gendarm. Wir singen miteinander oder verkleiden uns. Das ist
sehr lustig", warf Boris ein.
"Das ist alles blöd!" wiederholte Maximilian
ärgerlich.
Er war nicht mehr zufrieden.
Er war so unzufrieden, daß er darauf vergaß, zum
Abschied weiße Kaninchen aus seinem Zauberhut zu
zaubern.
Nachdem Boris gegangen war, spielte Maximilian mit seinen
Teddybären und den anderen Stofftieren Verstecken. Das
machte keinen rechten Spaß, denn er wußte
natürlich, wo sie waren.
"Das ist ein blödes Spiel", schimpfte Maximilian.
Lieder singen oder Fangen spielen konnte er mit seinen
Stofftieren auch nicht.
Sein blauer Bär vielleicht? Der saß aber nur da
und brummte: "Ich heiße Waldemar, weil ich im Walde
war!"
"Ihr seid alle blöd!" rief Maximilian und schleuderte
die Tiere und Teddybären in eine Ecke.
Das rosa Pferd wieherte noch ein letztes Mal.
Als Maximilian mit seinen Eltern beim Abendessen
saß, war er ganz still.
"Ist dir etwas über die Leber gelaufen?" fragte seine
Mutter.
Maximilian löffelte stumm die Suppe.
"War heute nicht Boris zu Besuch?" fragte sein Vater.
Wieder schwieg Maximilian.
Die Mutter brachte den Nachtisch. Es gab Zitroneneis, das
Maximilian besonders mochte.
"Ich habe keinen Hunger", sagte Maximilian.
Die Mutter staunte und fragte: "Möchtest du ein
Kompott?"
Maximilian schüttelte den Kopf.
"Oder einen Pudding?" versuchte es die Mutter nochmals.
"Nein! Ich mag auch keinen Pudding!"
Die Mutter sah den Vater fragend an.
"Ihr müßt mir einen Freund kaufen!" platzte
Maximilian schließlich heraus.
"Weißt du, Maximilian", versuchte es die Mutter, "es
gibt Dinge im Leben, die kann man nicht kaufen".
"Aber ihr kauft mir doch immer alles", sagte Maximilian
trotzig.
Der Vater räusperte sich.
"Weißt du, uns geht es gut und wir können uns
viele Dinge leisten".
"Wir haben dich sehr lieb, Maximilian", fügte die
Mutter hinzu.
"Wenn ihr mich lieb habt, dann kauft mir einen Freund!"
"Freunde muß man sich verdienen", sagte die Mutter,
"die kann man nicht einfach in einem Laden kaufen."
"Soviel Gold gibt es nicht, einen Freund zu kaufen",
bestätigte der Vater.
"Das stimmt nicht! Man kann alles kaufen!" rief Maximilian
und lief wütend in sein Zimmer.
Er stieß mit dem Fuß die Baukästen und
Autos beiseite und warf sich auf sein Bett.
Maximilian war unglücklich.
Er nahm seinen blauen Bären in den Arm.
"Bist du mein Freund?" fragte er.
"Ich heiße Waldemar, weil ich im Walde war!" brummte
dieser.
Da warf ihn Maximilian aus dem Bett und zog die Decke
über den Kopf.
"Waldemar... , ... Walde war!" klang es noch einmal aus der
Ecke.
Er lag lange wach.
"Ich muß einen Freund haben!"
Mit diesem Gedanken schlief er ein.
Am nächsten Morgen wachte Maximilian früh auf.
Seine Eltern schliefen noch. Maximilian kletterte aus dem
Bett. Er ging zum Fenster und schaute hinaus. Es hatte in
der Nacht geregnet. Maximilian entdeckte einen Regenbogen,
der ein buntes Band an den Morgenhimmel zeichnete.
Maximilian erinnerte sich an eine Geschichte, die ihm sein
Großvater erzählt hatte. Die Geschichte endete
damit, daß ein armer Bub am Ende eines Regenbogens
einen großen Berg Gold fand. Mit diesem Gold konnte er
alles kaufen, was er sich wünschte.
Maximilian überlegte nicht lange.
"Ich werde mir das Gold holen. Dann werde ich euch beweisen,
daß man auch einen Freund kaufen kann!"
Maximilian öffnete das Fenster und kletterte hinaus.
Es schien, als ob das Ende des Regenbogens hinter dem Wald
lag, den er von seinem Fenster aus sehen konnte. Maximilian
marschierte über die noch feuchten Wiesen zum Wald
hinüber.
Früher hatte er Angst, allein in den Wald zu laufen.
