Prof. Dr. Ludwig SalgoInstitut für Arbeits-, Wirtschafts- und
Zivilrecht Tel.: +49(69)798-28479 email: Salgo@jur.uni-frankfurt.de |
50 Jahre
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Das Rechtsbewußtsein Minderjähriger entwickelt sich nicht zuletzt daraus, wie der Umgang von Behörden und Gerichten mit ihnen ist und war. Ludwig Salgo (1989) |
Ludwig Salgo
Born in 1946 in Budapest, fled to the Federal Republic of Germany in 1956. 1968 Studies of Law and History at the Universities of Tübingen and Frankfurt am Main. 1974-1977 Gerichtsreferendar. 1977-1982 Founder and member of the Law Firm Einzinger und Partner, Frankfurt am Main. 1982-1988 Research Assistant at the Johann Wolfgang Goethe University, Frankfurt am Main. 1987 Dr. Jur. (s.c.l.). 1987 Walter-Kolb-Gedächtnis-Preis. Since 1988 Professor. 1994 Habilitation.
Major Publications
- Zur Diskriminierung der Frau in Recht der Eltern-Kind-Beziehung. With G. Zenz. 1983.
- Pflegekindschaft und Staatsintervention. 1987.
- Vom Umgang der Justiz mit Minderjährigen. 1995.
- Der Anwalt des Kindes. 1996.
Research Plan
The systematic order of family law during the communist era and the transition. State intervention into parent-child relations during the communist era. The present situation in family and youth welfare law in Hungary. Workshops for post-graduate students of law and social work about major trends in family and social welfare law and policy in the USA, GB, Germany and Hungary with colleagues from these countries.
Quelle: http://www.colbud.hu/main/Fellow-lists/Bios-pre98/SalgoLudwig.html
Prof. Dr. Ludwig Salgo in Frankfurter Allgemeine Magazin vom 10. Januar 1997, S. 43:
"Frage: Werden im Scheidungsverfahren die Interessen der Eltern gegenüber denen der Kinder bevorzugt?
Die Botschaft der Bundesregierung ist widersprüchlich. Der Justizminister sagt, die Wahrung der Interessen der Kinder sei der Sinn der Reform. Wenn man den Entwurf daraufhin prüft, sieht die Sache anders aus: Es gibt in der Tat eine Elternorientierung. Um es konkret zu sagen: Der Entwurf soll die gekränkte Eitelkeit von Vätern, die das Sorgerecht nicht bekommen haben, befriedigen. Der Bundesregierung scheinen diese Väter sehr wichtig zu sein. Das haben wir beim Unterhaltsrecht gesehen und sehen es jetzt bei der Kindschaftsrechtsreform. Es ist gut, daß es immer mehr Väter gibt, die aktiv am Alltag der Kinder auch nach der Scheidung beteiligt sein wollen. Aber leider geht es nur zu oft darum, daß Väter das Sagen haben wollen, ohne sich am Alltag ihrer Kinder zu beteiligen. Die elterliche Sorge wird vom Recht aber definiert als das Recht und die Pflicht, sich um Kinder zu sorgen."
Ludwig Salgo
Der Anwalt des Kindes
Ludwig Salgo Das neue Kindschaftsrecht. Die gesetzliche Neuregelung in den Bereichen elterliche Sorge, Umgangsrecht und Vertretung von Kindern in familiengerichtlichen Verfahren HINWEIS: Diese Ausführungen beziehen sich auf die Rechtslage in der BRD! |
Am 01. Juli 1998 tritt das neue Kindschaftsrecht in Kraft; es handelt sich dabei um die größte familienrechtliche Reform in der Geschichte der Bundesrepublik seit dem Ersten Eherechtsreformgesetz vom 14.06.1976. Herzstück dieser Reform des Kindschaftsrechts ist das Kindschaftsrechtsreformgesetz und das Beistandschaftsgesetz. Diese beiden Gesetze wurden am 25. September 1997 vom Deutschen Bundestag verabschiedet und treten zeitgleich am 01. Juli 1998 in Kraft. Im Mittelpunkt der folgenden Darstellung stehen diese beiden Gesetze.
