SIEB.10/LYRIK/

Werner Stangl 

DAS HAUS

 

festgefügt wie eine burg.
für eine ewigkeit errichtet.
anziehend und abweisend.
schützend. widerstreitend. sich verschließend.

ein tor steht offen.
tritt ein. hör. sieh.
große fenster öffnen sich zur welt:
schau hinaus, so ist die welt, laß sie herein.

(für m.)

 

 

mich blendet helligkeit.
die pracht lockt und schreckt.
komm! ruft es von irgendwoher, bleib.
geh! aber vergiß mich nicht.

es umfängt mich kühlende stille.
überall türen.
hinter welcher soll ich dich suchen?
so viele räume.
in welchem dir begegnen?

zögernd beginne ich meinen weg.
über die stufen.
den kalten marmor der gänge.
lange hohe gänge.
ängstlich. behutsam mein schritt.
um die stille nicht zu stören.

türen nur angelehnt.
sie sagen: tritt ein.
manche weisen zurück.
sie spotten:
fehlt dir die kraft, der mut, mich zu öffnen.
manche flehend offen:
tritt ein! zögere nicht.

mancher raum scheint lange verlassen.
fluchtartig.
gestern, vor jahren, vor unendlichkeiten.

manche scheinen noch nie von einem menschen betreten.
ich wage nicht die schwelle zu überschreiten.
ich habe angst, etwas kostbares zu zerstören.

manche wände sind bedrohlich.
einengend.
sind wie kerkermauern.
kalt, versperrend.
manche wie in einem japanischen gartenhaus.
sie trennen nicht.
sind projektionsfläche von träumen.
sie schützen nicht.
sie sind verletzlich.

hinter manchen türen kinderlieder.
sie verstummen wenn ich die tür öffne.
ein nachhall von musik, manchmal.
vibrierend ein glas. eine saite.

ein schreibtisch mit einem begonnenen brief.
wird er jemanden erreichen?
es hängt noch ein duft von ginster zwischen den vorhängen.

manchmal ein rascheln wie von einem kleid.
das an ein möbelstück streift.
oder war es ein schatten?
der widerhall des eignen atems?

ein band mit einem schmetterling.
wie vergessen.
wie eine fährte.
für mich, der dich finden soll?

eine perle rollt glänzend über das parkett.
war es eine träne?
ein tropfen goldnen weins?

streck die hand aus!
sagt der stein der säule.

berühr mich.
lehn dich an mich.
ich will dich halten.

ich wage es nicht.
mir fehlt der mut.
verliere ich dich, wenn ich dich finde?

wie ein labyrinth scheint es mir.
soll ich mich verlieren?
soll ich immerzu suchen?
meine augen sehen dich nicht.
meine ohren hören dich nicht.

doch meine sehnsucht tröstet:
du bist das haus.

SIEB.10 @ 4711 e-zine für literatur

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