Der Gedanke an das Gold ließ ihn seine Angst
vergessen. Er schaute noch einmal zu dem Regenbogen auf, der
jetzt genau über ihm war, und drang mutig in den Wald
ein. Er kam leicht voran. Je tiefer er aber in den Wald
vorstieß, desto dichter wurde das Unterholz. Die
Zweige junger Fichten zerkratzten sein Gesicht und seine
Hände. Maximilian achtete nicht darauf.
"Ich werde das Gold finden! Dann kaufe ich mir einen
Freund!"
Immer undurchdringlicher wurde der Wald. Hie und da fand ein
Sonnenstrahl seinen Weg durch die Wipfel und zeichnete einen
hellen Fleck auf den Waldboden.
Maximilian stolperte über Wurzeln, die er in der
Dunkelheit übersah. Das machte ihm nichts aus, denn er
wollte zu dem Gold, dem Gold am Ende des Regenbogens.
Endlich sah er einen Lichtschimmer zwischen den
Baumstämmen.
"Das wird das Ende des Waldes sein. Da ist das Ende des
Regenbogens und das Gold", rief Maximilian.
Er lief schneller.
"Hinter den Haselsträuchern muß es sein."
Ungeduldig schob er die Zweige beiseite.
Vor ihm lag eine Lichtung, auf der ein mächtiger
Baum in die Höhe ragte. Maximilian sah, wie der
Regenbogen geradewegs im Wipfel des Baumes verschwand.
Erwartungsvoll und außer Atem kam er bei dem Baum
an.
"Ich hab's gewußt! Ich hab's gewußt!" jubelte
er.
Unter dem Baum lag ein glitzernder Berg von
Goldstücken. Er faßte in das Gold und warf es
hoch.
"Jetzt werde ich mir einen Freund kaufen!" rief er.
Er stopfte die Goldstücke in seine Hosentaschen. Es war
zuwenig Platz. Maximilian überlegte. Er zog sein Hemd
aus und verknotete es zu einem Ranzen. Nachdem er alles Gold
in den Ranzen gepackt hatte, war der Regenbogen
verschwunden.
"Jetzt schnell nach Hause!" rief er. "Die werden
staunen!"
Er warf den klingenden Ranzen über die Schulter.
Maximilian war glücklich.
Maximilian zwängte sich durch das Gebüsch am
Waldrand. Immer wieder blieb er mit seinem Ranzen in den
Zweigen hängen. Nur mit Mühe konnte er sich
befreien. Immer öfter stolperte er über die
Wurzeln der Bäume.
"Blöde Wurzeln!" schimpfte er.
Er kam nur langsam voran. Seine Beine wurden müde.
Wieder stolperte Maximilian und fiel samt seinem Ranzen auf
den weichen Waldboden.
Maximilian war nicht mehr so glücklich.
"Der Wald ist bald zu Ende", sprach er sich Mut zu.
Der Gedanke, wie alle über sein Gold staunen
würden, brachte ihn rasch auf die Beine. Der Ranzen
schien ihm schwerer als zuvor.
"Blöder Ranzen!" schimpfte er.
Die Nadeln der Bäume zerkratzten seine Hände. Sie
begannen zu bluten.
"Der blöde Wald muß doch längst zu Ende
sein", dachte er.
Er ließ sich auf einen Mooshügel fallen und
dachte nach.
Ein Donnergrollen kündigte ein Gewitter an. Es begann
zu regnen. Die dichten Wipfel der Bäume sammelten den
Regen und ließen ihn in dicken Tropfen auf den
Waldboden fallen.
Maximilian suchte bei einem breiten Fichtenstamm
Zuflucht.
"Blöder Regen!" schimpfte er kleinlaut.
Maximilian fror. Er biß die Zähne zusammen und
dachte nach. Er hatte sich verirrt. War es Regenwasser oder
waren es Tränen, die über seine Wangen
flossen?
Maximilian war unglücklich und wütend.
Ein Rascheln riß ihn aus seinen Gedanken.
Maximilian erschrak.
Was war das?
In der Dunkelheit sah er die Umrisse eines großen
Wesens, das langsam näher kam.
Maximilian drückte sich enger an den Baumstamm.
"Was haben wir denn da?" fragte eine brummende Stimme.
Maximilian zitterte am ganzen Leib.
Maximilian sah, daß es ein Tier war. Und als das Tier
vor ihm stand, erkannte er, was es war: "Hilfe! Ein
Bär!"
Er wollte aufspringen und davonlaufen. Er konnte es
nicht.