Allerdings darf nicht übersehen werden, daß eine Reihe weiterer Gesetze und Vorhaben mit kindschaftsrechtlichem Bezug ebenfalls bereits verabschiedet sind bzw. sich noch im Gesetzgebungsverfahren befinden:
Das Kindesunterhaltsgesetz wurde vom Bundestag am 15.01.1998 angenommen, am gleichen Tage wurde das Eheschließungsrechtsgesetz vom Bundestag beschlossen. Schließlich wurde das am 25. September 1997 beschlossene Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom Vermittlungsausschuß bestätigt. Der Regierungsentwurf eines Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetzes liegt dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages vor.
Abschließen will ich diese Aufzählung mit dem Hinweis auf den Fachanwalt für Familienrecht, der mit der neuen Fachanwaltsordnung (in Kraft seit dem 11. März 1997) eingeführt worden ist.
Im Mittelpunkt meiner Ausführungen zur Geschichte und zum Hintergrund der Reformen stehen das Kindschaftsrechtsreformgesetz und das Beistandschaftsgesetz.
Warum sich auch im Familienrecht der Bundesrepublik ein Reformstau aufgetürmt hat, haben mich neulich ausländische Familienexperten gefragt. Als Antwort konnte ich nur ein ganzes Ursachenbündel anführen:
Gewissermaßen als vorgezogene Geburtstagsgabe zum 50. Geburtstags des GG im kommenden Jahr erfüllt das KindRG, das Erbrechtsgleichstellungsgesetz und das Beistandschaftsgesetz endlich das Verfassungsgebot aus Art. 6 Abs. 5 GG, den "unehelichen Kindern ... die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern" und schafft ein das gesamte Familien- und Erbrecht durchziehende "Sonderrecht" für Kinder, deren Eltern nicht heiraten, ab. Einheitliche Regelungen gelten ab in Krafttreten der genannten neuen Bestimmungen im Abstammungs-, Unterhalts-, Sorge- und Erbrecht sowie im Verfahrensrecht.
Daß dies nunmehr endlich geschieht, ist nicht zuletzt das Verdienst des BVerfG, welches zuletzt zu seiner schärfsten Waffe, der Nichtigerklärung von einzelnen Bestimmungen des Kindschaftsrechts mehrfach greifen mußte und dem Gesetzgeber Nachbesserungsaufträge bis zum Ablauf der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode gesetzt hatte. Erneut mußte das Bundesverfassungsgericht auf die unbedingte und alsbaldige Einlösung von Verfassungsaufträgen auf dem Gebiet des Familienrechts drängen, zu deren Einlösung - wie schon bei der Umsetzung der Gleichberechtigung im Familienrecht - das Parlament von sich aus offensichtlich unerträglich lange nicht im Stande war:
Ob der Gesetzgeber ohne diesen Druck aus Karlsruhe gehandelt hätte, mag dahin gestellt bleiben; ich meine, daß ohne diese deutlichen und für den Gesetzgeber verbindlichen Reparaturaufträge immer noch keine verabschiedeten Reformgesetze vorliegen würden. Ohne Übertreibung läßt sich behaupten, daß ohne die bestimmenden Beiträge des Bundesverfassungsgerichts wir ein anderes Familienrecht in der Bundesrepublik hätten. Jahrzehnte währende Untätigkeit und Versagen auf Seiten des Gesetzgebers bezüglich der Verankerung des Gleichberechtigungsgebots im Familienrecht und fast ein halbes Jahrhundert bis zur Abschaffung der Diskriminierung aufgrund nichtehelicher Geburt - trotz entgegenstehender eindeutiger Verfassungsgebote - , gehen eindeutig auf das Konto des Parlaments. Hier dem BVerfG Einmischung und Anmaßung vorzuwerfen, ist absurd.
