literatur. wettbewerb:
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SIEB.10 |
tanja Anselm musterte nachdenklich den dunklen Fleck auf seiner im Laufe der Jahre eng gewordenen Soutane. "Kannst du nicht besser aufpassen", hatte er Angelika zugezischt, die ihm schon einmal bei der Vorbereitung zur Wandlung den in dieser Jahreszeit vorgewärmten Messwein auf die Kasel geschüttet hatte. Aber es war schwierig, zuverlässige Ministranten zu finden und seit einigen Jahren waren in seiner Pfarre nur noch Mädchen bereit, diesen geistlichen Hilfsjob - so hatte das sein Jugendseelsorger einmal genannt - zu verrichten. Er betrachtete Angelika, die ihm den Rücken zugewandt die Albe in der Truhe der überheizten Sakristei verstaute. Als sie sich bückte, um den Deckel der Truhe zu öffnen, rutschte Angelikas kurzer roter Rock höher. Anselm schluckte. "Du solltest dir nächstes Mal Hosen anziehen, damit du dich nicht verkühlst." Seine Stimme klang ihm fremd, seltsam entfernt. "Okay Boss." Langsam richtete sich Angelika auf und kam in ihren schwaarzen Sportschuhen, die ihrem Gang etwas Wiegendes verliehen, auf ihn zu. Sie lächelte, als sie seinen Blick sah, und sah ihn an. Er küßte die Stola und reichte ihr diese mit dem Zingulum, die er zuvor abgelegt hatte und die nun auf dem abgeschabten Pult neben ihm hingen. Sie nahm beide und hängte sich den Gürtel um den Hals. Langsam drehte sich das Mädchen um, faltete die Stola sorgsam in der Mitte, ging die wenigen Schritte zur Truhe, faltete den Stoff nochmals und beugte sich abermals weit vor, um die Kleidungsstücke hineinzulegen. Das kunstvoll geflochtene Zingulum rutschte dabei von ihren Schultern und fiel in die Truhe. Er hatte es längst aufgegeben, dieses Kunststück, wie sie es nannte, zu tadeln. Angelika schloß die Truhe, ging zum Tisch neben der Tür zur Kirche und ergriff den Klingelbeutel aus blauem Samt, den sie beim Auszug nach der Abendmesse dort abgelegt hatte. Als sie auf ihn zuging, hielt sie den Beutel mit einer Hand am goldenen Rand und streichelte den Stoff sanft mit der anderen. Sie umfaßte ihn so, daß die Münzen darin klingelnd sprangen. "Soll ich es in die Kasse leeren?" "Laß nur, das mach ich schon!" Ihre Hand berührte leicht seinen Handrücken, als er den Beutel entgegennahm. "Na dann bis morgen, Herr Pfarrer." "Ja, bis morgen", wiederholte er erst, als die schwere Tür schon hinter dem Mädchen ins Schloß gefallen war. Als er die Spenden der Gemeinde auf das Plastiktablett leerte, fand er unter den Scheinen wieder diese kleine rote Visitenkarte mit der handgeschriebenen Adresse. Das war jetzt schon das sechste Mal. Er nahm die Karte und warf sie wie immer in den Papierkorb. Nachdem er die Hosenknöpfe und Parkmünzen aussortiert und die Spenden in der Kasse verstaut hatte, verließ Anselm die Sakristei. Er hatte das Licht schon abgedreht und die Türe geöffnet, als er im Schein des durch den schmalen Spalt hereinfallenden Lichtes der Straßenlaterne doch noch zum Papierkorb zurückging, die Karte ertastete und in die Innentasche seines Pluviale steckte. |
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SIEB.10 @ 4711 |
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