"Du brauchst keine Angst haben", sagte der Bär. "Was
machst denn du bei diesem Wetter hier draußen?"
"Ich...ich", stotterte Maximilian, "ich habe Gold
gesucht."
"Welches Gold?" fragte der Bär.
"Das Gold am Ende des Regenbogens", antwortete Maximilian,
der sich gefaßt hatte.
Der Bär lachte brummend: "Soso! Das Gold vom Ende des
Regenbogens."
"Hier in meinem Ranzen", sagte Maximilian schon mutiger.
"Willst du es sehen?"
"Laß das Gold", antwortete der Bär. "Was du
brauchst, ist ein Platz, wo du vor dem Regen geschützt
bist."
Maximilians Zähne klapperten.
"Komm in meine Höhle! Dort kannst du dich wärmen",
sagte der Bär und trottete voran.
Maximilian wußte zwar nicht, wie ihm geschah, doch er
folgte dem Bären.
Bald erreichten sie den Eingang der Höhle.
"Komm nur herein! Hier ist es trocken und warm", sagte der
Bär.
Maximilian mußte sich bücken, um durch den
Eingang zu kommen. Es war finster in der Höhle. Er
verspürte zwar noch ein wenig Angst, doch er war froh,
einen Unterschlupf gefunden zu haben.
"Mach es dir gemütlich", sagte der Bär.
Maximilian ließ den Ranzen zu Boden plumpsen und
streckte sich auf dem moosgepolsterten Boden der Höhle
aus.
"Jetzt erzähl mir die Geschichte von dem Gold", sagte
der Bär.
Maximilian erzählte und der Bär hörte
aufmerksam zu.
"Dein Vater hat ganz recht", brummte er schließlich,
"Freunde kann man nicht kaufen."
Maximilian war inzwischen wohlig warm geworden und auch sein
Gewand war getrocknet.
"Regnet es noch?" fragte er.
Der Bär trottete zum Eingang der Höhle.
"Nein, es regnet nicht mehr!" stellte er fest.
Maximilian streckte seine Glieder und stand auf.
"Ich muß jetzt gehen", sagte er.
Er schulterte den Ranzen und kletterte mit dem Bären
vor die Höhle.
"Ich danke dir, Bär", sagte er und zog aus der
Hosentasche ein Goldstück. "Hier nimm!"
"Was soll ich mit dem Gold?" brummte der Bär. "Komm gut
nach Hause und besuch mich, wenn du wieder im Wald
bist!"
Maximilian stopfte das Goldstück in die Tasche.
"Danke, Bär", sagte er und streichelte über das
struppige Fell des Bären.
"Lebwohl, mein Freund!" brummte der nur und verschwand
zwischen den Bäumen.
Die Sonne blinzelte durch die Wipfel der Bäume.
Maximilian stapfte mit großen Schritten über die
knackenden Zweige.
"Wenn ich doch schon zuhause wäre!" dachte er.
Sein Magen knurrte.
"Ein Frühstück wäre nicht schlecht", seufzte
Maximilian.
Er kramte in seinen Taschen. Aber alles was er fand, waren
glänzende Goldstücke.
"Blödes Gold", schimpfte er.
Sein Magen knurrte noch lauter.
"Ich will kein Gold, sondern etwas zu essen" rief Maximilian
jammernd.
"Hast du Hunger?" fragte eine Stimme hinter seinem
Rücken.
Maximilian zuckte zusammen. Er drehte sich um. Zwei Rehe
schauten ihn mit großen Augen an.
"Ja, ich habe seit gestern nichts gegessen", antwortete
Maximilian.
"Komm!" sagten die Rehe.
Sie führten Maximilian zu einem Strauch, an dem
große, pralle Beeren hingen. Maximilian ließ
sich nicht lange bitten. Gierig pflückte er eine Beere
nach der anderen. Erst nachdem er die letzte Beere verzehrt
hatte, war er satt.
"Das war gut! Ich danke euch!" sagte er zu den Rehen. "Aber
jetzt muß ich weiter."
Er überlegte kurz. Dann griff er in die Hosentasche und
zog zwei Goldstücke hervor.
"Hier nehmt für die Beeren," sagte er und reichte sie
den Rehen.
"Was sollen wir mit dem Gold?" antworteten diese, "die
Beeren sind für alle da."
"Aber ohne euch hätte ich sie nicht gefunden",
widersprach Maximilian.
"Man muß dem anderen helfen, wenn er in Not ist",
wehrten die Rehe ab. "Besuch uns, wenn du einmal in den Wald
kommst."