Der gesellschaftliche Wandel
Ohne in einen soziologischen Exkurs einzutreten, werde ich nachfolgend die für das Familienrecht, insbesondere das Kindschaftsrecht, wichtigsten Ausgangsdaten präsentieren:
Im Jahre 1995 hatten wir in Deutschland 430.534 Eheschließungen, im selben Jahr ließen sich 169.425 Ehepaare scheiden, d.h., daß rund 30% der heute geschlossenen Ehen mit einer Scheidung enden. Etwa 130.000 Minderjährige waren von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Während für den Zeitraum zwischen 1983 und 1985 in ein bis zwei Prozent der Fälle die Familiengerichte die elterliche Sorge den Eltern bei der Scheidung gemeinsam übertrugen, hat sich dieses Bild etwa 10 Jahre später verändert. Eine Sondererhebung im Rahmen der Justizstatistik im Erhebungszeitraum zwischen 1994 und 1995 brachte folgendes Ergebnis: Bundesweit wurde in ca. 17 % der Fälle die elterliche Sorge beiden Elternteilen gemeinsam belassen, in ca.75 % der Fälle wurde sie allein der Mutter und in ca. 8 % der Fälle allein auf den Vater übertragen. In den einzelnen Bundesländern ergeben sich Abweichungen von diesen bundesweiten Zahlenangaben.
Im Jahre 1995 gab es im alten Bundesgebiet 681.374 Geburten, darunter 12,9 % nichtehelich Geborene, in den neuen Bundesländern gab es 83.847 Geburten, darunter 41,8 % nichtehelich Geborene.
Die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Im früheren Bundesgebiet hat sie sich seit 1972 verzehnfacht, der Anteil derer mit Kindern unter ihnen ist jedoch fast konstant geblieben (ein Fünftel). In Deutschland insgesamt gab es rund 1,7 Millionen unverheiratet im gemeinsamen Haushalt zusammenlebende Paare, davon 27 % mit Kindern.
Vereinheitlichung des Familienrechts als Folge des Einigungsvertrags
Für das Beitrittsgebiet gilt das Familienrecht der Bundesrepublik mit gewissen Einschränkungen. Die wichtigsten betreffen die Amtspflegschaft und das Erbrecht des nichtehelichen Kindes. Das Kindschaftsrecht der DDR kannte - wie auch das Rechtsystem der anderen sozialistischen Länder - keine Unterscheidung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Einigungsvertrages konnte zwar dieses Prinzip noch nicht übernommen werden, aber immerhin ist für das Beitrittsgebiet die Amtspflegschaft nicht mehr eingeführt worden und auch die im Erbrecht der Bundesrepublik festgelegte unterschiedliche Behandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern galt für das Beitrittsgebiet nicht. Aus dieser aufgrund des Einigungsvertrags unterschiedlichen Rechtslage ergab sich die Notwendigkeit zur alsbaldigen Rechtsvereinheitlichung. Nur so ist zu erklären, daß das Beistandschaftsgesetz zuerst in Angriff genommen wurde und das Kindschaftsrechtsreformgesetz erst später, sind doch die beiden Regelungsmaterien kaum voneinander abtrennbar.
In der Folge möchte ich die wichtigsten Regelungsbereiche der Reform kurz skizzieren:
Abstammungsrecht
Bislang ist die Abstammung für eheliche und nichteheliche Kinder in zwei Untertiteln säuberlich getrennt; dies konnte angesichts des Reformziels der Gleichstellung der Kinder nicht aufrechterhalten bleiben, weshalb nunmehr ein einheitlicher Titel "Abstammung" geschaffen wurde, dennoch läßt sich eine vollkommene Gleichbehandlung nicht strikt durchhalten.
Als Mutter definiert der neue § 1591 BGB die Frau, die das Kind geboren hat. Damit ist ein Streit zwischen genetischer Mutter und austragender Mutter, wie er bereits vor us-amerikanischen Gerichten ausgetragen worden ist, ausgeschlossen. Trotz Ei- und Embryonenspende erhält der römisch-rechtliche Grundsatz "mater semper certa est" seine Gültigkeit, die Mutterschaft bleibt weiterhin klar. Die sozial-biologische Beziehung aufgrund von Schwangerschaft und Geburt behauptet sich gegenüber der genetischen Abstammung. Wie bisher begründet die Ehe mit der Mutter des Kindes die Vermutung der Vaterschaft (§ 1591 Nr. 1 BGB). Aus einer bloßen Lebensgemeinschaft mit der Mutter kann die väterliche Abstammung nicht hergeleitet werden. Hier bleibt eine Trennungslinie zwischen ehelicher und nichtehelicher Lebensgemeinschaft weiterhin bestehen. Ehelichkeits- und Beiwohnungsvermutung kennt das neue Recht nicht; wird das Kind während des Bestehens der Ehe geboren, ist der Ehemann der Vater. Dies gilt nicht, wenn das Kind nach Anhängigkeit eines Scheidungsantrags geboren wird und ein Dritter spätestens bis zum Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft des dem Scheidungsantrag stattgebenden Urteils die Vaterschaft anerkennt. Die Vaterschaft des Ehemannes endet unter diesen Umständen, sobald ein anderer Mann die Vaterschaft anerkannt hat. "Die Neuerung zollt der Lebenserfahrung Tribut und kann Praktikabilität für sich reklamieren: Den Beteiligten bleibt eine unnötige Anfechtungsklage erspart, das Kind ist dennoch zu keinem Zeitpunkt ohne rechtlichen Vater" (Schwab/Wagenitz).
