*** gab uns seinen text zu lesen:
BEGEGNUNG
An den rebenleeren Hängen
vor der totgesagten Stadt
haben zwei Augenblicke -
das Gestern,
das Heute -
Rast gehalten.
Schweigend saßen sie
am Ufer
des Lebensmeeres.
Sie schüttelten
den Staub
von den Füßen.
Keiner wollte sprechen.
Sie saßen und schwiegen.
Einer blickte auf zur sinkenden Sonne -
sie blendete nicht.
Sie war leergebrannt
wie ihre Augen.
Der andre erhob sich
und machte sich
auf den unbekannten Weg.
Aus fraglosen Augen
blickte der eine dem andren nach.
Auch er wird nicht bleiben.
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hi ***,
schön, dass du auch texte von dir an
die liste gesandt hast.
der text BEGEGNUNG gefällt mir.
ich verstehe ihn als gedanken über
die vergänglichkeit
der zeit, des augenblicks.
was mir dabei auffällt, ist eine
anscheinend trostlose
grundstimmung, welche sich in
beschreibungen ausdrückt
wie:
rebenleer
totgesagt
staub von den füssen schütteln
keiner wollte sprechen
sinkende sonne
leergebrannt
welche sich häufen.
vermutlich ist dies beabsichtigt?
oder ausdruck der trauer des autors
beim schreiben dieses textes.
vielleicht die trauer über die
vergänglichkeit?
den ablauf des lebens?
das herannahen des todes?
der autor lässt dies offen, was
aber kein makel ist.
was mir aufgefallen ist:
die wiederholung des ausdrucks der augen:
leergebrannt wie ihre augen
aus fraglosen augen
hätte u.u. vermieden werden sollen.
dann hätte der text mir noch besser gefallen.
aber das ist ansichtssache.
liebe grüsse ***
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uebrigens:
die BEGEGNUNG hab
ich vor fast fuenfunddreissig jahren
nach einer durchsoffenen nacht
mit einem freund. den ich
zufaellig getroffen hatte,
auf die erste strassenbahn
wartend auf die rueckseite einer rechnung
stenographiert, wobei so ziemlich alle
bilder von der situation stammten:
> An den rebenleeren Hängen
es war am rand von wien
in sievering (heurigen- bzw weingegend)
> vor der totgesagten Stadt
george verzeih mir ;-)
aber fuer den hab ich damals geschwaermt
> haben zwei Augenblicke -
> das Gestern,
> das Heute -
> Rast gehalten.
wir konnten ja nicht mehr stehen,
also setzten wir uns auf eine
bank, die in einem vorgarten stand.
> Schweigend saßen sie
> am Ufer
> des Lebensmeeres.
von dort hat man einen guten
blick ueber wien
> Sie schüttelten
> den Staub
> von den Füßen.
damals waren in der gegend die strassen
noch nicht asphaltiert
> Keiner wollte sprechen
> Sie saßen und schwiegen.
was heisst wollen, koennen im vollrausch ;-)
> Einer blickte auf zur sinkenden Sonne -
> sie blendete nicht.
das ist am morgen so um vier uhr
schwer moeglich
> Sie war leergebrannt
> wie ihre Augen.
der blick war wahrscheinlich ziemlich
starr (stier sagen wir in wien)
> Der andre erhob sich
> und machte sich
> auf den unbekannten Weg.
er wollte zu fuss nach hause gehen,
denn er hatte kein geld mehr fuer die
strassenbahn und borgen tut man sich
von freunden nichts.
> Aus fraglosen Augen
> blickte der eine dem andren nach.
ich waere unfaehig gewesen,
zu gehen.
ausserdem haette ich dann nicht
das gedichtchen schreiben koennen.
> Auch er wird nicht bleiben.
so besoffen war ich nun auch
wieder nicht.
zufrieden? ***
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