Maximilian steckte kopfschüttelnd die Goldstücke
wieder ein.
"Danke! Ich werde euch bestimmt besuchen", sagte
Maximilian.
"Lebwohl, mein Freund!" riefen die Rehe und verschwanden
hinter den Sträuchern.
Die Beeren hatten Maximilian seine Kräfte
zurückgegeben. Er stapfte mit großen Schritten
weiter. Vergeblich suchte er nach einem Weg, der aus dem
Wald hinausführt. Alle Bäume sahen gleich aus.
"Ich habe mich verirrt", jammerte er schließlich.
"Wenn mir doch jemand einen Weg aus diesem blöden Wald
zeigen könnte!"
Hilflos blickte er sich um.
"Kann ich dir helfen?" fragte eine schnarrende Stimme.
Maximilian erkannte eine Eule, die auf einem gefällten
Baum saß und ihn neugierig musterte.
"Ich finde nicht mehr aus dem Wald. Kannst du mir
helfen?"
"Komm!" sagte die Eule. "Folge mir!"
Sie breitete ihre Flügel aus, und Maximilian stolperte
hinterher.
"Dort drüben", rief die Eule, "siehst du einen Weg. Der
führt dich aus dem Wald!"
Maximilian kannte den Weg, denn er war ihn schon gemeinsam
mit seinen Eltern gewandert.
"Wie kann ich dir danken?" fragte er.
Er griff zögernd in die Tasche und wollte ein
Goldstück hervorholen.
"Laß dein Gold stecken", sagte die Eule.
"Woher weißt du von meinem Gold?" rief er
verwundert.
Aber die Eule war schon zwischen den Bäumen
verschwunden.
Er hörte noch, wie sie ihm zurief: "Lebwohl, mein
Freund! Komm gut nach Hause!"
Maximilian schüttelte den Kopf. Woher wußte sie
von dem Gold?
Frohen Mutes machte sich Maximilian auf den Heimweg.
Schon nach kurzer Zeit erreichte er das Ende des Waldes. In
der Ferne sah er das Haus seiner Eltern. So schnell er
konnte, lief er über die Wiese. Das Gold klingelte in
den Taschen und im Ranzen. Atemlos kam Maximilian beim
geöffneten Fenster seines Zimmers an.
Es war noch alles so, wie er es verlassen hatte. Leise
kletterte er hinein, schloß das Fenster und ließ
sich auf sein Bett fallen. Den Ranzen mit Gold hielt er
dabei ganz fest. Müde und glücklich schlief
Maximilian ein.
Das Rasseln des Weckers riß ihn aus dem Schlaf.
"Aufstehen, Maximilian!" hörte er die Stimme seiner
Mutter.
Schlaftrunken rieb er sich die Augen. Sein erster Gedanke:
das Gold! Er tastete nach dem Ranzen. Er war nicht da! Sein
Hemd und seine Hose lagen - wie an jedem Morgen - über
der Lehne des Stuhls vor seinem Bett. Er durchwühlte
die Kissen und Tuchenten. Der Ranzen war weg! Der Ranzen und
das Gold! Er griff in die Taschen seiner Hose. Leer!
"Maximilian! Aufstehen! Ab ins Bad!", rief die Mutter
nochmals.
Enttäuscht kletterte Maximilian aus dem Bett.
Die Mutter öffnete die Zimmertür: "Komm doch, es
ist schon spät!"
"Wo ist das Gold?" fragte er.
"Welches Gold?" staunte seine Mutter.
"Das Gold vom Ende des Regenbogens!"
"Ich sehe keinen Regenbogen", antwortete die Mutter.
Maximilian lief zum Fenster. Die Sonne stand am Himmel, und
im Morgendunst lag der Wald am Horizont. Kein Regenbogen
spannte sich über den Himmel.
"Aber ich habe den Regenbogen doch gesehen!"
"Das hast du geträumt!" tröstete die Mutter. "Mach
dich fertig! Sonst kommst du zu spät zur Schule."
Nachdenklich saß Maximilian mit den Eltern am
Frühstückstisch. Er kaute lustlos an seinem
Marmeladebrot.
"Maximilian hat von einem Regenbogen geträumt und von
dem Gold, das man an seinem Ende findet" erzählte die
Mutter.
"Na, hast du auch viel Gold gefunden?" lachte sein
Vater.
Maximilian schwieg. Er schlang den letzten Bissen hinunter,
stopfte sein Jausenbrot in die Schultasche und war bei der
Tür draußen.