Hinsichtlich der Anfechtung der Vaterschaft gibt es Vereinheitlichungen und echte Neuerungen: Die aus der Ehe mit der Mutter bzw. kraft Anerkennung bestehende Vaterschaft kann unter den selben Voraussetzungen hinsichtlich Form und Frist angefochten werden. Anfechtungsberechtigte sind Vater, Mutter (neu), das (volljährige) Kind. Kein Anfechtungsrecht hat - wie bisher - der Erzeuger; erst nach erfolgreicher Anfechtung durch die Anfechtungsberechtigten ist die Feststellung seiner Vaterschaft möglich. "Üben die übrigen Beteiligten die ihnen zustehenden Anfechtungsrechte nicht aus, so spricht dies dafür, daß eine Anfechtung dem Wohl der "sozialen Familie" zuwiderlaufen würde. Dem Erzeuger muß zugemutet werden, diese Nichtanfechtung zu respektieren ..." (Schwab/Wagenitz). Die Anfechtungsfrist beträgt für alle Berechtigten einheitlich zwei Jahre.
Das Sorgerecht
Hier wurde im Grundsätzlichen wenig geändert und doch findet sich eine Reihe bemerkenswerter Akzentuierungen:
Alleinsorge und gemeinsame Sorge
Alleinsorge hat "systematischen Nachrang". Vorrang hat die gemeinsame elterliche Sorge:
Das Sorgerecht regelt sich danach, ob
Die Alleinsorge der Mutter kraft Gesetzes ist somit an eine negative Prämisse geknüpft. Eine originäre Alleinsorge des Vaters, aber auch eine automatische "Mitsorge" etwa nach Vaterschaftsanerkennung kennt das Gesetz nicht. An väterliche Erzeugerschaft knüpfen sich keine automatischen Sorgerechte.
Gemeinsame Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
Die zentrale Weichenstellung ergibt sich aus § 1626a BGB. Zwei verfassungsgerichtliche Vorgaben waren hier zu berücksichtigen und umzusetzen. Gemeinsame Sorge ergibt sich entweder aus vor- oder nachgeburtlicher (nach Vaterschaftsanerkennung) Eheschließung oder durch die Sorgeerklärung beider Eltern. Die Sorgeerklärung ist konstitutiv; keinerlei Kindeswohlprüfung, kein gemeinsamer Hausstand ist erforderlich, auch ist keine Ledigkeit vonnöten (Wirkung nur sorgerechtlich). Wie die Anerkennung (§ 1594 Abs. 4 BGB) so ist auch die Sorgeerklärung vorgeburtlich möglich (§ 1626b Abs. 2 BGB). Die Sorgeerklärung ist höchstpersönlich, sie ist öffentlich vom Notar oder Jugendamt zu beurkunden. Die beurkundende Stelle teilt die Sorgeerklärung dem für den Geburtsort des Kindes zuständigen Jugendamt mit; dieses Jugendamt muß Müttern - im Falle des Nichtvorliegens einer Sorgeerklärung - auf entsprechenden Antrag ein "Negativattest" zum Nachweis ihrer Alleinsorge erteilen (§ 1626d Abs. 2 BGB, § 58a KJHG).
Leben nicht miteinander verheiratete Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge getrennt, so gilt - wie bei getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern - § 1687 BGB hinsichtlich der für das Kind zu treffenden Entscheidungen.
Zur Beendigung gemeinsamer elterlicher Sorge ist - wie bei verheirateten bzw. geschiedenen Eltern - ein Antrag gem. § 1671 BGB erforderlich.
Gemeinsame elterliche Sorge nach Trennung und Scheidung
Gemeinsame elterliche Sorge nach Scheidung gibt es schon seit 1982 (BVerfG). So wurden bundesweit im Jahre 1994 in 17,1 % aller Fälle die elterliche Sorge nach Scheidung beiden Eltern gemeinsam belassen, in 74,7 % der Fälle wurde sie auf die Mutter und in 8,3 % der Fälle allein auf den Vater übertragen. Es gab erhebliche Diskrepanzen bezüglich gemeinsamer elterlicher Sorge nach Scheidung zwischen alten und neuen Bundesländern. Dieser Teil der Reform war bekanntlich der am heftigsten umkämpfte. Der Gesetzgeber hat sich radikal vom Modell des geltenden Rechts abgewandt: Die Scheidung tangiert nach dem neuen Recht die gemeinsame elterliche Sorge überhaupt nicht. Die Sorgerechtsregelung ist nicht mehr Gegenstand des Scheidungsverbundes. Eine Prüfung vom Amts wegen - wie bisher - entfällt künftighin. Das Familiengericht wird erst auf einen Antrag (Antragsgrundsatz) hin sich mit der Sorgerechtsregelung befassen (§ 1671 Abs. 1 BGB). Von Amts wegen geschieht dies nur unter den Voraussetzungen der §§ 1666, 1666a BGB. Die Eltern müssen zwar dem Familiengericht in der Antragsschrift auf Scheidung gem. § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO mitteilen, ob sie gemeinsame minderjährige Kinder haben. Dies hat wiederum zur Folge, daß die Geschäftsstelle des Familiengerichts gem. § 17 Abs. 3 KJHG dem Jugendamt Namen und Anschrift der Parteien mitteilt, "damit dieses die Eltern über das Leistungsangebot der Jugendhilfe ... unterrichtet". Was "unterrichtet" bedeutet, ist nirgends definiert; die Übersendung eines Faltblattes mit entsprechenden Informationen genügt m.E. der Unterrichtungspflicht des Jugendamtes. Hier findet sich in § 17 Abs. 2 KJHG ein Rechtsanspruch auf Beratung. Allerdings gibt es keinerlei Rückmeldung von Seiten des Jugendamtes darüber, ob die Eltern ihren Rechtsanspruch geltend gemacht haben oder etwa über das Ergebnis an das Familiengericht. Es besteht keine Pflicht zur Inanspruchnahme der Beratung oder zur Geltendmachung des Rechtsanspruchs auf Beratung. Das Familiengericht muß zwar gem. § 613 Abs. 1 ZPO das Sorgerecht thematisieren, aber es darf von den Eltern nicht etwa die Vorlage eines Sorgeplanes einfordern: das Gericht "hört ... die Ehegatten auch zur elterlichen Sorge an und weist auf bestehende Möglichkeiten der Beratung durch die Beratungsstellen und Dienste der Träger der Jugendhilfe hin". Hinsichtlich der Regelungen von Angelegenheiten des Kindes gilt § 1687 BGB. Im Streitfall über eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung entscheidet das Familiengericht gem. § 1628 BGB. Bei Gefahr im Verzug wird jeder Elternteil alleinsorgeberechtigt (§ 1629 Abs. 1 S. 4 BGB). Und der nicht seltene Fall eines Unterhaltsstreits kann - trotz gemeinsamer elterlicher Sorge - von dem Elternteil gegen den anderen geführt werden, in dessen Obhut sich das unterhaltsberechtigte Kind befindet (§ 1629 Abs. 2 S. 2 BGB: Prozeßstandschaft für den Unterhalt). Eine Beistandschaft kommt hier nicht in Betracht, diese kann nämlich nur vom Elternteil beantragt werden, dem die alleinige elterliche Sorge zusteht (§ 1713 BGB).