Auf dem Schulweg traf er Boris, der gerade aus dem Haus
kam. Maximilian wollte wegschauen, denn irgendwie
schämte er sich. Aber Boris hatte ihn schon
entdeckt.
"Hallo, Max!", rief Boris und lief zu ihm.
Maximilian mochte nicht, wenn man ihn Max rief. Heute
schluckte er nur kurz: "Hallo Boris!"
"Kommst du am Nachmittag zu mir spielen?" fragte Boris.
"Finka und Bojan sind auch da."
"Ich...", stotterte Maximilian, "ich weiß nicht, ob
ich heut Zeit habe."
"Sei nicht fad! Bring ein paar von deinen Autos mit! Da
machen wir ein Wettrennen."
Maximilian zögerte noch immer.
"Mein Freund Bojan ist schon ganz neugierig auf deine
Autos!" versuchte Boris ihn zu überreden.
Maximilian gab seinem Herzen einen Stoß: "Also gut!
Ich komme! Ich bringe die Autos mit!"
"Das wird bestimmt lustig!" versicherte Boris.
Gemeinsam erreichten sie die Schule.
Maximilian war im Unterricht mit seinen Gedanken noch
immer bei seinem Traum.
"Schläfst du, Maximilian?" fragte der Lehrer, als er
ihn schon zum dritten Mal aufrief.
Die ganze Klasse lachte. Aber das störte ihn nicht. In
der Pause blieb Maximilian in der Bank sitzen, während
die anderen Kinder herumtollten. Endlich war die letzte
Stunde vorbei.
Maximilian und Boris trotteten gemeinsam nach Hause.
"Also dann um vier bei mir", verabschiedete sich Boris. "Bis
um vier!" wiederholte Maximilian und lief nach Hause.
"Und vergiß nicht auf die Autos! Gerald kommt auch"
rief ihm Boris nach.
Gleich nach dem Mittagessen verstaute Maximilian alle
Autos in einer großen Schachtel. Die Hausaufgaben, bei
denen er sonst trödelte, waren im Nu erledigt.
"Ich gehe zu Boris!" rief er seiner Mutter zu und war bei
der Haustür draußen.
Boris, Bojan, Finka und Gerald erwarteten ihn schon. Es
wurde ein tolles Wettrennen. Boris und Bojan gewannen
dreimal, Finka und Gerald zweimal. Auch Maximilian gewann
einmal. Aber das war ihm diesmal nicht so wichtig. Sie
spielten Verstecken, Räuber und Gendarm. Sie
verkleideten sich.
Maximilian war glücklich.
Die Kinder halfen ihm beim Abschied, die Autos in die
Schachtel zu packen. Maximilian dachte kurz nach und holte
das größte wieder heraus:
"Das schenke ich dir, Boris!"
Und er nahm das zweitgrößte Auto:
"Das ist für dich, Finka!"
Auch Gerald und Bojan gingen nicht leer aus.
Als er die staunenden Augen der vier sah, sagte er:
"Ich hab ja noch genug. Und in meinem Zimmer ist schon
zuwenig Platz".
"Und morgen kommt ihr alle zu mir! Da machen wir wieder ein
Wettrennen!" sagte Finka.
"Ich freu' mich schon!", sagte Maximilian.
Obwohl Maximilian zu spät von seinen Freunden nach
Hause kam, schimpfte die Mutter nicht. Aus Maximilian
sprudelte es nur so heraus. Er erzählte, wie toll das
Rennen bei Boris gewesen war. Und erst das
Räuber-und-Gendarm-Spiel! Fast jeder Satz begann mit
"Mein Freund Boris..." oder "Meine Freundin Finka...."
"Und morgen bin ich bei Finka!" rief er.
"Es ist schon spät!" bremste seine Mutter. "Du
mußt morgen früh auf!"
Noch beim Zähneputzen mußte er erzählen, wie
sich die Kinder über die Autos gefreut hatten.
"Vielleicht träumst du wieder vom Regenbogen und vom
Gold", sagte der Vater, als er ihn zu Bett brachte.
"Wozu braucht man Gold, wenn man Freunde hat!" antwortete
Maximilian und preßte seinen Lieblingsbären an
sich.
Maximilian war glücklich.
Da drückte ihn etwas in seinem Rücken. Er machte
Licht und tastete zwischen die Kissen. Ein großer
Tannenzapfen kam zum Vorschein. Er stellte ihn behutsam zum
Wecker auf das Nachtkästchen.
"Den muß ich wohl im Wald eingesteckt haben", dachte
er, drehte das Licht aus und schlief ein.
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