Umgangsrecht
Dem Umgang des Kindes mit beiden Eltern wird eine ganz besondere Bedeutung im KindRG zugesprochen. Der Anspruch auf Umgang steht Eltern und auch dem Kind selbst zu (§ 1684 Abs. 1 BGB). Viel Symbolik steht hinter diesem Anspruch des Kindes:
"Der Rechtsausschuß verspricht sich von den empfohlenen Änderungen vor allem einen Bewußtseinswandel: Eltern soll verdeutlicht werden, daß sie nicht nur ein Recht auf Umgang haben, sondern im Interesse des Kindes auch die Pflicht, diesen Umgang zu ermöglichen. Die Ausgestaltung eines eigenen Umgangsrechts des Kindes soll Signalwirkung entwickeln sowohl für den Elternteil, bei dem das Kind lebt und der den Umgang mit dem anderen Elternteil vereitelt, als auch für den Elternteil, der sich dem Umgang entzieht und nicht mehr um sein Kind kümmert."
Dieter Schwab merkt zu diesem eigenen Umgangsrecht des Kindes Nachdenkenswertes an: "Da in unserer politisch-moralisierenden Gesellschaft die Verfolgung schlichter Eigeninteressen verpönt scheint, müssen diese auf eine andere Ebene gehoben und in Kindesinteressen transformiert werden. Die Interessen des Elternteils, bei dem das Kind nicht ständig lebt, an fortlaufenden Kontakten mit seinem Kind werden in ein Umgangsrecht des Kindes verwandelt, das elterliche Interesse an der Mitbestimmung bei der Erziehung des Kindes in das Recht des Kindes auf beide Eltern."
Auch als Anspruchsinhaber wird das Kind ("subjektives Recht des Kindes auf Umgang mit seinen Eltern") im gerichtlichen Verfahren von einem Elternteil vertreten; allerdings "kann" das Gericht dem Kind einen Verfahrenspfleger bestellen (§ 50 Abs. 1, Abs. 2 Nr.1 FGG). Verpflichtet, den Umgang zu ermöglichen, ist jeder, in dessen Obhut sich das Kind befindet. § 1684 Abs. 4 S. 2 BGB erhöht die gesetzliche Schwelle für den Ausschluß und die dauerhafte Einschränkung des Umgangsrechts oder seines Vollzugs. Nur wenn das Wohl des Kindes anderenfalls gefährdet wäre, soll eine so weitgehende Beschränkung des Umgangsrechts möglich sein.
Besondere Erwähnung bedarf der "beschützte" oder "betreute Umgang" gem. § 1684 Abs. 4 S. 3 und 4 BGB (vgl. Wortlaut der Begründung auf S. 106 des RegE).
Gem. § 1685 BGB erhalten ein begrenztes Umgangsrecht:
Großeltern, Geschwister, Stiefeltern und Pflegeeltern. Der Umgang mit diesen Personen muß dem Kindeswohl dienen, eine Umgangspflicht der Berechtigten besteht nicht, ebensowenig ein Anspruch des Kindes.
Das Umgangsrecht ist - wie bislang schon - vollstreckbar; Gewaltanwendung darf sich nicht gegen das Kind selbst richten (§ 33 Abs. 2 S. 2 FGG):
"Eine Gewaltanwendung gegen das Kind darf nicht zugelassen werden, wenn das Kind herausgegeben werden soll, um das Umgangsrecht auszuüben"
Bei Nichtbefolgung einer gerichtlichen Umgangsregelung besteht die Möglichkeit, auf Antrag ein besonderes gerichtliches Vermittlungsverfahren durchzuführen (§ 52a FGG).
Beistandschaft
Die elterliche Sorge der allein sorgeberechtigten Mutter (also keine Ehe und auch keine Sorgeerklärung) ist uneingeschränkt. Die Amtspflegschaft ist abgeschafft. Statt dessen besteht die Beistandschaft auf vollkommen freiwilliger Basis (§§ 1712ff BGB). Die Beistandschaft hilft bei der Feststellung der Vaterschaft und/oder bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes. Die Beistandschaft tritt nur auf Antrag ein (reines Antragsmodell). Die elterliche Sorge wird durch die Beistandschaft nicht eingeschränkt (§ 1716 BGB). Der Antrag steht nur dem allein sorgeberechtigten Elternteil zu. Bei gemeinsamer elterlicher Sorge entscheidet bei Streitigkeiten über Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung auf Antrag das Familiengericht (§ 1628 BGB); bei Unterhaltsstreitigkeiten unter Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge kann der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen (§ 1626e Abs. 2 BGB).
Beistand des Kindes (nicht des Elternteils) wird das Jugendamt (§ 1714 BGB), die Beistandschaft endet, wenn der Antrag schriftlich zurückgenommen wird. Die Rechtsstellung des Beistands regelt sich nach dem Pflegschaftsrecht.
Neuerungen im Verfahrensrecht
Zwar schafft das KindRG nicht das schon seit langem geforderte "Große Familiengericht", nähert sich aber, wenn auch nicht immer konsequent, diesem schon seit langem anvisierten Reformziel. Es wurde ein erheblich erweiterter Zuständigkeitskatalog geschaffen. Fast alle Fragen, die mit der elterlichen Sorge zusammenhängen, wurden dem Familiengericht anvertraut. Auch die auf Ehe und Verwandtschaft beruhende Unterhaltspflichten sind nunmehr einheitlich dem Familiengericht zugewiesen. Eheliche und nichteheliche Kinder werden damit auch im Verfahren, wie es vom BVerfG gefordert worden war, gleichbehandelt. Der Rechtsmittelzug zum Oberlandesgericht bleibt unberührt. Das Landgericht verliert damit einen großen Teilbereich seiner Aufgaben als Instanz der einfachen Beschwerde in Vormundschaftssachen. Dem Vormundschaftsgericht bleiben die Zuständigkeiten erhalten im Bereich der Adoption, des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung und der Vormundschaft.
Auf den "Anwalt des Kindes", in der Diktion des KindRG "Verfahrenspfleger" genannt, kann ich hier nicht näher eingehen. Mit dieser Neuerung will der Gesetzgeber sicherstellen, daß die eigenständigen Interessen des Kindes in das Verfahren eingebracht werden und das Kind nicht zu einem bloßen Verfahrensobjekt wird.
In Verfahren vor dem Familien- und Vormundschaftsgerichten können im Einzelfall trotz der vorhandenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen, die eine nach materiellem Recht am Kindeswohl zu orientierende Gerichtsentscheidung ermöglichen sollen (Amtsermittlungsgrundsatz, Anhörung des Kindes und des Jugendamts, Beschwerderecht für Minderjährige über 14 Jahre), Defizite bei der Wahrnehmung der Interessen der von diesen Verfahren besonders betroffenen Kinder auftreten. Zentrale Fragen wie Zeitpunkt der Bestellung, Aufgabe des Verfahrenspflegers, seine Qualifikation, Aus- und Fortbildung, die Organisation der erforderlichen Struktur u.v.a.m. läßt die neue Bestimmung zum Verfahrenspfleger in § 50 FGG trotz entgegenstehender deutlicher Warnungen völlig offen.
Angesichts dieser Situation wird es sehr darauf ankommen, daß die durchaus vorhandenen Ressourcen sich für diese neue Aufgabe auffinden lassen. Motivierte Fachkräfte scheint es in genügender Anzahl zu geben, es kommt jetzt darauf an, sie zu qualifizieren und ihnen die notwendigen Hilfs- und Unterstützungsstrukturen bereitzustellen. Dafür bedarf es noch erheblicher Anstrengungen. Justiz und Jugendhilfe sehen sich bislang hier nicht in der Pflicht. Das KindRG verlangt auch tatsächlich von ihnen keinerlei Aktivitäten, damit qualifizierte Verfahrenspfleger in genügender Anzahl rechtzeitig die herausfordernden Aufgaben übernehmen können. Angesichts dieser Lage besteht tatsächlich die Gefahr, daß die Wiederbelebung einer eigenständigen Interessenvertretung für Kinder in zivilrechtlichen Kindesschutzverfahren im deutschen Recht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Damit dies nicht eintritt, bedarf es enormer Anstrengungen. Zunehmend mehr Einzelpersonen und freie Träger scheinen sich dieser anstrengenden Herausforderung stellen zu wollen. Da der Staat durch das Grundgesetz Kindern gegenüber eine besondere Verantwortung trägt, steht er in der Pflicht: Die Einführung des Verfahrenspflegers im KindRG ist nur ein erster, wichtiger Schritt. Soll sie für Kinder wirklich Verbesserungen bringen, bleibt noch viel zu tun.
Schlußbetrachtung
"Die Rechte der Kinder sollen verbessert und das Kindeswohl soll auf bestmögliche Art und Weise gefördert werden". Dieser Satz steht am Anfang der regierungsamtlichen Begründung zum KindRG. Prüfen Sie selbst, ob der Familienrechtler Ramm Recht hat, wenn er schreibt, "daß das ganze Reformvorhaben nicht auf das Verhältnis der Kinder zu den Eltern, sondern auf die Beziehung der Eltern zueinander abzielt" und dann fortfährt: "Es wäre daher ehrlicher, nicht vom Kindschaftsrechtsreformgesetz, sondern von einem Elternschaftsreformgesetz zu sprechen". Der renommierte Regensburger Familienrechtler Dieter Schwab - Herausgeber der Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - stellt im Zusammenhang des Sorgerechtsmodells des KindRG die Frage: "Geht es um das Kindeswohl, geht es um die "am wenigsten schädliche Alternative" für die Kinder? Oder erhält der verheißene Fortschritt seine Qualität nicht von einem ganz anderen Interessenhorizont her, nämlich dem der Erwachsenen?" Die Beantwortung dieser Fragen überlasse ich Ihnen, so schnell wird eine Antwort gar nicht möglich sein. Bisher vermisse ich Projekte zur Begleitforschung zu dieser weitgehenden Reform. Anscheinend hat bis auf den hessischen Ministerpräsidenten niemand Interesse an Begleitforschung über die konkreten Auswirkungen dieser Reform; erklärte er doch anläßlich der Verabschiedung des KindRG im Bundesrat:
"Hessen begrüßt das grundsätzliche Bemühen, das Kindschaftsrecht umfassend und grundlegend zu reformieren. Gleichwohl bleiben wesentliche Regelungen des Gesetzes, insbesondere diejenigen zum gemeinsamen Sorgerecht, hinter den Forderungen zurück, die aus guten Gründen von den für die Jugendpolitik und die Frauenpolitik zuständigen Institutionen und Verbänden erhoben werden.
Diesen Forderungen sollte jedenfalls dann entsprochen werden, wenn die Erfahrungen beim Vollzug des Gesetzes es nahelegen.
Das Land Hessen wird daher zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes einen Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen der Praxis beantragen. Es erwartet, daß die Bundesregierung eine Novelle zu dem Gesetz einbringt, falls es die jugend- und frauenpolitischen Erwartungen nicht erfüllt."
Das neue Recht eröffnet weit mehr Möglichkeiten für differenzierte Lösungen als das bisherige. Damit entsteht aber zugleich ein Aufklärungs- und Beratungsbedarf, um jeweils herauszufinden, welche von den vorhandenen und nunmehr zulässigen Lösungsmöglichkeiten, den Besonderheiten des Einzelfalles am ehesten gerecht wird. Gerade im Familienrecht, insbesondere im Kindschaftsrecht kann der allgegenwärtige Trend zur Individualisierung an Grenzen stoßen, weil Familienbeziehungen, insbesondere die Eltern-Kind-Beziehung von Ungleichgewichten, Machtgefälle, Schutzbedürftigkeit, Rücksichtnahmepflichten u.ä.m. bestimmt werden. Die Eltern haben Entscheidungsfreiheit, doch nicht sie, sondern die Kinder tragen die Folgen. Angesichts der Wahlfreiheit zwischen den vielfältigen Möglichkeiten kommt es darauf an, daß der vom KindRG den Eltern zugestandene und zuvor nicht eingeräumte Entscheidungsspielraum zum Wohle der Kinder genutzt wird. Das Vertrauen des Gesetzgebers auf die richtige Entscheidungsfindung durch die Eltern scheint sehr groß, aber doch nicht grenzenlos zu sein.
Gesetzesmaterialien:
Literatur :
Quellen: http://www.diakonie.de/publikationen/diak_dok/01-98/abschnitt01.htm (00 11 03)
kinder.achten.beachten.begutachten |
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